Geschichte der deutschen Sprache (V) Aspekte sprachlichen Wandels
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- Pamela Linden
- vor 6 Jahren
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1 Geschichte der deutschen Sprache (V) Aspekte sprachlichen Wandels
2 Aspekte sprachlichen Wandels 1) Wie ist Sprachwandel zu bewerten? 2) Warum verändert sich Sprache? 3) Was muss man bei der Beschreibung von Sprachwandel berücksichtigen?
3 Sprachwandel als Degeneration? - negative Bewertung von Sprachwandel in der Alltagswahrnehmung - negative Bewertung von sprachlichen Veränderungen während der eigenen Lebenszeit - negative Bewertung von Sprachwandel in der Wissenschaft: - synthetischer > analytischer Sprachbau - Verhunzung der Sprache Goethes in den Zeitungen - Verunreinigung der Sprache durch amerikanische Lehneinflüsse
4 Sprachwandel als Fortschritt? - bis 1800: Sprachwandel als Fortschritt - Prozess der Optimierung, Sprachkultivierung Alternativer Ansatz: soziopragmatisch Sprachwandel = ständige Anpassung an sich verändernde Lebens- und Kommunikationsgewohnheiten Eher beschreibend als bewertend. Sprachwissenschaft vs. Sprachkritik
5 Ursachen für Sprachwandel Warum verändern sich Sprachen? Mehrdeutigkeit von warum -Fragen: 1 - warum 1 : Warum ist dein Hemd so dreckig? -> fragt nach Ursachen 2 - warum 2 : Warum hat er denn jetzt so schnell die Party verlassen? -> fragt nach Gründen/Motiven 3 - warum 3 : Warum hat er jetzt den Löffel in die Sektflasche gesteckt? -> fragt nach Absichten/Intentionen
6 Intentionale Veränderung von Sprache - z.b. Rechtschreibreform - Neologismen von Goethe (Weltliteratur, Wahlverwandtschaft) - Eindeutschungen von Campe (ca Verdeutschungsvorschläge! u.a. erfolgreich: Resultat > Ergebnis, Publizität > Öffentlichkeit, nicht erfolgreich: Zwischenstille Pause, Kunststrom Kanal, Geistesanbau Kultur ) - Eindeutschungen des Reichspostmeisters Heinrich von Stephan 1874/75 (765 Vorschläge, z.b. Couvert > Umschlag, recommandiert > Einschreiben, Passagierbillet > Fahrschein, Correspondenzkarte > Postkarte) und des Oberbaurats Otto Sarrazin für das Bauwesen und die Eisenbahn ( , fast 1300 Begriffe, z.b. Perron > Bahnsteig, Coupé > Abteil, Velo > Fahrrad) = Ausnahmen
7 Sprachwandel durch gesellschaftlichen Wandel - neue Sachen > neue Wörter: Notebook, Handy, Festnetz - neue soziale Strukturen: Junggeselle > Single - Entstehung von Synonymen mit neuen Konnotationen: Rendezvous > Date, Strickjacke > Cardigan
8 Verhältnis von individuellem Sprachverhalten und Sprachwandel Rudi Keller (1990) Invisible-hand-Theorie Drei Arten von Phänomenen: 1) natürlich, 2) künstlich, 3) "Phänomene der dritten Art" (z.b. Sprache) Bsp. Verkehrsstau, Trampelpfad Sprachliches Bsp. Weib - Frau - Dame Pejorisierung als Ergebnis individuellen Bemühens um Höherbewertung (Galanteriegebot) Ein Phänomen der dritten Art ist die kausale Konsequenz einer Vielzahl individueller intentionaler Handlungen, die mindestens partiell ähnlichen Intentionen dienen. (Keller : 92)
9 Verhältnis von individuellem Sprachverhalten und Sprachwandel Relevanz für die Sprachgeschichtsschreibung: Sprachgeschichten stellen im allgemeinen fest, daß bestimmte Wörter "andere verdrängen" oder "ablösen", "sich ausbreiten", "vorrücken", "eindringen", und wie die hypostasierenden Metaphern alle heißen mögen. Ein Zusammenhang mit dem Sprachverhalten der sprechenden Individuen, die diese "Ausbreitungen", "Vorstöße" und "Ablösungen" hervorbringen, wird in den seltensten Fällen auch nur versucht. [...] Eine Erklärung einer solchen zweischichtigen sozialen Institution kann nur darin bestehen, daß die zweite Schicht, die Makroebene der Institution, von der ersten Schicht, der Mikroebene des sozialen Handelns der Individuen, hergeleitet wird. Genau das möchte eine Invisible-hand-Theorie leisten. (Keller : 98)
10 Lässt sich Sprachwandel erklären? Erklärung nach dem Hempel-Oppenheim-Schema: Eine wissenschaftliche Erklärung ist dann gegeben, wenn für ein bestimmtes Explikandum eine Reihe von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten und eine Reihe von Anfangsbedingungen beigebracht werden können, und wenn das Explikandum aus diesen Gesetzmäßigkeiten und Anfangsbedingungen zwingend folgt. Gesetzmäßigkeiten: Wenn X, dann Y. Anfangsbedingungen: X ist gegeben. -> Möglichkeit der Prognose Dies ist im Falle der Sprache nicht möglich.
11 Lässt sich Sprachwandel erklären? Tendenz zur unendlichen Regression: Daumenschmerz < Hammer < Unaufmerksamkeit < Abgelenktheit durch Sohn < Wunsch zu spielen... Unterschiedliche Ebenen der Erklärung: Warum tut mir der Daumen weh? Alltagserklärung: Weil ich mit dem Hammer draufgehauen habe. Medizinische Erklärung: mit Bezugnahme auf Nerven usw. Biologische Erklärung: mit Bezugnahme auf den evolutionsgeschichtlichen Sinn des Schmerzes. usw.
12 Lässt sich Sprachwandel erklären? Sprachliches Beispiel: Single > Erklärungen? 1) Beliebtheit von Entlehnungen aus dem Englischen (Sprachkontakt) 2) Mehr Prestige als alleinstehende Dame oder Herr bzw. Jungeselle (konnotativer Mehrwert) 3) Füllung einer lexikalischen Lücke im deutschen Wortschatz 4) Single ist kürzer und prägnanter als die traditionellen Umschreibungen alleinstehender Herr/Dame (Sprachökonomie) 5) Verschleierung der Tatsache des Alleinseins (Euphemismus) 6) Änderung der Lebensverhältnisse (kommunikative Bedürfnisse) usw.
13 Was muss man bei der Beschreibung von Sprachwandel berücksichtigen? 1. Sprachwandel vollzieht sich ebenenspezifisch Bsp.: Lexik als dynamisches System Duden Rechtschreibung 1973 > 1986: 4500 neue Wörter, Wegfall von 1200 Wörtern 2. Sprachwandel ist zu unterscheiden von Varietätenwandel Bsp.: frnhd. Diphthongierung im Deutschen (aber nicht im Ripuarischen und Alemannischen) Wandel sprachlicher Normen für einzelne Varietäten Bsp.: ling. Fachsprache. (Vormarsch, Kampf, Ansturm, Stoßkeil, Frontlinie > System, Struktur, Schicht, Peripherie, Stadium, Kommunikation, Transformation, Prozess)
14 Was muss man bei der Beschreibung von Sprachwandel berücksichtigen? Bsp.: Briefkommunikation (hochverehrlicher, wohllöblicher Herr X, unterthänigst, gehorsamst, Ihr ergebenster Diener > Sehr geehrter Herr X, Mit freundlichen Grüßen) Bsp.: Handwerkerterminologie (Schraubenzieher, Zollstock, Glühbirne > Schraubendreher, Gliedermaßstab, Leuchtmittel) 3. Sprachsystemwandel ist zu unterscheiden von Sprachgebrauchswandel Sprachsystemwandel als Resultat von Sprachgebrauchswandel Kriterien für vollzogenen Sprachsystemwandel?
15 Was muss man bei der Beschreibung von Sprachwandel berücksichtigen? 4. Sprachvariation ist Bedingung und Indikator für Sprachwandel Variante A > Variante A/B > Variante B Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen 5. Sprachwandel vor 1930 muss aus der Schriftlichkeit rekonstruiert werden Gebrochene Reflexion der Mündlichkeit durch die Schrift: - begrenztes lat. Buchstabeninventar - Spezifika der konzeptionellen Schriftlichkeit - Distanz der überlieferten Schriftzeugnisse zur Mündlichkeit (gehobene Stilebenen: Literatursprache, Verwaltungssprache, religiöse Texte)
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