Dr. Wolfgang Döhner Vortrag vor der der Landesstelle gegen die Suchtgefahren, Stuttgart
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- Sofia Graf
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1 Dr. Wolfgang Döhner Vortrag vor der der Landesstelle gegen die Suchtgefahren, Stuttgart Möglichkeiten und Grenzen des Unterbringungsgesetzes Baden-Württemberg bei der Behandlung Suchtkranker Liebe Frau Weiser, sehr geehrter Herr von Bose, meine Damen und Herren, nach Referenten aus Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt fällt mir die Rolle zu, nunmehr den Reigen der Einheimischen zu eröffnen. Passend zu dieser Aufgabe darf ich Ihnen im folgenden eine Errungenschaft aus unserem Musterländle vorstellen: das Unterbringungsgesetz Baden-Württemberg (UBG), wie es sich seit nunmehr fast fünfzig Jahren an den hiesigen psychiatrischen Kliniken und Abteilungen bewährt hat. Welche Möglichkeiten bietet es bei der Behandlung Suchtkranker, und wo liegen seine Grenzen? Das Ausgangsproblem ist ja bereits in den vorangegangenen Referaten wiederholt angeklungen: In der Suchtkrankenhilfe haben wir es zu tun mit Menschen, die sich selbst - und allzu häufig auch anderen - erheblichen Schaden zufügen, obwohl sie auf die Schädlichkeit ihres Verhaltens nachdrücklich hingewiesen worden sind. Während wir noch auf sie einreden, rennen sie schon sehenden Auges in ihr Unglück und vermitteln uns das Gefühl, wir hätten genauso gut gegen eine Wand reden können. Da verwundert es nicht, wenn als vermeintliche Patentlösung bisweilen drastische Zwangsmaßnahmen propagiert werden - und das beileibe nicht nur am Stammtisch: Gerade in der Psychiatrie sind wir immer wieder konfrontiert mit der Erwartung von frustrierten Angehörigen, Behörden und bisweilen auch ärztlichen Kollegen, diesen oder jenen therapieunwilligen Suchtkranken nun doch endlich mal längerfristig aus dem Verkehr zu ziehen. Eine Helgolandlösung für Drogenabhängige wäre allerdings kaum vereinbar mit den Prinzipien eines Rechtsstaates: Freiheitsentziehende Maßnahmen sind nach Art. 104 des Grundgesetzes nur zulässig nach richterlicher Anordnung auf der Basis eines förmlichen Gesetzes. Das Grundgesetz aber gilt uneingeschränkt auch für Suchtkranke und Patienten in psychiatrischen Kliniken; das früher gelegentlich geltend gemachte Konstrukt eines besonderen Gewaltverhältnisses in der Psychiatrie hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom eindeutig zurückgewiesen. Welche Rechtsgrundlagen kommen also in Frage für die zwangsweise Unterbringung Suchtkranker? Im wesentlichen sind es drei, nämlich 1. die strafrechtliche Unterbringung, z. B. in Form einer Maßregel nach 64 StGB (Thema des nachfolgenden Referates von Herrn Andritsch) 2. die zivilrechtliche Unterbringung im Rahmen des Betreuungsrechtes nach 1906 BGB (in der heutigen Referatreihe nicht vertreten) und 3. die öffentlich-rechtliche Unterbringung nach den Unterbringungsgesetzen der Länder, hier nach UBG Baden-Württemberg (mein Thema). 1
2 Die strafrechtliche und die zivilrechtliche Unterbringung unterscheiden sich relativ klar im Hinblick auf ihre jeweilige Zielsetzung: hier Maßnahmen bei psychisch kranken Straftätern, dort Fürsorge für betreuungsbedürftige Kranke. Weniger plausibel hingegen erscheint die Abgrenzung zwischen der öffentlich-rechtlichen und der zivilrechtlichen Unterbringung: Wozu brauchen wir überhaupt neben den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches noch separate Unterbringungsgesetze der Länder? In der Tat gab es im Rahmen der Reform des Vormundschaftsrechtes 1992 Überlegungen, diese Zweigliedrigkeit aufzugeben. Herausgekommen ist dabei zumindest eine Vereinheitlichung des Verfahrensrechts der Unterbringung unter FGG (Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit), welche verhindern soll, dass im Zweifelsfall der Weg des geringsten Widerstandes gesucht wird. Nachvollziehen lässt sich die Eigenständigkeit der Unterbringungsgesetze der Länder noch am ehesten anhand ihrer historischen Wurzeln: Im Unterschied zum Bürgerlichen Gesetzbuch gehen sie nämlich zurück auf das Polizeirecht, welches mit Gründung der Bundesrepublik bekanntlich den Ländern zugewiesen wurde. Eine der ältesten Definitionen polizeilicher Pflicht findet sich im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794, wo ausgeführt wird, diese bestehe darin, die nötigen Anstalten zu treffen zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publico oder einzelnen Mitgliedern desselben bestehenden Gefahr. Dazu konnte es beispielsweise erforderlich sein, Betrunkene mit mehr oder weniger sanftem Druck nach Hause zu schicken oder vorübergehend in Polizeigewahrsam zu nehmen (Vorläufer der heutigen Ausnüchterungszellen). Die historische Nähe der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zum Polizeirecht macht plausibel, warum nach UBG auch eine krankheitsbedingte Fremdgefährdung unterbringungsrelevant ist, während eine zivilrechtliche Unterbringung ausschließlich zur Abwendung einer Selbstgefährdung des Betroffenen zulässig ist. Konkreter historischer Vorläufer des Unterbringungsgesetzes Baden-Württemberg war das Badische Irrenfürsorgegesetz von 1910: ein für die damalige Zeit fortschrittliches Gesetzeswerk, welches - wie schon durch seinen Namen zum Ausdruck gebracht - in teilweiser Abkehr von der geschilderten polizeirechtlichen Tradition dem Aspekt der Fürsorge für Betroffene Vorrang einräumte. Das eigentliche UBG Baden-Württemberg datiert in seiner ursprünglichen Fassung von 1955, damals noch unter dem Namen Gesetz über die Unterbringung von Geisteskranken und Suchtkranken. Geregelt war in ihm allerdings nur die Unterbringung als solche, nicht die Behandlung der Untergebrachten. Unter Bezugnahme auf das erwähnte Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1972 entschied aber das Oberlandesgericht Stuttgart durch Beschluss vom , dass auch hierfür eine explizite gesetzliche Regelung erforderlich sei: es könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine Behandlung eines Betroffenen gegen seinen Willen durch die Genehmigung seiner zwangsweisen Unterbringung gleichsam implizit mitgenehmigt sei. Nachdem der Gesetzgeber hierauf zunächst nicht reagierte, erklärte das OLG Stuttgart in einer weiteren Entscheidung vom eine zwangsweise Behandlung Untergebrachter allein auf der Basis der gerichtlich genehmigten Freiheitsentziehung erneut für nicht zulässig, auch nicht für eine Übergangszeit. 2
3 Das Resultat der daraufhin zwingend erforderlich gewordenen Gesetzgebungsaktivitäten war das Unterbringungsgesetz in seiner revidierten Fassung von 1983, jetzt erstmals unter dem heute noch gültigen Namen Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker. Es ergänzte die weitgehend unverändert beibehaltenen Bestimmungen für die Unterbringung als solche um dezidierte Regelungen der Rechte und Pflichten Untergebrachter hinsichtlich ihrer Behandlung. Die bislang letzte Gesetzesnovelle vom wurde, wie eingangs schon erwähnt, erforderlich wegen der Reform des Vormundschaftsrechtes: Aufgrund der bundeseinheitlichen Neuregelung des Verfahrensrechtes der Unterbringung waren die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen aufzuheben; das materielle Recht des UBG Baden-Württemberg blieb hiervon jedoch unberührt. Bei der Kommentierung der somit seit dem gültigen Rechtslage muss ich mich aus Zeitgründen auf die wichtigsten Paragraphen beschränken: 1 Voraussetzungen der Unterbringung (1) Psychisch Kranke können gegen ihren Willen in einer nach 2 anerkannten Einrichtung untergebracht werden, wenn sie unterbringungsbedürftig sind. (2) Psychisch Kranke im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, bei denen eine geistige oder seelische 1. Krankheit, 2. Behinderung oder 3. Störung von erheblichem Ausmaß einschließlich einer physischen oder psychischen Abhängigkeit von Rauschmitteln oder Medikamenten vorliegt (Krankheit). [... ] (4) Unterbringungsbedürftig sind psychisch Kranke, die infolge ihrer Krankheit ihr Leben oder ihre Gesundheit erheblich gefährden oder eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für die Rechtsgüter anderer darstellen, wenn die Gefahr nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Von einer Unterbringung gegen den Willen (Abs. 1) ist immer dann auszugehen, wenn es an einer rechtswirksamen Einwilligung des Betroffenen fehlt, selbst wenn dieser sich nicht aktiv gegen seine Einweisung wehrt: Nichtäußerung darf nicht als Einverständnis interpretiert werden. Geschäftsfähigkeit wird hingegen nicht gefordert: Rechtswirksam ist eine Einwilligung bereits dann, wenn diese (z. B. bei einem Betrunkenen) zumindest auf einer erkennbaren natürlichen Willensfähigkeit beruht. Suchtkranke gelten dabei nach Abs. 2 Punkt 3 nicht generell als psychisch Kranke im Sinne des Gesetzes, sondern nur bei manifester Suchtmittelabhängigkeit - und auch das erst, wenn die Abhängigkeit ein erhebliches Ausmaß erreicht hat: ein klassischer unbestimmter Rechtsbegriff, über den sich dann in der Praxis trefflich streiten lässt - vergleichbar der aktuellen Diskussion über den Begriff chronisch Schwerstabhängige. Eine Intoxikation ohne erhebliche Abhängigkeit stellt allenfalls dann eine Eingangsvoraussetzung dar, wenn sie nach Art und Ausmaß selbst einer geistigen oder seelischen Krankheit nach Punkt 1 (konkret: einer organischen 3
4 Psychose) entspricht, oder wenn sie von einer solchen (z. B. einem alkoholischen Korsakowsyndrom) begleitet wird. Aber auch erheblich Suchtmittelabhängige dürfen nicht automatisch gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Klinik festgehalten werden, sondern nach Abs. 1 nur dann, wenn sie unterbringungsbedürftig sind. Präzisiert wird letzterer Begriff in Abs. 4 durch drei Kriterien: 1. Es liegt eine erhebliche Gefährdung für ihr Leben oder ihre Gesundheit (Selbstgefährdung) oder eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für die Rechtsgüter anderer (Fremdgefährdung) vor. Die Gefährdung eigener Rechtsgüter (z. B. durch Geldverschwendung) ist also per se ebenso wenig ein Unterbringungsgrund wie ein lästiges oder anstößiges, nicht aber konkret gefährliches Verhalten Suchtkranker. Verwahrlosung (der Begriff als solcher kommt im Gesetzestext nicht mehr vor) rechtfertigt eine Unterbringung Suchtkranker nach gängiger Rechtsprechung allenfalls dann, wenn sie das Ausmaß einer konkreten Gesundheitsgefährdung angenommen hat. Gleichwohl scheint der Gesetzestext der Selbstgefährdung ein stärkeres Gewicht zuzumessen als der Fremdgefährdung: während letztere zur Rechtfertigung einer Unterbringung erheblich und gegenwärtig sein muss, fehlt bei ersterer das Attribut gegenwärtig. Es kann aber kaum die Intention des Gesetzgebers gewesen sein, sämtliche Suchtmittelabhängige (einschließlich der Raucher?) wegen langfristig durchweg zu befürchtender Gesundheitsschäden gleichsam prophylaktisch in Verwahrung zu nehmen. In der Kommentierung des UBG von Juchart und Warmbrunn wird denn auch (allerdings ohne Erläuterung der Diskrepanz zum Wortlaut des Gesetzes) ausgeführt, die Gefahr einer Rechtsgutverletzung müsse in beiden Fällen erheblich und gegenwärtig sein ; von letzterem sei immer dann auszugehen, wenn infolge der Krankheit ein schadensstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein konkreter Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit möglich ist (S. 36). 2. Zwischen der psychischen Krankheit und der Selbst- oder Fremdgefährdung besteht ein kausales Verhältnis ( infolge ihrer Krankheit ). Konkretes Beispiel: Die Unterbringung einer drogenabhängigen Prostituierten ist nicht durch Geltendmachen einer Fremdgefährdung infolge ihrer HIV-Infektion zu rechtfertigen, da Drogenabhängigkeit und Gefährdung Dritter nicht in einem direkten, sondern allenfalls in einem indirekten kausalen Zusammenhang stehen. 3. Die Gefährdung oder Gefahr ist nicht auf andere Weise abwendbar. Eine zwangsweise Unterbringung Suchtkranker kommt demnach auch bei Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen nur als ultima ratio in Frage; sofern es weniger eingreifende (d. h. nicht unbedingt weniger aufwendige) Alternativen gibt, haben diese grundsätzlich Vorrang. Sind diese Kriterien erfüllt, so bietet das UBG hinsichtlich des weiteren Vorgehens zwei alternative Verfahrenswege an: das Regelverfahren nach 3 oder eine fürsorgliche Aufnahme und Zurückhaltung nach 4. 4
5 Da das sogenannte Regelverfahren ganz im Widerspruch zu seinem Namen in der Praxis eher die Ausnahme darstellt, soll es hier nur kursorisch skizziert werden: schriftlicher Antrag durch die untere Verwaltungsbehörde ärztliches Zeugnis des Gesundheitsamtes Beschlussfassung durch das zuständige Amtsgericht. Gegenüber einer fürsorglichen Einweisung hat es den Vorteil, dass es ggf. auch eine Rechtsgrundlage liefert für Zwangsmaßnahmen, die im Rahmen der Verbringung eines Unterbringungsbedürftigen in die Klinik erforderlich werden. Der Preis hierfür ist allerdings (neben dem erforderlichen zeitlichen und organisatorischen Vorlauf) eine zumeist ungünstigere therapeutische Ausgangsbasis, da die Klinik im Erleben des Betroffenen unter diesen Umständen zunächst weniger als Helfer, denn als Urteilsvollstrecker ins Spiel kommt. Aus gutem Grund kommen somit in der Praxis die meisten Aufnahmen unterbringungsbedürftiger Patienten zustande über 4 Fürsorgliche Aufnahme und Zurückhaltung (1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung vorliegen, und erscheint eine sofortige Unterbringung erforderlich, so kann eine anerkannte Einrichtung eine Person aufnehmen oder zurückhalten, bevor die Unterbringung beantragt oder angeordnet ist. [...] (4) Die anerkannte Einrichtung hat den Antrag auf Anordnung der Unterbringung unverzüglich, spätestens aber bis zum Ablauf des dritten Tages nach der Aufnahme oder Zurückhaltung abzusenden, falls eine weitere Unterbringung gegen den Willen des Betroffenen erforderlich erscheint. Die den psychiatrischen Kliniken nach Abs. 4 gegebene Möglichkeit, unterbringungsbedürftige Patienten bis zum Ablauf des dritten Tages nach der Aufnahme ohne richterlichen Beschluss zurückzuhalten, stellt bundesweit eine Besonderheit des baden-württembergischen Unterbringungsrechtes dar. Ihre in der Praxis übliche Bezeichnung als 72-Stunden-Regelung oder 3-Tages-Frist ist nicht ganz korrekt, denn nach dem Wortlaut des Gesetzestextes kann im Einzelfall je nach Uhrzeit der stationären Aufnahme sogar eine Zurückhaltung bis zu annähernd 96 Stunden zulässig sein. Da andererseits die Polizei nach Art. 104 GG niemanden ohne richterliche Entscheidung länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen festhalten darf und die Unterbringungsgesetze der anderen Bundesländer diese sehr viel kürzere Frist übernommen haben, wurde verschiedentlich die Verfassungsmäßigkeit von 4 Abs. 4 in Frage gestellt. Das Bundesverfassungsrecht hat diese Bedenken mit Beschluss vom ausgeräumt: Die heutigen psychiatrische Kliniken seien eben nicht als verlängerter Arm der Polizei zu verstehen. Die auch hier gegebene Verpflichtung zu einer unverzüglichen (d. h. nicht schuldhaft verzögerten) Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung gebiete es allerdings, die 3-Tages-Frist nur dann voll auszuschöpfen, wenn zu erwarten ist, dass ein hinsichtlich seiner Behandlungsbedürftigkeit zunächst uneinsichtiger Patient innerhalb dieser Frist seiner stationären Aufnahme doch noch auf freiwilliger Basis zustimmen wird. Die praktische Erfahrung an den psychiatrischen Kliniken unseres Landes zeigt, dass dies bei der Mehrzahl der Patienten der Fall ist mit dem erfreulichen Ergebnis, dass im statistischen Vergleich der Anteil richterlich 5
6 untergebrachter Patienten in Baden-Württemberg deutlich niedriger ist als in anderen Bundesländern: An unserer Klinik lag er im vergangenen Jahr bei insgesamt 5,2%, auf unserer Abteilung Suchttherapie sogar bei unter 1%. Aus suchttherapeutischer Sicht besonders hilfreich erscheint mir die 3-Tages-Regelung im Umgang mit selbstoder fremdgefährdenden intoxikierten Suchtkranken: Statt die emotional zumeist ohnehin angespannte Atmosphäre durch vorschnelle Konfrontation mit der Justiz weiter aufzuheizen, bietet sie einen hinreichend langen Zeitraum zur Deeskalation (z. B. im Sinne eines talking down ) und zum Aufbau erster Ansätze einer therapeutischen Beziehung. Auch wenn diese selten gleich im ersten Anlauf zu einer langfristigen suchtspezifischen Weiterbehandlung führen, kommen doch die meisten der betroffenen Patienten früher oder später erneut zur stationären Aufnahme zu uns; der therapeutische Umgang mit ihnen erweist sich dann erfahrungsgemäß als erfolgreicher, wenn er nicht durch kränkend in Erinnerung gebliebene Zwangsmaßnahmen vorbelastet ist. Diese Überlegungen passen auf der theoretischen Ebene gut zu der Abkehr von einem linearen Modell der Suchttherapie mit einer eher hochschwelligen Entzugsphase hin zu der Vorstellung eines verzweigten Therapienetzes mit (ggf. auch wiederholten) niedrigschwelligen Entzugsmöglichkeiten: Niedrigschwelliger Zugang und zwangsweise Unterbringung stehen grundsätzlich in einem Widerspruch zueinander und sind - von begründeten und zeitlich befristeten Ausnahmefällen abgesehen - nicht parallel zueinander auf der gleichen Station realisierbar; ein Raum, in den man leicht hineinkommt, aber nur ganz schwer wieder heraus, wäre nämlich kein therapeutischer Raum mehr, sondern eine Falle. Auch die vom Oberlandesgericht Stuttgart wiederholt angemahnte und mit der Gesetzesnovelle von 1983 (s. o.) realisierte Klarstellung der Rechte und Pflichten Untergebrachter dient dem Ziel, Betroffenen soviel Freiheit wie möglich zu belassen, und Zwangsmaßnahmen - so sie denn im Einzelfall unumgänglich sind nach Art und Umfang auf ein Mindestmaß zu begrenzen: 7 Unterbringung und Betreuung (1) Die nach diesem Gesetz Untergebrachten werden so untergebracht, behandelt und betreut, dass der Unterbringungszweck bei geringstem Eingriff in die persönliche Freiheit erreicht wird. [... ] 8 Heilbehandlung (1) Wer auf Grund dieses Gesetzes in einer anerkannten Einrichtung untergebracht ist, hat Anspruch auf notwendige Heilbehandlung. Die Heilbehandlung umfasst auch Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Untergebrachten nach seiner Entlassung ein eigenverantwortliches Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. (2) Der Untergebrachte ist über die beabsichtigte Untersuchung oder Behandlung angemessen aufzuklären. Er hat diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, [... ]. 12 Unmittelbarer Zwang 6
7 (1) Bedienstete der anerkannten Einrichtung dürfen gegen Untergebrachte unmittelbaren Zwang nur dann anwenden, wenn der Unterbebrachte zur Duldung der Maßnahme verpflichtet ist. Unmittelbarer Zwang zur Untersuchung und Behandlung ist nur auf ärztliche Anordnung zulässig. [... ] Der Pflicht zur Duldung erforderlicher Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen nach entsprechender Aufklärung entspricht also ein Anspruch auf Behandlung: Dieser beschränkt sich nicht auf die Verabreichung von Medikamenten, sondern beinhaltet ausdrücklich auch erforderliche rehabilitative psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen. Mit anderen Worten: Eine zwangsweise Unterbringung ist kein Selbstzweck, sondern rechtfertigt sich ggf. dadurch, dass sie die Voraussetzungen schafft für eine dringend notwendige, ohne Unterbringung aber nicht durchführbare Behandlung. Hierzu ein konkretes Beispiel aus dem Suchtbereich: Das bloße Fernhalten eines Süchtigen von seinem Suchtmittel zur Verhütung eines Rückfalles kann eine zwangsweise Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik nicht begründen, da es in diesem Sinne keine Behandlung darstellt - schon gar keine Behandlung, welche die besonderen Mittel eines Krankenhauses erfordert, was nach den Bestimmungen des Landeskrankenhausgesetzes (LKHG) im übrigen Voraussetzung wäre für eine Kostenübernahme durch den Krankenversicherungsträger. Selbst wenn eine Krankenhausbehandlung im Sinne des LKHG erforderlich ist, rechtfertigt dies noch keine zwangsweise Unterbringung, solange der Betroffene voll geschäftsfähig ist: Für die Unterbringung eines Betroffenen wegen Gefährdung seiner Gesundheit infolge einer Sucht ist nicht ausreichend, dass vom medizinischen Standpunkt aus eine möglichst baldige oder länger andauernde Behandlung geboten ist. Auch ihm steht das Grundrecht der persönlichen Freiheit und damit auch das Recht zu, sein Leben falsch anzulegen und zu führen (OLG Frankfurt, NJW 1988, 1528). Das UBG erlaubt also längst nicht alles, was therapeutisch wünschenswert ist: Ein Suchtkranker, der das bewusst will, darf so bleiben, wie er ist. In der Praxis kommt eine zwangsweise Unterbringung Suchtkranker somit - von erheblichen psychiatrischen Begleit- oder Folgeerkrankungen einmal abgesehen - fast ausschließlich für die (eher kurze) Phase des akuten Entzuges in Frage, kaum aber für die anschließende Entwöhnungsbehandlung (was auch therapeutisch wenig Sinn machen würde). Damit wäre ich angelangt bei meinem letzten Punkt, den Grenzen des Unterbringungsgesetzes in der Suchtkrankenhilfe: Das UBG hat sich zwar auch hier bewährt als Instrument zur Gefahrenabwehr, wobei ich auf die aus suchttherapeutischer Sicht besonders hilfreiche Drei-Tages-Regelung hingewiesen habe. Es darf aber nicht missverstanden werden als gleichsam therapeutisches Instrument, mit dem sich Krankheitseinsicht und Veränderungsmotivation zur Not erzwingen ließen: Es bietet dem Arzt an einer psychiatrischen Klinik im Umgang mit Suchtkranken - und das kann unter Umständen sehr viel wert sein! - ggf. eine sichere Rechtsgrundlage für therapeutisch erforderliche Zwangsmaßnahmen; es kann ihm aber natürlich nicht sagen, wie diese im Einzelfall konkret aussehen sollten. Was also bleibt, wenn im Einzelfall weder Fürsorge noch Zwang, weder Zuckerbrot noch Peitsche etwas bewirken? Manchmal in der Tat nur noch die Kapitulation vor 7
8 der Sucht. Nicht ohne Grund stellen die Anonymen Alkoholiker an den Anfang ihres Zwölf-Schritte-Programmes die (im wahrsten Sinne des Wortes ernüchternde ) Einsicht, dass sie ihrem Suchtmittel gegenüber machtlos sind. Kapitulation ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit Hoffnungslosigkeit, im Gegenteil: Manchmal bewirkt erst der Wegfall eines äußeren Veränderungsdrucks eine innere Veränderungsbereitschaft, was paradox ist aber gilt das nicht für viele Phänomene im Umfeld von Sucht? Die Geschichte der AA-Gründer Bill und Bob ist jedenfalls ein Beispiel dafür, dass Veränderung auch und gerade da möglich ist, wo eigentlich niemand mehr daran geglaubt hat nicht immer, aber manchmal dann doch. Literatur: Klaus Juchart, Johannes Warmbrunn: Unterbringungsgesetz Baden-Württemberg, Integra-Verlag Walldorf
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