Hypoglykämie "Unterzuckerung"
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- Fanny Steinmann
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1 - Prof. Dr. A.A.R. Starke Dr. Christiane Saddig Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Medizinische Klinik Hypoglykämie "Unterzuckerung" Definition : Unabhängig vom Bestehen gleichzeitiger Symptome liegt eine Hypoglykämie vor, wenn der Blutzucker im Kapillarblut kleiner ist als 40 mg/dl (entspr mmol/l). Bei Blutzuckerwerten zwischen 40 und 50 mg/dl ( mmol/l) liegt eine Hypoglykämie vor, wenn gleichzeitig vegetative (adrenerge) oder neurologische Symptome bestehen. Kommentar: (betrifft Patienten, die keinen Diabetes mellitus / Zuckerkrankheit) haben Ł Die Blutzuckermessung muß mit einer exakten, enzymatischen - meist photometrischen oder elektrochemischen - Labormethode erfolgt sein. Dazu eignen sich sog. Glucose-Analyzer für Laborzwecke. Sog. Blutzuckermeßgeräte (Glucometer, Glucose-Meßgeräte) auf Teststreifenbasis sind für Diabetiker entwickelt worden.sie sind im hypoglykämischen Meßbereich ( <50 mg/dl) zu ungenau und können allenfalls grobe Hinweise liefern, die labormäßig überprüft werden müssen. Blutzuckerwerte oberhalb von 60 mg/dl (entspr. >3.33 mmol/l) sind auch bei gleichzeitig bestehenden Symptomen oder Beschwerden als normal zu werten und schließen eine Hypoglykämie als Ursache der Beschwerden aus. Eine "Grauzone" besteht bei niedrig-normalen Blutzuckerwerten zwischen 50 und 60 mg/dl ( mmol/l), die auch von völlig gesunden Menschen gelegentlich erreicht werden können und beim Fasten (länger als 24 Std.) regelmäßig erreicht werden. Treten Blutzuckerwerte in diesem Bereich gehäuft im Nüchternzustand, d.h. vor den Hauptmahlzeiten, oder auch ca. 3-5 Std. nach den Mahlzeiten auf, sollte ein auf Unterzuckerungen spezialisierter Arzt konsultiert werden.
2 Prof. Dr. A.A.R. Starke Dr. Christiane Saddig Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Medizinische Klinik Hypoglykämie Symptome : Verdächtige Symptome äußern sich: 1. durch Anregung des vegetativen Nervensystems in unangenehmen, aber ungefährlichen adrenergen Symptomen. 2. durch Unterversorgung des Gehirns mit seinem wesentlichen Brennstoff Glucose in ernst zu nehmenden neurologischen / neuroglucopenischen Symptomen. Allg. Symptome Adrenerge Symptome Neuroglucopenische Symptome Übelkeit, Schwindel-, Kollaps-Zustände, evtl. Gewichtszunahme Schwitzen, Zittern, Herzklopfen, Tachycardie, Unruhe, Nervosität, Hungergefühl, Aggressivität Wesensveränderungen, Bewußtseins-, Konzentrations-, Seh-, Sprach-, Gedächtnisstörungen, Müdigkeit, Verlangsamung, Krampfanfälle, Doppelbilder, Lähmungen (Paresen), Bewußtlosigkeit Typische klinische Ausgangssituationen bei Patienten mit Verdacht auf Hypoglykämien / Unterzuckerungen Vorgeschichte mit verdächtigen Symptomen Vorgeschichte mit verdächtigen Symptomen Vorgeschichte mit verdächtigen Symptomen keine Vorgeschichte mit Symptomen Vorgeschichte mit typischen Symptomen Blutzucker unbekannt Blutzucker "niedrig" Blutzucker normal zufällige Blutzucker-Bestimmung: "erniedrigt" Nachweis einer Hypoglykämie und Besserung durch Kohlenhydrate: Whipple-Trias
3 Prof. Dr. A.A.R. Starke Dr. Christiane Saddig Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Medizinische Klinik Hypoglykämie Ursachen klinisch g e s u n d e r Patient Ł Das I n s u l i n o m steht beim Erwachsenen mit nachgewiesenen oder hochgradig verdächtigen Symptomen von Hypoglykämien im Zentrum der differnetialdiagnostischen Überlegungen. Die H y p e r p l a s i e (Synonyme: Inselzell-oder Beta-Zell-Hyperplasie, "Nesidioblastose" des Erwachsenen, pankreatogene hyperinsulinämische Non-Insulinoma Hypoglykämie, fokale Hyperplasie) ist beim Erwachsenen eine extrem seltene Ursache, die zu diagnostischen Problemen führen kann. Trotz zum Teil ausgeprägter Beeinträchtigung und Symptomatik (adrenerge / neurologische Symptome) wirken die Patienten meist klinisch gesund und bieten so gut wie keine krankhaften Befunde bei der klinischen internistischen Untersuchung. Ł Sog. echte postprandiale Hypoglykämien sind viel seltener als angenommen und werden vielfach aus Verlegenheit diagnostiziert. Abzugrenzen ist das adrenerge postprandiale Syndrom (APS). Ł Nicht verwechselt werden dürfen vermutete postprandiale Hypoglykämien mit dem sog. "Früh- Dumping-Syndrom" mit überwiegend vegetativen Symptomen, die kurz nach der Einnahme von rasch verfügbaren und konzentrierten einfachen Kohlenhydraten auftreten. Erkrankung Bemerkungen 1. meist benigne Insulin-produzierende Tumoren des Pankreas Insulinom 2. maligne Insulinome (in 5-10%) / Düsseldorf 18% 3. (multiple) Insulinome im Rahmen der seltenen familiären MEN I (multiple endokrine Neoplasie Typ I / Menin-Gen) - Pankreas-, Parathyreoidea- und Hypophysen-Tumoren
4 alimentäre, postprandiale Hypoglykämie früher: "reaktive oder funktionelle" Hypoglykämie a: Prototyp: Zust. nach Magenoperation (Billroth-Op.) b: zu rasche Magenentleerung bei kohlenhydratreicher Ernährung Mechanismus: GLP-1 (glucagon-like-peptide 1)? 4 c: Insulinresistenz: (z.b.frühphase des Typ II-Diabetes mit früher Hyperglykämie, >180 mg/dl) nach Kohlenhydraten ( Min) und verspäteter überhöhter Insulinsekretion (Rechtsverschiebung der Insulin- Konzentrationen) d: gesteigerte Insulinsensitivität / Glucagon? pankreatogene hyperinsulinämische Non- Insulinoma-Hypoglykämie Alkohol Medikamente bei entspr. Prädisposition (s.o.) "Hypoglycaemia factitia" extreme physische Aktivität mesenchymale Nicht-Inselzell-Tumoren Insulin-Autoimmun-Syndrome (AIS / IAIS) persistierende hyperinsulinämische Hypoglykämie bei "Kindern" ( P H H I ) e: fokale Beta-Zell-Hyperplasie - Inselzell- Hyperplasie - "Nesidioblastose" des Erwachsenen?, Mikroadenomatose insbes. bei Lebererkrankung (Zirrhose) und einseitiger Ernährung siehe Liste (Medikamente) Insulin oder Antidiabetika (Sulfonylharnstoffe) z.b. Marathon, extr. Triathlon, Ski-Langlauf z.b. Fibrosarkome; erhöhtes "big" IGF II (insulin like growth factor II) AIS: autoimmunes Insulin-Syndrom bei Autoimmunerkrankungen durch 1. anti-insulin Autoantikörper (vorw. in Japan / M.Basedow, Lupus erythematodes, Rheumatoide Arthritis, theoret. Insulin-Injektionen) 2. Insulin-Rezeptor Autoantikörper (Lupus erythematodes, Sclerodermie, primär-biliäre Lebercirrhose, ITP - Purpura, Hashimoto- Thyreoiditis) - neonataler Hyperinsulinismus - - PHHI: familial persistent hyperinsulinemic hypoglycemia of infancy (diffuse Nesidioblastose / Genmutationen (SUR1, Kir6.2 locus)) (Prof. Dr. A. Starke / Dr. C. Saddig) klinisch k r a n k e r Patient Die Schwere der zugrunde liegenden Erkrankung macht keine diagnostischen oder differentialdiagnostischen Probleme. Durch Hypoxie (Sauerstoffmangel) und Azidose (Übersäuerung des Blutes, meist durch Lactat = Milchsäure; Lactatacidose) kommt es zur Hemmung und Verminderung der Gluconeogenese in der Leber (= Zuckerneubildung). Eine funktionierende Gluconeogenese ist Voraussetzung für die Konstanterhaltung eines normalen Blutzuckerniveaus (Glucosehomöostase). Auch die normale Niere trägt mit ihrer eigenen Gluconeogenese zum Teil zur Glucosehomöostase bei.
5 5 Erkrankung / Ursache: Innere Medizin Bemerkungen schwerste Lebererkrankungen Niereninsuffizienz (Urämie) Leberausfalls-Koma, schwere Hepatitisverläufe: verminderte Gluconeogenese metabolische Azidose, verzögerte Insulin-Elimination schwere Herzinsuffizienz (Cardiomyopathie) Sepsis Schock, Multiorganversagen Endokrine Krisen Medikamente bei Vorerkrankungen an Leber / Niere Hypoxie mit Störung des Glucose-Stoffwechsels in der Leber, Azidose, Leberstauung Azidose, Hypoxie, Leber-, Nierenschädigung Azidose, Hypoxie, Leber-, Nierenschädigung Ausfall von Hypophysen-Vorderlappen / Nebennierenrinde / Schilddrüse: ACTH, STH (Wachstumshormon), Cortisol, Thyroxin siehe Liste (Medikamente) extreme Mangelernährung Anorexie, Kachexie; (auch bei Tumorerkrankungen) Erkrankungen von Knochenmark / Lymphknoten angeborene Stoffwechselerkrankungen Leukämien, Lymphome, Myelome (Plasmocytom): Antikörper? Glycogen-Speicherkrankheit, Fructose-Intoleranz, Galaktosämie LIT: - Starke A, Saddig C. Hypoglykämien im Erwachsenenalter. In: Diabetes mellitus. Urban & Fischer, München Jena, 2. Aufl. 2000, S Service FJ. Hypoglycemic disorders. New Engl J Med 332, 1995, Service FJ. Noninsulinoma pancreatogenous hypoglycemia: a novel syndrome of hyperinsulinemic hypoglycemia in adults independent of mutations.. J Clin Endocrinol Metab 84, 1999, Saddig C, Starke AAR. Hypoglykämiediagnostik bei Patienten mit Verdacht auf Insulinom. internist. prax. 43, 43-57, 2003
6 Prof. Dr. A.A.R. Starke Dr. Christiane Saddig Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Medizinische Klinik Hypoglykämie postprandiale Hypoglykämie Bei rein vegetativen (adrenergen) Symptomen sollten postprandiale Hypoglykämien ernsthaft in Erwägung gezogen werden, wenn Hypoglykämien nach dem Genuß einer standardisierten Testmahlzeit (kohlenhydratreich) unter Laborbedingungen auch tatsächlich inerhalb von 2-4 Stunden postprandial nachgewiesen werden können, u.u. im Vergleich zu einer eiweißreichen Testmahlzeit. Die ursächliche Klärung dieser Konstellationen erfordert große Erfahrung im "Lesen" der Testergebnisse (OGTT, Testmahlzeiten), vor allem aber ausreichend viele Messpunkte. Stündliche Abstände besonders in der Frühphase sind völlig unzureichend. Die postprandiale Hypoglykämie tritt als "alimentäre Hypoglykämie" auf, typischerweise nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit, die überwiegend rasch resorbierbare Kohlenhydrate enthält. Sie läßt sich daher bereits anamnestisch von der Nüchtern- bzw. Spontan-Hypoglykämie beim Insulinom abgrenzen.! Gelegentlich kommt es bei Patienten mit I n s u l i n o m bereits früh ( 3-6 Std. nach Glucosebelastung ) zur Hypoglykämie (in Abhängigkeit vom Insulin-Sekretionstyp des Insulinoms). Die Hypoglykämie kann nicht adaequat gegenreguliert werden, der Hungertest muß abgebrochen werden. Patienten mit typ. postprandialer Hypoglykämie können Hypoglykämien immer adaequat gegenregulieren und erreichen spontan normale Blutzucker-Werte.! Ein OGTT sollte bei einem potentiellen Hypoglykämie-Patienten nur unter ärztlicher Überwachung / Präsenz durchgeführt werden!
7 7 postprandiale Hypoglykämie und? "D i a b e t e s"?! Ein verbreiteter Irrtum sieht postprandiale oder Mahlzeiten-assoziierte Hypoglykämien zu häufig als "Vorboten" eines Diabetes mellitus??? Zwar sind reale Hypoglykämien nach Mahlzeiten durchaus im Frühstadium eines Typ II Diabetes zu finden, diese sind durch verspätete und überschiessende Insulinsekretion nach zuvor früh-postprandial zu hohen, hyperglykämischen BZ-Werten zu finden (sog. Rechts- Verschiebung der Insulinsekretions-Kurve). Typisch sind das Nebeneinander von erhöhten und erniedrigten Blutzuckerwerten, nicht aber alleinige Hypoglykämien bei zumeist noch normalen HbA1c-Wert. postprandiale Hypoglykämie und pankreatogene Non-Insulinoma Hypoglykämie! Eine Herausforderung ist die Einordnung einer postprandialen Hypoglykämie m i t eindeutig neuroglucopenischen Symptomen als Bestandteil der pankreatogenen hyperinsulinämischen Non-Insulinoma Hypoglykämie mit Inselzell-Hypertrophie, der wahrscheinlich korrekten Bezeichnung für die sehr seltene Erwachsenen-Nesidioblastose / Inselzell-Hyperplasie. Der oraler Glucose-Toleranztest (OGTT) allein erlaubt nicht die Diagnose einer postprandialen Hypoglykämie, da die "Mahlzeit" unphysiologisch ist und die Verfügbarkeit im Magen-Darm-Trakt zu kurz ist. Der OGTT ist nur für Screening- Zwecke geeignet, dem bei fraglich positiven Befunden Testmahlzeiten folgen sollen. Der Begriff "reaktive" oder "funktionelle" Hypoglykämie ist veraltet und sollte nicht mehr verwendet werden (siehe unter APS). (Prof. Dr. A. Starke / Dr. C. Saddig)
8 8 Differentialdiagnostisch von postprandialen Hypoglykämien abzugrenzen sind : Adrenerges postprandiales Syndrom APS (Normoglykämie) Beim APS werden trotz normaler Blutzucker-Konzentrationen durch adrenerg-autonome "Gegenregulation" unspezifische Symptome ( Schwitzen, Zittern, Herzklopfen, Ängstlichkeit, Übelkeit ) getriggert. Der erhöhte adrenerge Tonus führt zur beschriebenen Symptomatik und verhindert eine Hypoglykämie gleichzeitig über effektive biochemische Mechanismen ( Adrenalin-Wirkungen; s. "Gluco-Homöostase" ). Das APS stellt eine ursächlich unklare reaktive und funktionelle Störung des autonomen Nervensystems dar, die nicht als "Hypoglykämie" tituliert werden sollte. Der häufig verwendete Begriff: "Pseudohypogklyämie" oder gar "Non-Hypoglycemia" ist unglücklich und wird den tatsächlich vorhandenen Beschwerden der Patienten keinsfalls gerecht. Überweisungen zu Psychotherapeuten sollten nicht vorschnell in Betracht gezogen werden. Obwohl der biochemisch definierte Cutoff für Hypoglykämien bzgl. der cerebralen Erfordernisse bei 2.8 mmol/l (50 mg/dl) liegt, wird eine gegenregulatorische Antwort (Adrenalin und Glucagon) durchaus schon bei etwas höheren Blutzuckern getriggert, die > 60 bis 65 mg/dl betragen können (Cutoff mmol/l). Glucagon verursacht keine Symptome, wohl aber Adrenalin. Dumping - Syndrom Das Früh-Dumping-Syndrom ( jejunales hyperosmolares Syndrom ) tritt in 10-15% nach resezierenden Magenoperationen auf ( Billroth-OP, Pyloroplastik, Gastroenterostomie ) innerhalb von 30 Minuten auf. Hierbei handelt es sich um orthostatische ( osmotisch durch hochkonzentrierte Kohlenhydrate induzierte ) Kreislaufbeschwerden im Rahmen einer sehr schnellen Magenentleerung. Die Symptomatik ist charakterisiert durch adrenerge Beschwerden, zusätzlich häufig Völle-, Druckgefühl, Übelkeit, Rumoren im Oberbauch, Blutdruckabfall, Tachycardie/Bradycardie. Kausal beteiligt sind Katecholamine, Serotonin, vasoaktive Kinine; intraluminale Drucksteigerung. Gelegentlich wird in Abhängigkeit von Art und Menge der Kohlenhydratzufuhr sogar eine passagere Hyperglykämie beobachtet. Das Spät-Dumping-Syndrom ist ein Synonym für typische postprandiale Hypoglykämien beim Patienten mit Zustand nach Magenoperationen. Es kann natürlich auch ohne vorherige Operation bei Patienten mit Motilitätsstörungen im Bereich von Magenausgang / Duodenum auftreten. Eine Stimulation der Dünndarm-Passagezeit und der Darm-Kontraktionen wird gefördert durch die Sekretion intestinaler Hormone bzw. Peptide (Cholecystokinin - CCK, Gastrin, Motilin, Neurotensin (?), Substance P). (Prof. Dr. A. Starke / Dr. C. Saddig)
9 Prof. Dr. A.A.R. Starke Dr. Christiane Saddig Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Medizinische Klinik Hypoglykämie Medikamente : Pharmaka mit beschriebenen Hypoglykämien Hypoglykämien sind im Zusammenhang mit Medikamententherapien ganz unterschiedlicher Substanzklassen bekannt geworden. Häufig handelt es sich um einzelne, seltene Beobachtungen ohne sicher bekannte Wirkungsmechanismen. 1. Vielfach treten H. durch medikamenten-bedingte, toxische Leber- oder Nierenschädigungen auf, aber auch im Rahmen der Anwendung bei oder trotz vorher bekannter Leber- und Nierenschäden. Dies trifft insbesondere für die Therapie mit Analgetica vom Salicylat-Typ und die Therapie mit Sulfamethoxazol-haltigen Antibiotika (Sulfonamide) zu. 2. Wenig bekannt sind insulin-stimulatorische Nebenwirkungen diverser Pharmaka (Salicylate, Antiarrhythmika, s.u.) 3. Keinesfalls darf die Hypoglykämie-fördernde Wirkung von ALKOHOL unterschätzt werden. Bei unter Alkoholeinfluß stehenden Patienten mit einer Bewußtseinsstörung ist immer eine Blutzuckermessung zu fordern! Klinisch bedeutsam kann aufgrund der Anwendungshäufigkeit die Therapie mit Acetylsalicylsäure im Grammbereich sein, insbesondere bei Kindern durch Überdosierung. Auf die Einnahme oraler Antidiabetika (v.a. Sulfonylharnstoffe - Glibenclamid) und auch Insulin durch Nicht-Diabetiker wird hier nicht näher eingegangen (sog. Hypoglycaemia factitia). Da Diabetiker häufig mit Analgetica, Antiarrhythmika, Antihypertensiva behandelt werden, muß bei Diabetikern auch an vermehrte medikamenten-induzierte Hypoglykämien gedacht werden. Quelle: Starke A, Saddig C. Hypoglykämien im Erwachsenenalter. In: Diabetes mellitus. Urban & Fischer,München Jena, 2. Aufl. 2000, S Service FJ. Hypoglycemic disorders. New Engl J Med 332, 1995, Virally ML, Guillausseau PJ. Hypoglycemia in adults. Diabetes & Metabolism 25, 1999, (Prof. Dr. A. Starke / Dr. C. Saddig)
10 10 Starke/Saddig Substanzklasse Substanzname (Generic) Bemerkungen ANALGETICA Salicylsäure-Derivate Acetylsalicylsäure (Aspirin ) Stimulation der Insulinsekretion ; Niereninsuffizienz; bei Kindern; Hemmung des Glucosestoffwechsels im Gehirn Pyrazolon-Derivate Phenazon, Propyphenazon p-aminophenol- Derivate Phenacetin, Paracetamol (Acetaminophen) akute Lebernekrosen; Niereninsuffizienz Diclofenac, Indomethacin ANTIARRHYTHMIKA Diverse Disopyramid, Propafenon, Flecainid, Chinidin Stimulation der Insulinsekretion MALARIA-MITTEL Chinin-Derivate Chinin, Chloroquin, Mefloquin Insulin-Stimulation, Hemmung Gluconeogenese ANTIBIOTIKA Sulfonamide Trimethoprim + Sulfamethoxazol bei Niereninsuffizienz Tetracycline -? Chemotherapeutikum Pentamidine Pneumocystis carinii - Infektion Betablocker unselektive ß-Blocker Propanolol Hemmung Gluconeogenese; Glucoseverbauch im Muskel Psychopharmaka Butyrophenone Haloperidol? Fluoxetin, Clomipramin Stimulation Insulinsekretion MAO-Hemmer? Tryptophan-Stoffwechsel? Thyreostatika Methimazol Thiamazol Insulin-Auto-Immun-Syndrom ( = IAIS) Diverse ACE - Hemmer Enalapril u.a. Insulinsensitivität u.u. vermehrt Antiarrhythmikum Procainamid Lupus erythematodes und IAIS Antihypertensivum Dihydralazin Lupus erythematodes und IAIS Chelatbildner Penicillamin Insulin-Auto-AK Antihistaminika?? Tox. Substanzen Alkohol Colchicin Chloroform, Tetrachlorkohlenstoff Phosphor Hemmung der Gluconeogenese Lebernekrosen Insectizide Parathion Lebernekrosen Pilz-Toxin Knollenblätterpilz Amanita phalloides Lebernekrosen
11 PHYSIOLOGIE 11 Glucose - Homöostase Aufrechterhaltung des konstanten "internen Milieus", der Blutzucker-Konzentration (Glucose - Homöostase) innerhalb physiologischer Grenzen von mg/dl und Verfügbarkeit von Glucose als Hauptbrennstoff des Gehirns stellt den wichtigsten, fundamentalsten und biochemisch anspruchsvollsten Stoffwechselvorgang des Menschen dar. Da nicht kurzzeitig zu hoher Blutzucker sondern zu niedriger Blutzucker eine akute Gefährdung der Funktionstüchtigkeit des Organismus bedeutet, steht dem alleinigen blutzucker-senkenden Hormon (Insulin), gleich eine "Armada" von blutzucker-erhöhenden Faktoren gegenüber. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an physiologische und unphysiologische Extrembedingungen findet ihre geniale Vollendung in der evolutionären Auslagerung der zentralnervösen Regulation der Glucose-Homöostase vom Gehirn aus in die endokrine Peripherie unter Zwischenschaltung der hormonell aktiven pankreatischen Inseln (Langerhans`sche Inseln) mit Produktion von Insulin, Glucagon, Somatostatin und deren Einbindung in den Blutkreislauf der Leber, dem biochemischen "Kraftwerk" des Organismus. Mathematik der Glucose-Homöostase Der normale basale Glucosebedarf des Organismus liegt bei 2 mg/kg/min. Daraus errechnen sich bei einem Gewicht von 75 kg pro Stunde knapp 10 Gramm. Etwa 5-6 g/h verbraucht das Gehirn, tag und nacht, in Ruhe und in "Arbeit". Nur 4 g/h verbrauchen Muskulatur, Fettgewebe, innere Organe (Leber, Herzmuskel) und rote Blutkörperchen, zum größten Teil mit Hilfe des Insulins. Die Leber muß unter Ruhebedingungen diese 10 g/h liefern können, zu 75 % mit Hilfe des Glucagons. Ein Blutvolumen von 70 ml /kg ergibt bei 75 kg Körpergewicht: 5.25 Liter Blut. Bei einer arteriellen Blutzucker-Konzentration von 50 mg / dl ergeben sich darin nur 2.75 Gramm frei zirkulierender und verfügbarer Glucose. Die Gehirndurchblutung mit 15 % des Herzminutenvolumens (HMV) ergibt bei 1500 Gramm Gehirn-Masse 900 ml / Minute (60 ml/100 g/minute) =. 54 Liter / Stunde mit einem Gesamtgehalt von rechnerisch 27 Gramm Glucose (= 0.45 g/minute). Davon extrahiert das Gehirn mindestens 20 % ( = 5.4 g ), was zu einem normalen Abfall der arteriellen Blutzucker-Konzentration von 50 mg/dl auf venöse 40 mg/dl führen würde (Differenz: 10 mg / dl = 90 mg / 900 ml pro Minute = 5.4 g / 54 l pro Stunde). Dies ist die physiologische Minimal-Situation, die biochemische Untergrenze der Homöostase. Diese einfache Berechnung liefert die Ursache für die fundamentale Bedeutung einer kritischen arteriellen Blutzucker-Höhe von 50 mg/dl für normale Funktionsfähigkeit des Gehirns, die bei 40 mg/dl bereits unterschritten wird (und zu neurologischen Symptomen führt). Voraussetzungen sind normales Herzzeitvolumen (HMV) und normale Gehirndurchblutung. Beeinträchtigungen von Herzleistung (Insuffizienz, Cardiomyopathie) oder Hirndurchblutung (Schlaganfall, Cerebralsclerose) zeigen die Anfälligkeit für Hypoglykämien bei diesen Erkrankungen. Die sog. "Stress-Hyperglykämie" im Postaggressions-Stoffwechsel bedeutet nichts anderes als Adaptation an gefährdete cerebrale Durchblutung zur Sicherstellung des Gehirn-Glucosebedarfs durch biochemische Zentralisation des Glucose-Stoffwechsels analog der hämodynamischen
12 Kreislaufzentralisation im Schockzustand (cardiogen, hämorrhagisch, hypovolämisch). Die biochemische Zentralisation wird mit Hilfe des Glucagons im Sinne einer lebensnotwendigen "endogenen Glucose-Infusion" erreicht. 12 Literatur Glucose-Homöostase Unger RH: The milieu interieur and the islets of Langerhans. Diabetologia 20 (1981) 1-11 Unger RH, Orci L: Glucagon and the A-cell. Physiology and pathophysiology. N Engl J Med 304 (1981) Unger RH: Insulin-glucagon relationships in the defense against hypoglycemia. Diabetes 32 (1983) Unger RH: Glucagon physiology and pathophysiology in the light of new advances. Diabetologia 28 (1985) Starke AAR: Endokrines Pankreas: Glucagon. In: Kümmerle, Hitzenberger, Spitzy (Hrsg) - Klinische Pharmakologie. 4. Aufl, 51. Erg-Lfg., 1-14 (1996) Starke AAR, Grundy S, McGarry JD, Unger RH: Correction of hyperglycemia with phloridzin restores the glucagon response to glucose in insulin-deficient dogs: Implications for human diabetes. Proc Natl Acad Sci USA 82 (1985) Starke AAR, Imamura T, Unger RH: Relationsship of glucagon suppression by insulin and somatostatin to the ambient glucose concentration. J Clin Invest 79 (1987) Physiologie der Glucose - Homöostase Glucoregulation unter basalen Ruhebedingungen Unter basalen Ruhebedingungen werden vom Gehirn (ZNS) insulin-unabhängig 6 Gramm Glucose pro Stunde und von Muskulatur, Fettgewebe und Leber insulin-abhängig 4 Gramm pro Stunde benötigt. Diese 10 Gramm Glucose pro Stunde werden glucagon-abhängig von der Leber durch Glykogenolyse und Gluconeogenese produziert, um ein Glucose-Gleichgewicht (Glucohomöostase) im Extrazellulärraum zu gewährleisten. Über adrenerge, cholinerge und peptiderge Neuronen unterliegen die pankreatischen Inselzellen dabei der zentranervösen Kontrolle. Glucoregulation unter physischer (Muskel-) Aktivität Bei Muskelarbeit (physischer Aktivität) verbraucht die Muskulatur bis zu 40 Gramm Glucose pro Stunde. Bei deutlich vermehrter Durchblutung des Muskelgewebes mit entsprechender Exposition von Insulin-Rezeptoren kann dabei die Insulin-Konzentration im Blut trotz des Mehrbedarfs gesenkt werden (Suppression der Insulin-Konzentration, Steigerung der Insulin-Sensitivität). Der Mehrbedarf von 40 Gramm wird von der Leber in den Glucosepool produziert, vermittelt durch einen deutlichen Anstieg der Glucagon-Konzentration im Blut. Glucoregulation im Hunger-, Fastenzustand Durch Suppression der Insulin-Konzentration wird der Glucosebedarfder Gewebe (Muskel, Fett) unter den Bedarf bei Ruhebedingungengeregelt bzw. minimiert. Das Gehirn verbraucht weiterhin 6 Gramm pro Stunde.Unter dem Einfluß erhöhter GlucagonKonzentrationen reagiert das Fettgewebe mit Stimulation der Lipolyse und Freisetzung von Fettsäuren, die durch Blockade der Glykolyse (Fructose-2,6- Biphosphat) und gleichzeitige Stimulation der mitochondrialen Ketogenese (Malonyl-CoA) in Ketonkörper umgewandelt werden. Ketone können von den Geweben als Alternativ-Substrat verbrannt werden, zu einem kleinen Anteil auch vom Gehirn aufgenommen werden. Metabolite der Fettsäure- Verbrennung hemmen die Hexokinase (Glykolyse) und den peripheren Glucosetransport (Randle- Zyklus, physiologische Insulinresistenz zur Hypoglykämie-Prävention). Überschüssige Ketone werden im Urin ausgeschieden. Ketone haben eine zentralbervöse emetische Nebenwirkung (Übelkeit, Nausea). Insulin ist der wichtigste Suppressor der Ketogenese.
13 Glucoregulation nach Nahrungsaufnahme (postprandiale alimentäre Regulation) 13 Nach der Nahrungsaufnahme muß der Blutzucker trotz Aufnahme von bis zu 50 Gramm Glucose pro Stunde aus dem Darm konstant gehalten werden.die Glucoseproduktion der Leber wird durch gleichzeitigen Anstieg der Insulin- Konzentration und Hemmung der Glucagon-Konzentrationen blockiert. Die aufgenommene Glucose wird in Leber und Muskel nicht-oxidativ verstoffwechselt (Glykogen-Synthese, Fettsäure und Triglycerid-Synthese / Lipogenese). Ein zusätzliches Steuerelement ist in Form des Somatostatin vorhanden, das die Geschwindigkeit der Glucose- Resorption beeinflußt. GLP-1 (glucagon-like peptide-1) stimuliert als Inkretin die Insulin-Sekretion und hemmt die Glucagon-Sekretion in Abhängigkeit vom Kohlenhydrat-Anteil. Glucoregulation im Postaggressionszustand (Operation, Trauma, Schock) Bei kritischer Minderperfusion des Gehirns werden die notwendigen 6 Gramm Glucose pro Stunde durch zentranervös potenzierte Glucagon-Stimulation durch die Leber gewährleistet. Die Glucagon- Wirkungen werden an der Leber durch die sog. Stresshormone (Cortisol, STH, Endorphine) potenziert. Unter Katecholamin-Einfluß (Adrenalin) wird eine "Stoffwechselzentralisation" erzielt. Der Glucoseverbrauch der Peripehrie (Muskel, Fett, Leber) wird durch Hemmung der Insulin- Konzentration und geichzeitigen Anstieg der oft erheblichen Insulin-Resistenz auf unter 1 Gramm pro Stunde minimiert. Glucose Gegenregulation HIERARCHIE der Hypoglykämie Gegenregulation ("Counterregulation") Level 1: Level 2: Level 3: Level 4: Level 5: Level 6: Verminderung der Insulin-Sensitvität ("physiologische Insulin-Resistenz") Hemmung der Insulin-Sekretion Steigerung der Glucagon-Sensitivität Stimulation der Glucagon - Sekretion Stimulation des autonomen Nervensystems (Adrenalin-Sekretion) Potenzierung der Gegenregulation durch Cortisol, Wachstumshormon, Endorphine (Prof. Dr. A. Starke / Dr. C. Saddig)
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