Die fehlende Evidenzbasierung politischer Entscheidungen. Die Beispiele der Prävention und der Frühen Förderung
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- Timo Geiger
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1 Modul 395 Soziale Arbeit und Politik Sozialarbeitspolitik? Die fehlende Evidenzbasierung politischer Entscheidungen Die Beispiele der Prävention und der Frühen Förderung Prof. Dr. Martin Hafen Sozialarbeiter und Soziologe Institut für Sozialmanagement, Sozialpolitik und Prävention
2 Zur Einleitung die Drogenprohibition Die Haager Opiumkonferenz von 1912 Die Alkoholprohibition in den USA Der war on drugs Das Argument der Schädlichkeit Die Stabilität der rechtlichen Regulierungen 2
3 Leitfragen des Referats Was heisst Evidenzbasierung? Was wissen wir zu Früher Förderung und Prävention? Warum wird das Wissen in der Politik nicht mehr genutzt? Wie kann die Evidenzbasierung der Politik erhöht werden? 3
4 Was heisst Evidenzbasierung? Nutzung von verfügbarem wissenschaftlichem Wissen theoretisches und empirisches Wissen Evidenzbasierung vs. Evidenzgenerierung Ätiologisches Wissen und Wissen zur Wirkung Evidenzbasierung als Merkmal von Professionen Formen der Evidenzbasierung in der Politik - evidence-based policy-making: Grundlage für Entscheidung - evidence-informed policy-making: Ein Faktor neben andern - policy-based evidence-making: nachträgliche Legitimation 4
5 Was wissen wir zu Früher Förderung und Prävention? 5
6 Frühe Förderung als Armutsprävention Differenz zwischen Ärmsten und Wohlhabendsten - Lebenswartung: 10 Jahre Differenz - krankheitsfreie Lebenszeit: 18 Jahre Differenz Policy Objective A: Give every child the best start in life 6
7 Frühe Förderung als Prävention durch Reduktion von Risikofaktoren ACEs Adverse Childhood Experiences - körperliche und/oder sexuelle Gewalt - emotionale Vernachlässigung und andere Traumata und Stärkung von Schutzfaktoren Lebenskompetenzen, soziale Schutzfaktoren und strukturelle Massnahmen (Verkehrspolitik etc.) 7
8 Frühe Förderung als volkswirtschaftlicher Faktor Reduzierte Fördermassnahmen in Schule und Beruf Einsparungen an Sozialhilfe und Strafrechtskosten Reduzierte Gesundheitskosten Erhöhte Steuereinnahmen ROI von US-Programmen für sozial Benachteiligte Perry Programm: 1:9 1:16,6; Chicago: 1:8 1:11 universelle Programme: ca. 1:2 bis 1:3 bei späterer Förderung sinkt der ROI dramatisch 8
9 Frühe Förderung in der Schweiz Ausgaben für FBBE im europäischen Vergleich Ausgaben der Schweiz im Verhältnis zum BIP: 0,2% Brasilien: 0,6% Durchschnitt OECD: 0,8% Frankreich: 1,4% Norwegen: 2,1% Inanspruchnahme von FBBE-Angeboten im Alter von 3 OECD-Schnitt 74% - OECD-EU 80% SILC-Erhebung (2013): 39% inkl. Tagesfamilien, Spielgr. Selbstkosten Eltern: ZH: 66%, Waadt 38%, F/D/A <25% 9
10 Oder nehmen wir die Schulpolitik Bildungsprinzipien des Frühbereichs in die Schule, nicht umgekehrt Spätere Selektion, Ganztagesschulen und Verzicht auf Hausaufgaben 10
11 Warum wird das Wissen in der Politik nicht mehr genutzt? 11
12 Funktionale Differenzierung der Gesellschaft Binäre Codierung und heterarchische Ordnung Systemlogik und Selbstorganisation Funktionssysteme und Organisationen 12
13 Die Wissenschaft als Funktionssystem Funktion: Generierung von (wissenschaftlicher) Wahrheit Binärer Code: wahr/unwahr Die Differenz von Wissen und Nichtwissen Programme: Theorien und Methoden 13
14 Die Soziale Hilfe als Funktionssystem Funktion: Inklusionssicherung Binärer Code: Hilfe/Nichthilfe Sekundärer Code: Prävention/Behandlung Professionalisierung des Helfens Wissenschaftsbezug, ethische Reflexion Zuordnung zu Funktionssystemen - Profession Soziale Arbeit: Soziale Hilfe - Sozialarbeitswissenschaft: Wissenschaft - Sozialpolitik: Politik 14
15 Die Politik als Funktionssystem Funktion: Soziale Ordnung durch kollektiv bindende Entscheidungen Kommunikationsmedium Macht Binärer Code: Innehaben/Nichtinnehaben von Ämtern Politik und Staat - Polity: Institutionen und Organisationen - Policy: Inhalte politischer Entscheidungen - Politics: Das Treffen politischer Entscheidungen Das Problem des parteipolitischen Bias Die Vermischung von Sach- und Sozialdimension 15
16 Mehr oder weniger relevante Umwelten der Politik Das Konzept der strukturellen Kopplung Das Rechtssystem als relevante Umwelt Öffentliche Meinung und Massenmedien Doppelte Kontingenz wechselseitiger Beobachtung Die Wirtschaft als relevante Umwelt Die fliessende Grenze zur Korruption Die Bedeutung der Wissenschaft für die Politik Das politische Mandat der Sozialen Arbeit im Kontext des Tripelmandats 16
17 Wertebezogene Semantiken und politische Interessen Die Differenz von Sozialstruktur und Semantik Die Semantik der Freiheit Die Semantik freien Markts Die Semantik von Volk und Nation Die Semantik der Arbeitsplatzsicherheit Die Semantik der Prävention Die Semantik der Sorge um die Umwelt Die Semantik der Menschenrechte Kognitive Dissonanzen im politischen Diskurs 17
18 Wie kann die Evidenzbasierung der Politik erhöht werden? 18
19 Interner Einfluss im Rahmen direkter Demokratie Partizipation in politischen Kommissionen Evaluation der politischen Entscheidungen Inklusion als Wählende und Stimmberechtigte Aktive Beteiligung auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene Initiativen und andere direkte Einflussmöglichkeiten 19
20 Einfluss aus der Umwelt der Politik Aufbereitung wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Politik Nutzung der Massenmedien für politische Meinungsbildung Nutzung des Internet für politische Meinungsbildung Lernen von andern in Hinblick auf Lobbying Aufzeigen von unstatthaften Beeinflussungsversuchen Dekonstruktion von wertebezogenen Semantiken Aufzeigen von kognitiven Dissonanzen 20
21 Abschliessende Bemerkungen Die Politik ist ein selbstorganisierendes System. Für eine Beeinflussung des Systems ist die Kenntnis der Systemlogik von entscheidender Bedeutung. Wissenschaft und Professionen sind Umweltfaktoren der Politik neben andern und sicher nicht die wichtigsten. Bei allen Hindernissen ist es für eine Demokratie entscheidend, die Einflussmöglichkeiten auszuschöpfen. Noch wichtiger ist die Befähigung der Basis die manifesten und die latenten Mechanismen der Politik zu durchschauen. Dem Bildungssystem kommt in dieser Hinsicht eine entscheidende Bedeutung zu. Ich danke für die Aufmerksamkeit 21
22 Literatur Bussmann, Werner; Klöti, Ulrich & Knoepfel, Peter (1997). Einführung in die Politikevaluation. Basel und Berlin: Helbing & Lichtenhahn. Hafen, Martin (2013): Grundlagen der systemischen Prävention. Ein Theoriebuch für Lehre und Praxis. Zweite, vollständig überarbeitete Auflage. Heidelberg: Carl Auer. Hafen, Martin (2014): Better Together - Prävention durch Frühe Förderung. Präventionstheoretische Verortung der Förderung von Kindern zwischen 0 und 4 Jahren. 2., umfassend überarbeitete Version des Schlussberichts zuhanden des Bundesamtes für Gesundheit. Luzern: Hochschule Luzern. Hafen, Martin (2015). Evidenzbasierte Suchtprävention aus systemtheoretischer Perspektive. S in: T. Hoff & M. Klein (Hrsg.), Evidenzbasierung in der Suchtprävention. Möglichkeiten und Grenzen in Praxis und Forschung. Heidelberg/Berlin: Springer. Hoff, Tanja; Klein, Michael; Arnaud, Nicolas; Bühler, Annekke; Hafen, Martin; Kalke, Jens; Lagemann, Christoph; Moesgen, Diana; Schulte-Derne, Frank & Wolstein, Jörg (2014). Memorandum Evidenzbasierung in der Suchtprävention Möglichkeiten und Grenzen. Köln: Deutsches Institut für Sucht- und Präventionsforschung der Katholischen Hochschule NRW, Abt. Köln. Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Luhmann, Niklas (2002): Die Politik der Gesellschaft. Hrsg. Von André Kieserling. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Marmot, Michael (2010). Fair Society, Healthy Lives. The Marmot Review. strategic review of health inequalities in england post /marmotreview. Sager, Fritz, Thomas Widmer und Andreas Balthasar (Hrsg.) (2017). Evaluation im politischen System der Schweiz. Entwicklung, Bedeutung und Wechselwirkungen. Zürich: NZZ Verlag. 22
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