Wiss. Mitarbeiterin Dr. Angelika Günzel WS 2009/2010. Einführung. A) Das Öffentliche Recht
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- Gisela Meissner
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1 Einführung A) Das Öffentliche Recht I. Abgrenzung zum Zivilrecht Akteure: Öffentliches Recht erfordert immer Tätigwerden des Staates bzw. eines Hoheitsträgers Verhältnis der Akteure: Im Öffentlichen Recht im Verhältnis Bürger-Staat in der Regel Über-/Unterordnungsverhältnis 1. Bedeutung der Abgrenzung: a) Unterschiedliche Gerichtszweige Die Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht (wozu auch das Verfassungsrecht gehört) ist nötig, um zu bestimmen, vor welchem Gericht ein Rechtsstreit auszutragen ist. Das Strafrecht ist zwar in der Sache Teil des öffentlichen Rechts, weil nur der Staat über die Strafkompetenz verfügt, es bildet aber traditionell ein eigenes Rechtsgebiet und ist der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugeordnet. Es existieren zwei verschiedene Rechtswege (Gerichtszweige), bei denen Rechtsverletzungen geltend zu machen sind (1) Privatrecht 13 GVG: Vor die ordentlichen Gerichte gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten [...]. (2) Öffentliches Recht 40 I S. 1 VwGO: Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben, (soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.) 13 BVerfGG: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über...(es folgt eine abschließende Aufzählung der verfassungsrechtlichen Streitigkeiten bzw. Verfahrensarten) 1
2 b) Geltung unterschiedlicher Grundsätze Privatautonomie versus bindendes Recht Beibringungsgrundsatz versus Amtsermittlungsgrundsatz Gleichordnung versus Über-/Unterordnung mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht versus direkte Wirkung der Grundrechte gegen den Staat c) Geltung unterschiedlicher Gesetze 2. Abgrenzungstheorien Es existieren verschiedene Theorien, wie das öffentliche Recht und das Privatrecht voneinander abzugrenzen sind. Herrschend ist die Sonderrechtstheorie bzw. modifizierte Subjektstheorie Danach liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit bzw. ein öffentlichrechtlicher Sachverhalt immer dann vor, wenn die Normen, um die gestritten wird, nur einen Hoheitsträger (also einen Träger öffentlicher Gewalt) berechtigen oder verpflichten. Kontrollfrage: Könnte anstelle des Staates auch eine Privatperson, gestützt auf dieselbe Norm, genauso handeln? 3. Veranschaulichung Beispiel für öffentliches Recht Die Polizei kann als staatliche Ordnungsbehörde Autos, die falsch parken, abschleppen lassen (nach den Vorschriften des Polizeirechts). Auf dieses Recht kann sich aber kein Bürger berufen. Vielmehr verpflichtet und berechtigt die entsprechende Norm nur einen Träger öffentlicher Gewalt. Die betreffende polizeirechtliche Norm ist deshalb öffentliches Recht. Gegenbeispiel Auf dem Polizeipräsidium in Trier ist wieder einmal das Papier ausgegangen. Der Polizeipräsident beauftragt den Polizisten P. damit, neues Papier zu kaufen. Der Kauf des Papiers richtet sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Nach den 433 ff. BGB kann nicht nur der Staat, sondern auch jeder Bürger Kaufverträge abschließen. Das Kaufrecht berechtigt also auch Private zum Abschluss von Kaufverträgen, nicht nur den Staat. Deshalb ist es Privatrecht. 2
3 II. Gebiete des Öffentlichen Rechts 1. Gebiete des Öffentlichen Rechts allgemein a) Nationales Recht: Verwaltungsrecht Staatsrecht b) Supranationales Recht / Internationales Recht Europarecht Völkerrecht 2. Begriff und Gebiete des Staatsrechts a) Begriff Staatsrecht ist das Recht, welches sich mit dem (1) Aufbau des Staates und seinen Organen, sowie deren Rechten und Beziehungen zueinander (Staatsorganisationsrecht) und (2) den Grundlagen der Beziehungen des Staates zu seinen Bürgern (Grundrechte) beschäftigt. b) Gebiete Verfassungsrecht (GG) -- Grundrechte -- Staatsorganisationsrecht -- Verfassungsprozessrecht Sonstiges Staatsrecht (außerhalb des GG) -- Staatsorganisationsrecht außerhalb des GG (Ausführungsbestimmungen zum Staatsorganisationsrecht in der Verfassung) -- Ausführungsbestimmungen zum VerfassungsprozessR (z.b. BVerfGG, BWahlG) 3
4 B) Das Verfassungsrecht I. Geschichtliche Entwicklung: Überblick über die deutsche Verfassungen 1. Paulskirchenverfassung von arbeitete eine unmittelbar vom Volk gewählte verfassunggebende Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche die erste Verfassung für das gesamte Deutsche Reich aus. Die Verfassung wurde 1849 verkündet, trat aber nie in Kraft, da der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die Wahl zum Reichsoberhaupt und damit zum deutschen Kaiser ablehnte. Die Paulskirchenverfassung sah eine konstitutionelle Monarchie vor. Reichsoberhaupt sollte ein demokratisch gewählter Kaiser sein, dessen Nachfolger durch Erbfolge bestimmt werden sollte. Der Reichstag bestand aus einem vom Volk gewählten Volkshaus und einem (föderativen) Staatenhaus. Außerdem sollte ein Reichsgericht gebildet werden, das auch für Klagen deutscher Staatsbürger wegen Verletzung der ihnen in der Reichsverfassung gewährten Grundrechte zuständig sein sollte. Damit enthielt die Paulskirchenverfassung schon wesentliche Züge unserer heutigen Verfassung wie das Bundesstaatsprinzip und der Verfassungsgerichtsbarkeit. 2. Reichsverfassung von 1871 Die Verfassung von 1871 wird auch als Bismarcksche Reichsverfassung bezeichnet und ging aus der 1866 ausgearbeiteten Verfassung des Norddeutschen Bundes hervor. Bismarck konnte die süddeutschen Staaten durch Zugeständnisse zum Beitritt zum Norddeutschen Bund bewegen. Die Gründung des dadurch entstandenen Deutschen Reichs wurde am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles vollzogen. Der preußische König erhielt den Titel eines Deutschen Kaisers. Preußen verfügte über zwei Drittel der Landfläche und Bevölkerung und hatte damit entscheidenden Einfluss auf die Verfassung (Vetorecht bei Verfassungsänderungen). Zudem betonte die Reichsverfassung von 1871 das monarchische Element, wodurch die Zukunft Deutschlands entscheidend vom Geschick seiner Kaiser abhing. Die Reichsverfassung sah weder eine Verfassungsgerichtsbarkeit vor noch enthielt sie einen Grundrechtskatalog. 4
5 3. Weimarer Reichsverfassung von 1919 Mit Ausbruch des ersten Weltkriegs schwand die Macht des Kaisers zunehmend. Nach der Revolution im November 1918, die schließlich zur Abdankung des deutschen Kaisers und zur Ausrufung der Republik führte, wurde eine neue Verfassung notwendig, die am 11. August 1919 beschlossen wurde. Sie war die erste praktizierte demokratische Konstitution in Deutschland und begründete eine parlamentarisch-demokratische und föderative Republik. Die Stellung des Bundespräsidenten war sehr stark und ermöglichte ihm vor allem den Erlass von Notstandsgesetzen ohne (vorherige) Beteiligung der Legislative. Dies wurde schließlich von Hitler ausgenutzt, der aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933 die Verfassung faktisch außer Kraft setzte. Formal galt die Verfassung bis zum Kriegsende fort. 4. Das Grundgesetz von 1949 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Deutschland zunächst von den Besatzungsmächten verwaltet, doch bereits 1947 gab es erste Überlegungen zur Neugründung eines eigenständigen westdeutschen Staates. Vom 10. bis zum 23. August 1948 fand der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee statt, der einen Verfassungsentwurf ausarbeitete. Auf dieser Basis von Grundsätzen eines föderalen und demokratischen Rechtsstaats entwickelte der Parlamentarische Rat unter Vorsitz von Konrad Adenauer das Grundgesetz. Es wurde nach der Ratifizierung der westdeutschen Bundesländer am 23. Mai 1949 durch den Parlamentarischen Rat verkündet und trat am 24. Mai 1949 für die westlichen Besatzungszonen in Kraft. Trotz Art. 146 GG a.f. und einer entsprechenden Diskussion wurde bei der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 keine neue, gesamtdeutsche Verfassung angenommen. Vielmehr erklärten die in ihrer Gründung befindlichen einzelnen Länder der DDR ihren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 GG a.f.. II. Wesentliche Prinzipien des heutigen deutschen Verfassungsrechts 1. Verfassungsrecht als Grundordnung der Gesellschaft Das Verfassungsrecht ist nicht nur Teil des öffentlichen Rechts, sondern hat auch wertende Funktion. Es legt die Grundordnung der Gesellschaft fest. Das bedeutet: 5
6 (1) Alle Gesetze müssen sich an der Verfassung und an den dort geregelten Grenzen staatlicher Befugnisse messen lassen (Art. 20 Abs. 2 GG). (2) Die Verfassung kann (Art. 79 Abs. 2 GG) nur mit 2/3 Mehrheit der Stimmen der Mitglieder von Bundestag und Bundesrat geändert werden. Die Änderung insbesondere der in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze, dazu gehört unter anderem auch der Demokratiegrundsatz, ist unzulässig (Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG). (3) Das Bundesverfassungsgericht überprüft mögliche Verstöße gegen die Verfassung (Art. 93 GG). 2. Normenhierarchie in Deutschland a) Stufenbau der Rechtsordnung Europarecht nationales Recht Primärrecht Sekundärrecht Bundesrecht Grundgesetz (GG) Gesetz Rechtsverordnung Satzung Landesrecht Landesverfassung Gesetz Rechtsverordnung Satzung 6
7 b) Das Verhältnis zwischen nationalem und internationalem Recht aa) Völkerrecht Völkerrechtliche Verträge müssen durch Gesetz in deutsches Recht umgesetzt werden (Art. 59 Abs. 2 GG). Allgemeine Regeln des Völkerrechts gelten gem. Art. 25 GG unmittelbar in Deutschland und stehen im Rang zwischen Verfassung und einfachem Gesetz. bb) Das Verhältnis von Verfassungsrecht und Europarecht (1) Das Verhältnis aus Sicht des EuGH Das europäische Gemeinschaftsrecht genießt absoluten Vorrang vor jeder innerstaatlichen Rechtsvorschrift, auch vor der Verfassung der Mitgliedsstaaten (Costa/Enel Entscheidung). Das Recht der Verträge (Primärrecht) sowie Rechtsverordnungen und Richtlinien der EU sind höherrangig als das Grundgesetz. Rechtsfolge: Widerspricht das Grundgesetz oder irgendeine Rechtsvorschrift Deutschlands dem Europarecht, so ist diese Vorschrift unanwendbar. (2) Das Verhältnis aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG): Im Solange-I-Beschluss legte das BVerfG (BVerfGE 37, 271 ff.) 1974 erstmals Kriterien fest, nach denen ein Verfahren über Widersprüche zwischen Rechtsnormen der Europäischen Gemeinschaften und deutschem Verfassungsrecht beurteilt wird. Im Ergebnis behielt sich das BVerfG vor, die Vereinbarkeit von europäischem mit deutschem Recht selbst in jedem Einzelfall zu überprüfen. Im Solange-II-Beschluss (BVErfGE 73, 339 ff.) revidierte das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zur Prüfung der Vereinbarkeit von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften mit deutschem Verfassungsrecht. Jetzt verzichtet das BVerfG auf die Ausübung seiner Rechtsprechung, aber nur insoweit als auf Gemeinschaftsebene ein ausreichender Grundrechtsschutz durch den EuGH generell gewährleistet ist und dieser Schutz den Wesensgehalt der Grundrechte und damit den vom GG gebotenen Mindeststandard generell verbürgt. (Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt, wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte oder Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen; entsprechende Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG sind somit unzulässig. (Leitsatz 2)) 7
8 cc) Lissabon-Vertrags-Entscheidung vom In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das deutsche Zustimmungsgesetz zum Lissabon-Vertrag am hat das Bundesverfassungsgericht unter anderem die allgemeinen, verfassungsrechtlichen Grenzen einer europäischen Integration Deutschlands gem. Art. 23 Abs. 1 GG umrissen (BVerfG, Urteil vom , Az. 2 BvE 2/08). (1) Danach gilt zunächst generell der Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit, auch wenn die europäische Integration nicht unter dem besonderen Schutz der sog. Ewigkeitsgarantie des. Art. 79 Abs. 3 GG (und des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) steht. (2) Art. 23 Abs. 1 GG ermächtigt Deutschland zur Beteiligung an und Entwicklung einer als Staatenverbund konzipierten Europäischen Union. (3) Die europäische Integration darf aber nicht dazu führen, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Verfassungsidentität, wie sie in Art. 79 Abs. 3 GG insbesondere geschützt wird, also insbesondere ihre souveräne Staatlichkeit aufgibt. Daraus folgert das Bundesverfassungsgericht, dass eine Integration in einen europäischen Bundesstaat gegen das Grundgesetz verstoßen würde. Eine solche würde die Annahme einer neuen Verfassung erfordern. 8
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