VO Verfassungsrecht I Grundrechte Gleichheit & Diskriminierungsschutz
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- Manfred Salzmann
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1 VO Verfassungsrecht I Grundrechte Gleichheit & Diskriminierungsschutz Universität Wien Sommersemester 2011 ao. Univ.Prof. Dr. Hannes Tretter Institut für Staats- und Verwaltungsrecht Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM) gem. mit Ass.Prof. Dr. Barbara Weichselbaum und Ass.Jur. Jana Messerschmidt
2 Gleichheitsgebote und Diskriminierungsverbote Individuelle Rechte Unterschiede: Gleichheitsgebote in Bezug auf alle rechtlich relevanten Sachverhalte (Gleichheit vor dem Gesetz und durch das Gesetz) Diskriminierungsverbote in Bezug auf bestimmte Gruppen, Rechte oder Sachverhalte Gleichheitsgebote gelten idr nur für Staatsangehörige Bindung von Gesetzgebung und Vollziehung
3 Gleichheitsgebote und Diskriminierungsverbote Rechtsquellen I Allgemeiner Gleichheitsgrundsatz Art 2 StGG und Art 7 B-VG Gleichberechtigung von Männern und Frauen Art 7 Abs 1-3 B-VG, Art 5 7. ZPEMRK, Art 1-4 UN- Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau 1979, BVG über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten 1992, Art 157 AEU (ex Art 141 EGV; gleiches Entgelt für Männer und Frauen); Art 23 Grundrechtecharta
4 Gleichheitsgebote und Diskriminierungsverbote Rechtsquellen II Gleichstellung von Behinderten Art 7 Abs 1 B-VG Diskriminierungsverbot im Hinblick auf die Rechte der EMRK Art 14 EMRK Rassendiskriminierungsverbot BVG 1973 zur Durchführung hrung der UN-Konvention über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung ZPEMRK (allgemeines Diskriminierungs-verbot verbot, von Österreich noch nicht ratifiziert)
5 Artikel 14 EMRK Verbot der Diskriminierung insbesondere wegen Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Vermögen, Geburt oder sonstigem Status Siehe zb zur sexuellen Orientierung auch EGMR , Salgueiro da Silva Mouta gg Portugal Akzessorisches Recht Verbot der Diskriminierung beim Genuss der Konventionsrechte Diskriminierung liegt vor, wenn unterschiedliche Behandlung nicht durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist kein vernünftiges Verhältnis zwischen eingesetzten Mitteln und angestrebten Zielen besteht (zb EGMR , Hoffmann gg Österreich)
6 BVG Rassendiskriminierung I Jede Unterscheidung aus dem alleinigen Grund von Rasse, Hautfarbe, Abstammung oder nationaler oder ethnischer Herkunft in Gesetzgebung oder Vollziehung ist demnach verboten Aber: kein Hindernis, österreichischen Staatsangehörigen besondere Rechte einzuräumen umen oder besondere Verpflichtung aufzuerlegen Gesetzliche Differenzierungen zwischen Staatsangehörigen und Fremden zulässig
7 BVG Rassendiskriminierung II Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen (VfSlg /1994) An Fremde adressierte Regelungen müssen für sich betrachtet sachlich sein (VfSlg /2000 zum Familiennachzug; auch VfSlg /2002) Verletzung durch Vollziehung dann, wenn Willkür geübt wird (nach den zu Art 7 B-VG entwickelten Kriterien) Gesetz gegen BVG verstößt Behörde gegen BVG verstoßenden Inhalt unterstellt
8 EU-Diskriminierungsverbote Art. 18 AEU (ex. Art. 12 EGV): Jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich des Unionsrechts ist verboten. Art. 19 AEU (ex. Art. 13 EGV): Rat kann im Rahmen der EU-Zuständigkeiten nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.
9 EU-rechtliche Gleichstellung Aus dem EU-Recht folgt Verpflichtung zur weitreichenden Gleichstellung von Unions- mit Staatsangehörigen, jedoch beschränkt auf den Anwendungsbereich des EU- Rechts (siehe dazu nunmehr auch VfGH , B 887/09 zur Erwerbsfreiheit nach Art. 6 StGG: Staatsbürgervorbehalt findet im Anwendungsbereich des Unionsrechts keine Anwendung.) Aus EU-rechtlicher Sicht wäre eine Diskriminierung von Staatsangehörigen zulässig ( Inländerdiskriminierung ) Dem steht jedoch idr der Gleichheitssatz des B-VG entgegen, es sei denn, es liegt eine sachlich begründete Ausnahme vor (zb VfSlg /1997 und /2005)
10 EU-Diskriminierungsverbote I Neufassung der Gleichbehandlungs-RL Richtlinie 2006/54/EG vom zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen mit ihr wurde RL 79/7/EWG am aufgehoben Beachte dazu jüngst EuGH , Rs Kleist, C-356/09: Arbeitnehmerkündigung zur Förderung des Zugangs jüngerer Menschen zur Beschäftigung stellt bei Anknüpfung an unterschiedliches Alter für Anspruch auf Alterspension eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar enge Auslegung der RL- Ausnahmebestimmung betreffend unterschiedliches Pensionsantrittsalter
11 EU-Diskriminierungsverbote II Antirassismus-Richtlinie Richtlinie 2000/43/EG zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft schützt vor Diskriminierungen aus Gründen der ( )Rasse( ) oder der ethnischen Herkunft in der Arbeitsumwelt und in gesellschaftlichen Bereichen außerhalb des Arbeitslebens
12 EU-Diskriminierungsverbote III Rahmen-Richtlinie Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf schützt vor Diskriminierungen aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung im Arbeitsleben aber keine Geltung für die Geschäfte des täglichen Lebens wie die Richtlinie 2000/43/EG; vgl aber den RL- Vorschlag KOM (2008) 426 endg.
13 EU-Diskriminierungsverbote IV Gender-Güter-Dienstleistungs-RL RL 2004/113/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen bezogen auf gesellschaftliche Bereiche außerhalb des Arbeitslebens
14 Diskriminierungsschutz in der Grundrechtecharta I Art 20 Gleichheit vor dem Gesetz: Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich. Art 21 Nichtdiskriminierung: (1) Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten. (2) Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.
15 Diskriminierungsschutz in der Grundrechtecharta II Art 23 Gleichheit von Frauen und Männern: Die Gleichheit von Frauen und Männern ist in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, sicherzustellen. Der Grundsatz der Gleichheit steht der Beibehaltung oder der Einführung spezifischer Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Geschlecht nicht entgegen.
16 Gleichheitssatz und Gesetzgebung I Art 7 B-VG Gleichheit vor dem Gesetz Rechtsanwendungsgleichheit, vom VfGH für jede Differenzierung dynamisch weiterentwickelt Verbot unsachlicher Differenzierung Gleiches ist gleich zu behandeln, sofern nicht besondere Gründe dagegen sprechen Rechtliche Differenzierungen müssen im Tatsächlichen (in Fakten oder Rechtsnormen) begründet sein, um sachlich gerechtfertigt zu sein setzt für eine Tatsache mindestens zwei Normen mit unterschiedlicher Rechtsfolge (auch allgemeine Handlungsfreiheit) voraus, Auswahl kann problematische Wertungen enthalten!
17 Gleichheitssatz und Gesetzgebung II Abwägung, ob und inwieweit Unterschiede im Tatsächlichen rechtliche Differenzierung zulassen bzw. gebieten Wesentlichkeit erforderlich! Abwägung ist rechtspolitisches Werturteil des VfGH, das gegebenenfalls demokratisch legitimierten Gesetzgeber korrigiert. Legitimer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Fragen der Zweckmäßigkeit nicht Gegenstand der Gleichheitsprüfung Andererseits: es reicht nicht Bemühen des Gesetzgebers um sachgerechte Lösung, L es kommt nicht auf Absicht des Gesetzgebers, sondern objektiven Gehalt der Regelung an
18 Gleichheitssatz und Gesetzgebung III Ungleiches ist ungleich zu behandeln zb, wenn Barbetriebe, die sich von anderer Gastronomie unterscheiden, zur selben Zeit zusperren müssen (VfSlg /1991) Allgemeines Sachlichkeitsgebot ohne Vergleichsmaßstäbe, hat mit dem originären Gleichheitssatz nichts mehr zu tun zb Verpflichtung aller Meldepflichtigen zur persönlichen Anmeldung (VfSlg /1994), Festlegung eines bestimmten Alters für Familiennachzug (VfSlg /2000, /2002) Gefahr der Beliebigkeit! Gesetze müssen zu jeder Zeit sachgerecht sein
19 Gleichheitssatz und Gesetzgebung IV Allgemeine Rechtfertigungsgründe: Vergröbernde Regelung nicht unsachlich Durchschnittsbetrachtung erlaubt Regelfall nicht jeder Einzelfall muss geregelt sein, es gibt atypische, bloß ausnahmsweise Härtefälle, die vernachlässigt werden können Beachte Erfordernis der Festlegung von Ausnahmen in besonders berücksichtigungswürdigen Einzelfällen Pauschalierende Regelungen, die Erfahrungen des tägl. Lebens entsprechen u. im Interesse der Verwaltungsökonomie liegen, zulässig Ad Verwaltungsökonomie: nicht jede Regelung damit rechtfertigbar, es muss immer angemessenes Verhältnis zu den in Kauf genommenen Rechtsfolgen eingehalten werden!
20 Gleichheitssatz und Gesetzgebung V Gesetzgeber nicht verpflichtet, bei Regelung verschiedener Rechtsinstitute und Verwaltungsmaterien gleichartig vorzugehen Differenzierende Regelungen auch in verschiedenen Verfahren im Prinzip zulässig Innerhalb eines Ordnungssystems dürfen einzelne Tatbestände auf eine nicht systemgerechte Art geregelt werden, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist zb VfSlg /1984 zum Mehrwertsteuersystem
21 Gleichheitssatz und Gesetzgebung VI Vertrauensschutz I: rückwirkende belastende Gesetze, v.a. im Steuerrecht gleichheitswidrig, wenn der Eingriff von erheblichem Gewicht ist, das berechtigte Vertrauen in die Rechtslage enttäuscht wurde und keine besonderen Gründe eine Rückwirkung verlangen. pro futuro wirkende Beschränkungen wohlerworbener Rechte bei schwerwiegenden und plötzlichen Eingriffen in Rechtspositionen, auf deren Fortbestand vertraut werden konnte (zb Pensionen, Pensionsalter) Einschleifregelungen können Gleichheitswidrigkeit verhindern.
22 Gleichheitssatz und Gesetzgebung VII Vertrauensschutz II: faktisch getroffene Dispositionen, die im Vertrauen auf den Bestand von Rechtsvorschriften getroffen wurden ev. Übergangsregelungen erforderlich. Bsp.: Ausdehnung eines Nachtfahrverbotes auf lärmarme LKW, da durch vorher festgelegte Ausnahme für Nachtfahrverbot Transportunternehmer in solche LKW investiert hatten (VfSlg /1991) Vertrauen in die gerichtliche Auslegung eines Gesetzes Gesetzgeber darf aber Rechtsprechung rasch korrigieren (VfSlg /2004)
23 Gleichheitssatz und Vollziehung I Eine Verordnung verletzt den Gleichheitssatz, wenn sie auf einem gleichheitswidrigen Gesetz beruht nicht sachlich gerechtfertigt differenziert Ein Bescheid verletzt den Gleichheitssatz, wenn er auf einem gleichheitswidrigen Gesetz beruht die Behörde dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt die Behörde Willkür übt
24 Gleichheitssatz und Vollziehung II Willkür liegt vor, wenn qualifizierte Rechtswidrigkeit geübt wird dies ist der Fall bei: Absichtlicher Zufügung von Unrecht ( subjektive Willkür ) gehäuftem oder gröblichem Verkennen der Rechtslage, Verkennen der Rechtslage in einem entscheidenden Punkt ( objektive Willkür ) auch wenn keine Abwägung widerstreitender Grundrechte erfolgt (zb Eigentums- und Kommunikationsfreiheit hinsichtlich der Regelung über Kurzberichterstattung im Fernseh-Exklusivrechtegesetz VfSlg /2006)
25 Gleichheitssatz und Vollziehung III Willkür liegt auch vor bei: denkunmöglicher Gesetzesanwendung Indiz für Willkür gravierender Verletzung von Verfahrensvorschriften zb wenn Parteienrechte schlechthin missachtet werden; die Behörde jede Ermittlungstätigkeit bzw in einem entscheidenden Punkt unterlässt, den Akteninhalt in wesentlichen Punkten übergeht oder leichtfertig vom Akteninhalt abgeht oder den konkreten Sachverhalt außer Acht lässt, jegliche Begründung unterlässt oder die Entscheidung grob mangelhaft begründet Verletzung von Treu und Glauben
26 Gleichheitssatz und Vollziehung IV Kein Recht auf gleiches behördliches Fehlverhalten! Bindung an Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: je intensiver ein Verwaltungsakt in die Rechtssphäre eingreift, umso stärker muss die sachliche Rechtfertigung sein; Gesetzgeber muss besondere Umstände des Einzelfalles berücksichtigen Fiskalgeltung des Gleichheitssatzes Horizontalwirkung (grundsätzlich keine Geltung unter Privaten außer bei Diskriminierungsschutz, zb GlBG) Gleichheitssatz findet Grenze am bundesstaatlichen Prinzip länderweise unterschiedliche Regelungen sind dem bundesstaatlichen Prinzip immanent!
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