Hintergrundinformationen: Tinnitus und die Bedeutung von Track Your Tinnitus für die klinische Forschung
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- Klaus Fiedler
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1 Hintergrundinformationen: Tinnitus und die Bedeutung von Track Your Tinnitus für die klinische Forschung 2 Zusammenfassung Dieses Kapitel gibt einen Überblick über das Krankheitsbild Tinnitus und diskutiert die Bedeutung der Smartphoneanwendung Track Your Tinnitus für die klinische Forschung. Zunächst wird der Begriff Tinnitus definiert, epidemiologische Fakten werden präsentiert sowie Ursachen und Therapiemöglichkeiten in Kürze beleuchtet. Anschließend werden Herausforderungen für die klinische Forschung diskutiert und die Relevanz von Track Your Tinnitus erörtert. 2.1 Das Krankheitsbild Tinnitus Tinnitus ist ein medizinischer Fachbegriff und beschreibt die Störung, bei der Betroffene dauerhaft ein Phantomgeräusch wahrnehmen, ohne dass es dafür eine externe Geräuschquelle gibt. Dieses Phantomgeräusch wird häufig als Pfeifen oder Rauschen beschrieben und kann meist einem oder beiden Ohren zugeordnet werden. Der Entstehungsort kann jedoch auch als im Kopf oder außerhalb des Kopfes empfunden werden. Üblicherweise werden diese Geräusche in objektiven und subjektiven Tinnitus kategorisiert. Dabei werden mit dem objektiven Tinnitus solche Ohrengeräusche beschrieben, die an anderer Körperstelle erzeugt (z. B. durch einen Muskelspasmus) und über das Ohr wahrgenommen werden. Diese Art des Tinnitus ist selten und meist gut behandelbar. Der subjektive Tinnitus ist dagegen wesentlich häufiger und die Chancen einer erfolgreichen Behandlung sind deutlich geringer. In den westlichen Gesellschaften berichten 5 15 % der erwachsenen Bevölkerung von der dauerhaften Wahrnehmung eines subjektiven Tinnitus [1], wobei etwa 1 % der Bevölkerung über erhebliche Belastungen und Einschnitte der Lebensqualität klagt [2]. Diese Springer Verlag Berlin Heidelberg 2015 M. Schickler et al., Entwicklung mobiler Apps, examen.press, DOI / _2 9
2 10 Belastungen zeigen sich in Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Depressionen oder Angststörungen [3, 4]. 2.2 Ursachen für den Tinnitus und Behandlungsansätze Bis Mitte des letzten Jahrhunderts wurde der subjektive Tinnitus als eine Störung des Innenohres verstanden und dementsprechend behandelt. Mit den Forschungsanstrengungen der neueren Zeit zeigte sich jedoch, dass dem zentralen Nervensystem bei der Genese des Tinnitus eine entscheidende Rolle zukommt. Häufig wird hierfür der Beleg angeführt, dass ein Durchtrennen der Hörnerven nicht zu einem zuverlässigen Verschwinden des Tinnitus führt [5]. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass der subjektive und chronische Tinnitus mit massiven plastischen Veränderungen der auditorischen zentralnervösen Strukturen und deren Funktion in zentralen Aufmerksamkeitsnetzwerken einhergeht [6, 7]. Veränderungen dieser Netzwerkstrukturen durch Gehirnstimulation oder Neurofeedback haben wiederum Einfluss auf die subjektive Wahrnehmung des Tinnitus [8 10]. Man nimmt daher an, dass es sich beim Tinnitus um eine gesteigerte Erregung der gesamten auditorischen Nervenbahnen handelt. Die möglichen Ursachen für diese gesteigerte nervöse Erregung sind vielseitig. Die aktuelle Forschungsmeinung geht davon aus, dass eine periphere Minderung des Hörvermögens, etwa durch ein Knalltrauma, altersbedingten Hörverlust oder ototoxisch wirkende Medikamente, zu den häufigsten Ursachen zählt. Infolge des Hörverlustes kommt es zu kompensatorischen Prozessen in den aufsteigenden Hörbahnen, die eine gesteigerte Nervenaktivität zur Folge haben [6]. Eine weitere Ursache wird in der abnormalen Aktivität des somatosensorischen Systems vermutet. Beschwerden in der Halswirbelsäule oder dem Kiefergelenk können zu erhöhter Aktivität in somatosensorischen Afferenzen führen, die auf Höhe des Nucleus Cochlearis Dorsalis in das auditorische System einstreuen [11]. Es gibt derzeit eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten, jedoch hat sich bis jetzt keine Behandlung durchgesetzt, die den subjektiven Tinnitus zuverlässig bekämpfen kann [12]. Gegeben durch die Heterogenität des Tinnitus ist sicher nicht jede Behandlungsform für den Einzelfall sinnvoll. Die Psychoedukation ist in vielen Fällen als Basis einer klinischen Behandlung angebracht. Dabei wird der Betroffene in erster Linie über Ursachen, Folgen und Interventionsmöglichkeiten informiert und über negativ wirkende Kompensationsstrategien aufgeklärt. In einer möglichen kognitiven Verhaltenstherapie können Verhaltensmuster aufgeklärt und verändert werden, welche das bewusste und emotionale Erleben des Tinnitus beeinflussen. Ein weiterer Ansatz besteht in der Stimulation des auditorischen Nervensystems durch individualisierte auditive Stimulation. Dabei können verschiedene Strategien verfolgt werden: Die Maskierung des Tinnitus durch ständige Hintergrundgeräusche soll die Aufmerksamkeit von dem Tinnitus weglenken [13]; die Beschallung mit Hintergrundgeräuschen knapp unterhalb der Maskierungsschwelle wird dagegen eingesetzt, um die Habituation des Tinnitus zu fördern [14], und auditorische Stimulation, die auf die indi
3 11 viduelle Tinnitusfrequenz angepasst wird, soll zu plastischen Veränderungen im Zentralnervensystem führen, die der Entstehung des Tinnitus entgegen wirken [15, 16]. Weitere Behandlungsansätze konzentrieren sich auf die Modulation der Hirnaktivität, welche zu einer Unterdrückung der Tinnituswahrnehmung führen soll. Hierfür werden Hirnstimulationsverfahren wie die repetitive transkranielle Magnetstimulation [8] oder Neurofeedback eingesetzt [9]. Eine pharmakologische Behandlung des Tinnitus befindet sich derzeit noch im Forschungsstadium. Aktuell gibt es kein Medikament, welches für die Behandlung von Tinnitus zugelassen ist. Die Pharmakotherapie des Tinnitusbetroffenen beschränkt sich daher auf die medikamentöse Behandlung der Begleiterkrankungen, wie Angst, Schlaf und depressive Störungen. 2.3 Herausforderungen für die klinische Forschung Die systematische Forschung zu den Ursachen des Tinnitus und dessen Behandlung hat hauptsächlich mit zwei Herausforderungen zu kämpfen. Die oben bereits erwähnte Heterogenität des Tinnitus führt zu einer großen Varianz innerhalb des Patientenkollektivs. Man geht aktuell von mehreren verschiedenen Subtypen von Patienten aus, deren Tinnitus durch unterschiedliche Ursachen bedingt ist und somit auch anders behandelt werden muss. Aktuell gibt es noch keine Einigung über Anzahl, Ätiologie, Diagnose und Therapie der verschiedenen Subtypen. Mitte des Jahres 2014 startete das europaweite Forschungsprojekt TINNET ( welches sich der Erforschung dieser Frage über eine Laufzeit von vier Jahren angenommen hat. Die zweite Herausforderung für die Forschung besteht in der Schwankung des Tinnitus von einem zum nächsten Moment. Selbst im chronischen Fall kann der Tinnitus von einem Tag auf den nächsten schwanken, manchmal stärker und manchmal schwächer wahrnehmbar sein. Gründe für diese Schwankungen können maskierende Umgebungsgeräusche genauso sein wie die Tageszeit, die aktuelle Tätigkeit, stressig empfundene Lebensereignisse oder vieles mehr. Für die klinische Forschung stellt dies insofern ein Problem dar, da die Stärke des Tinnitus häufig vor und nach einer therapeutischen Intervention mittels Fragebogen gemessen wird und aus dem Vergleich der beiden Messzeitpunkte auf die Wirksamkeit der Intervention geschlossen wird. Mit den intraindividuellen Schwankungen der Tinnituswahrnehmung erhöht sich jedoch die Varianz der klinischen Messungen und stellt somit eine erhebliche Fehlerquelle für klinische Studien dar. Mit der Verwendung moderner Smartphoneanwendungen für die Erfassung der Tinnituswahrnehmung bietet sich der klinischen Forschung ein neuartiges Forschungsinstrument an, das die bisherige Forschungsmethodik entscheidende Schritte weiterbringt. Mit der mobilen Anwendung Track Your Tinnitus ist es möglich, die Schwankungen des Tinnitus an mehreren Zeitpunkten während des Tages zu messen eine Messmethodik, die bisher nicht realisierbar war. Des Weiteren erlaubt der Einsatz des Smartphones die Erfassung klinischer Variablen wie Tinnituslautstärke oder Tinnitusbelastung während der alltäglichen Routine des Betroffenen und erhöht somit die ökologische Validität der
4 12 Messungen. Über das integrierte Mikrofon kann der Schallpegel der Hintergrundgeräusche gemessen werden, wodurch ein Testen der Hypothese ermöglicht wird, nach der die intraindividuellen Schwankungen über Maskierung des Tinnitus durch Umgebungsschall erklärbar sind. Literatur 1. Hoffmann HJ, Reed G: Epidemiology of tinnitus. In: Snow JB (ed.): Tinnitus: Theory and Management. Hamilton: BC Decker 2004; Hebert S, Canlon B, Hasson D, Magnusson Hanson LL, Wester lund H, Theorell T: Tinnitus severity is reduced with reduction of depressive mood a prospective population study in Sweden. PLoS One 2012; 7: e Cima RF, Vlaeyen JW, Maes IH, Joore MA, Anteunis LJ: Tinnitus interferes with daily life activities: a psychometric examination of the Tinnitus Disability Index. Ear Hear 2011; 32: Javaheri S, Cohen V, Libman I, Sandor V: Life-threatening tinnitus. Lancet 2000; 356: House JW, Brackmann DE: Tinnitus: surgical treatment. Ciba Found Symp 1981; 85: Eggermont JJ, Roberts LE: The neuroscience of tinnitus. Trends Neurosci 2004; 27: Schlee W, Mueller N, Hartmann T, Keil J, Lorenz I, Weisz N: Mapping cortical hubs in tinnitus. BMC Biol 2009; 7: Peng Z, Chen XQ, Gong SS: Effectiveness of repetitive transcranial magnetic stimulation for chronic tinnitus: a systematic Review. Otolaryngol Head Neck Surg 2012; 147: Dohrmann K, Weisz N, Schlee W, Hartmann T, Elbert T: Neurofeedback for treating tinnitus. Prog Brain Res 2007; 166: W Schlee, K Dohrmann, T Hartmann, I Lorenz, N Müller, T Elbert, N Weisz: Assessment and modification of the tinnitus related cortical network. Seminars in Hearing 29 (03), Shore SE: Plasticity of somatosensory inputs to the cochlear nucleus-implications for tinnitus. Hear Res 2011; 281: Kreuzer, P.M., Vielsmeier, V., and Langguth, B. (2014). Chronischer Tinnitus eine interdisziplinäre Herausforderung Hobson J, Chisholm E, El Refaie A: Sound therapy (masking) in the management of tinnitus in adults. Cochrane Database Syst Rev 2012; 11: CD Bauer CA, Brozoski TJ: Effect of tinnitus retraining therapy on the loudness and annoyance of tinnitus: a controlled trial. Ear Hear 2011; 32: Okamoto H, Stracke H, Stoll W, Pantev C: Listening to tailor made notched music reduces tinnitus loudness and tinnitus- related auditory cortex activity. Proc Natl Acad Sci USA 2010; 107: Tass PA, Adamchic I, Freund HJ, von Stackelberg T, Hauptmann C: Counteracting tinnitus by acoustic coordinated reset neuro-modulation. Restor Neurol Neurosci 2012; 2:
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