Ethische Aspekte der frühen Diagnose
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- Karoline Bösch
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1 Dr. Michael Wunder Alzheimer Gesellschaft München - Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.v. Selbsthilfe Demenz Ethische Aspekte bei kognitiven Störungen und früher Demenz 8. März 2018 Ethische Aspekte der frühen Diagnose
2 Wie sehen Demenzbetroffene sich selbst? Demenz Support Stuttgart In diesem Moment hatte ich das Gefühl, ich würde in ein Loch rutschen. Ich konnte überhaupt nicht mehr zuhören [1] Helga Rohra [1] Man darf Angst und Schrecken einfach nicht zu viel Raum gewähren. Alzheimer ist eigentlich so etwas wie ein Partner, der Dich in deinem zweiten Leben begleitet. 1] Christian Zimmermann Okay, wenn das so ist, dann ist es so und ich kann nichts dafür, dass ich das jetzt habe. Alzheimer gehört zu meinem Leben. Rita Dechant Wir können mehr [1] als ihr uns zutraut Wir können für uns selbst sprechen Wir müssen Einfluss darauf nehmen, wie unser Leben aussieht. [1] [1] Christian Zimmermann]
3 Feststellungen: Die Erstdiagnose ist ein Schock Ethische Fragestellung: Ist der Nutzen der frühen Diagnose größer als der Schaden? Betroffene haben das Recht auf Selbstbestimmung Ethische Fragestellung: Was ist Selbstbestimmung? Können Menschen unter der Bedingung von Demenzsymptomen selbstbestimmt entscheiden? Das Hauptthema der Betroffenen ist das Leben mit der Diagnose und der Krankheit Ethische Fragestellung: Was macht die Lebensqualität von Demenzbetroffenen aus? Was bedeutet hier Inklusion?
4 Nutzen und Schaden der frühen Diagnostik Nutzen-Argumente Auf der Seite des Patienten besseres Verständnis der beobachteten Veränderungen bessere Zukunftsplanung bessere Gefahrenvermeidung Präventive Maßnahmen Auf der Seite der Angehörigen besseres Verständnis / Abbau von Fehlverhalten Auf der Seite der Behandler Diagnostik /Differentialdiagnostik Verbesserung der Behandlung angemessener Umgang mit dem Patienten
5 Nutzen und Schaden der frühen Diagnostik Argumente auf der Seite des Patienten besseres Verständnis der beobachteten Veränderungen Ja, aber Empfehlung zur Frühdiagnostik in jedem Einzelfall abwägen: Sind die Symptome eine Last? Ist die mangelnde Erklärung oder eine fehlerhafte Erklärung des Patienten ein Nachteil für ihn? Unterscheidung Frühdiagnostik im Stadium milder Symptome (Gedächtnis, Orientierung) und im symptomlosen Stadium (Angstpatienten) Hier: Verschiebung des Verständnisses von Gesundheit und Krankheit Aber: Kann man einem Angstpat. ohne Demenzsymptome eine Frühdiagnose verweigern?
6 Nutzen und Schaden der frühen Diagnostik Argumente auf der Seite des Patienten bessere Zukunftsplanung Ja, beispielsweise Netzwerke überprüfen, Vorsorgeplanung, Aufgaben abschließen Aber Vorsicht Erfahrungen aus dem Bereich der prädiktiven Medizin bei nicht therapierbarer Erkrankung: Angst, Depression, Fatalismus, Kurzschlusshandlungen Deshalb immer vorher klären: Hat der Patient die Folgen eines positiven Befundes für sich bedacht? (Kompetenzverlust, Abhängigkeit von Hilfe/Angewiesenheit auf Andere, Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen) Erfahrung aus der frühen HIV-Test-Erfahrung realistische Entmutigung der Betroffenen durch Behandler/Diagnostiker, (Folgenabschätzung, Erwartungen prüfen)
7 Nutzen und Schaden der frühen Diagnostik Argumente auf der Seite des Patienten bessere Gefahrenvermeidung Ja, in bestimmten Bereichen (z.b. Führerschein, Eingehen von längerfristigen Verpflichtungen) Aber: Unterscheiden sich diese Gefahrenvermeidungen von denen beim Älterwerden schlechthin? Begründung Demenz besser als Begründung Selbstbeschränkung aus Vernunft?
8 Nutzen und Schaden der frühen Diagnostik Argumente auf der Seite des Patienten präventive Maßnahmen Hier gemeint: Sekundärprävention = Fortschreiten des Krankheitsprozesses verhindern Medizin: Behandlung von Bluthochdruck, Diabetes, erhöhte Blutfettwerte Ernährung: cholesterinarme Ernährung (Mittelmeerdiät, Folsäure- Substitution, wenig Alkohol, nicht Rauchen) Lebensstil: Bewegung, soziale Kontakte, kognitive Anregungen Psyche: Stressresistenz, Angstresistenz, geringe Depressions- und Traumabelastungswerte (= Resilienz) Aber: Das sind die Empfehlungen für alle (älteren) Menschen.
9 Nutzen und Schaden der frühen Diagnostik Argumente auf der Seite des Umfeldes besseres Verständnis / Abbau von Fehlverhalten Ja, aber nur in Zusammenhang mit frühester Aufklärung, Schulung, Unterstützung und Entlastung der Angehörigen Sonst: Risiko der Abwertung des Angehörigen, des zu schnellen Entmündigens und der eigenen Depression ( Womit habe ich das verdient?)
10 Nutzen und Schaden der frühen Diagnostik Argumente auf der Seite der Behandler Diagnostik, insbesondere Differenzialdiagnostik Ausschluss anderer Ursachen, Erkennen anderer Grunderkrankungen Verbesserung der Behandlung Ja, ursächliche Behandlung bei nicht degenerativen Demenzen bei degenerativen Demenzen: frühere Antidementiva-Behandlung angemessener Umgang mit dem Patienten größeren Verständnis für das Patientenverhalten bessere Behandlung im Krankenhaus, allerdings nur, wenn das Krankenhaus darauf eingestellt ist (demenzsensibles Krankenhaus)
11 Erste Schlussfolgerungen Die Nutzen-Argumente für die Behandler sind eindeutig, den Nutzen-Argumenten bei den Patienten stehen jeweils auch mögliche Schadens-Risiken entgegen Die Abwägung von Nutzen und Schaden kann nur der Patient selbst vornehmen. Nur seine informierte Zustimmung kann das eventuelle Schadens-Risiko minimieren.
12 Stichwort: informierte Einwilligung informed consent = freiwillige, informierte und persönliche Einwilligung nach bestmöglicher Aufklärung Informiert Ehrliche Information über Aussagekraft der Diagnose, Information über möglichen Nutzen und Schaden des Patienten (besondere Unterscheidung symptomerklärend oder symptomlos), Überprüfung, ob sich der Patient über die Folgen des möglichen Befundes Gedanken gemacht hat Anforderung an den Behandler, Anforderungen an den Patienten freiwillig Keinerlei Druck, auch nicht wir empfehlen, nur Vorteile/Nachteile Assistenz zur eigenen verantwortlichen Entscheidung keine geteilte Verantwortung Ergebnisoffenheit der Beratung vor der Entscheidung des Patienten
13 Können Menschen unter der Bedingung von Demenzsymptomen informiert einwilligen/ selbstbestimmt entscheiden?
14 Wann sprechen wir von Selbstbestimmung? (klassische Trias) anders können Gründe haben die eigene Urheberschaft anerkennen Kompetenzannahmen des Konzepts der Selbstbestimmung Verstehen wesentlicher Informationen Beurteilen dieser Informationen im Lichte eigener Werte Entwerfen eines Ergebnisses und Folgenabschätzung Freie Äußerung der eigenen Entscheidung gegenüber Dritten
15 Eine Äußerung oder Entscheidung ist selbstbestimmt und willentlich, wenn Alternativen erkannt und verstanden werden und die Auswahl frei von äußerer Einflussnahme und innerem Zwang geschieht ( Anderskönnen, beherrschte Handlung ) die Auswahl auf Grund von Überlegungen geschieht ( Gründe haben ),die folgende Kompetenzen voraussetzen: reflektorische Kompetenz (Abwägungsfähigkeit) Orientierung an Werten (zumindest Vorteil/Nachteil) Antizipation des Ergebnisses (Folgenabschätzung) und Absicht der Durchsetzung der Handlung Bewusstsein der eigenen Urheberschaft ( Ich bin es ), Zurechenbarkeit der gewählten Handlungsweise
16 Können Menschen unter den Bedingungen erster milder Demenzsymptome diese Kriterien für Selbstbestimmung erfüllen? Symptome Wechselndes Erinnerungsvermögen für kurz zurückliegende Ereignisse Schwierigkeiten, Neues zu Erlernen Gestörte Orientierung in fremder Umgebung: erste Tendenzen sich zu verirren Zerstreutheit Konzentrationsschwächen Erste Schwierigkeiten bei komplexen Tätigkeiten bei unauffälliger Motorik und Gefühlsempfindung Psychische Verarbeitungsformen: Krankheitsverleugnungen, Dissimulation Überspielen mit Witzen und Floskeln Angst und depressive Verstimmungen sozialer Rückzug
17 Folgen für die Selbstbestimmung Einsichtsfähigkeit/Urteilsfähigkeit, sowie Entscheidungsfähigkeit vorhanden, allerdings oft verlangsamt und möglicherweise stark schwankend (Angst und depressive Verstimmungen) Entscheidungsbasis: eigenes Wertesystem und Abwägung verschiedener Gesichtspunkte Patienten in der frühen Phase der Demenz können grundsätzlich den Sinn einer Diagnostik (und andere Behandlungen) verstehen und pflegerischen wie medizinischen Maßnahmen zustimmen. Sie brauchen eine wohlwollenden Atmosphäre und genügend Zeit, und auf Grund von Konzentrationsstörungen und Aufmerksamkeitsschwankungen Unterstützung. assisted decision making
18 Mit der Diagnose leben Angst und Abwehr abbauen Ein Leben unter der Bedingung von Demenz ist lebenswert Lebensqualität ist möglich Menschen mit Demenz gehören mitten in die Gesellschaft Inklusion als neues Modell des Miteinanders
19 Was ist wichtig? Indikatoren für Lebensqualität von Menschen mit Demenz Projekt My name is not dementia - People with dementia discuss quality of life indicators gutes Essen ein schöner Platz zum Leben draußen sein Glaube und Religion etwas tun aus Freude jeden Tag Dinge auswählen können jemanden helfen Familie Freundschaften Bekanntschaften machen jemanden haben, der zur Hand geht jemanden haben, der mit mir spricht Besprechen meiner Gedanken und Gefühle Leute, die Dich gut kennen sich fit und gut fühlen sich sicher und beschützt fühlen fühlen, dass man noch wichtig ist zufrieden sein was zu Lachen haben guter Schlaf Freude an den Dingen haben Tiere genügend Geld haben gut aussehen mich selbst anschauen können beschäftigt sein Menschen, die mir nahe sind Viele, die mich besuchen nette Helfer anderen etwas geben können Zuhörer haben verstehen, was in der Welt vor sich geht fair behandelt werden sich freifühlen, das zu tun, was man will Zugehörigkeit fühlen Zuwendung erhalten Friede und Ruhe
20 Schlüsselindikatoren für Lebensqualität von Menschen mit Demenz Äußere Faktoren Kontakte und jemand zum Reden vertraute, aber auch anregende Umgebung (ein vertrautes Tier) Möglichkeit, eigene Riten und religiöse Bedürfnisse auszuleben Erfahrung von Schutz bei Stigmatisierung Persönliche Faktoren Körperliche Gesundheit Sinn für Humor Unabhängigkeit Kommunikationsfähigkeit Wahrnehmung der eigenen Identität Fähigkeit und Möglichkeit für sinnvolle Aktivitäten Lebensweltliche Anforderungen Einfachheit der Welt, klare Strukturiertheit, Sinngebung auf unmittelbarer Ebene
21 Stichwort Inklusion Inklusion ist die vorbehaltlose und nicht weiter an Bedingungen geknüpfte Einbezogenheit und Zugehörigkeit Grundgedanke: Gemeinschaft Aller in einer Region oder einer Lokalität, die innerlich differenziert und vielgliedrig ist Diversity-Ansatz Voraussetzungen: gesellschaftliche Toleranz, Neugier auf Anderssein, Lernen-Wollen und Lernen-Können durch Unterschiede
22 Inklusion für Menschen im Alter und mit Demenz bedeutet, Beachtung der besonderen Bedürfnisse und lebensweltlichen Belange Gestaltung einer nicht aussondernden Wohnumwelt eine Sorge-Haltung, die die jeweils noch möglich Selbstbestimmung der Betroffenen respektiert Reflektion unseres Umgang mit Ängsten und Abwehren gegenüber Demenz.
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24 ENDE Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
25 Carolus Horn Nur Fliegen ist schöner (Opel) Alle reden vom Wetter. Wir nicht Deutsche Bundesbahn.
26 Wie aus Wolken Spiegeleier werden Alzheimer und Kunst von Wolfgang und Ulrike Maurer
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