Regulierung (in-)formeller Pflegearbeit: Prekarisierungs- und Polarisierungstendenzen



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Transkript:

Dr. Diana Auth Vortrag für das Panel: Umkämpfte Reproduktion Tagung: Spaltung der Arbeitswelt Prekarität für alle? Konzepte und Befunde zu neuen Konturen der Arbeitsgesellschaft SOFI, Göttingen 1.-2. Februar 2012

2 von 14 Einleitung Gegenstand: Produktions- und Reproduktionsbedingungen der häuslich-informell und der professionell Pflegenden Analyserahmen: Kerstin Jürgens Analyse zur Reproduktionskrise und zur Prekarisierung der Reproduktion/Drei Säulen: Erwerbsarbeit, Sozialstaat Familie Fragestellungen: Prekarisierung und/oder Polarisierung in der: Professionellen Pflege Häuslich-informellen Pflege

3 von 14 Vorgehen Pflegepolitik/Pflegeversicherung Produktions- und Reproduktionsbedingungen der professionell und der häuslich-informelle Pflegenden im Kontext der drei Säulen des Reproduktionsregimes (vgl. Jürgens 2010) Erwerbsarbeit Sozialstaat Familie Fazit: Prekarisierung und/oder Polarisierung in der Arbeitswelt Pflege

4 von 14 Pflegeversicherung: Regulierung professioneller und häuslichinformeller Pflegearbeit Beitragsfinanzierte Sozialversicherung Grundsicherung/Teilkaskoabsicherung/Zuzahlungen Subsidiarität: Vorrang der Selbsthilfe/Unterhaltsverpflichtungen/Hilfe zur Pflege nur bei Bedürftigkeit Bedarfsunabhängige Zulassung privater Anbieter ambulanter Pflegedienste und Pflegeheime Stärkung der häuslichen Pflege/ ambulant vor stationär /Ambulante Dienste dienen als Ergänzung Pflegebedürftige: Wahl zwischen Pflegegeld sowie ambulanten und stationären Sachleistungen

5 von 14 Erwerbstätigkeit I These Jürgens: Erosion kollektiver Interessenvertretungssysteme Professionelle Pflegearbeit Wandel der Trägerstruktur: Zunahme des Anteils privater Träger in der ambulanten und stationären Pflege Anstieg der Zahl der Beschäftigten, die ohne tarifliche Standards arbeiten Dominanz individualvertraglicher Vereinbarungen Wohlfahrtsverbände: Anlehnung der Löhne an den TVöD Private Träger: keine Tarifverträge

6 von 14 Tab. Entwicklung der Trägerstruktur in der ambulanten u. stationären Pflege 1999 2009 1999 2009 Veränderung Anzahl Anteil Anzahl Anteil Ambulante Dienste Private Träger 5.504 50,8% 7.398 61,5% +21,1% Frei-gemeinnützige Träger 5.103 47,2% 4.433 37,0% -21,6% öffentliche Träger 213 2,0% 195 1,5% -25,0% gesamt 10.820 100,0% 12.026 100,0% Stationäre Pflege Private Träger 3.092 31,5% 4.637 40,0% +27,9% Frei-gemeinnützige Träger 5.017 63,0% 6.373 55,0% -12,7% öffentliche Träger 750 5,5% 624 5,0% -9,1% gesamt 8.859 100,0% 11.634 100,0%

7 von 14 Erwerbstätigkeit II These Jürgens: Rückgang der Tariflöhne/Polarisierung und Prekarisierung Professionelle Pflegearbeit TVöD-B (Pflege- und Betreuungseinrichtungen): Geringere Bruttolohnerhöhungen als der Durchschnitt der Tariflohnerhöhungen Seit 2010: Mindestlohn in der Pflegebranche (2012: West: 8,75 Euro; Ost: 7,75 Euro) Anteil der Pflegefachkräfte angestiegen; kein Trend zur Ausweitung unqualifizierter Pflegearbeit Prekarisierung: Anstieg des Anteils der Teilzeitbeschäftigen, aber nur geringer Anstieg des Anteils der Mini-Jobs Polarisierung: deutliche Unterschiede in der Bezahlung zwischen pflegerischem Bereich und Management (v.a. private Träger)

8 von 14 Erwerbstätigkeit III These Jürgens: stärkere Unsicherheit des Arbeitsplatzes Professionelle Pflegearbeit Kaum Arbeitslosigkeit Teilweise bereits jetzt: Arbeitskräftemangel/Schwierigkeiten bei Stellenbesetzungen

9 von 14 Erwerbstätigkeit IV These Jürgens: Entgrenzung von Arbeitsbedingungen Professionelle Pflegearbeit Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch Ökonomisierung, Normierung und Standardisierung ( Quasi-Taylorisierung ) Neue Management-Konzepte in der Pflege: Rationalisierung und Kostensenkung Intensivierung der Arbeit durch dünnere Personaldecken Schlechte Arbeitsbedingungen, geringe Arbeitszufriedenheit: hohe körperliche und emotionale Belastungen, soziale Spannungen und Konflikte in den Diensten und Einrichtungen, schlechte Arbeitszeitorganisation

10 von 14 Sozialstaat These Jürgens: Kostensenkung Pflegegeld Bessere materielle und soziale Absicherung informell Pflegender Anreize für die häuslich-informelle Pflege, v.a. für Geringverdienerinnen und Mittelschichtsfrauen mit Haupternährer Aber: zwischen 1995 und 2008: keine Dynamisierung Tab. Entwicklung des Pflegegeldes Bis 1.8.2008 Ab 1.8.2008 2010 2012 Pflegestufe I 205 215 225 235 Pflegestufe II 410 420 430 440 Pflegestufe III 665 675 685 700

11 von 14 Sozialstaat Sachleistungen Aber: zwischen 1995 und 2008: keine Dynamisierung Anstieg der Personen, die Hilfe zur Pflege beziehen (1998-2009), um 35% Tab. Entwicklung der Pflegesachleistungen (ambulante Pflege) Bis 1.8.2008 Ab 1.8.2008 2010 2012 Pflegestufe I 384 420 440 450 Pflegestufe II 921 980 1.040 1.100 Pflegestufe III 1.432 1.470 1.510 1.550

12 von 14 Familie These Jürgens: neue familiäre Belastungen Pflegehaushalte Zunahme der Erwerbstätigkeit häuslich-informell Pflegender Vielfach: gemischte Pflege-Arrangements Schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Pflege: geringere Leistungsund Konzentrationsfähigkeit, hohe emotionale, körperliche und soziale Belastungen, häufigere Fehlzeiten

13 von 14 Fazit: Prekarisierung und/oder Polarisierung Professionelle Pflege Prekarisierung durch erhebliche Stärkung privater Anbieter, die zur Enttariflichung der Pflegebranche beigetragen haben (Folge: Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen) Polarisierung zwischen professionell Pflegenden und Pflegemanagement (v.a. bei privaten Anbietern) Häusliche Pflege Polarisierung durch Teilkasko-Charakter der Pflegeversicherung und (lange Zeit) fehlende Dynamisierung der Leistungen Reproduktionsbedingungen Prekarisierung in beiden Bereichen infolge der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen Polarisierung in der häuslichen Pflege durch Teilkasko-Charakter der Pflegeversicherung

von 14 14 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit