Kinderpsychosomatik. Karl-Heinz Brisch

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Transkript:

Kinderpsychosomatik Karl-Heinz Brisch Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Abteilung Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie Ludwig-Maximilians-Universität München

Häufigkeit von psychosomatischen Störungen Ca. 20-25% aller Kinder, die beim Kinderarzt vorgestellt werden

Säuglingsalter Interaktionelle Störungen exzessives Schreien: Schrei-Babys Schlafstörungen Essstörungen

Ess-Störung im Säuglingsalter Wahrnehmen der Signale des Säuglings Überstimulation vs. Unterstimulation Risikogruppen Frühgeborene, behinderte Kinder Eltern, die als Kind eine Essstörung hatten Kinder mit unfeinfühligen Eltern

Kleinkindalter Neurodermitis / Allergien Somatoforme Störungen Bauchschmerzen Kopfschmerzen Essstörungen Schlafstörungen Gedeihstörung (failure to thrive)

Schulalter somatoforme Störungen Mit Trennungsängsten Schmerz-Störung (z. B. Kopfschmerzen) Atem-Störungen / Hyperventilation Kreislauf-Störungen / Kollaps und Synkope Enuresis / Enkopresis Dissoziative Störungen nach Trauma Mit Konversionssymptomen Mit Aufmerksamkeitsstörungen

Ursachen Verluste Trennungen Traumata Entwicklung von somatoformen Störungen im Rahmen einer Post-Traumatischen-Belastungsstörung (PTBS) Psychogene Konflikte

Jugendalter Essstörungen Anorexia nervosa Bulimie Bulimarexie Adipositas

Jugendalter Essstörungen Anorexia nervosa Bulimie Bulimarexie Adipositas

Therapie 1 Ambulant Teil-Stationär Stationär Intervallbehandlung

Therapie 2 Interdisziplinäre Therapie Pädiater Kinderchirurg Kinderneurologe Kinderpsychologe / Kinderpsychiater Logopädin / Krankengymnastin Psychotherapeut / Psychiater für Eltern Lehrer Sozialarbeiter Jugendamt / Familiengericht

Therapie 3 Entlastung der Eltern Evt. Sonde bei drohender Austrocknung / Gewichtsverlust Verhaltensanleitung auf interaktioneller Ebene Korrektur von Über- oder Unterstimulation Trennung von Essen und Spielen Sensibilisierung für Signale des Kindes Abwehr des Kindes beachten und respektieren Kind wird Souverän seines Essens Bearbeitung der elterlichen Ess-Geschichte

Stationäre Intensiv-Psychotherapie von frühen Störungen Pediatric Intensive Care Unit of Psychotherapy Komponenten der Behandlung Körperliche Behandlung Sozialarbeit Milieutherapie Einzel- und Gruppenpsychotherapie Traumatherapie Pädagogik

Milieutherapie Psychodynamisches und bindungsdynamisches Verstehen Sicherer Halt und Struktur Neue Bindungserfahrungen (Bezugsschwester) Umgang mit Affekten und Stress Entwicklungsförderndes Umfeld Förderung von sozialen Kontakten zur Peergroup

Einzel-Psychotherapie Tiefenpsychologisch fundierte Einzeltherapien, 2-4 x pro Woche Traumatherapie Begleitende Elterntherapie, mindestens 1x pro Woche Externe Einzeltherapie für Mutter/Vater

Kreative non-verbale Therapien Kunsttherapie Musiktherapie Konzentrative Bewegungstherapie Gruppentherapien, 3 x pro Woche Einzeltherapien, individuelle Frequenz

B.A.S.E. - Babywatching 1x pro Woche Beobachtung einer Mutter mit ihrem Baby Förderung der Feinfühligkeit und Empathiefähigkeit Unterstützung des Sozialverhaltens Ziel: Verringerung von aggressiven und ängstlichen Störungen

Staatliche Schule für Kranke Mo Fr 8:30 bis 12:00 Klinikklasse von 4 6 Schülern unterschiedlicher Jahrgangsstufen Integrative Zusammenarbeit zwischen Therapeuten und LehrerInnen Förderung und Beurteilung von individuellen Lern- und Leistungsmöglichkeiten Gruppen-Lern-Fähigkeit

Supervision Team-Supervision (14tägig) Fall-Supervision (2x wöchentlich) Schwestern-Gruppe Therapeuten-Gruppe Alle (Schwestern, TherapeutInnen, Lehrerinnen, Zivildienstleistende, SchülerInnen)

Eine Behandlung aus der stationären Intensiv-Psychotherapie der Kinderpsychosomatik Lena, 9 Jahre

Konsiliardienst Konsil: Pädiatrie, Mädchen, 8 Jahre Diagnosen: Gedeihstörung und Essstörung Fragestellung an uns: Mutter-Kind-Interaktion? Sind die Beschreibungen der Familie realistisch? Weiteres Vorgehen bei Schulverweigerung?

Diagnosen Gedeihstörung und Essstörung V. a. Migräne Z. n. 2-facher offener Antirefluxoperation am Mageneingang (Hemifundoplicatio mit Hiatusplastik) Z. n. Botulinuminjektion in den analen Schließmuskel Z. n. Anlage einer perkutanen Magensonde (PEG)

Weitere Symptome und Befunde I Rezidivierende Bauchschmerzen, z. T. mit Würgen und Erbrechen Kopfschmerzen, z. T. mit Erbrechen, Sensibilitätsstörungen Verstopfung, auch nach analer Botulinuminjektion Tägliche Sondenernährung mit hochkalorischer Sondennahrung Gastroösophageale Refluxkrankheit (Erstdiagnose mit 3 Jahren), auch nach 2-facher Antirefluxoperation Magenentleerungsstörung (Erstdiagnose mit 3 Jahren)

Weitere Symptome und Befunde II Verzögertes Knochenalter bis zum 6. LJ, danach altersentsprechend Osteoporose bis zum 8. LJ Morbus Meulengracht (Stoffwechselstörung der Leber) Latente Schilddrüsenunterfunktion

Medikation bei Aufnahme Schilddrüsenhormon (Schilddrüsenunterfunktion) täglich Vitamin D (Osteoporose) täglich Abführmittel (bei Verstopfung) täglich Sondennahrung (Nutrini Energy) täglich Schmerzmittel (bei Bedarf)

Aufnahme auf Station Auffälliges Essverhalten (Stochern im Essen, dicke Beine ) Angst vor Gewichtszunahme Häufig Bauch- und Kopfschmerzen (Fixierung auf Schmerztabletten) Häufig Druckgefühl über der Speiseröhre Soziale Schwierigkeiten in der Gruppe Emotionaler Rückzug, Verschlossenheit Ängste und Trennungsschwierigkeiten der Mutter

Elterngespräche Psychische Belastung der Mutter Essstörung der Mutter Schwere traumatische Erfahrungen in der Kindheit der Mutter Vater ist wenig involviert, Eltern getrennt Pflegegeld bei Pflegestufe 3

Therapieziele Patientin Neue Bindungs- und Beziehungserfahrungen Unterstützung bei der Benennung von Gefühlen, Bedürfnissen, anstelle von Somatisierung Klärung der verzerrten Körperwahrnehmung Emotionale, kognitive und soziale Entwicklungsförderung Ich-Stärkung Integration in die Peergroup

Therapieziele Eltern Sensibilisierung der Eltern für die Bedürfnisse der Tochter Väterliche Beteiligung (Triangulierung) Bearbeitung unbewusster Ängste und Projektionen der Mutter ( Gespenster im Kinderzimmer ) Trennung der verstrickten Mutter-Kind-Beziehung

Stationärer Verlauf Normalisierung des Essverhaltens, Ausschleichen der Sondennahrung Gewichtszunahme bei ausschließlich oraler Ernährung Weniger somatische Beschwerden, Besserung ohne Medikation möglich Ausschleichen des Abführmittels bei regelmäßigem Stuhlgang Symptomatik v. a. am Wochenende

Entlassung Stabile Gewichtszunahme ohne Sondennahrung Normales Essverhalten Kaum noch Somatisierung Medikation: ausschließlich Schilddrüsenhormon

Entlassung Deutliche emotionale Stabilisierung, weniger depressive Episoden Ausgeglichenere Kontakte und Beteiligung der Eltern Weiterhin Ängste um die Gesundheit der Tochter auf Seiten der Mutter Patientin ist gut in die Gruppe integriert, konfliktfähiger, Freunde

Procedere Ambulante Einzel- und Gruppentherapie Heilpädagogische Tagesstätte Empfehlung: Therapie für die Mutter

...und ein Jahr nach Entlassung?

1 Jahr später... Weiterhin stabile Gewichts- und Größenzunahme Normales Essverhalten Keine Arztbesuche bezüglich der vorherigen Symptomatik im letzten Jahr Kaum noch Somatisierung, nur ab und zu Bauchschmerzen Ambulante Gruppentherapie 3x/Woche Patientin besucht das Gymnasium Integration in die Peer-Group