«Dogmen» in der Infektiologie:

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Transkript:

«Dogmen» in der Infektiologie: Mikrobiologische Diagnostik oder empirische Therapie?The role of host and viral determinants Dominique L. Braun und Huldrych Günthard Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene

Wie lautet der Plural von Dogma Dogmen Dogmata Beides ist korrekt

Wie lautet der Plural von Dogma

36-jährige Patientin St.n. akuter Aortendissektion Typ A 04/2010 Aortenwurzel- und Hemibogen-Esatz am 06.04.2010 Schwangerschaft 39. Woche, Entbindung eines gesunden Kindes Komplikationsloser postoperativer Verlauf Vorstellung beim Hausarzt 10/2010 Fieber seit 2 Wochen bis 39.6 C Rhinitis Beschwerden

Weiteres Vorgehen? Abnahme 2x2 BK und Beginn mit Augmentin 2x1g per os Wait-and-see mit klinischer Kontrolle Zuweisung ans Zentrumspital

Diagnose Graftinfekt Stechende Schmerzen retrosternal Diagnose einer Aortenklappen Endokarditis und retrosternale Flüssigkeitskollektion, DD: Graftinfekt Composite- und Hemibogen-Graftersatz Re-Operation kw = kein Wachstum

Weiterer Verlauf > 30 Operationen Kein eindeutiger Erregernachweis 20 Monate intravenöse Antibiotikatherapie mit > 10 Substanzen Innenohrtoxizität auf Aminoglykoside Hepatopathie auf Daptomycin Port-à-cath Infektion

Das sollten Sie von diesem Vortrag mit nach Hause nehmen KEINE empirische antibiotische Therapie ohne Diagnostik bei Fremdmaterial in situ (Graft, Herzklappen, Devices, etc.) Fehlendem klinischen Fokus «Red Flags» (z.b. Fieber >2 Wochen, Immunsuppression) «Aggressive» Diagnostik durchführen 2x2 Blutkulturen CT/PET Echokardiographie Niederschwellige Zuweisung an Zentrumspital

Dogma ambulant erworbene Pneumonie 1. In der Regel wird keine mikrobiologische Diagnostik betrieben bei einer ambulant erworbenen Pneumonie 2. SGINF guidelines: www.sginf.ch

Machen Sie mikrobiologische Diagnostik bei Verdacht auf eine ambulant erworbene Pneumonie? Praktisch immer Manchmal Sehr selten, oder praktisch nie

22-jähriger Ägypter Juli 2016, Vorstellung beim Hausarzt JL: trockener Husten, Kopf- und Gliederschmerzen, Temp. 39.7 C, Puls 120/min, BD 156/78mmHg, Atemfrequenz normal, CRP 282 mg/l, Leukozyten 11 000/ul mit Neutrophilie, Thrombo 141 000 PA: SA: Soziales: Reiseanamnese: Keine bekannten Vorerkrankungen, keine Medikamente, keine Noxen, keine bekannten Allergien In der Schweiz geboren und aufgewachsen, arbeitet als Spleisser, Eltern aus Ägypten Zuletzt vor 12 Monaten in Ägypten, sonst keine Reisen

Röntgen Thorax bei Erstvorstellung

Wie ist ihr Prozedere? Empirische antibiotische Behandlung, Augmentin Empirische antibiotische Behandlung, atypische Erreger Mikrobiologische Diagnostik, empirische Behandlung?

22-jähriger Ägypter, 3 Tage später Zunehmender Husten, Dyspnoe, Thorax-Schmerzen Temperatur 38.1 C, Puls 120/min, Blutdruck 125/87mmHg, Atemfrequenz 29/min Sauerstoff-Sättigung 93% mit 4-10 Liter Sauerstoff CRP Anstieg von 282mg/L auf 556mg/L

22-jähriger Ägypter, 3 Tage später

Welche mikrobiologischen Untersuchungen würden sie nun veranlassen? Respiratorische Viren Pneumokokken- und Legionellen Antigen, Mycoplasmen PCR Sputum, multiplex PCR respiratorische Viren, Pneumokokken- und Legionellen Antigen, Mykoplasmen- und Legionellen-PCR, Blutkulturen

22-jähriger Aegypter, 3 Tage später Übernahme auf die medizinische Intensivstation Therapie: Ceftriaxon 2g IV 24-stündlich Clarithromycin 500mg 12-stündlich Intubation und Beginn invasive Beatmung am 04.08.2016

Legionellen Pneumonie

Schwerer Verlauf Legionellen Pneumonie, ED 04.08.2016 Intubation akutes Nierenversagen Koagulopathie Antibiotische Therapie: Ceftriaxon 03.08.2016 04.08.2016 Clarithromycin 03.08.2016 04.08.2016 Levofloxacin 04.08.2016 23.08.2016

Gemeldete Fälle der Legionellen in der Schweiz 90% hospitalisiert!

Das sollten Sie von diesem Vortrag mit nach Hause nehmen Bei Verdacht auf ambulant erworbene Pneumonie in der Regel keine mikrobiologische Diagnostik, aber empirische Therapie (Amoxicillin ± Clavulansäure) Mikrobiologische Untersuchung allenfalls indiziert bei Patienten, bei denen Hospitalisation in Erwägung gezogen wird Verdacht auf atypische Pneumonie Vorliegen einer Immunsuppression Schwere Verläufe sind auch bei sonst gesunden, nicht immunkompromittierten Patienten möglich

70-jährige Patientin Bekanntes Harnblasen-Karzinom mit Ureterstenose Chronische Niereninsuffizienz (GFR 50ml/min) St.n. wiederholten Harnwegsinfektionen E. coli (Ciproxin S) > 6 Monaten Türkeiaufenthalt vor 1 Monat Aktuell Dysurie mit pathologischem Urinstatus Afebril; keine Klopfdolenz über Nierenlogen

Weiteres Vorgehen? Empirisch Beginn mit Ciproxin Abnahme Uricult und Beginn mit Ciproxin Uricult, Abwarten Resultat, gezielte Therapie

Kompliziert versus Unkompliziert www.sginf.ch

Nachweis ESBL E. coli Behandlung mit Bactrim forte 2x1 und Clamoxyl 2x1g für 7 Tage Beschwerdefreiheit

Weiteres Vorgehen? Dekolonisation mit topischem Chlorhexidin Wait-and-see Uricult; falls erneuter Nachweis von E. coli Behandlung auf 21 Tage verlängern

Das sollten Sie von diesem Vortrag mit nach Hause nehmen KEINE empirische antibiotische Therapie ohne Diagnostik bei: Rezidivierenden Harnwegsinfektionen in der Voranamnese Komplizierenden Faktoren «Problemkeimen in der Anamnese» und milder klinischer Symptomatik KEINE Therapiekontrolle nach Behandlung HWI KEINE verlängerte Therapie bei Problemkeimen (ESBLproduzierenden Erregern, MRSA, etc.)

Diskussion/Fragen?