Strafrecht Allgemeiner Teil II

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Transkript:

Strafrecht Allgemeiner Teil II Der Vorgang der Strafzumessung Teil 2 Festsetzung der konkreten Strafe Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi, LL.M., RA JOSITSCH/EGE/SCHWARZENEGGER, 5; STRATENWERTH AT II, 6

Überblick über den Inhalt der Veranstaltung Irrtumslehre Teil 2 Konkurrenzen Das Sanktionensystem des schweizerischen Rechts im Überblick Legitimation des staatlichen Strafens Die Strafen im geltenden schweizerischen Strafrecht Der Vorgang der Strafzumessung Die sichernden Massnahmen bei Erwachsenen Einziehung Strafantrag FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 2

Der Vorgang der Strafzumessung im Überblick Wenn eine Strafe festzulegen ist: 1. Bestimmung des in Betracht kommenden Strafrahmens a) Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens b) Erweiterung des Strafrahmens nach unten? wenn ein Strafmilderungsgrund gegeben ist c) Erweiterung des Strafrahmens nach oben? bei Strafschärfung nach Art. 49 StGB 2. Ermittlung der strafzumessungsrelevanten Umstände 3. Umsetzung in eine konkrete Strafe Bestimmung der Strafeinheiten Wahl der Strafart (GS/FS/Busse) 4. Entscheid über den Vollzug der Strafe Busse: immer unbedingt Geldstrafe: (voll)bedingt oder unbedingt Freiheitsstrafe: (voll)bedingt oder teilbedingt oder unbedingt In welcher Bandbreite kann die Strafe liegen (theoretische Mindest- / Höchststrafe)? Wie viele Strafeinheiten werden ausgefällt? Welche Art der Strafe ist zu verhängen (Busse/GS/FS)? FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 3

Problemaufriss: Von der «Strafbarkeit» des Täters zur «konkreten Strafe» Art. 115 StGB Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord: Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. «Der anzuwendende Strafrahmen reicht somit von 3 bis 180 Tagessätzen Geldstrafe bzw. von 3 Tagen bis 5 Jahren Freiheitsstrafe. Innerhalb dieses Rahmens ist die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu bemessen, wobei das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf sein Leben zu berücksichtigen sind (Art. 47 Abs. 1 StGB).» I. Tatbestand (+) II. Rechtswidrigkeit (+) III. Schuld (+) Strafdrohung: FS bis 5 Jahre oder GS FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 4

Strafmilderungs- / Strafschärfungsgründe als Zumessungsfaktoren: Strafmilderungs-/schärfungsgründe führen zu einer obligatorischen Minderung oder Erhöhung der Strafe innerhalb des ordentlichen Strafrahmens, d.h. die Höchststrafe muss bei der konkreten Strafzumessung unterschritten bzw. die Mindeststrafe muss überschritten werden. Die StA/das Gericht kann fakultativ auch eine Strafminderung/Straferhöhung innerhalb des erweiterten Strafrahmens vornehmen, falls das Verschulden des Täters dies verlangt. Beachte: BGE 136 IV 63: «Die tat- und täterangemessene Strafe ist grundsätzlich innerhalb des ordentlichen Strafrahmens der (schwersten) anzuwendenden Strafbestimmung festzusetzen. [Er] ist nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde erscheint.» FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 5

Strafmilderungs- / Strafschärfungsgründe als Zumessungsfaktoren: Strafmilderung (Art. 48a StGB) Erweiterung des ordentlichen Strafrahmens nach unten keine Bindung an Strafart Strafmilderungsgründe wirken innerhalb des ordentlichen Strafrahmens auch strafmindernd Strafminderung (Art. 47 StGB) Reduktion der Strafe innerhalb des ordentlichen Strafrahmens Beispiele: Versuch, verminderte SF, Art. 48 StGB Strafschärfung (Art. 49 StGB) 1.5-fache Erweiterung des ordentlichen Strafrahmens des schwersten Delikts nach oben Bindung an Strafartmaximum Der Strafschärfungsgrund (Art. 49 StGB) wirkt innerhalb des ordentlichen Strafrahmens auch straferhöhend Straferhöhung (Art. 47 StGB) Erhöhung der Strafe innerhalb des ordentlichen Strafrahmens FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 6

Strafmilderungs- / Strafschärfungsgründe als Zumessungsfaktoren: Wenn eine Strafe festzulegen ist: 1. Bestimmung des in Betracht kommenden Strafrahmens a) Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens b) Erweiterung des Strafrahmens nach unten? wenn ein Strafmilderungsgrund gegeben ist c) Erweiterung des Strafrahmens nach oben? bei Strafschärfung nach Art. 49 StGB 2. Ermittlung der strafzumessungsrelevanten Umstände 3. Umsetzung in eine konkrete Strafe Bestimmung der Strafeinheiten Wahl der Strafart (GS/FS/Busse) 4. Entscheid über den Vollzug der Strafe Busse: immer unbedingt Geldstrafe: (voll)bedingt oder unbedingt Freiheitsstrafe: (voll)bedingt oder teilbedingt oder unbedingt Strafmilderung/Strafschärfung Strafminderung/Straferhöhung FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 7

Konkrete Strafzumessung: Grundsätze Art. 47 StGB: Grundsatz 1 Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. 2 Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. Terminologie in der gerichtlichen Praxis: Täterkomponente (täterbezogene Verschuldenskomponenten) Tatkomponente (tatbezogene Verschuldenskomponenten) objektive Tatkomponenten subjektive Tatkomponenten FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 3

Konkrete Strafzumessung: Das Vorgehen der gerichtlichen Praxis im Überblick 1. Schritt: Bewertung der objektiven Tatschwere (objektive Tatkomponenten) Festsetzung einer sog. Einsatzstrafe* 2. Schritt: Erhöhung oder Verminderung der Einsatzstrafe im Hinblick auf Subjektive Tatkomponenten (vgl. Art. 47 Abs. 2 StGB) Täterkomponenten (Art. 47 Abs. 1 Satz 2 StGB) die präventive Notwendigkeit der Strafe? sonstige Umstände? *Abweichende Begriffe und Methode bei der Bildung einer Gesamtstrafe nach Art. 49 Abs. 1 StGB Art. 47 StGB: Grundsatz 1 Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. 2 Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 9

Konkrete Strafzumessung Kriterien zur Bestimmung der Einsatzstrafe: Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts = Tatfolgen Verwerflichkeit des Handelns = Tatvorgehen Leitende Fragestellung: Inwieweit weicht das Vorgehen von dem für die Tatbestandsverwirklichung «Notwendigen» ab? Doppelverwertungsverbot beachten Art. 47 Abs. 2 StGB: Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. 1. Schritt: Bewertung der objektiven Tatschwere (der objektiven Tatkomponenten) Einsatzstrafe 2. Schritt: Erhöhung oder Verminderung der Einsatzstrafe im Hinblick auf Subjektive Tatkomponenten (vgl. Art. 47 Abs. 2 StGB) Täterkomponenten (Art. 47 Abs. 1 Satz 2 StGB) die präventive Notwendigkeit der Strafe? sonstige Umstände? FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 10

Konkrete Strafzumessung Kriterien zur Bestimmung der Einsatzstrafe: Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts Anwendungsbeispiele: 1. A wird der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig befunden. 2. A wird der Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz (Verkehrsregelverletzung i.s. von Art. 90 Abs. 2 SVG durch Rotlichtverstoss) schuldig befunden. 3. A wird des Diebstahls schuldig befunden. Welche Umstände können für die Strafzumessung relevant sein? Art. 47 Abs. 2 StGB: Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. 1. Schritt: Bewertung der objektiven Tatschwere (der objektiven Tatkomponenten) Einsatzstrafe 2. Schritt: Erhöhung oder Verminderung der Einsatzstrafe im Hinblick auf Subjektive Tatkomponenten (vgl. Art. 47 Abs. 2 StGB) Täterkomponenten (Art. 47 Abs. 1 Satz 2 StGB) die präventive Notwendigkeit der Strafe? sonstige Umstände? FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 11

OStA ZH, STRAFMASSEMPFEHLUNGEN vom 01. März 2018

Konkrete Strafzumessung Kriterien zur Bestimmung der Einsatzstrafe (objektive Tatkomponenten): «Verwerflichkeit des Handelns» = konkrete Art und Weise des Vorgehens des Täters, insbesondere: Tatmodalitäten nach Ort, Zeit, Dauer, Mitteln, Schwere der Pflichtverletzung Art der Tatausführung («kriminelle Energie», z.b. Planungsgrad, Raffinesse, Hierarchiestufe etc.) Mitverschulden des Opfers und/oder eines Dritten: Ist dem Täter die Tat «leicht gemacht» worden und/oder ist er provoziert worden? Art. 47 Abs. 2 StGB: Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. 1. Schritt: Bewertung der objektiven Tatschwere (der objektiven Tatkomponenten) Einsatzstrafe 2. Schritt: Erhöhung oder Verminderung der Einsatzstrafe im Hinblick auf Subjektive Tatkomponenten (vgl. Art. 47 Abs. 2 StGB) Täterkomponenten (Art. 47 Abs. 1 Satz 2 StGB) die präventive Notwendigkeit der Strafe? sonstige Umstände? FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 13

Konkrete Strafzumessung Art. 47 Abs. 2 StGB: Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. Erhöhung oder Verminderung der Einsatzstrafe durch eine Bewertung der Beweggründe/Motive/Zielsetzungen des Täters (z.b. Mitleid, Egoismus, Eventualvorsatz wiegt weniger schwer als direkter Vorsatz) der Vermeidungsmöglichkeit des Täters («Wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden»), z.b. Verzweiflung, Druck 1. Schritt: Bewertung der objektiven Tatschwere (der objektiven Tatkomponenten) Einsatzstrafe 2. Schritt: Erhöhung oder Verminderung der Einsatzstrafe im Hinblick auf Subjektive Tatkomponenten (vgl. Art. 47 Abs. 2 StGB) Täterkomponenten (Art. 47 Abs. 1 Satz 2 StGB) die präventive Notwendigkeit der Strafe? sonstige Umstände? FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 14

Konkrete Strafzumessung Erhöhung oder Verminderung der Einsatzstrafe durch eine Berücksichtigung des Vorlebens des Täters (gem. BGer inkl. Vorstrafen problematisch!) und der persönlichen Verhältnisse zur Tatzeit der Strafempfindlichkeit des Täters («Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters»), Kriterien: Vorbelastung durch bereits verhängte Strafen? soziale Situation des Täters im Zeitpunkt der Aburteilung physischer/psychischer Zustand des Täters im Zeitpunkt der Aburteilung Art. 47 Abs. 1 StGB: Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. 1. Schritt: Bewertung der objektiven Tatschwere (der objektiven Tatkomponenten) Einsatzstrafe 2. Schritt: Erhöhung oder Verminderung der Einsatzstrafe im Hinblick auf Subjektive Tatkomponenten (vgl. Art. 47 Abs. 2 StGB) Täterkomponenten (Art. 47 Abs. 1 Satz 2 StGB) die präventive Notwendigkeit der Strafe? sonstige Umstände? FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 15

Konkrete Strafzumessung Berücksichtigung spezial- und/oder generalpräventiver Gesichtspunkte als straferhöhender Faktor? Beispiele: X ist Mitglied einer Bande von Kriminaltouristen, die auf Vermögensdelikte spezialisiert ist. Der Staatsanwalt ist der Meinung, dass die Verhängung einer sehr empfindlichen Freiheitsstrafe notwendig und angezeigt ist, weil nur so X und andere Personen aus seinem Umfeld davon abgehalten werden können, sich weiterhin als Kriminaltouristen in der Schweiz zu betätigen. Die Erschleichung von Sozialhilfe hat sich zu einem zunehmenden Problem entwickelt. Staatsanwalt S ist der Meinung, dass man mit empfindlichen Strafen ein Zeichen setzen muss. 1. Schritt: Bewertung der objektiven Tatschwere (der objektiven Tatkomponenten) Einsatzstrafe 2. Schritt: Erhöhung oder Verminderung der Einsatzstrafe im Hinblick auf Subjektive Tatkomponenten (vgl. Art. 47 Abs. 2 StGB) Täterkomponenten (Art. 47 Abs. 1 Satz 2 StGB) die präventive Notwendigkeit der Strafe? sonstige Umstände? FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi 16

Konkrete Strafzumessung Berücksichtigung spezial- und/oder generalpräventiver Gesichtspunkte als strafmindernder Faktor? Beispiele: 1. Der wegen vorsätzlicher Tötung schuldige Täter hat sich seit der lange Zeit zurück liegenden Tat bestens sozial eingegliedert. 2. Der Täter hat vor einiger Zeit eine Strafnorm verletzt, die zwischenzeitlich ausser Kraft getreten ist, die aber als Zeitgesetz weiterhin verfolgt werden muss. Die Tat liegt so weit zurück, dass demnächst die Verjährung eintreten würde. 1. Schritt: Bewertung der objektiven Tatschwere (der objektiven Tatkomponenten) Einsatzstrafe 2. Schritt: Erhöhung oder Verminderung der Einsatzstrafe im Hinblick auf Subjektive Tatkomponenten (vgl. Art. 47 Abs. 2 StGB) Täterkomponenten (Art. 47 Abs. 1 Satz 2 StGB) die präventive Notwendigkeit der Strafe? sonstige Umstände? FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi 17

Konkrete Strafzumessung Sonstige Umstände, die strafzumessungsrelevant sein können: sonstige Folgen der Straftat für das Opfer (z.b. Opfer muss Wohnung aufgeben, weil es sich in dieser nach einem Einbruchdiebstahl nicht mehr wohl fühlt) sonstige Folgen der Straftat für den Täter (z.b. Arbeitsplatzverlust durch Strafverfahren, Vorverurteilung durch die Medien) Zeitablauf zwischen Tat und Aburteilung; (Über-)Länge des Strafverfahrens unfaires Verhalten des Staates kooperatives/renitentes Verhalten des Täters im Strafverfahren (str.), Delinquenz während laufender Strafuntersuchung oder in PZ nach bedingter Entlassung 1. Schritt: Bewertung der objektiven Tatschwere (der objektiven Tatkomponenten) Einsatzstrafe 2. Schritt: Erhöhung oder Verminderung der Einsatzstrafe im Hinblick auf Subjektive Tatkomponenten (vgl. Art. 47 Abs. 2 StGB) Täterkomponenten (Art. 47 Abs. 1 Satz 2 StGB) die präventive Notwendigkeit der Strafe? sonstige Umstände? FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 18

Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Strafzumessungsfaktoren in ein konkretes Strafmass Probleme: 1. Wo ist der Ankerpunkt für die Schwereskala? 2. Wie sind die einzelnen Faktoren in sich und zueinander zu gewichten? 3. Anhand welcher Faktoren ist zu entscheiden, welche Strafart die angemessene ist? FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Seite 19

Das Verhältnis der Strafarten zueinander Strafmass Freiheitsstrafe Geldstrafe Busse bis 6 Monate FS bzw. 180 TS GS (+) (+) (-), vgl. aber Art. 42 Abs. 4 StGB (Verbindungsbusse bei bedingter Strafe möglich) > 6 Monate FS (+) (-) (-), vgl. aber Art. 42 Abs. 4 StGB Übertretung (-) (-) (+) FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 20

Konkurrenz und retrospektive Konkurrenz (Art. 49 StGB) Gesamtstrafe Zusatzstrafe Grundlegend BGE 142 IV 265 ff. FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 21

Gesamtstrafenbildung bei echter Konkurrenz Beispiel: Der Angeklagte wird des Diebstahls (Art. 139 Ziff. 1 StGB) und der Sachbeschädigung (Art. 144 Abs. 1 StGB) schuldig gesprochen. Art. 139 Ziff. 1 StGB Diebstahl: Wer jemandem wegnimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Art. 144 Abs. 1 StGB Sachbeschädigung: Wer eine Sache beschädigt wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Art. 49 Abs. 1 Konkurrenz: Hat der Täter [ ] die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen. Dabei ist es an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden. Ausgangslage: Echte Konkurrenz + gleichartige Strafen (BGer: konkrete Methode) Strafzumessung nach dem Asperationsprinzip (Art. 49 Abs. 1 StGB): Ausgangspunkt ist die Strafe für das schwerste Delikt (Einsatzstrafe). Diese Strafe wird unter Berücksichtigung der anderen Tat(en) angemessen erhöht (= Verhängung einer FS/GS/Busse als Gesamtstrafe). FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 22

Vorgehen bei der Bildung einer Gesamtstrafe nach Art. 49 Abs. 1 StGB I. Ermittlung der Delikte, die im konkreten Fall mit gleichartigen Strafen zu sanktionieren sind. II. Gesamtstrafenbildung für diese Gruppe von Delikten: Erster Schritt: Ermittlung der schwersten Tat anhand der abstrakten Strafdrohung. Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens für diese Tat. Zweiter Schritt: Bestimmung der Strafe für diese Tat innerhalb des ordentlichen Strafrahmens unter Einbezug aller straferhöhenden und strafmindernden Umstände (sog. Einsatzstrafe*). Dritter Schritt: «Angemessene Erhöhung» dieser Strafe unter Einbezug der anderen Taten zu einer Gesamtstrafe (= FS/GS/Busse als Gesamtstrafe). Sie darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Grenzen der Strafschärfung: bis max. bis 1.5 x der angedrohten Strafe der schwersten Tat Bindung an Höchstmass der jeweiligen Strafart *Beachte: Der Begriff «Einsatzstrafe» hat bei der GS-Bildung eine andere Bedeutung als bei der Strafzumessung für das Einzeldelikt (dort: Einsatzstrafe gem. objektiver Tatschwere). FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 23

Retrospektive Konkurrenz Art. 49 Abs. 2 StGB Konkurrenz: Hat das Gericht eine Tat zu beurteilen, die der Täter begangen hat, bevor er wegen einer andern Tat verurteilt worden ist, so bestimmt es die Zusatzstrafe in der Weise, dass der Täter nicht schwerer bestraft wird, als wenn die strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären. Ausgangslage: Ein Täter wird wegen einer Straftat oder wegen mehreren Straftaten verurteilt. In einem späteren Strafverfahren wird er schuldig gesprochen wegen eines oder mehrerer Delikte, die er vor dem ersten Urteil begangen hat (massgebender Zeitpunkt: Datum des Ersturteils nicht der Urteilseröffnung). Grundlegend BGE 142 IV 265 ff.; vgl. ausserdem BGE 142 IV 329 (Zusatzstrafe nur zu inländischen Urteilen) FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 24

Anwendungsbeispiel: retrospektive Konkurrenz X begeht am 1.5.2015 eine schwere Körperverletzung. Zwei Wochen später vergewaltigt er Y. Diese zeigt ihn an. Im September 2016 kommt es zu einer rechtskräftigen Verurteilung von 4 Jahren Freiheitsstrafe für die Vergewaltigung. Im Oktober 2016 ergeben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, dass X der Täter der schweren Körperverletzung ist. Sie klagt den X an. Der Richter kommt nach der Beweislage zum Schluss, dass A wegen einer schweren Körperverletzung zu verurteilen ist. Er fragt sich allerdings, wie sich dieses Urteil auf das frühere Urteil vom September 2016 auswirkt? schwere KV 1.5.2015 Vergewaltigung von Y Mitte Mai 2015 Ersturteil Sept. 2016 heute zu fällendes Urteil 4 Jahre FS (sog. «Grundstrafe») Zusatzstrafe? FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 25

Wie muss die Strafbehörde vorgehen, die das zweite Urteil zu erlassen hat? 1. Am ersten Urteil ändert sich nichts! 2. Die Strafbehörde, die das zweite Urteil zu erlassen hat, bildet nach den Grundsätzen von Art. 49 Abs. 1 StGB eine hypothetische Gesamtstrafe für alle Straftaten, auch für die bereits im ersten Urteil abgeurteilten. Nur zulässig, wenn der Zweitrichter für die neu zu beurteilende Tat die gleiche Strafart verhängen würde, wie sie der Erstrichter bei der Grundstrafe gewählt hat. Ungleichartige Strafen sind wie sonst auch separat zu verhängen. Besonderheit: Unabänderlichkeit der Grundstrafe. Der Zweitrichter darf für die rechtskräftige Grundstrafe keine andere Strafdauer/Strafart/Vollzugsform annehmen, als es der Erstrichter getan hat! 3. Die Differenz zwischen der hypothetischen Gesamtstrafe und der effektiv bereits verhängten, rechtskräftigen Grundstrafe wird im zweiten Urteil als sogenannte Zusatzstrafe verhängt. Kurz: hypothetische Gesamtstrafe MINUS Grundstrafe = Zusatzstrafe FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 26

Vorgehen bei der Bildung einer Zusatzstrafe im Einzelnen Erster Schritt: Provisorische Festsetzung der Strafe inklusive Wahl der Strafart für das «neue» Delikt. Zweiter Schritt: Entscheid, ob das «neue» Delikt die abstrakt «schwerste Straftat» (vgl. Art. 49 Abs. 1 StGB) darstellt oder ob die schwerste Straftat in der bereits verhängten Grundstrafe enthalten ist. Dritter Schritt: Bildung der hypothetischen Gesamtstrafe und Ermittlung der Zusatzstrafe a. Wenn die schwerste Tat in der Grundstrafe enthalten ist: Erhöhung der bereits rechtskräftig verhängten Grundstrafe durch angemessenen Anteil der «neuen» Strafe zu einer hypothetischen (gedanklichen) Gesamtstrafe. Von der so ermittelten hypothetischen Gesamtstrafe ist die Grundstrafe abzuziehen = Zusatzstrafe. b. Wenn das «neue» Delikt die schwerste Straftat darstellt: Erhöhung der Strafe für dieses Delikt durch angemessenen Anteil der Grundstrafe zu einer hypothetischen (gedanklichen) Gesamtstrafe. Von der so ermittelten hypothetischen Gesamtstrafe ist die Grundstrafe abzuziehen = Zusatzstrafe. FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 27

Anwendungsbeispiel: retrospektive Konkurrenz Art. 190 Abs. 1 StGB Vergewaltigung: Wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 10 Jahren bestraft. 4 Jahre FS (rechtskräftige «Grundstrafe») Art. 122 StGB schwere Körperverletzung: Wer vorsätzlich [ ], wird mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren bestraft FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 28

Spezialfall: Anrechnung der Untersuchungshaft Auszug aus OGer ZH, Urteil SB160463 v. 3. April 2017 (Berufungsverfahren)

Spezialfall: Anrechnung der Untersuchungshaft Art. 51 StGB Anrechnung der Untersuchungshaft Das Gericht rechnet die Untersuchungshaft, die der Täter während dieses oder eines anderen Verfahrens ausgestanden hat, auf die Strafe an. Ein Tag Haft entspricht einem Tagessatz Geldstrafe. Art. 110 Abs. 7 StGB Begriffe: Untersuchungshaft ist jede in einem Strafverfahren verhängte Haft, Untersuchungs-, Sicherheits- und Auslieferungshaft. Anrechnung von Amtes wegen auf die ausgefällte Strafe gilt auch für die im Ausland erlittene Auslieferungshaft und Freiheitsentzug in einer Heiloder Pflegeanstalt zum Zwecke der Begutachtung i.s.v. Art. 20 StGB FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Seite 30

Praxisbeispiel Strafzumessung: Schlägerei in einem Club «1. Strafrahmen Einfache Körperverletzung wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (Art. 123 Ziff. 1 StGB). Die Geldstrafe beträgt [mindestens 3 und höchstens 180 Tagessätze]. Die Freiheitsstrafe [mindestens 3 Tage]. Das Gesetz sieht also Strafen [von drei Tagessätzen] Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe für Einfache Körperverletzungen vor. Innerhalb dieses weiten Rahmens misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters (Art. 47 Abs. 1 StGB). Urteil Einzelrichter Bezirksgericht Zürich FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi 31

Praxisbeispiel Strafzumessung: Schlägerei in einem Club 1.1. Objektive Tatkomponente Der Tatbestand der Einfachen Körperverletzung reicht von kleinsten Verletzungen an der Schwelle zu den Tätlichkeiten bis zu gravierenden Schäden, die gerade noch nicht unter eine der Varianten der schweren Körperverletzung (Art. 122 StGB) fallen. Der Privatkläger erlitt keine Bagatellverletzung, von der er nach wenigen Tagen nichts mehr spürte. Er war zwei Tage im Spital, erhielt Physiotherapie verordnet und war auch über den Spitalaufenthalt hinaus arbeitsunfähig (act. 8/1; act. 40/1; act. 40/3). Die zugefügten Verletzungen sind jedoch auch weit von einer schweren Körperverletzung entfernt. Teilt man Einfache Körperverletzungen in leichte, mittlere und schwere Fälle ein, so liegt die Tat im unteren bis mittleren Bereich. Urteil Einzelrichter Bezirksgericht Zürich FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi 32

Praxisbeispiel Strafzumessung: Schlägerei in einem Club 1.1. Objektive Tatkomponente (Forts.) Derartige Taten werden in ihrer Mehrheit durch Strafbefehle geahndet, die in Rechtskraft erwachsen. Die Strafmassempfehlungen der Oberstaatsanwaltschaft vom 8. November 2006 können deshalb beim Festsetzen einer Einsatzstrafe nicht gänzlich ausser acht gelassen werden, sind allerdings auch nicht unkritisch anzuwenden. In ihrer aktuellen Fassung sehen die Strafmassempfehlungen der Oberstaatsanwaltschaft für einfache Körperverletzungen, "sofern die Verletzungen nicht über Quetschungen, Schürfungen und Kratzwunden oder verhältnismässig rasch und problemlos völlig ausheilende Knochenbrüche oder Hirnerschütterungen hinausgehen", Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen vor (vgl ). Das ist eher wenig, wenn man bedenkt, dass dieselben Empfehlungen für einen Entreissdiebstahl oder einen Wohnungseinbruch ebenfalls 90 Tagessätze Geldstrafe empfehlen. Das Opfer einer Körperverletzung mit Hirnerschütterung oder Knochenbruch leidet in aller Regel länger und stärker an den Folgen der Tat als das Opfer eines Einbruchs oder Entreissdiebstahls. Die Einsatzstrafe ist über diesen Empfehlungen bei 120 Tagessätzen Geldstrafe festzusetzen. Urteil Einzelrichter Bezirksgericht Zürich FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi 33

Praxisbeispiel Strafzumessung: Schlägerei in einem Club 1.2. Subjektive Tatkomponente Was die subjektive Tatschwere betrifft, ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte in Überschreitung der Notwehr gehandelt hat. Das rechtfertigt eine mildere Strafe (Art. 16 Abs. 1 StGB). Seite Tat ist allerdings auch weit von einem Notwehrexzess aus Affekt (Art. 16 Abs. 2 StGB) entfernt. Als Beweggrund gab der Beschuldigte zwar seine Angst an, von einer ganzen Gruppe zusammengeschlagen zu werden (act. 35 S. 3). Das kann nicht sein wahres Motiv gewesen sein, diese Gefahr bestand erkennbar nicht. Der Beschuldigte hat aus dem Impuls gehandelt, sich das Schubsen und die Anmache seiner entfernten Verwandten durch einen Betrunkenen nicht gefallen zu lassen. Dabei liess er sich zu übermässiger Gewaltanwendung hinreissen. Nichtsdestotrotz erscheint sein Verschulden klar geringer, als es ohne die Notwehrlage ausfiele. Die subjektive Seite der Tat führt zu einer reduzierten Einsatzstrafe von 90 Tagessätzen Geldstrafe. Urteil Einzelrichter Bezirksgericht Zürich FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi 34

Praxisbeispiel Strafzumessung: Schlägerei in einem Club 1.3. Täterkomponente Die persönlichen Verhältnisse des heute 35jährigen, allein stehenden Beschuldigten (act. 6 S. 4f.) sind strafzumessungsneutral. Insbesondere weist der Beschuldigte keine Vorstrafen auf, die zu berücksichtigen wären (act. 14/1). Der Beschuldigte hat sich nicht schuldig bekannt, sondern Notwehr geltend gemacht. Das ändert nichts daran, dass er den Sachverhalt grundsätzlich eingeräumt hat, was strafmindernd zu berücksichtigen ist. Die Strafe ist deshalb auf 70 Tagessätze Geldstrafe festzusetzen. Der Tagessatz von Fr. 100.-- ist bei einem jährlichen Nettoeinkommen von knapp Fr. 70'000.-- (act. 6 S. 4) angemessen. Das stellt auch die Verteidigung nicht in Frage.» Urteil Einzelrichter Bezirksgericht Zürich FS 2018 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi 35