1.4 Zufallsvariablen und ihre Verteilung

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Zufallsvariablen [random variable]

Transkript:

1.4.1 Diskrete Zufallsvariablen Ein Zufallsexperiment wird beschrieben durch einen Grundraum Ω und eine Wahrscheinlichkeit P auf Ω. Häufig interessieren nicht die Ergebnisse an sich, sondern bestimmte abgeleitete Eigenschaften/Konsequenzen. 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 125

Bsp. 1.44. [Würfelwurf mit fairem Würfel; Spiel mit Auszahlungsregel] 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 126

Bem. 1.45. Gegeben seien ein diskreter, d.h. höchstens abzählbarer, Ergebnisraum Ω und die Wahrscheinlichkeit P auf Ω. Jede Abbildung X : Ω Ω X ω X(ω) heißt Zufallselement. Setzt man für jede Realisation x Ω X P X ({x}) := P ({X = x}) := P ({ω X(ω) = x}), so erhält man eine Wahrscheinlichkeit auf Ω X. (Oft wird auch P (X = x) statt P ({X = x}) geschrieben.) P X heißt Wahrscheinlichkeitsverteilung von X. X (als Variable) beschreibt den Ausgang eines Zufallsexperiments vor der Durchführung (Auszahlungsregel beim Würfelspiel: wenn 3 dann 10 Euro, wenn..., dann... ). 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 127

x (als Realisation) gibt den Wert der Variablen nach Durchführung des Zufallsexperiments an (daher Realisation, konkreter Auszahlungsbetrag). Weiteres Beispiel: * X Größe der nächsten eintretenden Person (als Messvorschrift) * x Wert, z.b. 167 cm In der Verwendung analog zur Unterscheidung Merkmal / Merkmalsausprägung in Statistik I (siehe später). Es ist häufig üblich, bei P X den Index wegzulassen, also P ({x}) statt P X ({x}) zu schreiben. Ist Ω X R, so bezeichnet man das Zufallselement X als Zufallsvariable. In der Literatur wird der Begriff Zufallselement relativ selten verwendet, gerade aber in den Sozialwissenschaften sind oft nicht reelle Zahlen im Sinne einer metrischen Skala gegeben: Zufallselemente umfassen auch nominal- und ordinalskalierte Merkmale. 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 128

Definition 1.46. Gegeben sei eine diskrete Zufallsvariable X mit der Wahrscheinlichkeitsverteilung P. Die Menge X := {x R P ({x}) > 0} heißt Träger von X. 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 129

Bem. 1.47. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion f(x) einer diskreten Zufallsvariable X ist für x R definiert durch f(x) := { P (X = xi ) = p i, x = x i X = {x 1, x 2,..., x k,...} 0, sonst. Man kann {X = x i } mit x i X als Elementarereignisse sehen. Durch die Wahrscheinlichkeitsfunktion ist also die ganze Wahrscheinlichkeitsverteilung eindeutig bestimmt. Für beliebige Mengen A erhält man: P (X A) = P (X = x i ) = f(x i ) x i A X x i A X 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 130

Bsp. 1.48. [Zum Rechnen mit Zufallsvariablen] Sei X die Zufallsvariable Anzahl der Haushaltsmitglieder mit der Verteilung P ({X = 1}) = 0.4 = f(1) P ({X = 2}) = 0.3 = f(2) P ({X = 3}) = 0.2 = f(3) P ({X = 4}) = 0.1 = f(4) (Annahme: Nur bis zu 4-Personen-Haushalte). Man berechne die Wahrscheinlichkeit, bei reiner Zufallsauswahl vom Umfang 1 einen Mehrpersonenhaushalt zu erhalten und die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses Die Zahl der Haushaltsmitglieder ist gerade. P ({X > 1}) = P ({X = 2}) + P ({X = 3}) + P ({X = 4}) = f(2) + f(3) + f(4) = 0.3 + 0.2 + 0.1 = 0.6 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 131

alternativ: P ({X > 1}) = 1 P ({X 1}) = 1 P ({X = 1}) = 0.6 P ({X = 2} {X = 4}) disjunkt = P ({X = 2}) + P ({X = 4}) = f(2) + f(4) = 0.3 + 0.1 = 0.4 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 132

Bsp. 1.49. [Benfords Gesetz] Simon Newcomb (1835 1909) und später Frank Benford (1883 1948) machten die (zunächst) verblüffende Entdeckung, dass die Anfangsziffern 1 9 von ganzen Zahlen in vielen Fällen nicht gleich häufig vorkommen. Am häufigsten ist die Anfangsziffer 1, am zweithäufigsten die Anfangsziffer 2 usw. Beispiele sind die Häufigkeit der Anfangsziffern von Zahlen in Zeitungsartikeln die Häufigkeit der Anfangsziffern von in Steuererklärungen angebenen Beträgen die Häufigkeit der ersten Ziffer der Dateigröße von gespeicherten Dateien. in regionalen, nicht bevölkerungsproportional organisierten Stimmkreisen die Anzahl der abgegebenen Stimmen bei einer Wahl 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 133

f(x) 0.05.1.15.2.25.3 1 2 3 4 5 6 7 8 9 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 134

Benford postulierte für die Zufallsvariable X = Anfangsziffer von Zahlen die Wahrscheinlichkeitsfunktion f(x) = P (X = x) = ( ) x + 1 log 10, x x = 1,..., 9 0, sonst 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 135

Bem. 1.50. [Induktive Brücke II] : Gegeben sei eine Grundgesamtheit G (z.b. alle Wähler(innen)). Wir betrachten eine reine Zufallsauswahl mit Ergebnisraum S = G G... G mit Ergebnissen s = (s 1, s 2,..., s n ), wobei s i der beim i-ten Zug gezogenen Einheit, also z.b. dem i-ten gezogenen Wähler entspricht. Betrachtet man nun ein Merkmal X : G {a 1,... a k } und die Ereignisse A ij = i-te gezogene Person hat Merkmalsausprägung a j. Stehen z.b. a 1, a 2,... für bestimmte Parteien, so gibt X : G {CDU/CSU, SPD,... } für jede(n) Wähler(in) g G ihre/seine Wahlentscheidung X(g) an. Die Ereignisse A ij sind nun durch Zufallselemente beschreibbar: 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 136

Sei X i die Auswertung des Merkmals X an der i-ten zufällig ausgewählten Person, d.h. an s i, so ist X i ein Zufallselement X i : G Ω X = {a 1,..., a k } ω X(ω i ) Das Ereignis A ij lässt sich dann schreiben als {X i = a j }. Es gilt also für jedes i (z.b. Nummer des Wählenden in der Stichprobe) und j (z.b. Name der Partei) P Xi ({a j }) = P ({X i = a j }) = P (A ij ) = f j. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Zufallselements X i (Stichprobe!) spiegelt also genau die Häufigkeitsverteilung des Merkmals X (Grundgesamtheit!) wider. 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 137

Fasst man man die einzelnen X i zusammen, so bezeichnet man den Vektor (X 1, X 2,..., X n ) als i.i.d. Stichprobe oder reine Zufallsstichprobe des Merkmals X. Die Abkürzung i.i.d. steht für independently (die einzelnen Ziehungen sind stochastisch unabhängig) identically distributed (jedes X i besitzt dieselbe Wahrscheinlichkeitsverteilung) Nach dem Durchführen des Zufallsexperiments und der Auswertung von X erhält man die Realisationen x 1 := X 1 (s 1 ), x 2 := X 2 (s 2 ),..., x n := X n (s n ), also einen Vektor (x 1, x 2,..., x n ), der formal korrekt als Realisation oder Stichprobenrealisation der i.i.d. Stichprobe (X 1, X 2,..., X n ) bezeichnet werden würde, allgemein üblich aber einfach auch als Stichprobe bezeichnet wird. Man nimmt diese Stichprobe als Realisation der Stichprobe X 1,..., X n und versucht jetzt auf die Grundgesamtheit, genauer auf die f 1,..., f n, zu schließen. 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 138

Koppelt man die einzelnen Zufallsexperimente, so kann man die sogenannte gemeinsame Verteilung der X 1, X 2,..., X n berechnen. P ({X 1 = x 1 } {X 2 = x 2 }... {X n = x n }) = P ({X 1 = x 1 }) P ({X 2 = x 2 })... P ({X n = x n }) und damit für jede potentielle Stichprobe(nrealisation) die Wahrscheinlichkeit, genau sie zu erhalten. In ihr finden sich wieder die Häufigkeitsverhältnisse der Grundgesamtheit wieder ( Repräsentativität ). 1 Wahrscheinlichkeitsrechnung 139