Das neue Erwachsenenschutzgesetz im Lichte der Intensivmedizin 10. NÖ Intensivpflegekongress Wr. Neustadt 13./14. September 2018 1
Warum nun ein neues Gesetz? Personen, die ihre (Rechts-) Angelegenheiten selbst nicht ohne der Gefahr eines Nachteils besorgen können, stehen seit jeher unter dem besonderen Schutz der Gesetze. Und dieser Schutz wurde in rechtshistorischer Sicht stets unter anderen Grundüberlegungen gewährt: Entmündigungsordnung: 1916 1984 Sachwalterrecht: 1984 2018 Erwachsenenschutzrecht: 2018 Zukunft Start bereits am 1.7.2018 Autonomie rückt mehr in den Vordergrund! 2
Wer ist nun wie zu schützen? Minderjährige (0-17,99 Jahre) ab 14. Lebensjahr eigene Entscheidungen in persönlichen Agenden (z.b. medizinische Behandlung), nur bei schweren/nachhaltigen Behandlungsentscheidungen parallel auch die Erziehungsberechtigten Erwachsene (ab 18. Geburtstag) In der Regel entscheidungsfähig! Schutz für Personen mit psychischer bzw. intellektueller/kognitiver Beeinträchtigung (irrelevant ob kurzfristig oder auf Dauer) Relevant für Behandlungsentscheidungen: Entscheidungsfähigkeit! 3
Eigene Entscheidungen treffen im Gesundheitswesen und Grenzziehung für Vertretung
Behandlungsentscheidung 5
Entscheidungsfähigkeit Entscheidungsfähige Personen entscheiden stets selbst. Eine Vertretung ist ausgeschlossen. Patient hat auch das Recht zur Unvernunft, solange eine ernste/erhebliche Gefahr izm einer psychischen Krankheit ausgeschlossen werden kann. Entscheidungsfähigkeit nach den gesetzlichen Vorgaben ( 24 ABGB): Entscheidungsfähig ist, wer 1) die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, 2) seinen Willen danach bestimmen und 3) sich entsprechend verhalten kann. Dies wird im Zweifel bei Volljährigen vermutet. 6
Entscheidungsfähigkeit Entscheidungsfähige Personen entscheiden stets selbst. Eine Vertretung ist ausgeschlossen. Patient hat auch das Recht zur Unvernunft, solange eine ernste/erhebliche Gefahr izm einer psychischen Krankheit ausgeschlossen werden kann. Entscheidungsfähigkeit nach den gesetzlichen Vorgaben ( 24 ABGB): Entscheidungsfähig ist, wer 1) die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, 2) seinen Willen danach bestimmen und 3) sich entsprechend verhalten kann. Dies wird im Zweifel bei Volljährigen vermutet. 7
Beeinträchtigungen dieser Fähigkeit Bei psychischer Krankheit oder Symptome / Verhaltensweisen, die darauf schließen lassen (ICD-10/11, DSM V) Intellektuelle / kognitive Beeinträchtigung Auch vorübergehende Zustände, ausgelöst durch Substanzen (Alkohol, Drogen, Medikationsüberdosierung etc.); aber auch delirante / postoperative Zustandsbilder Einschätzung durch Gesundheitspersonal (alle, nicht nur Ärzte!) 8
Quelle: Konsensuspapier Justizministerium, 2018 9
Quelle: Konsensuspapier Justizministerium, 2018 10
Vertretungsmodelle bei Entscheidungsunfähigkeit
Neue Vertretungsmodelle Selbstbestimmung Fremdbestimmung Registrierung im ÖZVV Registrierung im ÖZVV Registrierung im ÖZVV Gerichtsbeschluss ÖZVV: Österr. Zentrales Vertretungsverzeichnis; Quelle Graphik: Justizministerium 12
Übergang: Vom Sachwalter zum Erwachsenenvertreter Sachwalterschaften wurden per 1.7.2018 automatisch zu gerichtlichen Erwachsenenvertretungen. Übergeleitete Sachwalterschaften müssen von den Gerichten in den nächsten Jahren von Amts wegen im Wege eines Erneuerungsverfahrens in reguläre gerichtliche Erwachsenenvertretungen umgewandelt werden. Ohne Erneuerungsverfahren erlöschen sie automatisch mit 1.1.2024! 13
Bedeutung im Berufsalltag
Behandlungsentscheidung 15
Vorgehen bei Behandlung 1. Zeitkritischer Notfall (keine Zustimmung erforderlich; indizierte Maßnahmen sind einzuleiten) 2. Entscheidungsfähiger Patient entscheidet selbst (Zustimmung/Ablehnung) 3. Patient fraglich entscheidungsfähig => Unterstützung in der Entscheidungsfindung 4. Patient nicht entscheidungsfähig => Vertreter beiziehen (Vorsorgebevollmächtigter, Erwachsenenvertreter) 16
Details zum Notfall I Liegt tatsächlich ein zeitkritischer Notfall vor, der unmittelbare Handlungseinleitung erfordert? Entscheidungsfähige Notfallpatienten sind auch aufzuklären und ihre Einwilligung einzuholen. Nur bei fraglich bzw. nicht entscheidungsfähigen Notfallpatienten ist eigenmächtiges therapeutisches Vorgehen erlaubt. Hier kann auch die Aufklärung entfallen. Wie lautet der Gesetzestext ( 253/3 ABGB): Die Zustimmung des Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreters ist nicht erforderlich, wenn mit der damit einhergehenden Verzögerung eine Gefährdung des Lebens, die Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit oder starke Schmerzen verbunden wären. 17
Details zum Notfall II Dauert die medizinische Behandlung voraussichtlich auch nach Abwendung dieser Gefahrenmomente noch an, so ist sie zu beginnen und unverzüglich die Zustimmung des Vertreters zur weiteren Behandlung einzuholen bzw. das Gericht zur Bestellung eines Vertreters oder zur Erweiterung seines Wirkungsbereichs anzurufen ( 253/3 ABGB neu). Diese Norm zielt auf Abteilungen ab, an denen eine Weiterbehandlung über die Akutbehandlung hinaus stattfindet (zb Intensivstationen). Nicht relevant im Rettungs-/ Notarztdienst, weil hier keine fortgesetzte Behandlung stattfindet. 18
Patientenverfügung Details zum Notfall III Verbindliche vs. beachtliche PatV. (klares Behandlungsveto vs. Beurteilungsspielraum für Gesundheitspersonal) Relevanz für Gesundheitsberufe: Bringschuld des Patienten, jedoch zumutbare Nachforschungen bei Hinweis Im Notfall: Das PatVG räumt der medizinischen Notfallversorgung den Vorrang ein, sofern der mit der Suche nach (und auch Beschäftigung mit) einer Patientenverfügung verbundene Zeitaufwand das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet. Grundsatz: In dubio pro vita! 19
Behandlung ohne Notfall I Patient fraglich entscheidungsfähig => Nachweisliche Beiziehung von Angehörigen, anderen nahe stehenden Personen, Vertrauenspersonen und im Umgang mit Menschen in solchen schwierigen Lebenslagen besonders geübten Fachleuten zur Unterstützung in der Entscheidungsfindung. Kann dadurch die Entscheidungsfähigkeit hergestellt werden, Einwilligung ausreichend. so ist die Ansonsten Vorgehen wie bei nicht-entscheidungsfähigen Patienten. 20
Behandlung ohne Notfall II Patient nicht entscheidungsfähig => Zustimmung ihres Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreters, dessen Wirkungsbereich diese Angelegenheit umfasst. Hinweis: Vertreter muss Legitimation nachweisen können durch Ausdruck einer Registrierungsbestätigung im ÖZVV bzw. Vorweisen des Gerichtsbeschlusses. Liegt dies nicht vor, ist der Patient offiziell unvertreten. Vertretungsnot : Auch hier Gefahr-im-Verzug-Regelung anzuwenden, wenn Vertreter-Installierung erst in Gang gebracht werden muss und in dieser Zeit eine Behandlung zu erfolgen hat, weil ein Aufschub fachlich nicht vertretbar ist. 21
Behandlung ohne Notfall II Angehörige auffordern, die Vertretung beim Erwachsenenschutzverein registrieren zu lassen! Keine Angehörigen = Vertreter bei Gericht anregen! Ob der Patient bereits einen Vertreter hat, kann bei Gericht erfragt werden. => Bezirksgericht Wr. Neustadt (02622 / 21510) Alle Infos auch zur Registrierung sind beim Erwachsenenschutzverein (ehem. Sachwalterverein) erhältlich! => NÖ Landesverein für Erwachsenenschutz, Standort Wr. Neustadt Tel. 02622 / 26 738 / erwachsenenvertretung-wn@noelv.at 22
Behandlung ohne Notfall III Gerichtskontrolle nur mehr in zwei Fällen: Behandlungsablehnung durch nicht entscheidungsfähige Person Vertreter lehnt Maßnahme ab, obwohl Person dies will (bzw. die fachlich aber als indiziert anzusehen ist) 23
Strafbar oder erlaubt? Rechtliche Klarheit in Österreich: Verboten: Erlaubt: Sterbehilfe (Mord), Töten auf Verlangen, Mitwirkung am Suizid Nichteinleitung / Abbruch med. Behandlungen bei fehlender med. Indikation (Sterben zulassen, Schicksal freien Lauf lassen); Therapie im Rahmen palliative care (sofern leitlinienkonform!) Problemfall: palliative Sedierung!
Stopp vor unverhältnismäßiger Therapie Ursachen dafür: therapeutischer Ehrgeiz (begründete oder unbegründete) Angst vor rechtlichen Konsequenzen Logik der Leistungsabrechnung im Spital Mangelhafte Kommunikation im Behandlungsteam Mangelhafte Kommunikation mit dem Patienten Wunsch von Angehörigen Wunsch des Patienten => Eine unverhältnismäßige Therapie steht mit den ethischen Prinzipien des Nichtschadens und der Gerechtigkeit in Konflikt! Quelle: Bioethikkommission, Sterben in Würde (2015)
Rolle der Pflege bei End of life Therapiebegrenzungen / -adaptierungen liegen in der ärztlichen Verantwortung (Kuration / Palliation) Bei entsprechender Anordnung auch für das Pflegepersonal (DGKP, PFA, PA) einzuhalten. Auch ein Unterlassen kann delegiert werden! Praxis: Einzelfallmedikamente zur Symptomenkontrolle Beiziehung Hausarzt, mobiles Palliativteam Bedingungen für KH-Einweisung Beiziehung Rettung/Notarzt; innerklinisch: Herzalarm!?
Weiterführende Literatur Download kostenfrei: www.justiz.gv.at Rubrik Erwachsenenschutz 28
Dr.iur. Michael Halmich LL.M. medrecht@halmich.at www.halmich.at Bücher: www.educa-verlag.at