Zweitspracherwerb und Sprachverarbeitung bei Erwachsenen Kathleen Neubauer
4. Sitzung am 04.11.2009 Einführung in die Sprachverarbeitung bei Erwachsenen
Überblick Grundfragen in der Sprachverarbeitung Was ist Psycholinguistik? Die Rolle der Sprachverarbeitung in der Sprachentwicklung Experimentelle Methoden in der Sprachverarbeitung Psycholinguistisches Experiment Methoden
Überblick Grundfragen in der Sprachverarbeitung Was ist Psycholinguistik? Die Rolle der Sprachverarbeitung in der Sprachentwicklung Experimentelle Methoden in der Sprachverarbeitung Psycholinguistisches Experiment Methoden
Grundfragen der Sprachwissenschaft Was ist sprachliches Wissen? (Kompetenz) Wie wird sprachliches Wissen erworben? Wie wird dieses sprachliche Wissen angewendet? (Performanz) Beispiele für sprachliches Wissen: Falls Deutsch unsere Muttersprache ist, wissen wir,... dass man Rad und Rat identisch ausspricht.... dass man Präsident auf der letzten Silbe betont.... dass bei zusammengesetzten Zeitformen das Objekt vor seinem Verb steht (Wir haben das Buch gelesen).
Psycholinguistik?... als Wissenschaft an der Nahtstelle zwischen Linguistik und Psychologie untersucht sprachliche Phänomene aus psychologischer Perspektive...als Teil der Kognitionswissenschaft untersucht sprachliches Wissen und seine Verarbeitung aus einer kognitiven Perspektive im weiten Sinne: Untersuchung von Sprache unter dem Gesichtspunkt, dass sie sich in den Individuen als sprachliche Fertigkeit bzw. sprachliches Können manifestiert inkludiert Spracherwerb, Sprachverarbeitung und Sprachstörungen im engeren Sinne: Wie wird sprachliches Wissen in der Sprachproduktion und im Sprachverstehen angewendet?
Überblick Grundfragen in der Sprachverarbeitung Was ist Psycholinguistik? Die Rolle der Sprachverarbeitung in der Sprachentwicklung Experimentelle Methoden in der Sprachverarbeitung Psycholinguistisches Experiment Methoden
Wie verschlüsseln und entschlüsseln wir eine Aussage???? This is the cat the mouse chased.
Wie verschlüsseln und entschlüsseln wir eine Aussage? Hypothese 1: Semantischer Ansatz anhand Bedeutung der einzelnen (Inhalts-)Wörter (cat, mouse, chased) und ihrer Zusammenstellung wird eine Satzbedeutung erstellt, die im gegebenen pragmatischen Kontext sinnvoll erscheint erste NP = Agent bekannte Informationen gehen neuen Informationen voran Hypothese 2: Syntaktischer Ansatz grammatische Satzanalyse Nutzung der Funktionswörter (the, is) zur Phrasenbildung (DP,IP) Einbeziehung morphologischer und syntaktischer Informationen, um die Kategorie der einzelnen Wörter zu bestimmen Anwendung sprachlichen Wissens zur Erstellung einer hierarchischen Satzstruktur
Parsing & Grammar [[the cat] NP i[op i [[the mouse] NP [chased t] VP ] IP ] CP ] NP This is the cat the mouse chased. Poor cat!
Parsing & Grammar A grammar is a model of a native speaker s linguistic knowledge, or competence. A parser is a mental device capable of assigning a grammatical structure to a string of words or morphemes during language comprehension and production. to ensure successful encoding and decoding of linguistic messages, the parser must consult the grammar during language production and comprehension Parsing refers to mental processes that are involved in the grammatical analysis of phrases, sentences and morphologically complex words during language use. Parsing takes place in real time and uses up computational or working memory resources, and is thus constrain by certain cognitive limitations.
Acquisition paradox ausreichend sprachliches/grammatisches Wissen ist die Vorraussetzung für die erfolgreiche Analyse (der syntaktischen Struktur) des Inputs durch den Parser entsprechend der Grammatik der Zielsprache Parsing setzt Grammatik voraus die Erstellung einer grammatischen Analyse des Zielsprachen-Inputs durch den Parser ist wiederum Vorraussetzung für den Aufbau der Grammatik Grammatik setzt Parsing voraus
Second language (psycholinguistic) research has still to come up with a host of useful answers on the learning of syntax alone... Yet if language teaching is to be scientifically based, then this is where many of the relevant answers should come from. Particularly disturbing is the lack of apparent concern about how learners actually process input, about the psychological complexities involved, and about the eager reliance on magic or commonsense. (Sharwood-Smith, 1993) Spracherwerbstheorien sollten die Entwicklung des Sprachverarbeitungssystems und dessen Interaktion mit der sprachlichen Entwicklung miteinbeziehen.
Fragen...? Sind Parsing-Strategien universal oder sprachspezifisch? Unter der Annahme, das Sprachverarbeitungsstrategien sprachspezifisch sind, wie entwickeln sie sich? Ist die Entwicklung abhängig von der grammatischen Kompetenz des Lernenden? Werden Sprachverarbeitungsstrategien transferriert von der L1 in die L2? Verarbeiten L2-Lerner einer Sprache diese genauso wie Muttersprachler dieser Sprache? Gibt es Unterschiede, wenn ja welche und in welchen Bereichen?
Überblick Grundfragen in der Sprachverarbeitung Was ist Psycholinguistik? Die Rolle der Sprachverarbeitung in der Sprachentwicklung Experimentelle Methoden in der Sprachverarbeitung Psycholinguistisches Experiment Methoden
Psycholinguistisches Experiment Psycholinguistik untersucht die mentalen Repräsentationen und Prozesse, die der menschlichen Sprachverarbeitung zu Grunde liegen Untersuchung der Verarbeitung der Sprache in Echtzeit die Sprachverarbeitung ist hoch automatisiert (2-3 Wörter / 12 Phoneme pro Sekunde) d.h. diese Prozesse sind zu schnell für eine direkte Beobachtung und lassen sich daher nur indirekt durch geeignete experimentelle Paradigmen erschließen empirische Überprüfung von Theorien und Modellen erfolgt durch die systematische Beobachtung menschlichen Verhaltens, d.h.(in der Regel) in psycholinguistischen Experimenten das Experiment ist das wichtigste empirische Instrument
Experiment erlaubt die systematische und kontrollierte Beobachtung von Verhalten ermöglicht das Testen spezifischer Hypothesen systematische Manipulation von Bedingungen Auswirkung auf Verhalten? Unterschiede zwischen Bedingungen/Konditionen in Bezug auf Verhalten werden auf Manipulation zurückgeführt Experiment erlaubt kausale Inferenz Konditionen dürfen sich nur hinsichtlich der experimentellen Manipulation unterscheiden
Variablen Unabhängige Variable experimentell manipulierte Variable (Faktor) hat mindestens zwei Ausprägungen (Faktorstufen) oft wird mehr als ein Faktor manipuliert Testen von Interaktionen zwischen den Faktoren experimentelle Konditionen: bei 1 Faktor: Konditionen = Stufen bei mehr als 1 Faktor: Konditionen = Faktorstufenkombinationen Abhängige Variable erhobene/gemessene Variable Operationalisierung der Größe, auf die laut Hypothese ein Einfluss der Manipulation der unabhängigen Variable zu erwarten ist
Beispiele für Variablen aus der Worterkennung Mögliche unabhängige Variablen formale Eigenschaften des Wortes Wortlänge Phonologische Struktur Teilinformation vs. volle Information Verzerrung(sgrad) grammatische Eigenschaften funktional vs. lexikalisch morphologische Struktur (z.b. regulär vs. irregulär) Frequenz (hoch vs. niedrig) semantisch (z.b. konkret vs. abstrakt) Kontext linker Kontext vor dem Zielwort vs. rechter Kontext nach dem Zielwort
Beispiele für Variablen aus der Worterkennung Mögliche abhängige Variablen Zeitmessung (Lesezeit/Reaktionszeit) Messen der Fehlerquoten Quantity und Qualität der Stimuli physiologische Messungen Blickbewegungen (eye movements) fixation points Event-related brain potentials (ERP) cerebral blood flow
Arten von Experimenten Kriterien Welcher Stimulustyp wird dem Probanden präsentiert? Modalität (visuell, auditiv) linguistische Ebene (Wörter, Sätze, Text) Art der Stimulusmanipulation (partielle Information, verzerrte Information, gebahnte Information) Welche Aufgabe hat der Proband? primär (verstehen, produzieren, lesen, schreiben) sekundär (kategorisieren, vergleichen, imitieren) Was wird gemessen? Zeitmessung elektrophysiologische Messung Wann wird die Aufgabe vom Probanden durchgeführt? während der Verarbeitung: on-line nach der Verarbeitung: off-line
Überblick Grundfragen in der Sprachverarbeitung Was ist Psycholinguistik? Die Rolle der Sprachverarbeitung in der Sprachentwicklung Experimentelle Methoden in der Sprachverarbeitung Psycholinguistisches Experiment Methoden
Beispiele für häufig angewandte Experimentelle Methoden Akzeptabilitätsbeurteilung (acceptability judgement) Grammatikalitätsbeurteilung (grammaticality judgement) Elizitierung (elicitation) Gating Lesezeitenmessung (reading time measurement) Lexikalische Entscheidung (lexical decision) Priming Benennung (naming) Ereigniskorrelierte Potentiale (event-related potentials) Blickbewegungsmessung (eye-tracking)
Reaktionszeiten Messen der Zeit, die die Probanden für eine bestimmte Aufgabe brauchen Typische Aufgaben Lexikalische Entscheidung (lexical decision) Präsentation einer Buchstabenreihenfolge Probanden sollen per Tastendruck entscheiden, ob es sich dabei um ein Wort handelt oder nicht (ja/nein) Benennung (naming) Präsentation eines Wortes Probanden sollen das Wort sagen
Priming Methode, die häufig im Zusammenhang mit lexikalischer Entscheidung oder Benennung verwendet wird geprüft wird, ob ein zuvor präsentiertes Wort (prime) die Verarbeitung eines nachfolgend präsentierten (Ziel-)Wortes (target) erleichtert, erschwert oder gar nicht beeinflusst Beispiele semantisch prime: Vampir target: Sarg morphologisch prime: gelaufen target: laufe
Ereigniskorrelierte Potentiale EKP (event-related potentials ERP) Messung der elektronischen Aktivität durch Aufzeichnung der Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche Anbringen von Elektroden Messung der Aktivität, die durch die Präsentation eines Stimulus ausgelöst wird Bezeichnung für Spitze (peak, maximale Amplitude) in Abhängigkeit von Polarität der Spannung (positiv/negativ) und der Zeit (in ms) die zwischen Stimuluspräsentation und Spitze vergangen ist N400 bei semantischen Fehlern (violations) im Stimulus P600 bei syntaktischen Anomalien im Stimulus
Blickbewegungsmessung (eye-tracking) beim Lesen Messen der Fixationsdauern (Betrachtungszeiten) auf einzelnen Wörtern und Regressionen (Rückblicke) Vorteil der Methode: feineres Maß und natürliches Lesen im Vergleich zu simpler Lesezeitmessung beim Betrachten von Bildern und Hören von Sätzen Visual-World-Paradigma: Probanden hören einen Satz und betrachten gleichzeitig eine Szene, die die im Satz genannten Gegenstände und Personen abbildet Messen der Fixationsdauern auf Teilen des Bildes und der Häufigkeit von Fixationen an bestimmten Stellen des Satzes