Dr. Rudolf Beer Hochschulprofessor UNI Wien Bildungswissenschaften 2016 rudolf.beer@kphvie.ac.at http://pro.kphvie.ac.at/rudolfbeer SE Planung, Evaluierung und Assessment im Bildungsbereich Schule entwickeln, Schule steuern M 5.3 Planning, Evaluation and Assessment in Education - school development, school management
4. Bildungsprozesse steuern: Neue Steuerungsparadigmen Paradigma Paradigmenwechsel Paradigmenwechsel im Bildungswesen Input vs. Outcome Standards Kompetenzen Tests Wissenschaftliches Paradigma Ein Paradigma ist eine Denkrichtung, ein»leitfaden, eine»art des Sehens«. Solch ein Denkmuster enthält Modellvorstellungen einer gewissen Zeit, geht von gemeinsamen Grundannahmen und Begriffssystemen aus und hat einen in sich schlüssigen Satz von Theorien. Im umfassenden Sinn kann ein wissenschaftliches Paradigma gesehen werden als die ganze umfassende Menge der Positionen, die alle Mitglieder einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft (Kuhn, 1997. S. 282f) vertreten.
Wissenschaftliches Paradigma Herrschende Paradigmen legen fest, o welche Fragen gestellt werden, o auf welche Art Herausforderungen begegnet wird, o mit welchen Methoden die Probleme gelöst werden und o wie Ergebnisse zu interpretieren sind. Anomalien, also unlösbare Probleme und Anomalien werden isoliert bzw. ignoriert. Paradigmenwechsel Ein Paradigma gerät dann in die Krise, wenn sich essenzielle Fragen durch das bestehende Paradigma nicht mehr lösen lassen. Es erhärtet sich der Verdacht, dass mit der herrschenden Vorstellung (der Sichtweise) etwas nicht in Ordnung sei (Kuhn, 1997. S. 282f). Eine neue Denkrichtung ein neues Paradigma entsteht, mit dem Anspruch eben dieses Problem lösen zu können. Aber noch ist das alte Paradigma stärker. Proponenten des alten Denkmusters haben alle wichtigen Positionen besetzt, finanzielle Mittel stehen zur Verfügung, der Einfluss auf Medien und Institutionen ist gesichert.
Paradigmenwechsel Die Entstehung einer neuen Denkrichtung ist stets mit einer Kluft zwischen Anspruch und beschränkter Wirklichkeit verbunden (Hutterer, 1998, S. 6f). Das neue Paradigma schart nun weitere Anhänger und Mitstreiter um sich, verspricht die Lösung aller offenen Fragen, und kämpft um Einfluss, Positionen, Macht und Geld. Solch ein Paradigmenwechsel ist kein Übergang, kein Überzeugen, sondern ein revolutionärer destruktiver Akt. Das neue Paradigma löst das alte ab nicht durch Argumentation sondern durch die Kraft des Faktischen. Oft stirbt das alte Paradigma mit seinen zentralen Akteuren aus, wird pensioniert. Paradigmenwechsel im Bildungswesen Von der Selektion zur Integration Ein jahrzehntelang vorherrschendes Denkmuster die selektive Beschulung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen durch Expertinnen und Experten in selektiven Anstalten / Sonderschulen geriet in die Krise. Gesellschaftliche Ansprüche konnten nicht mehr gelöst werden. Betreiber des neuen Paradigmas verdrängten die Leitfiguren alter Denkmuster, erreichten einflussreiche Positionen, Zugang zu Mitteln, gesetzliche Unterstützung und veränderten das System revolutionär. Unvorstellbares wurde in krisenhaften Übergängen erreicht.
Paradigmenwechsel im Bildungswesen Vom gegliederten Schulsystem zur Gesamtschule Das bestehende, alte Paradigma des gegliederten Schulsystems auf der Sekundarstufe I ist in der Krise. Nicht erst seit heute, aber die Problematik wird immer drängender. Vor unseren Augen können wir dieses Ringen um Einfluss, Macht und Positionen unter den Galionsfiguren des alten und neuen Paradigmas beobachten. Mehr noch, wir sind ein Teil dieses Ringens. Der Paradigmenwechsel vollzieht sich. Und neu ist relativ zu sehen immerhin ist Otto Glöckel seit mehr als 75 Jahren tot. Paradigmenwechsel im Bildungswesen Von der Input- zur Outcomesteuerung Die gesetzliche Einführung der Bildungsstandards kann als Wendepunkt eines Perspektivenwechsels gesehen werden. Ausgangspunkt war das mäßige Abschneiden der österreichischen Schüler/innen bei internationalen Vergleichsuntersuchungen. Damit geriet das alte Steuerungsparadigma unübersehbar in die Krise. Alle PISA-Untersuchungen belegten dies eindrucksvoll. Die Orientierung auf den Outcome und die Einführung von Standards traten mit einer Erfolgsverheißung (Qualitätssicherung, - steigerung) auf die pädagogische Bühne.
Steuerung im Bildungswesen o Strukturelle Entscheidungen (Wie) o Organisatorische Entscheidungen o Personale Entscheidungen (Wer) o Budgetäre Entscheidungen (Wie viel) o Machtpolitische Entscheidungen Auf Basis von Ideologien, politischen Kalkülen, theoretischen Modellen, Evidenzen, Eminenzen, subjektiven Theorien Steuerung im Bildungswesen Input Outcome. Lehrinhalte Kompetenzbeschreibungen Lehrpläne Standards verordnet, erlassen überprüft behauptet gemessen LL: LL: Verantwortung für den Verantwortung für den Input das Lernangebot Outcome die Lernleistung
Steuerung durch Standards Bildungsstandards sind konkret formulierte Lernergebnisse, die sich aus den Lehrplänen ableiten lassen. Sie legen jene Kompetenzen fest, die Schüler/innen bis zum Ende der 4. Schulstufe in Deutsch und Mathematik sowie bis zum Ende der 8. Schulstufe in Deutsch, Mathematik und Englisch nachhaltig erworben haben sollen. Dabei handelt es sich um Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen, die für die weitere schulische und berufliche Bildung von zentraler Bedeutung sind (Bifie, 2015, o.s.). Bildungsstandards Bildungsstandards arbeiten in klarer und konzentrierter Form heraus, worauf es in unserem Bildungssystem ankommt. Sie konkretisieren den pädagogischen Auftrag der Schule in zentralen Lernfeldern (Klieme et al., 2003, S. 38). Bildungsstandards sind als Regelstandards konzipiert und legen fest, welche Kompetenzen Schülerinnen und Schüler bis zu einer bestimmten Schulstufe an wesentlichen Inhalten erworben haben sollen (bm:bwk, 2004, S. 8).
Fachlichkeit Realisierbarkeit Fokussierung Verständlichkeit Bildungsstandards Kumulativität Differenzierung Verbindlichkeit für alle
Wie Standards wirken Standards Schüler/innen Zielklarheit Anforderungsprofil Bewertungsmaßstab Orientierung Selbstschätzung Wie Standards wirken Eltern Standards Schüler/innen Zielklarheit Anforderungsprofil Bewertungsmaßstab Orientierung Mitarbeit
Wie Standards wirken Eltern Standards Schüler/innen Unterricht Outecome Lernergebnisse normative Erwartung Bildungsziele Fokusierung/Wertung Wie Standards wirken Eltern Standards Schüler/innen Unterricht Zielklarheit Kontrolle Bewertungsmaßstab Professionalisierung Belohnung/Repression Lehrer/innen Outcome Lernergebnisse normative Erwartung Bildungsziele Fokussierung/Wertung
Wie Standards wirken Eltern Standards Schüler/innen Unterricht individuelle Lernprozesse Lehrer/innen Passung Diagnose Rückmeldung soziale Dimension Wie Standards wirken
Wie Standards wirken Kompetenz Weinert versteht unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert, 2002, S. 27f).
Kompetenzmodelle Kompetenzmodelle beschreiben zu erwartende Lernergebnisse von Schüler/innen auf bestimmten Altersstufen und setzen methodisch/didaktische Vorgaben, um die gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Die Gliederung von Kompetenzmodellen in verschiedene Kompetenzstufen ist in hohem Maße von den Domänen abhängig. Jede Kompetenzstufe ist von spezifischer Qualität und kann von den übrigen unterschieden werden und stellt wieder die Basis für die nächstfolgende Kompetenzstufe (Beer, 2007, S. 228). Kompetenzmodelle Komponentenmodell: Kompetenzstufenmodell: Sprachkenntnisse Motorische Fähigkeiten Rechtliche Kenntnisse Erste Hilfe Beherrschen eines Instruments Singen können
kritische Aspekte Profitable Bildung Unter»profitabler Qualifikation«ist die Bildung des Einzelnen zu sehen, die im Wirtschaftsprozess eine optimale Verwertung des eingesetzten Kapitals ermöglicht. Aus dieser Perspektive betrachtet wird die Verwertbarkeit von Bildung im Wirtschaftsprozess stärker ins Zentrum bildungspolitischer Diskussionen und Steuerungsentscheidungen gestellt. Nicht mehr der Einzelne in seiner Individualität, die es herauszubilden gilt, sondern die Brauchbarkeit und Verwertbarkeit des Einzelnen bestimmt politische Weichenstellungen (Beer, 2007, S. 18).
Allgemeinbildung Olechowski erteilt dem Leitmotiv der»profitablen Qualifikation«eine deutliche Absage und stellt ihm das Prinzip der»maximalen Qualifikation«, besser die Allgemeinbildung, entgegen (vgl. Olechowski, 2003, S. 422). profitable Bildung Allgemein- Bildung
Dr. Rudolf Beer Hochschulprofessor UNI Wien Bildungswissenschaften 2016 rudolf.beer@kphvie.ac.at http://pro.kphvie.ac.at/rudolfbeer