Patientenbeteiligung bei medizinischen Entscheidungen

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Transkript:

12. Deutscher Sjögren-Tag am 17.03.2018 in Freiburg Patientenbeteiligung bei medizinischen Entscheidungen Kommunikation auf Augenhöhe? PD Dr. Isaac Bermejo Supervisions- und Coachingdienst für Beschäftigte

Wunsch nach Beteiligung und Realisierung (N = 8000 Telefoninterviews) Bedürfnis nach Beteiligung Realisierung von Beteiligung 100 80 60 40 20 0 Schweiz 91 87 63 58 45 Deutschland Schweden 80 75 75 74 71 53 45 Italien Slowenien England Polen 17 57 Spanien 39 43 Aus: Dierks & Seidel (2005) Gleichberechtigte Beziehungsgestaltung zwischen Ärzten und Patienten wollen Patienten wirklich Partner sein? Nach: M. Härter, UKE, HH

Warum es doch nicht so richtig klappt... Untersuchungen zufolge. dauert in Deutschland ein (Haus-)Arztkontakt im Schnitt acht Minuten (1) werden Patienten spätestens nach 20 Sek. vom Arzt unterbrochen (2) verstehen Patienten oft nur 50% der erhaltenen Informationen (3) finden weniger als die Hälfte der Patienten die Vermittlung von Informationen zu Behandlungsmöglichkeiten sehr gut (4) (1) Böcken J, Braun B, Schnee M (Hrsg.). Gesundheitsmonitor 2004. (2) Marvel MK et al. Soliciting the patient s agenda: have we improved? JAMA 1999; 281:283-7. (3) Schillinger D et al. Closing the Loop. Physician Communication With Diabetic Patients Who Have Low Health Literacy. Arch Intern Med. 2003; 163:83-90. (4) Bürger C. Patientenorientierte Information und Kommunikation im Gesundheitswesen, Gabler Edition Wissenschaft, 2003.

Entscheidungsmodelle Paternalistisches Modell Informationsmodell Arzt Patient

Bevorzugtes Modell in Deutschland Was wünschen Patienten? 100,0 80,0 60,0 55,0 40,0 20,0 18,0 23,0 0,0 Patientenwunsch bei medizinischen Entscheidungen Automes Konzept Gemeinsame Entscheidung paternalistisches Konzept Aus: Bertelsmann Stiftung/Barmer GEK. Partizipative Entscheidungsfindung beim Arzt; 2012; vgl. Coulter et al. (2003): The European Patient of the Future

Patientenzentriertes Entscheidungsmodell Arzt Paternalistisches Modell Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) Patient Informationsmodell Interaktionsprozess mit dem Ziel, unter gleichberechtigter aktiver Beteiligung von Patient und Arzt auf Basis geteilter Information zu einer gemeinsam verantworteten Übereinkunft zu kommen. Nach: Härter (2004)

Prozess der Partizipativen Entscheidungsfindung Werte und Einstellungen des Patienten Individuelle Patienten- Faktoren Patienten-Ebene Medizinische Evidenz (EBM) Optionen Entscheidung Werte und Einstellungen des Arztes Wissen und Erfahrungen des Arztes Arzt-Ebene Nach: M. Härter, UKE, HH

Handlungsschritte PEF im Gespräch Problemdefinition Mitteilen, dass eine Entscheidung ansteht Gleichberechtigung Gleichberechtigung der Partner und Optionen formulieren Behandlungsmöglichkeiten beschreiben Über Optionen und deren Vor- und Nachteile informieren Verständnis, Gedanken und Erwartungen erfragen Die Sicht des Patienten mit einbeziehen Präferenz klären und Entscheidungsfindung Beteiligungswunsch ermitteln und Entscheidung herbeiführen Vereinbarungen treffen Vereinbarungen zur Umsetzung der Entscheidung treffen Härter (2004), Simon et al. (2008); Elwyn et al. (2012)

Wann empfiehlt sich PEF? schwerwiegenden Erkrankungen, Ärzte/Therapeuten können und wollen therapeutische Verantwortung nicht alleine übernehmen Konsequenzen für weiteres Leben der Patienten bedeutsam und Patienten wünschen Beteiligung Mehrere gleichwertige, im besten Fall evidenzbasierte Therapieoptionen stehen zur Wahl bei unsicheren Erwartungen bzgl. Nutzen und Risiken

Voraussetzungen für PEF Bereitschaft zur aktiven Beteiligung Grundsätzliche Meinungs- und Einstellungsklärung angemessene Vorbereitung Werte / Einstellungen des Patienten Individuelle Patienten- Faktoren Patienten-Ebene Medizinische Evidenz (EBM) Optionen Entscheidung Werte / Einstellungen des Arztes Wissen / Erfahrungen des Arztes Arzt-Ebene patientenzentrierte ärztliche Grundhaltung Kommunikative Fähigkeiten Patienten ermutigen sich vorzubereiten, Fragen zu stellen, Notizen zu machen, Angehörige mitzubringen

Effekte von PEF Ärztinnen / Ärzte: Zufriedenheit mit Patientenkontakt erfasste Patienteninformation in Betracht gezogene Behandlungsoptionen Patientinnen / Patienten Wissen Zufriedenheit mit Arztkontakt Entscheidungszufriedenheit Krankheitsbewältigung Therapietreue Klinischer Outcome Entscheidungskonflikte Bieber et al. 2006; Coulter 1997; Frosch et al. 1999, Härter et al. 2005; O Connor et al. 2003 Nach: M. Härter, UKE, HH

Schritte damit PEF funktioniert. Seitens Ärztinnen und Ärzte

Partizipative Entscheidung Patientenebene Arztebene Individuelle Faktoren Unwohlsein Leidensgeschichte Subjektives Erleben Zeithorizont Werte und Einstellungen Krankheits-/Behandlungskonzept Inanspruchnahmebereitschaft Ethnisch-kulturelle Praktiken Medizinische Evidenz Wissen und Erfahrungen Krankheit Medizinische Diagnose Professionelles Erleben Punktueller Horizont Werte und Einstellungen Krankheits-/Behandlungskonzept Gesundheitssystemische Aspekte Sozialmedizinische Praktiken Behandlungsoptionen Entscheidung

Arztfragen: Was braucht meine Patientin / mein Patient? Was fehlt mir? Erklärungen, Diagnose, Basisinformationen Was bedeutet das? Aufklärungsmaterial zu Diagnose und Therapie Was kann ich tun? Behandlungsalternativen Wofür entscheide ich mich? Entscheidungshilfen / PEF Was kann ich selber tun? Selbsthilfe Nach: Manual Patienteninformation (2006): Empfehlungen zur Erstellung evidenzbasierter Patienteninformationen

Selbstoffenbarung Kommunikationsebenen erkennen Muss ich wirklich ein Medikament nehmen? Ist ein Medikament notwendig? Sachebene Medikamente nehme ich ungern Ich habe Sorge vor den Nebenwirkungen. Nachricht Appell Können Sie mir nicht eine Alternative nennen? Bitte nehmen Sie mir die Angst vor dem Medikament. Beziehungsebene Ich habe Vertrauen in Ihre ärztlichen Fähigkeiten, würde aber gerne auf Medikamente verzichten. Sie sind zwar der medizinische Fachmann, aber ich trage die Folgen.

Fallstricke in der Arzt-Patienten-Kommunikation Ins Wort fallen / unterbrechen Überforderung mit Fachausdrücken Distanzverlust zum Patienten Konkurrieren mit Vorbehandlern Versuch, den Patienten zu einer Lösung zu überreden aggressives Konfrontieren Bagatellisieren (Ängste des Patienten herunterspielen) Monologisieren Nach: M. Härter, UKE, HH

Schritte damit PEF funktioniert. Wie nutze ich die knappe Zeit beim Arzt für mich effizient?

Patientenfragen?? Wie passt die Behandlung zu meinem Lebensstil?? Welches ist die beste Behandlung für mich?? Welche NW bin ich bereit zu akzeptieren? Welche Ziele? will ich mit der Therapie erreichen?? Wie wichtig sind mir wissenschaftliche? Ergebnisse zur Wirksamkeit der Therapien?? Welche Alternativen gibt es? Nach: M. Härter, UKE, HH

Schritte auf Seiten von Patientinnen und Patienten Bereiten Sie Ihren Arztbesuch vor!!! Notieren Sie sich wichtige Fragen für das Arztgespräch, z.b. Was sind die genauen Ursachen meiner Beschwerden? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Vorteile und Risiken der Behandlungsmöglichkeiten inkl. des Abwarten? Wie wahrscheinlich ist es, dass der Vorteil bzw. das Risiko eintritt? Nutzen Sie Entscheidungshilfen www.patient-als-partner.de Meinungs- und Einstellungsklärung Rollenpräferenz bei Entscheidungen artikulieren bereit für Veränderung sein

Entscheidungshilfen = Unterstützung mehr über verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zu erfahren und sich über eigene Vorstellungen, Wünsche oder Ängste klar zu werden Medizinische Informationen zu allen Optionen; inkl. Vor- und Nachteile Hilfe beim Abwägen der Optionen Sammlung von und Links zu evidenzbasierten Entscheidungshilfen und Patienteninformationen unter www.patient-als-partner.de

Danke für die Aufmerksamkeit PD Dr. Isaac Bermejo Bermejo 21) Supervisions- und Coachingdienst Isaac.bermejo@uniklinik-freiburg.de