Druckerei C. H. Beck. ... Erstversand, Klunzinger: Einführung in das Bürgerliche Recht

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Einführung in das Bürgerliche Recht

Transkript:

13 Inhaltliche Grenzen privatautonomer Gestaltungsformen 139 S_0138.tif

140 Teil II: BGB Allgemeiner Teil b) Ausnutzung der besonderen psychischen Situation des Geschäftspartners Wucher setzt weiterhin voraus, dass der Geschäftspartner in einer bestimmten psychischen Situation handelt, die vom Geschäftsgegner ausgenutzt wird. Im Einzelnen nennt das Gesetz: die Zwangslage, die Unerfahrenheit, das mangelnde Urteilsvermögen, die erhebliche Willensschwäche. Beispiel: Schuldner S weiß weder ein noch aus. Er wendet sich an eine Umschuldungs-Finanzierungs-GmbH und erhält einen Überbrückungskredit von 50000, Euro zu nachfolgenden Bedingungen: Zinssatz 5% pro Monat (!), Kreditbearbeitungs- und Vermittlungsgebühren 10% des Darlehensbetrags. Beide Voraussetzungen des wucherischen Geschäfts liegen vor: Hinsichtlich des Zinssatzes besteht ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung; der Schuldner befindet sich in einer Zwangslage, die von der GmbH ausgenutzt wird. Hinweis: Häufig wird die zuvor beschriebene Ausnutzung des Geschäftspartners nicht nachweisbar sein. Dann greift 138 Abs. 1 BGB als Auffangtatbestand ein mit der Folge, dass solche Verträge, bei denen ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, als wucherähnliche Rechtsgeschäfte sittenwidrig und damit nichtig sind. 4. Rechtsfolgen der Sittenwidrigkeit Sittenwidrige Rechtsgeschäfte sind nichtig. Entsprechend dem Abstraktionsprinzip ist in der Regel nur das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft, nicht dagegen das Erfüllungsgeschäft nichtig. So ist die Eigentumsübertragung in der Regel wertneutral. Betrifft die Sittenwidrigkeit jedoch gerade die Güterordnung, ist auch das Erfüllungsgeschäft nichtig. Beachten Sie: Beim Sonderfall des Wuchers ist stets auch das Erfüllungsgeschäft des Bewucherten nichtig (dies ergibt sich aus der Formulierung des 138 Abs. 2: versprechen oder gewähren lässt ). Steuerrechtlicher Hinweis: Nach 40 AO ist es für die Besteuerung unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. Mit anderen Worten: Das nichtige Rechtsgeschäft wird ebenso besteuert wie das gültige ( pecunia non olet ). Dasselbe gilt (soweit sich nicht aus den Steuergesetzen etwas anderes ergibt) nach 41 AO für unwirksame Geschäfte, soweit und so lange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten und bestehen lassen. Lernhinweis: Wiederholen Sie nun den ganzen Abschnitt noch einmal anhand der Übersicht Inhaltliche Grenzen bei Rechtsgeschäften. Wiederholungsfragen zu 13 Welche Konsequenzen hat es, wenn ein Rechtsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot verstößt? ( 13 I) Was versteht man unter einem Veräußerungsverbot, welche Fälle kennen Sie? ( 13 II)

14 Willensmängel 141 Gibt es gegenüber Veräußerungsverboten einen Vertrauensschutz? ( 13 II 2 b bb) Wann liegt bei Rechtsgeschäften ein Verstoß gegen die guten Sitten vor und welche Konsequenzen hat dies? ( 13 III 1) Welche Fallgruppen des Sittenverstoßes können Sie nennen? ( 13 III 2) Wie wird vom Gesetz das wucherische Geschäft definiert? ( 13 III 3) 14 Willensmängel Die Willenserklärung besteht, wie wir gesehen haben, aus zwei Komponenten: dem Willen und seiner Äußerung. In der Regel wird die abgegebene Erklärung mit dem ihr zugrunde liegenden Willen übereinstimmen. Was aber gilt, wenn entweder im Bereich der Willensbildung oder im Zuge der Erklärungsabgabe Störungen auftreten? Der Gesetzgeber muss einen Kompromiss schließen zwischen dem verständlichen Interesse desjenigen, der eine Erklärung äußert, von der Willenserklärung loszukommen, und dem Interesse des Erklärungsempfängers, der auf die Gültigkeit der ihm gegenüber geäußerten Erklärung vertraut. Lernhinweis: Von Willensmängeln spricht man, wenn gestörte Willenserklärungen vorliegen. Der Gesetzgeber behandelt diese nicht einfachen Rechtsfragen in den 116 ff. BGB. Verschaffen Sie sich zunächst einen Orientierungsrahmen anhand der Übersicht Willensmängel. Sie erkennen daraus: Man muss verschiedene Kategorien unterscheiden. Manche Willensmängel führen unmittelbar zur Nichtigkeit (dem Erklärungsempfänger offen gelegte Mentalreservation nach 116 S. 2, Scheingeschäft nach 117 Abs. 1, Scherzerklärung nach 118), andere Willensmängel dagegen begründen lediglich die Anfechtbarkeit. Aus anderer Sicht kann man drei Fallgruppen von Willensmängeln unterscheiden: das bewusste Abweichen von Wille und Erklärung (so bei den Tatbeständen 116 118 BGB), das unbewusste Abweichen von Wille und Erklärung (so im Falle des Irrtums nach 119 BGB und bei 120 BGB) sowie die verwerfliche Beeinflussung bei der Abgabe einer Willenserklärung (so bei der arglistigen Täuschung und rechtswidrigen Drohung nach 123 BGB). I. Die Interessenlage Das BGB musste eine Lösung finden, die sowohl dem Suspendierungsinteresse des Erklärenden wie auch dem Vertrauensinteresse des Erklärungsempfängers gerecht wird. Dabei standen zwei Extrempositionen zur Diskussion: die Willenstheorie (sie stellt allein auf das Interesse des Erklärenden ab; eine Willenserklärung, bei der sich Wille und Erklärung nicht decken, soll wirkungslos sein) und die Erklärungstheorie (sie stellt allein auf den Empfang der Erklärung beim Erklärungsempfänger ab; nach ihr ist die Willenserklärung auch dann verbindlich, wenn keine Kongruenz zwischen Wille und Erklärung besteht).

142 Teil II: BGB Allgemeiner Teil S_0141.tif

14 Willensmängel 143 Der Gesetzgeber hat sich für keine der beiden Theorien entschieden, sondern einen Kompromiss gefunden: 1. Regel-Ausnahmeprinzip Nicht jeder Willensmangel ist beachtlich. Grundsätzlich ist von der Gültigkeit einer Erklärung auszugehen ( ein Mann, ein Wort ). Lediglich bei den vom Gesetz in 116 ff. genannten Ausnahmetatbeständen wird zugunsten des Erklärenden entschieden. In den übrigen Fällen entscheidet der Gesetzgeber zugunsten des Erklärungsempfängers. 2. Anfechtbarkeit als Vernichtbarkeit Bestimmte Willensmängel berechtigen zur Anfechtung. Die Anfechtbarkeit ist aber nicht identisch mit der Nichtigkeit der Erklärung. Sie begründet lediglich die Möglichkeit, durch Anfechtungserklärung nach 143 BGB (lesen!) die geäußerte Willenserklärung rückwirkend zu vernichten, 142 Abs. 1 BGB. Wird etwa die Anfechtungsfrist versäumt, so ist das zuvor anfechtbare Geschäft endgültig wirksam. 3. Schadenersatzpflichten Der Erklärungsempfänger ist weiter geschützt: Wird sein Vertrauensinteresse in den Bestand einer Willenserklärung dadurch verletzt, dass der Gesetzgeber die abgegebene Erklärung wegen Willensmängeln suspendiert (so bei der Nichtigkeit einer Scherzerklärung bzw. bei der Anfechtung wegen Irrtums), so kann er nach 122 BGB (lesen!) Schadenersatz verlangen. Der Erklärende muss den Schaden ersetzen, den der Erklärungsempfänger dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat (sog. Vertrauensschaden ). 4. Minimalbestandteile der Willenserklärung Die Frage der Willensmängel stellt sich erst, wenn die Mindestbestandteile einer Willenserklärung vorliegen. Auch gestörte Willenserklärungen setzen voraus, dass überhaupt Willenserklärungen abgegeben wurden. Fehlt es schon daran, braucht die Frage nach Willensmängeln nicht weiter verfolgt zu werden. Oben haben wir gesehen, dass die Willenserklärung im subjektiven Bereich den Handlungswillen, das Erklärungsbewusstsein und den Geschäftswillen beinhaltet. Obwohl im Einzelnen vieles strittig ist, kann hier (noch einmal) festgehalten werden: a) Fehlender Handlungswille Eine Willenserklärung liegt nur vor, wenn dem äußeren Erklärungstatbestand ein Handlungswille entspricht (s. o.). Fehlt es daran, liegt schon gar keine Willenserklärung vor. Beispiele: Reflexbewegungen im Schlaf, Erklärungshandlungen unter Hypnose. b) Erklärungsbewusstsein In der Regel wird sich der Erklärende der rechtsgeschäftlichen Bedeutung seiner Erklärung bewusst sein. Was aber gilt für den Ausnahmefall, dass es

144 Teil II: BGB Allgemeiner Teil am Erklärungsbewusstsein fehlt? Bereits oben wurde darauf hingewiesen, dass nach neuerer Rechtsprechung (BGHZ 91, 324 ff.) das Erklärungsbewusstsein keine konstitutive Voraussetzung der Willenserklärung ist. Nach dieser (von der Rechtsprechung vertretenen und damit für die Praxis maßgebenden) Auffassung setzt die Willenserklärung (nur) voraus, dass für den Erklärungsempfänger das Erklärte als Ausdruck eines bestimmten Rechtsfolgewillens Erklärungsbewusstseins erscheint und der Erklärende dieses auch bei der Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt erkennen konnte. Schulbeispiele: Bei der Trierer Weinversteigerung werden Gebote durch Handaufheben abgegeben; ein mit diesen Gebräuchen nicht Vertrauter hebt die Hand, um einen hinter dem Auktionator stehenden Bekannten zu grüßen. Ein Belegschaftsangehöriger unterschreibt eine Liste in der Annahme es handle sich um ein Glückwunschschreiben bzw. eine Protestresolution; in Wirklichkeit hat er seine Unterschrift unter eine Sammelbestellung gesetzt. In diesen Fällen ist zurechenbar der Anschein einer Willenserklärung gesetzt worden. Doch besteht die Möglichkeit der Anfechtung entsprechend 119 Abs. 1 BGB. c) Geschäftswille Die Willenserklärung beinhaltet zusätzlich den Geschäftswillen. Fehlt dieser, weil objektiv etwas anderes erklärt wird, als der Erklärende subjektiv bezweckt, so liegt gleichwohl eine Willenserklärung vor, weil der Geschäftswille als solcher nicht konstitutive Voraussetzung der Willenserklärung ist. Die Inkongruenz zwischen objektiv Erklärtem und subjektiv Gewolltem ist nach 119 BGB zu beurteilen und kann (muss aber nicht) zur Anfechtbarkeit der Willenserklärung führen. Lernhinweis: Im Nachfolgenden werden die einzelnen Kategorien der Willensmängel dargestellt. Wegen der grundsätzlichen Wichtigkeit (auch im Hinblick auf Klausuren) müssen Sie diesen Abschnitt mehrfach durcharbeiten. Ziel sollte es sein, dass Sie die einzelnen Fälle der Willensmängel darstellen, erklären und dazu jeweils ein Beispiel nennen können. II. Bewusste Divergenz von Wille und Erklärung Kennzeichen dieser Willensmängel ist, dass der Erklärende bewusst etwas anderes äußert, als er tatsächlich will. Das Gesetz behandelt den geheimen Vorbehalt ( 116 BGB), das Scheingeschäft ( 117 BGB) sowie die Scherzerklärung ( 118 BGB). Wer bewusst eine Divergenz zwischen Wille und Erklärung provoziert, ist an sich nicht schutzbedürftig und deshalb an die Erklärung gebunden (so beim einseitigen geheimen Vorbehalt, 116 S. 1 BGB). Nichtig sind derartige Erklärungen nur dann, wenn der Erklärungsempfänger eingeweiht ist und deshalb nicht oder weniger schutzbedürftig ist. Lernhinweis: Lesen Sie unter diesem Gesichtspunkt zunächst die 116, 117 BGB.

1. Geheimer Vorbehalt 14 Willensmängel 145 Ein geheimer Vorbehalt liegt vor, wenn der Erklärende sich insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen (man spricht auch von der Mentalreservation ). a) Einseitiger Vorbehalt Der einseitige geheime Vorbehalt ist nach 116 S. 1 BGB (lesen!) unbeachtlich. Das heißt: Die abgegebene Erklärung ist gültig. Man spricht in diesen Fällen auch vom bösen Scherz. 116 S. 1 BGB gibt eine Selbstverständlichkeit wieder, ohne die keine Verlässlichkeit im Rechts- und Wirtschaftsverkehr bestehen würde. Wer bewusst etwas anderes erklärt als er wirklich will, muss an seiner Erklärung festgehalten werden können. Ein Vertragspartner, der bei welcher Gelegenheit auch immer, ein Angebot abgibt, ist an dieses grundsätzlich gebunden; seine Mentalreservation ist für den Geschäftspartner irrelevant. Schulbeispiel: Bei einer Auktion steigert ein bloß als Zaungast anwesender Besucher fröhlich mit und treibt dadurch den Preis in die Höhe. Wider Erwarten erhält er den Zuschlag. Er ist an seine Erklärung gebunden und kann sich nicht darauf berufen, er habe nur so und ohne Erwerbsabsicht mit gesteigert. b) Erkannter Vorbehalt Nach 116 S. 2 BGB (lesen!) ist die Erklärung nichtig, wenn sie einem anderen gegenüber abzugeben ist und dieser den Vorbehalt kennt. In diesen Fällen besteht kein schutzwürdiges Vertrauensinteresse des Erklärungsempfängers. Schulbeispiele: Bei der vorerwähnten Auktion steigert der betreffende Besucher ohne eigene Erwerbsabsicht mit, hat dies dem Veranstalter aber zuvor offenbart und erklärt, er werde mitsteigern, um die übrigen Interessenten zu möglichst hohen Geboten zu veranlassen. Kundin K fühlt sich im Kaufhaus von der angestellten Verkäuferin V unhöflich behandelt, und verlangt vom Geschäftsführer G, dass V entlassen wird. Um K ruhig zu stellen, erklärt G gegenüber V in Anwesenheit der K sie sei hiermit fristlos gekündigt. G hatte zuvor V unterrichtet, dass die Kündigung nicht ernstlich gewollt sei und nur zur Beilegung des momentanen Ärgernisses dienen solle. 2. Das Scheingeschäft Beim Scheingeschäft werden Willenserklärungen mit dem Einverständnis des Erklärungsempfängers nur zum Schein abgegeben (man spricht auch vom Simulationsgeschäft ). a) Nichtigkeit des Scheingeschäftes Wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, mit dessen Einverständnis nur zum Schein abgegeben, so ist sie nach 117 Abs. 1 BGB (lesen!) nichtig. Beispiel: Wenn bei Grundstücksveräußerungen aus steuerlichen Gründen vor dem Notar ein Vertrag mit falschem Kaufpreis beurkundet wird (sog. Schwarzkauf ),

146 Teil II: BGB Allgemeiner Teil ist dieser Vertrag nach 117 Abs. 1 BGB nichtig, weil die Parteien sich einig sind, die offiziell abgegebenen Erklärungen in Wirklichkeit nicht zu wollen. Es liegt ein klassisches Scheingeschäft vor. Ein solcher Schwarzkauf hat in der Regel steuerliche Motive: Die Höhe der Grunderwerbsteuer hängt von der Höhe des Kaufpreises ab. Außerdem sind Erlöse aus Veräußerungsgeschäften bei Grundstücken innerhalb der Spekulationsfrist einkommensteuerpflichtig. Und schließlich könnte es sich bei dem nicht im notariellen Kaufvertrag beurkundeten Teil des real gezahlten Kaufpreises um Beträge handeln, die bei vorausgegangenen Steuererklärungen nicht deklariert wurden (man spricht dann landläufig auch von Schwarzgeld ). b) Gültigkeit des verdeckten Geschäfts Nicht selten wird mit dem Scheingeschäft ein anderes, wirklich gewolltes Rechtsgeschäft verdeckt. Nach 117 Abs. 2 BGB (lesen!) finden in diesem Fall die für das verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften Anwendung. Beispiel: Beim Schwarzkauf wird durch die Beurkundung des Kaufvertrags mit niedrigerem Kaufpreis der in Wirklichkeit gewollte Kaufvertrag mit höherem Kaufpreis verdeckt. Die Rechtsgültigkeit des verdeckten Geschäfts bestimmt sich nach den Regeln über den Grundstückserwerb. Diese sehen in 311 b Abs. 1 S. 1 BGB die Notwendigkeit notarieller Beurkundung vor. An dieser fehlt es (beurkundet wurde ja nur der Vertrag mit dem niedrigeren Kaufpreis). Deshalb ist das verdeckte Rechtsgeschäft wegen Formmangels nichtig, 125 BGB. Lernhinweis: Für den Schwarzkauf ist auf 311 b Abs. 1 S. 2 BGB hinzuweisen! Danach wird der Formmangel geheilt, wenn der Erwerber als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wird. Damit hat der Käufer sein Ziel erreicht; er ist Eigentümer geworden, obwohl der beurkundete Kaufvertrag als Scheingeschäft nichtig, der verdeckte Kaufvertrag mangels Beurkundung formnichtig ist. Steuerrechtlicher Hinweis: Nach 41 Abs. 2 AO sind Scheingeschäfte und Scheinhandlungen für die Besteuerung unerheblich. Wird jedoch durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so ist das verdeckte Rechtsgeschäft für die Besteuerung maßgebend (die Abgabenordnung knüpft somit an die Regelungstechnik des Bürgerlichen Gesetzbuches an). 3. Die Scherzerklärung Als Scherzerklärung bezeichnet man die nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung. Im Unterschied zum geheimen Vorbehalt hofft der Erklärende, die mangelnde Ernstlichkeit werde erkannt. Vom Scheingeschäft wiederum unterscheidet sich die Scherzerklärung durch das fehlende Zusammenwirken mit dem Erklärungsempfänger. a) Nichtigkeit der Scherzerklärung Gemäß 118 BGB ist eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden (vgl. die Diktion des Gesetzgebers), nichtig. Man spricht in diesen Fällen auch vom guten Scherz (im Gegensatz zu dem in 116 BGB geregelten bösen Scherz, vgl. oben).