Opferrechte im Strafverfahren



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Transkript:

Prof. Dr. Heinz Schöch, München Trier, 19.4.2012 Opferrechte im Strafverfahren I. Reformgesetzgebung bezüglich der Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren Seit Anfang der 80er Jahre breite kriminalpolitische Strömung Repression, Generalprävention, Wiedergutmachung, Mediation, Vermeidung sekundärer Viktimisierung 1. Das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 Neugestaltung der Nebenklage und des Verletztenbeistandes ( 395-402, 406 f, g StPO) Informations- und Beteiligungsrechte für alle Verletzten ( 406 d, e, h StPO) Adhäsionsverfahren: Grund- und Teilurteile ( 406 I 2 StPO) Persönlichkeitsschutz: Beschränkungen des Fragerechts und der Öffentlichkeit ( 68, 68a StPO, 171 b, 172 GVG) Schünemann: Paradigmenwechsel zum Nachteil des Beschuldigten 2. Weitere Reformschritte Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1998: 46a StGB Gesetz vom 20.12.1999: strafprozessuale Verankerung des TOA ( 155a, b StPO nicht bei Widerspruch des Verletzten, 155a S.3 StPO) Zeugenschutzgesetz vom 30.4.1998: Videovernehmung ( 58a, 168e S.4, 247a, 255a StPO) und Opferanwalt auf Staatskosten ( 397a I StPO) Rahmenbeschluss des Rates der EU vom 15.3.2001 Art. 1-19 (s. Tagungsmappe) 1.Opferrechtsreformgesetz vom 24.6.2004: Informations- und Beteiligungsrechte des Verletzten ( 406 d II, h II StPO Art. 4 EU-RB) Adhäsionsverfahren ( 405, 406 StPO Art. 9 EU-RB) 2. Justizmodernisierungsgesetz vom 22.12.2006: eingeschränkte Nebenklage im Jugendstrafrecht ( 80 III JGG: bei schwersten Verbrechen)

2 2. Opferrechtsreformgesetz vom 29.7.2009: Nebenklage-Erweiterung ( 395 I, III StPO) Opferanwalt-Beiordnung erweitert (397a I StPO) Informationspflichten erweitert ( 406 h StPO Art. 4, 13 EU-RB) Schutzalter 18 Jahre (generell in StPO und GVG) RegE STORMG 2011: - Opferanwalt bis 18 J. (Tatzeitpunkt: 397a II Nr. 4 E-StPO) - mehr richterliche Videovernehmungen (58a I E-StPO) - Öffentlichkeitsbeschränkungen bei minderjährigen Opfern möglich ( 171b I 2 E-GVG) - Äußerungsrecht des Verletzten zu den Tatfolgen ( 69 II 2 E-StPO Art. 3 I EU-RB) II. Kritik Nebenklage als Instrument des Rachebedürfnisses (Schünemann) Entfesselung der Nebenklage (Bung) Erschwerung einer rationalen Konfliktverarbeitung im Strafverfahren (Jahn) Gesetzgeber: historisch gewachsene Verteidigungsbefugnisse des Beschuldigten bleiben unberührt III. Stellungnahmen 1. Keine Beeinträchtigung legitimer Interessen des Verletzten Stärkung der Verletztenrechte beeinträchtigt Wahrheitsfindung und Strafverteidigung nicht Es gibt kein Recht des Beschuldigten, einem hilflosen, uninformierten oder verängstigten Verletzten gegenüber zu treten

3 2. Kritik an der Nebenklage Funktionswandel seit 1986: statt Genugtuung Schutz- und Abwehrinstrument Missbräuche selten Barton/Flotho (2010): höhere Strafen und längere Verfahrensdauer nach Untersuchungsdesign zweifelhaft nur geringe Zunahme der Nebenklagequoten Hauptverhandlungen mit Nebenklagen 3. Nebenklage im Verfahren gegen Jugendliche 80 III JGG: schwere Gewalt- und Sexualverbrechen DVJJ u.a.: erzieherische Einwirkung unmöglich dagegen: Abwehr- und Schutzfunktion gegen sekundäre Viktimisierung durch Konfliktverteidigung unverzichtbar

4 4. Adhäsionsverfahren Zivilrechtliche Ansprüche im Strafverfahren hohe Akzeptanz bei Verletzten Skepsis bis Ablehnung bei Richtern und StA Schattendasein trotz großer Reformbemühungen des Gesetzgebers seit Reform 2004 beträchtlicher Rückgang bei Amtsgerichten, Zunahme bei Landgerichten Adhäsionsverfahren 5. Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung ( 46 III, 46a StGB; 155a,b StPO) Opfer kann konfrontative Hauptverhandlung vermeiden, Ängste abbauen und Tat verarbeiten trotz Akzeptanz persönliche Begegnung oft nicht gewünscht (AUSGLEICH e.v., München)

5 Aus Opfersicht keine Verzeihung, aber Akzeptierung der Entschuldigung und Veranwortungsübernahme 6. Verfassungsrechtliche Aspekte Kritiker: Verstoß gegen Verfahrensfairness (Art. 6 I EMR) und Unschuldsvermutung aber mehrpoliges Grundrechtsverhältnis Menschenwürde (Art. 1 I GG), informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.v.m. Art 1 I GG) Böttcher: innerstaatliches verfassungsrechtliches Fairnessprinzip BVerfGE 38, 105, 112: Zeugenbeistand 7. Sachfremde Instrumentalisierung des Opferschutzes für punitive Strafrechtstendenzen Persönliche Genugtuung bedeutet nicht rigide Straferwartungen Respektierung des Verletzten als Subjekt des Strafverfahrens Vermeidung von sekundärer Viktimisierung Bestrafung als Solidarisierung des Sozialverbandes mit dem Verletzten (Reemtsma) Nebenklage als Transzendierung des Opferstatus (Reemtsma) Verbesserung der Wahrheitsfindung durch die Beteiligung desverletzten Beitrag zur Verwirklichung der Gerechtigkeit