Schwerpunkt Das Kfz im Steuerrecht



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FACHZEITSCHRIFT FÜR STEUERRECHT JÄNNER 2015 01 www.taxlex.at 1 48 Schwerpunkt Das Kfz im Steuerrecht Kfz im Ertragsteuerrecht Kfz und Umsatzsteuer Zulassung und NoVA Sozialversicherung & Lohnsteuer bei Kfz Kfz bei der Betriebsprüfung Beilage: Steuer- und SV-Werte 2015

3 Abs 8, 3 Abs 7 UStG; Art 32 MwSt-RL Reihengeschäft; Verfügungsmacht Incoterms, realer Lieferort und eine Lieferortfiktion In der Ergebnisunterlage Umsatzsteuer zum Salzburger Steuerdialog wird izm Reihengeschäften darauf hingewiesen, dass Vereinbarungen zum Gefahrenübergang (Incoterms ) nicht den Lieferort gem 3 Abs 8 UStG beeinflussen können, wohl aber bei der Feststellung des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts zu berücksichtigen seien. Wie diese Berücksichtigung der Incoterms -Regeln konkret aussehen kann, und vor welchem Hintergrund sie zu verstehen ist, wird in diesem Beitrag dargestellt. Anmerkung zu: Salzburger Steuerdialog 2014, Ergebnisunterlage Umsatzsteuer RICHARD KETTISCH 42 taxlex 2015 A. Ausführungen des BMF 1 ) Das UStG 1994 legt für jene Fälle, in denen im Zusammenhang mit einer Lieferung eine Warenbewegung stattfindet, in 3 Abs 8 UStG 1994 zwingend fest, dass sich der Lieferort dort befindet, wo die Warenbewegung beginnt. Es kann somit bei Lieferungen isd 3 Abs 8 UStG 1994 durch zivilrechtliche Vereinbarungen zum Gefahrenübergang bzw Lieferkonditionen wie zb die so genannten Incoterms zu keiner davon abweichenden Beurteilung kommen. [...] Die Lieferkonditionen (zb Incoterms) können allerdings zur Feststellung des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts berücksichtigt werden. Ungeachtet von Vereinbarungen zum Gefahrenübergang sind Lieferungen isd 3 Abs 8 UStG 1994 dort steuerbar, wo die Warenbewegung beginnt (das ist die in jener Norm angeordnete Rechtsfolge ihres Tatbestands). Nichtsdestotrotz kann durch Verwendung bestimmter Incoterms -Regeln 2 ) auch bei Lieferungen isv 3 Abs 8 der Lieferort am Ende der Beförderung liegen. Dieser (scheinbare) Widerspruch ist damit zu erklären, dass der umsatzsteuerliche Lieferort und der reale Lieferort nicht unbedingt übereinstimmen, sondern voneinander unabhängig sind. B. Der umsatzsteuerliche Lieferort und der reale Lieferort 1. Zweierlei Lieferorte An demjenigen Ort, an dem eine Beförderungs- oder Versendungslieferung beginnt, liegt ihr umsatzsteuerlicher Lieferort: Die Lieferung gilt [...] dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung [...] beginnt (vgl 3 Abs 8 UStG), bzw es gilt als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung [...] befindet (vgl Art 32 MwStRL). 3 Abs 8 UStG gibt allerdings keine Auskunft darüber, wo die konkrete Lieferung tatsächlich vollzogen wird, sondern enthält einen fingierten Lieferort, eine Lieferortfiktion; 3 ) diese Lieferortfiktion ist lediglich ein technisches Werkzeug zur Realisierung des Bestimmungslandprinzips, das komplettiert wird durch die Steuerbefreiung für Lieferungen ins Ausland und Erwerbs- oder Einfuhrbesteuerung im Bestimmungsland. 4 ) Von diesem fingierten umsatzsteuerlichen Lieferort (präziser eigentlich: Ort der Steuerbarkeit) ist also derjenige Lieferort zu unterscheiden, an dem der Schuldner seine Verpflichtung zur Warenlieferung erfüllt, also der Lieferort im umgangssprachlichen und auch zivilrechtlichen Sinn (der reale Lieferort). Es entspricht geradezu Sinn und Zweck von 3 Abs 8 UStG, Lieferungen ungeachtet ihres realen Lieferorts als steuerbar am Beginn der Beförderung zu erfassen; dazu ein einfaches Beispiel, in zwei Varianten: Variante 1: Der Österreicher A verkauft Ware an den Slowaken S zur Kondition EXW Lager Schwechat : EXW (ex Works, ab Werk) bedeutet, der Verkäufer hat die Ware zu liefern, indem er sie dem Käufer am genannten Lieferort zum vereinbarten Zeitpunkt zur Verfügung stellt (vgl Incoterms 2010 EXW A4). Gem EXW B5 trägt der Käufer alle Gefahren des Verlusts oder der Beschädigung der Ware ab dem Zeitpunkt, an dem sie wie in EXW A4 vorgesehen vom Verkäufer geliefert worden ist. Unter den gegebenen Umständen liegt der (reale) Lieferort, an dem A seine Lieferverpflichtung gegenüber S erfüllt, also Mag. Richard Kettisch ist Assistent am Institut für Finanzrecht der Karl- Franzens-Universität Graz. Der Autor dankt Univ.-Prof. Dr. Tina Ehrke-Rabel für wertvolle Anmerkungen und die kritische Durchsicht des Manuskripts. 1) BMF 2. 10. 2014, 010219/0403-VI/4/2014. 2) Die ICC Germany ist Herausgeber der Incoterms (urheberrechtlich geschütztes Werk), s www.iccgermany.de 3) Vgl zb Ruppe/Achatz, UStG 4 (2011) 3 Rz 160: 3 Abs 8 beinhaltet lediglich eine Fiktion des Zeitpunktes (und indirekt des Ortes) ; Pernegger in Melhardt/Tumpel (Hrsg), UStG (2011) 3 Rz 187: 3 Abs 8 enthält eine Fiktion betr des Ortes [...] der Lieferung ; Nieskens in Rau/ Dürrwächter, UStG 158. Lfg (2014) 3 dustg Anm 3420: die in 3 Abs 6 Satz 1 UStG angeordnete[n] Fiktion, wonach die Lieferung dort als ausgeführt gilt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer beginnt ; Lippross, Verfügungsmacht und Sachgefahr, UR 2008, 495 (495): Fiktion des Orts der Lieferung in Art 32 MwStSystRL ; von Streit, Bestimmung des Lieferorts bei aufeinanderfolgenden Lieferungen innerhalb der europäischen Union, UR 2011, 161 (164) FN 22: die Fiktion von Ort und Zeitpunkt der Lieferung in Art 32 der MwStSystRL. 4) Vgl Ruppe/Achatz, UStG 4 (2011) Einführung zur BMR Rz 7.

in Österreich, wozu 3 Abs 8 UStG, übereinstimmend, auch die Steuerbarkeit der Lieferung in Österreich anordnet. Variante 2: Der Österreicher A könnte die Ware aber auch zur Kondition DAP Lager Bratislava an den Slowaken S verkaufen: DAP (Delivered At Place, geliefert benannter Ort) bedeutet, dass der Verkäufer die Ware zu liefern hat, indem er sie dem Käufer am benannten Bestimmungsort zum vereinbarten Zeitpunkt zur Verfügung stellt (vgl DAP A4). Gem DAP B5 trägt der Käufer alle Gefahren des Verlusts oder der Beschädigung der Ware ab dem Zeitpunkt, an dem sie wie in DAP A4 vorgesehen geliefert worden ist. In dieser Variante liegt der Ort, an dem A seine Lieferverpflichtung erfüllt (der reale Lieferort), beim Abnehmer in der Slowakei, während aber 3 Abs 8 UStG nach wie vor festlegt, dass die Lieferung dort als ausgeführt gilt, wo die Beförderung oder Versendung beginnt: abweichend vom realen Lieferort, in Österreich. Für die (mehrwertsteuerliche) Beurteilung eines Liefergeschäfts zwischen nur zwei Unternehmern ist eine Differenzierung zwischen umsatzsteuerlichem Lieferort und realem Lieferort grundsätzlich nicht notwendig; es mag daher vielleicht überraschen, dass bei der mehrwertsteuerlichen Beurteilung von Reihengeschäften den realen Lieferorten entscheidende Bedeutung zukommt. 2. Die Bedeutung des realen Lieferorts Die maßgebende Bedeutung der realen Lieferorte für die Beurteilung von Reihengeschäften lässt sich dem UStG nicht unmittelbar entnehmen. Sie ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, die in dieser Hinsicht auch vom BFH bereits aufgegriffen wurde. Es gilt Folgendes: Sofern das Recht, über den Liefergegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, erst im Bestimmungsmitgliedstaat auf den Zweiterwerber übertragen wird, muss die Warenbewegung der Lieferung an den Ersterwerber zugerechnet werden (EuGH Euro Tyre). 5 ) Bzw umgekehrt formuliert: Falls die zweite Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, noch vor dem Warentransport (im Ursprungsland) stattgefunden hat, kann die innergemeinschaftliche Beförderung nicht mehr der Lieferung an den Ersterwerber zugerechnet werden (EuGH VSTR). 6 ) Entscheidend ist nach der EuGH- Rechtsprechung also, zu welchem Zeitpunkt die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Liefergegenstand zu verfügen ( Verfügungsmacht ), innerhalb der einzelnen Liefergeschäfte übertragen worden ist. 7 ) 3. Die Übertragung der Verfügungsmacht Nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH ist die Übertragung der Verfügungsmacht charakterisiert durch die Übertragung der mit dem Liefergegenstand verbundenen Chancen und Risiken; 8 ) nach ständiger Rechtsprechung von VwGH und BFH durch die Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag des Liefergegenstands. 9 ) Ohne an dieser Stelle weitere Facetten der Übertragung der Verfügungsmacht zu erörtern, 10 ) kann festgehalten werden: Die Übertragung der Verfügungsmacht ist ein tatsächlicher Vorgang, der nicht unbedingt am (fingierten) umsatzsteuerlichen Lieferort stattfindet. Der Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht richtet sich auch bei Versendungs- und Beförderungslieferungen nach allgemeinen Grundsätzen. 11 ) Die Übertragung der Verfügungsmacht findet daher dort statt, wo sich die für eine Lieferung tatbestandliche Übertragung der Chancen und Risiken bzw von Substanz, Wert und Ertrag tatsächlich vollzieht. Ort der tatsächlichen Verschaffung der Verfügungsmacht ist regelmäßig derjenige Ort, an dem der Liefergegenstand vom jeweiligen Lieferanten (oder dessen Beauftragten) übernommen wird. 12 ) C. Folgen der Verwendung von Incoterms -Regeln in der Praxis An folgendem einfachen Beispiel kann die praktische Bedeutung der kraft Incoterms -Regeln (Incoterms 2010 13 )) vereinbarten Lieferorte verdeutlicht werden: Der Österreicher A verkauft Ware an den Slowaken S zur Kondition EXW Lager Schwechat : Der Slowake S verkauft die Ware seinerseits an den Ungarn U, zur Kondition DAP Lager Budapest. In dieser Erweiterung des ersten Beispiels liegt also ein Reihengeschäft vor, bei dem mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abgeschlossen haben, und wo der Liefergegenstand unmittelbar vom ersten Unternehmer in Österreich an den letzten Abnehmer in Ungarn gelangt. Der reale Lieferort, an dem A seine Verpflichtung gegenüber S erfüllt, wo Letzterem also die umsatzsteuerliche Verfügungsmacht an der Ware übertragen wird, ist das Lager des Österreichers in Schwechat. Der Lieferort, an dem der slowakische Zwischenhändler S seine eigene Lieferverpflichtung gegenüber seinem Kunden U erfüllt und die Verfügungsmacht wieder abgibt, ist Budapest. Die Lieferkondition DAP umfasst hier also (notwendigerweise) auch eine Verpflichtung des Verkäufers S, dafür zu sorgen, dass die Ware am vereinbarten Ort in Ungarn zur vereinbarten Zeit zur Verfügung steht, sodass S hier die Ware entweder persönlich oder durch einen Beauftragten zu befördern hat. Nach der EuGH-Rechtsprechung ist unter diesen Umständen die erste Lieferung eine bewegte Lieferung ( 3 Abs 8 UStG) und die zweite Lieferung eine ruhende Lieferung ( 3 Abs 7 UStG), weil im Rahmen des Liefergeschäfts zwischen A und S die Verfügungsmacht noch vor der Warenbewegung auf S übertragen wird, während im zweiten Lie- 5) Vgl EuGH 16. 12. 2010, C-430/09, Euro Tyre Holding, Rz 45; der Zweiterwerber ist der an dritter Stelle in einem Reihengeschäft stehende Unternehmer, der den Gegenstand als Zweiter erwirbt (vom an zweiter Stelle stehenden Ersterwerber). 6) EuGH 27. 9. 2012, C-587/10, VSTR, Rz 32. 7) Vgl BFH 28. 5. 2013, XI R 11/09, UR 2013, 756, Leitsatz 3 sowie Rz 47. 8) EuGH 16. 2. 2012, C-118/11, Eon Aset, Rz 39. 9) VwGH 27. 2. 2002, 2000/13/0095; 24. 10. 2012, 2008/13/0088; BFH 24. 4. 1969, V 176/64; 24. 10. 2013, V R 17/13 Rz 24. 10) Dazu insbesondere Reiß, Kein Renditefonds Zur Begründungsqualität der jüngeren EuGH-Rechtsprechung zur 6. EG-Richtlinie, UR 2003, 428; Hummel, Verschaffung der Verfügungsmacht im Umsatzsteuerrecht, UR 2007, 757; von Streit/Korf, Erosion des Lieferbegriffs, UR 2008, 410; Leidel, Umsatzsteuerliche Behandlung von Leasing unter Berücksichtigung der jüngsten EuGH-Judikatur, ÖStZ 2009, 9; Ruppe/Achatz, UStG 4 (2011) 3 Tz 31 ff; Kettisch, Reihengeschäfte Rechtsrahmen, Vertrauensschutz und die Tragweite des Zivilrechts, UR 2014, 593 (598 ff). 11) Ruppe/Achatz, UStG 4 (2011) 3 Rz 159. 12) Treffend Fritsch in Reiß/Kraeusel/Langer/Wäger, Umsatzsteuergesetz, 107. Lfg (2013) 25 b UStG Rz 61.1. 13) Alle Ausführungen beziehen sich auf die Incoterms 2010. UMSATZSTEUER taxlex 2015 43

fergeschäft zwischen S und U die Verfügungsmacht erst in Ungarn von S auf U übertragen wird. 14 ) Dieser Sachverhalt lässt sich beliebig erweitern; im folgenden, dritten Beispiel werden weiterhin die beiden Klauseln EXW und DAP verwendet, wobei der Liefergegenstand zwischen nunmehr fünf beteiligten Unternehmern weiterveräußert wird und vom Ursprungsland Österreich ins Bestimmungsland Deutschland gelangt: Der Österreicher A verkauft Ware an den Slowaken S zur Kondition EXW Lager Schwechat. Der Slowake S verkauft die Ware im Rahmen des zweiten Liefergeschäfts an den Ungarn U, gleichermaßen EXW Lager Schwechat. Der Ungar U ist nun ebenfalls ein Zwischenhändler, der die Ware an einen weiteren Zwischenhändler, den Tschechen T, verkauft, zur Kondition DAP Lager München, wobei als Lieferort das Lager des Letzterwerbers, des Deutschen D, vereinbart wird; im vierten und letzten Liefergeschäft verkauft T die Ware dem Deutschen D, gleichfalls zur Kondition DAP Lager München. Der Liefergegenstand gelangt also unmittelbar vom Lager Schwechat des österreichischen Erstveräußerers A zum Lager München des deutschen Letzterwerbers D. Der reale Lieferort der ersten Lieferung (Ö an S; EXW Lager Schwechat ) befindet sich also in Österreich, ebenso der Lieferort der zweiten Lieferung (S an U; EXW Lager Schwechat ); bei der dritten Lieferung (U an T; DAP Lager München ) befindet sich der Lieferort in Deutschland, gleich wie bei der vierten Lieferung (T an D; DAP Lager München ). Die Beförderung oder Versendung des Liefergegenstands hat notwendigerweise der Ungar U zu besorgen; er erwirbt die Ware von seinem Lieferanten mit Lieferort Schwechat und ist gegenüber seinem Abnehmer T verpflichtet, sie in München abzuliefern; U hat die umsatzsteuerliche Verfügungsmacht während der Warenbewegung, und gibt sie erst im Bestimmungsland wieder ab. Nach der von mir vorgeschlagenen Lösungsformel für Reihengeschäfte muss U hier der Empfänger der bewegten Lieferung sein, während die erste, dritte und vierte Lieferung jeweils als ruhende Lieferungen zu qualifizieren sind. 15 ) Im Detail ist Folgendes zu beachten: Lieferung A an S: ruhende Lieferung in Österreich ( 3 Abs 7 UStG); die Ware wird erst bewegt, nachdem bereits U, der Dritte in der Reihe ( Zweiterwerber ), die Verfügungsmacht erhalten hat. Die Beförderung kann also nach der EuGH-Rechtsprechung nicht mehr der ersten Lieferung (A an S) zugerechnet werden, weil die zweite Übertragung der Verfügungsmacht (S an U) noch vor dem Warentransport durch U stattgefunden hat. A verrechnet österreichische Mehrwertsteuer an S. Lieferung S an U: bewegte Lieferung ( 3 Abs 8 UStG); U erhält die Verfügungsmacht am Lieferort des zweiten Liefergeschäfts in Schwechat und gibt sie erst am Lieferort des dritten Liefergeschäfts im Bestimmungsland an T weiter; er hat während der Warenbewegung die Verfügungsmacht inne und ist kraft Beförderung oder Versendung jedenfalls an der bewegten Lieferung beteiligt: entweder als zustellender Lieferer oder als abholender Empfänger. Aus der EuGH-Rechtsprechung ist abzuleiten, dass U Empfänger der bewegten Lieferung sein muss: Überträgt ein Zwischenhändler, der die Verfügungsmacht im Ursprungsland erhalten hat, diese Verfügungsmacht nämlich erst im Bestimmungsland an seinen Abnehmer, dann ist die Warenbewegung der Lieferung an ihn zuzurechnen; 16 ) bzw aus der umgekehrten Perspektive könnte die Warenbewegung nicht mehr der Lieferung an ihn zugerechnet werden, wenn er die Verfügungsmacht noch im Ursprungsland wieder weitergeben würde. 17 ) S verrechnet also eine in Österreich steuerbare innergemeinschaftliche Lieferung an den Ungarn U, wobei U mit einer deutschen UID auftreten muss und in Deutschland einen innergemeinschaftlichen Erwerb zu erklären hat. Lieferung U an T: ruhende Lieferung in Deutschland ( 3 Abs 7); weil U den Liefergegenstand von Österreich nach Deutschland befördert oder versendet, kommt auf den ersten Blick auch die Lieferung des U an T als bewegte Lieferung in Frage. Allerdings wurde vom EuGH hinreichend klargestellt (dazu bereits oben), dass ein befördernder Zwischenhändler, der die Verfügungsmacht erst am Bestimmungsort wieder abgibt, nur der Empfänger der bewegten Lieferung sein kann. U hat somit deutsche Umsatzsteuer an T zu verrechnen. Lieferung T an D: ruhende Lieferung in Deutschland ( 3 Abs 7); gleich wie T erhält auch D im Lager München die Verfügungsmacht über die Ware, ohne dass es zu einer weiteren Warenbewegung kommt. T hat an D deutsche Umsatzsteuer zu verrechnen. D. Fazit: Funktion der Incoterms -Regeln bei Reihengeschäften Entscheidend sind nach der EuGH-Rechtsprechung die tatsächlichen Lieferorte. Die tatsächlichen Lieferorte sind diejenigen Orte, an denen die tatbestandliche Lieferung im Wege der Übertragung von Chancen und Risiken bzw von Substanz, Wert und Ertrag vollzogen wird. Die maßgeblichen tatsächlichen Lieferorte stammen grundsätzlich überein mit den mittels Incoterms -Klauseln vereinbarten Erfüllungsorten. Dispositives nationales Recht tritt hinter die vereinbarten Incoterms -Klauseln zurück 18 ) und insbesondere die Gefahrtragungsregeln sind dispositiv. 19 ) Allerdings sind nicht alle Incoterms -Klauseln im gleichen Maße geeignet, zur Lieferortbestimmung beizutragen: Während bei Vereinbarung von Incoterms der D-Gruppe der Erfüllungsort normalerweise beim Käufer liegt, und bei der Klausel EXW beim Verkäufer, wird bspw in der Verwendung der frei-klauseln ( frei Haus, frei unverzollt ) idr lediglich die Übernahme der Transportkosten durch den Verkäufer, nicht aber die Begründung eines Erfüllungsorts beim Käufer gesehen. 20 ) Wo sich die Lieferorte nicht unmittelbar aus der Verwendung von Incoterms -Klauseln ableiten lassen, müssen also Lieferzeitpunkt und Lieferort weiterhin unter Zuhilfenahme der übrigen Kaufabsprachen bestimmt werden. 14) Wird die Verfügungsmacht dem Zweiterwerber (hier: U) erst im Bestimmungsland übertragen, ist die Warenbewegung der Lieferung an den Ersterwerber (hier: S) zuzurechnen; s EuGH 16. 12. 2010, C-430/09, Euro Tyre Holding, Rz 33; 27. 9. 2012, C-587/10, VSTR, Rz 32. 15) Lösungsformel: In einem Reihengeschäft ist an der bewegten Lieferung stets derjenige beteiligt, der die umsatzsteuerliche Verfügungsmacht während der Beförderung innehat; zweiter Beteiligter ist im Regelfall sein Lieferer, und im Ausnahmefall des befördernden Erstveräußerers dessen Abnehmer ; s Kettisch, Klarstellungen und ein Lösungsvorschlag zu Reihengeschäften, SWK 2014, 1036 (1039 ff), und ders, Intra-Community chain supplies, World Journal of VAT/GST Law 2014, 88 (96 ff). 16) Vgl EuGH 16. 12. 2010, C-430/09, Euro Tyre Holding, Rz 45. 17) Vgl EuGH 27. 9. 2012, C-587/10, VSTR, Rz 32. 18) Vgl K. Schmidt, in Münchener Kommentar zum HGB 3 (2013) 346 HGB Rz 115. 19) Aicher in Rummel 3 1051 Rz 16. 20) Im Detail s Buchwitz, Handelsklauseln und Erfüllungsort im materiellen Recht und IZVR, IHR 2013, 108 (111). 44 taxlex 2015

& Der fiktive umsatzsteuerliche Lieferort am Beginn der Beförderung ( 3 Abs 8 UStG) ist nicht zu verwechseln mit dem realen Lieferort. & Der reale Lieferort liegt dort, wo die tatbestandliche Lieferung real erfüllt wird, an dem es tatsächlich zur Übertragung der umsatzsteuerlichen Verfügungsmacht am Liefergegenstand kommt. & Nach der EuGH-Rechtsprechung kommt den realen Lieferorten bei der Beurteilung von Reihengeschäften entscheidende Bedeutung zu. & Die Finanzverwaltung weist in der Ergebnisunterlage zum Salzburger Steuerdialog zutreffend SCHLUSSSTRICH darauf hin, dass die Incoterms -Regeln zur Feststellung des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts berücksichtigt werden können. Im gegebenen Zusammenhang ist hierunter die Feststellung der realen Lieferorte zu verstehen. & Mit Hilfe der passenden Incoterms -Klauseln können die maßgeblichen realen Lieferorte vereinbart bzw ermittelt werden, wobei allerdings nicht alle Incoterms -Klauseln im gleichen Maße hierzu geeignet sind. taxlex 2015 45