Armut in Deutschland. Entwicklungstendenzen und Ursachen Olaf Groh-Samberg, Universität Bremen



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Transkript:

Armut in Deutschland. Entwicklungstendenzen und Ursachen Olaf Groh-Samberg, Universität Bremen Jahrestagung der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e.v. in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Loccum Ungleiche Ungleichheit? Einkommensverteilung in Deutschland im internationalen Vergleich 19.-20. September 2013 Evangelischen Akademie Loccum

Nowayout. Die Verfestigung der Armut in Deutschland

These Der Anstieg der Armut in Deutschland ist das Ergebnis ihrer Verfestigung Phänomenologische (statt kausale) Ursachenanalyse Dauerhaftigkeit von Armutslagen Kumulation von Problemlagen Sozialstrukturelle und sozialräumliche Konzentration

Gliederung Kombinierter Armutsindikator: Multidimensionalität und Zeitlichkeit Armutsdefinition und messung Trendanalysen Aspekte von Verfestigung Dauerhaftigkeit Kumulation Sozialstruktur

ZumEinstieg: Langfristiger Anstiegder Armutin Deutschland Beschleunigter Anstieg1999-2005: Entkopplungvon Armuts-und Konjunkturentwicklung???

Ursachenanalysen Tübinger Gutachten zum 4. A+R: Anstiegder Einkommensungleichheit 1999-2005 erklärt sich zu: 20-30% Arbeitslosigkeit und Beschäftigung 40-50% Zunahme von Lohnungleichheiten 20-30% Änderungen im Steuerrecht geringer Einfluss: demographische Veränderungen, Hartz-Reformen

Ein multidimensionaler & längsschnittlicherarmutsindikator

Definition von Armut Armutsdefinition des EU-Ministerrates von 1984: Als verarmt sind jene Einzelpersonen, Familien und Personengruppen anzusehen, die über so geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist. (zit. nach BMAS 2001: XIV) Implikationen: Kausaler Effekt: Ausschluss aufgrund von Ressourcenmangel indirekte Messung von Armut: (relative) Einkommensarmut direkte Messung von Armut: Deprivations-/Lebenslagenarmut implizit: erst dauerhafte Ressourcenauszehrung führt zu Armut grundsätzlich: relatives Armutskonzept

Armutsmessung Grenzen einkommensbasierter Armutskonzepte Schulden, Vermögen, nicht-monetäre Einkommenskomponenten Messfehler: Problem bei dynamischen Analysen! Einkommensverwendung, Haushaltsausstattung, besondere Bedarfslagen (Krankheit) nicht-monetäre Dimensionen sozialer Ausgrenzung: Arbeitslosigkeit

Armutsmessung Probleme direkter Armutsmessung Auswahl der Lebenslagen/-bereiche Nexus ökonomischer und materieller Lebenslagen wichtig: Einkommen, Rücklagen, Arbeitslosigkeit, Wohnbedingungen Schwellenwerte und Aggregation Mismatch von Einkommens-und Deprivationsarmut Theoriegeleitete Typologie

Ein kombinierter Armutsindikator Daten: Sozio-oekonomisches Panel (SOEP), v28, 1984-2011 Einkommen: - Haushaltsnettoeinkommen (Vorjahr), inkl. Mietwert selbstgenutzten Wohnraums, bedarfsgewichtet (neue OECD-Skala) - 3 Einkommensgruppen: <50% 50%-75% >75% mean Lebenslagen: - Finanzielle Rücklagen (Wertanlagen, Vermögenseinkünfte, regelmässigesparbeträge, Transferbezug) - Wohnung (Wohnungsgröße, sanitäre Ausstattung, baulicher Zustand, Zentralheizung, Erholungsbereich, Eigentümerstatus, Sozialwohnung) - Arbeitslosigkeit (mindestens eine Person im HH länger als 2 Monate arbeitslos gemeldet) - 3 Deprivationsniveaus: 0 von 3 1 von 3 2-3 von 3 Zeit: 5-Jahres-Panels (balanciert) sukzessive 5-Jahres-Perioden: 1984-1988, 1985-1989,..., 2007-2011 Region: getrennt für West- und Ostdeutschland

Kategorialer Armutsindikator gesicherter Wohlstand instabiler Wohlstand inkonsistente Armut Prekarität temporäre Armut verfestigte Armut

Kategorialer Armutsindikator gesicherter Wohlstand inkonsistente Armut instabiler Wohlstand Prekarität temporäre Armut extreme Pole verfestigte Armut

Kategorialer Armutsindikator gesicherter Wohlstand inkonsistente Armut instabiler Wohlstand Prekarität temporäre Armut Zwischen Armut und Wohlstand verfestigte Armut

Kategorialer Armutsindikator gesicherter Wohlstand instabiler Wohlstand widersprüchliche Typen inkonsistente Armut Prekarität temporäre Armut verfestigte Armut

Kategorialer Armutsindikator Beispiel: Westdeutschland Anteil relative Einkommensposition Deprivationen Lebenslagen- 2006-2010 in % in % Summe gesicherter Wohlstand 44.3 136 0.4 instabiler Wohlstand 28.3 90 2.2 inkonsistente Armut 3.1 68 3.4 temporäre Armut 4.5 71 3.7 Prekarität 9.6 60 4.8 verfestigte Armut 10.3 44 8.7 Total 100.0 100 2.4 SOEPv28, 1984-2011, balancierte 5-Jahres-Panel, gewichtete Ergebnisse

Trendanalysen 1984-2011 Strukturierungvs. Ent-Strukturierungvon Armut? Verzeitlichung: Zunahme temporärer Armut Status-Inkonsistenz: Zunahme inkonsistenter Armutslagen Prekarisierung( bröckelnderwohlstand ): Zunahme prekärer Zwischen-Lagen Polarisierung: Zunahme an den Polen Verfestigung: Zunahme verfestigter Armut

Trends: Armut, Prekarität, Wohlstand SOEPv28, 1984-2011, balancierte 5-Jahres-Panel, gewichtete Ergebnisse

Verfestigung von Armut

Persistenz von Armut und Deprivation Anteil 4-5 von mind. 1 Jahr arm/depriviert, in % SOEPv28, 1984-2011, balancierte 10-Jahres-Panel, gewichtete Ergebnisse

Kumulation von Problemlagen Zusammenhang von Einkommenslage, Rücklagen, Wohnen und Arbeitslosigkeit Log-lineare Analyse: Stärke der Kumulation von Problemlagen unabhängig von der Häufigkeit einzelner Problemlagen West: Zunahme der Kumulation von Arbeitslosigkeit+Rücklagenarmut, Einkommens-+Rücklagenarmut, Wohndeprivation+Einkommensarmut Ost: Zunahme der Kumulation von Arbeitslosigkeit+Rücklagenarmut, Rücklagenarmut+Wohndeprivation, Arbeitslosigkeit+Einkommensarmut

Kumulation von Problemlagen Zusammenhang von Einkommenslage, Rücklagen, Wohnen und Arbeitslosigkeit Log-lineare Analyse: Stärke der Kumulation von Problemlagen unabhängig von der Häufigkeit einzelner Problemlagen West: Zunahme der Kumulation von Arbeitslosigkeit+Rücklagenarmut, Einkommens-+Rücklagenarmut, Wohndeprivation+Einkommensarmut Ost: Zunahme der Kumulation von Arbeitslosigkeit+Rücklagenarmut, Rücklagenarmut+Wohndeprivation, Arbeitslosigkeit+Einkommensarmut

Kumulation von Problemlagen Zusammenhang von Einkommenslage, Rücklagen, Wohnen und Arbeitslosigkeit Log-lineare Analyse: Stärke der Kumulation von Problemlagen unabhängig von der Häufigkeit einzelner Problemlagen West: Zunahme der Kumulation von Arbeitslosigkeit+Rücklagenarmut, Einkommens-+Rücklagenarmut, Wohndeprivation+Einkommensarmut Ost: Zunahme der Kumulation von Arbeitslosigkeit+Rücklagenarmut, Rücklagenarmut+Wohndeprivation, Arbeitslosigkeit+Einkommensarmut