UNTERHALTUNGSFORSCHUNG. Arne Freya Zillich. Fernsehen als Event. Unterhaltungserleben bei der Fernsehrezeption in der Gruppe. Herbert von Halem Verlag



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Transkript:

UNTERHALTUNGSFORSCHUNG Arne Freya Zillich Fernsehen als Event Unterhaltungserleben bei der Fernsehrezeption in der Gruppe Herbert von Halem Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Arne Freya Zillich Fernsehen als Event. Unterhaltungserleben bei der Fernsehrezeption in der Gruppe Unterhaltungsforschung, 9 Köln: Halem, 2013 Die Reihe Unterhaltungsforschung wird herausgegeben von Werner Früh, Tilo Hartmann, Holger Schramm, Sabine Trepte, Peter Vorderer, Werner Wirth und Carsten Wünsch. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme (inkl. Online-Netzwerken) gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. 2013 by Herbert von Halem Verlag, Köln ISSN 1862-3069 ISBN 978-3-86962-082-4 Den Herbert von Halem Verlag erreichen Sie auch im Internet unter http://www.halem-verlag.de E-Mail: info@halem-verlag.de Satz: Herbert von Halem Verlag Druck: docupoint GmbH, Magdeburg Gestaltung: Claudia Ott Grafischer Entwurf, Düsseldorf Copyright Lexicon 1992 by The Enschedé Font Foundry. Lexicon is a Registered Trademark of The Enschedé Font Foundry.

Inhalt 1. EinleituNG 15 2. Unterhaltungserleben bei der FernsehrezeptioN 22 2.1 Unterhaltung als Forschungsgegenstand 23 2.2 Triadisch-dynamische Unterhaltungstheorie 29 2.2.1 Rahmentheorie 29 2.2.2 Triadisches Modell 30 2.2.3 Dynamisch-transaktionale Informationsverarbeitung 39 2.2.4 Allgemeine Handlungsziele 43 2.2.5 Diskussion der Triadisch-dynamischen Unterhaltungstheorie 45 2.3 Erlebensqualitäten 50 2.3.1 Empathie 56 2.3.2 Spannung 58 2.3.3 Rätseln 62 2.3.4 Tratschen 66 2.3.5 Anwendung und Verortung der Erlebensqualitäten 69 2.4 Zusammenfassung und Definition 73

3. Gruppen und Gruppenprozesse 77 3.1 Erscheinungsformen von Gruppen 77 3.2 Sozialer Identitätsansatz 82 3.3 Soziale Interaktionen in Gruppen 93 3.4 Zusammenfassung 103 4. Fernsehrezeption in der Gruppe 107 4.1 Quantitative Nutzungs- und Wirkungsforschung 108 4.2 Ethnografische Medienforschung 117 4.3 Konversationsanalytische Aneignungsforschung 121 4.4 Zusammenfassung 126 5. Unterhaltungserleben bei der Fernsehrezeption in der Gruppe ein theoretisches Modell 129 6. Forschungsfragen und HypotheseN 136 7. Methode 148 7.1 Methodische Vorüberlegungen 148 7.1.1 Mögliche Untersuchungsanlagen 149 7.1.2 Mögliche Verfahren zur Erfassung des Unterhaltungserlebens 150 7.1.3 Mögliche Verfahren zur Erfassung von Gruppenprozessen 154 7.2 Design der Studie 156 7.2.1 Durchführung und Stichprobe der Studie 157 7.2.2 Stimulusmaterial 163 7.3 Schriftliche Befragung 167 7.3.1 Operationalisierung des Unterhaltungserlebens 168 7.3.2 Operationalisierung der Gruppenprozesse 172 7.3.3 Operationalisierung der rezipientenbezogenen Merkmale 174 7.3.4 Indexbildung 177

7.4 Beobachtung 180 7.4.1 Operationalisierung der Interaktion in der Gruppe 182 7.4.2 Transkription 187 7.5 Gütekriterien der Untersuchung 188 7.6 Datenauswertung 191 8. Ergebnisse 198 8.1 Grundlegende Befunde 198 8.2 Rahmenbedingungen des gemeinsamen Fernsehens 207 8.3 Einfluss der Nutzungskonstellation 214 8.4 Einfluss der Gruppenprozesse 219 8.4.1 Motive der gemeinsamen Tatort-Nutzung 219 8.4.2 Wahrgenommene Gruppenkohäsion 221 8.4.3 Interaktion in der Gruppe 223 8.5 Einfluss der rezipientenbezogenen Merkmale 229 8.6 Typen des Unterhaltungserlebens bei der Fernsehrezeption in der Gruppe 238 9. DiskussioN 253 9.1 Zusammenfassung und Bewertung der Befunde 254 9.2 Bewertung des methodischen Vorgehens 260 9.3 Ausblick 263 10. Literatur 267 11. AnhaNG 302 11.1 Fragebogen für die Rezeption in der Gruppe 302 11.2 Codierbuch zur Interaktionsanalyse 313

Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1 Triadisches Fitting 37 Abb. 2 Dynamisches Zweiebenenmodell des Unterhaltungserlebens 40 Abb. 3 Spezifizierung und Ausdifferenzierung des basalen Unterhaltungserlebens durch Erlebensqualitäten 52 Abb. 4 Verortung der Erlebensqualitäten 72 Abb. 5 Soziale Identität als vermittelndes Konzept 93 Abb. 6 Unterhaltungserleben bei der Fernsehrezeption in der Gruppe 130 Abb. 7 Design der Untersuchung 161 Abb. 8 Durchschnittliche Anzahl an Sprachhandlungsmustern pro Person 203 Abb. 9 Typen des Unterhaltungserlebens bei der Krimirezeption in der Gruppe 245 Abb. 10 Tratschen, Beispiel 1 248 Abb. 11 Tratschen, Beispiel 2 248 Abb. 12 Tratschen, Beispiel 3 249 Abb. 13 Übertragen und Einordnen, Beispiel 1 250 Abb. 14 Übertragen und Einordnen, Beispiel 2 251

Verzeichnis der Tabellen Tab. 1 Arten von Gruppen 81 Tab. 2 Arten der Aneignung 122 Tab. 3 Zusammensetzung der Stichprobe nach Nutzungskonstellation 163 Tab. 4 Reliabilität der Skalen 189 Tab. 5 Intensität des Unterhaltungserlebens und der wahrgenommenen Gruppenkohäsion 199 Tab. 6 Rahmenbedingungen der Interaktion in der Gruppe 200 Tab. 7 Bekanntheit des Tatort Wolfsstunde 205 Tab. 8 Häufigkeit des gemeinsamen Fernsehens nach Lebensgemeinschaften 208 Tab. 9 Häufigkeit des gemeinsamen Fernsehens nach Alter 209 Tab. 10 Fernsehnutzung nach Nutzungskonstellation 211 Tab. 11 Faktorladungen für die Motive der gemeinsamen Tatort-Nutzung 212 Tab. 12 Mittelwerte der Motive der gemeinsamen Tatort-Nutzung 213 Tab. 13 Unterhaltungserleben nach Nutzungskonstellation 215 Tab. 14 Zusammenhang zwischen Motiven der gemeinsamen Tatort-Nutzung und Unterhaltungserleben 220 Tab. 15 Unterhaltungserleben nach wahrgenommener Gruppenkohäsion 222 Tab. 16 Basales Unterhaltungserleben nach Interaktion in der Gruppe 225

Tab. 17 Erlebensqualitäten nach sprachlichen Äußerungen 227 Tab. 18 Zusammenhang zwischen Nutzung bestimmter Fernsehformate und Unterhaltungserleben 231 Tab. 19 Unterhaltungserleben nach Tatort-Nutzung 234 Tab. 20 Unterhaltungserleben nach Geschlecht 237 Tab. 21 Dreidimensionaler Merkmalsraum der Gruppenprozesse 241 Tab. 22 Typen von Gruppenmitgliedern 241

Unterhaltungsforschung Arne Freya Zillich Fernsehen als Event. Unterhaltungserleben bei der Fernsehrezeption in der Gruppe Unterhaltungsforschung, 9 2013, 320 S., 14 Abb., 22 Tab., Broschur, 213 x 142 mm, dt. EUR(D) 29,50 / EUR(A) 30,20 / sfr. 49,60 ISBN 978-3-86962-082-4 Fernsehen wird wieder zum sozialen Ereignis: Man trifft sich gezielt mit Freunden und Bekannten, um gemeinsam fernzuschauen. Das vorliegende Buch untersucht, wie die Fernsehrezeption in der Gruppe das Unterhaltungserleben beeinflusst. Die Autorin erweitert das Triadisch-dynamische Unterhaltungsmodell von Werner Früh durch Konzepte der sozialpsychologischen Gruppenforschung und der Forschung zur Fernsehrezeption in der Gruppe. In einer Feldstudie, die eine Befragung mit einer Videobeobachtung kombiniert, vergleicht sie das Unterhaltungserleben bei der alleinigen und gemeinsamen Fernsehrezeption und untersucht, welche Gruppenprozesse sich bei der gemeinsamen Rezeption auf das Unterhaltungserleben auswirken. HERBERT VON HALEM VERLAG Schanzenstr. 22. 51063 Köln http://www.halem-verlag.de info@halem-verlag.de H H

1. Einleitung Die beliebteste Freizeitaktivität der Deutschen ist fernsehen (vgl. Opaschowski 2008: 43). Trotz der zunehmenden Zahl an konkurrierenden Medien hat das Fernsehen weiterhin den höchsten Stellenwert im Alltag der Menschen. In nahezu jedem deutschen Haushalt ist ein Fernsehgerät vorhanden, so dass hierfür im Unterschied zum Internet eine Vollversorgung vorliegt. Die Bundesbürger nutzten das Fernsehen im Jahr 2010 durchschnittlich 220 Minuten täglich, also mehr als dreieinhalb Stunden und damit deutlich länger als das Radio oder das Internet (vgl. Ridder/Engel 2010a: 525). Dabei wird in 90 Prozent der Zeit exklusiv ferngesehen, d. h. ohne parallele Nutzung eines anderen Medienangebots (vgl. Best/Breunig 2011: 21f.). Bei einem Ausfall des Fernsehens würden es zudem 45 Prozent der Bevölkerung stark bis sehr stark vermissen (vgl. van Eimeren/Ridder 2011: 5). Diese Befunde verdeutlichen die hohe Bindung der Zuschauer an dieses Medium und seine Bedeutung im alltäglichen Leben der Menschen. Dabei dominiert weiterhin die konventionelle Form der Fernsehnutzung, bei der das aktuell ausgestrahlte Programm über ein Fernsehgerät verfolgt wird. Bisher stellen sowohl die zeitversetzte Nutzung bereits ausgestrahlter Sendungen in Mediatheken als auch der Fernsehempfang über den Personal Computer eine empirische Randerscheinung dar (vgl. Zubayr/Gerhard 2011: 126). Ebenso wurde die Fernsehnutzung anderen Vermutungen zum Trotz nicht durch das Internet verdrängt. Dies liegt insbesondere an den vielseitigen Funktionen, die das Fernsehen für die Zuschauer erfüllt. Es wird insbesondere genutzt, um sich zu informieren, um Spaß zu haben und um sich zu entspannen. Zudem ist das Fernsehen aus Sicht der Rezipienten das unterhaltsamste 15

Einleitung Medium (vgl. Ridder/Engel 2010b: 540). Vergleicht man die spezifischen Gratifikationen, welche Fernsehen und Internet für die Rezipienten bieten, zeigt sich, dass sich das Fernsehen besser zur Entspannung und emotionalen Selbsterfahrung eignet. Das Internet erfüllt hingegen in erster Linie eine Informations- und Orientierungsfunktion. Damit stellt Unterhaltung eine spezifische Funktion des Fernsehens dar (vgl. Oehmichen/Schröter 2003; Scherer/Schlütz 2004; Ridder/Engel 2010b). Im vergangenen Jahrzehnt hat sich das Nutzungsverhalten der Fernsehzuschauer verändert. Diese Entwicklung erfolgte vor dem Hintergrund sich wandelnder soziokultureller Bedingungen: Mittlerweile leben ca. 85 Prozent der deutschen Bevölkerung in Städten oder halbstädtischen Gebieten; die Mehrheit davon wohnt in Einpersonenhaushalten. So lag die durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland 2010 bei 2,03 Personen. Folglich gibt es kaum noch Haushalte, in denen drei Generationen unter einem Dach zusammenleben (vgl. Statistisches Bundesamt 2011). Hinzu kommt, dass in immer mehr Haushalten mehrere Fernsehgeräte vorhanden sind. Inzwischen besitzen 28 Prozent der Haushalte zwei Fernsehgeräte, während 11 Prozent bereits mit drei und mehr Fernsehgeräten ausgestattet sind (vgl. Statistisches Bundesamt 2008). Die Individualisierung der Gesellschaft spiegelt sich auch in der Tendenz wider, Fernsehen alleine zu nutzen. Durch die zunehmende Anzahl an Alleinlebenden und Fernsehgeräten entfällt nur ein Drittel der Fernsehnutzung auf die gemeinsame Fernsehrezeption mit anderen Haushaltsmitgliedern (vgl. Kessler/Kupferschmitt 2012: 625). Allerdings führt dies nicht zu einer Substitution des gemeinsamen Fernsehens durch das alleinige Fernsehen. Wie die Entwicklung des absoluten Fernsehkonsums der letzten zehn Jahre zeigt, hat vor allem die alleinige Fernsehnutzung als zusätzliche Nutzung deutlich zugenommen, während die gemeinsame Fernsehnutzung nur geringfügig gesunken ist (vgl. Kessler/Kupferschmitt 2012: 626). Damit stellt die gemeinsame Fernsehnutzung noch immer eine empirisch relevante Nutzungskonstellation dar. Gemeinsames Fernsehen findet zum einen mit der Familie oder dem Partner im eigenen Haushalt statt und erfolgt oftmals habitualisiert (vgl. Konig/Kraaykamp/Westerik 2008; Kessler/Kupferschmitt 2012). Zum anderen zeigt sich in jüngerer Zeit ein Phänomen, das sich als Fernsehen als Event bezeichnen lässt. Die Fernsehrezeption in der Gruppe erfährt eine Renaissance: Fernsehen wird wieder zum sozialen Ereignis, zu dem man sich gezielt mit Freunden, Bekannten oder Nachbarn trifft, um ausgewählte 16

Sendungen gemeinsam zu rezipieren.1 Die gemeinsame Fernsehnutzung erfolgt in der Regel intendiert, umfasst einander vertraute Personen und findet meist im häuslichen Rahmen2 statt. Aktuelle Daten des AGF/GfK-Panels veranschaulichen, dass diese Form der Fernseh rezeption in der Gruppe in jüngerer Zeit an Bedeutung gewinnt (vgl. Gscheidle/Mohr/Niederauer-Kopf 2011). Fernsehen als Event steht für Rezeptionsgemeinschaften, die es in modernen Gesellschaften ermöglichen, das menschliche Bedürfnis nach Zugehörigkeit (vgl. Baumeister/Leary 1995) zu befriedigen. Die sozialen Rahmenbedingungen der heutigen Gesell schaft, welche u. a. durch eine hohe soziale Mobilität der Menschen und die Trennung der Generationen geprägt sind, fördern die soziale Vereinsamung. Verwandtschaftliche Bindungen lassen nach und der Freundeskreis wird immer bedeutsamer (vgl. Opaschowski 2008: 221f.). Zudem nimmt der Wunsch nach Gemeinsamkeit auch bei solchen Tätigkeiten zu, bei denen eigentlich jeder für sich bleibt. Dies trifft vor allem auf das Fernsehen zu, bei dem die Anwesenheit anderer Zuschauer die Selbstverarbeitung des Einzelnen erleichtert (vgl. Schulze 2005: 45). Auf diese Weise bilden sich soziale Gruppen heraus, die durch ihren Konsum und die Zugehörigkeit zum selben Publikum konstituiert werden. Dieses Phänomen ist nach Schulze (ebd.: 77) ein Kennzeichen der heutigen Erlebnisgesellschaft. Es zeigt sich insbesondere bei der Fernsehrezeption zur Unterhaltung. So werden vor allem Sportübertragungen, Shows und serielle Formate in der Gruppe genutzt (vgl. Gscheidle/Mohr/Niederauer-Kopf 2011). Die Fernsehrezeption in der Gruppe bietet eine Möglichkeit für sozialen Kontakt und trägt gleichzeitig zur Unterhaltung der einzelnen Zuschauer bei. Bereits 1994 stellen Zillmann und Bryant fest, dass die Fernsehrezeption zur Unterhaltung oft gemeinsam mit Freunden und Bekannten erfolgt. Im Unterschied zur gemeinsamen Rezeption im Kino oder an öffentlichen Plätzen handelt es sich hierbei um Kleingruppen einander vertrauter Personen, die auf vielfältige Weise interagieren (vgl. Zillmann/Bryant 1994: 453). In jüngerer Zeit erkennt die Forschung zunehmend an, dass die sozialen 1 Gerade die Anfänge der Fernsehnutzung waren durch eine gemeinsame Nutzung mit Gästen gekennzeichnet (vgl. Kiefer 1999). 2 Die gemeinsame Fernsehnutzung an öffentlichen Plätzen stellt empirisch noch immer eine Randerscheinung dar und steht in keiner Konkurrenz zur Fernsehnutzung in privaten Haushalten (vgl. Krotz 2001: 120ff.). Selbst während Fußballweltmeisterschaften mit Public Viewing - Veranstaltungen findet ca. die Hälfte der externen Fernsehnutzung in Privathaushalten statt (vgl. Geese/Zeughardt/Gerhard 2006: 457; Gerhard/Kessler/Gscheidle 2010). 17

Einleitung Rahmenbedingungen der Fernsehrezeption das Unterhaltungserleben der anwesenden Zuschauer beeinflussen (vgl. Früh 2002; Tamborini 2003; Denham 2004; Klimmt/Vorderer 2007; Wirth/Schramm 2007).3 Beispielsweise gehen Klimmt und Vorderer davon aus, dass»die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Rezeption [ ] in vielen solcher Fälle den besonderen Unterhaltungswert des jeweiligen Medienangebots aus[macht]«(2007: 90). Zuschauer können bei der gemeinsamen Fernsehrezeption die positive Erfahrung machen, Teil einer Gruppe zu sein sowie durch interpersonale Kommunikation ihr Verständnis des Medienangebots abgleichen und ihr emotionales Erleben ausdrücken. Hierdurch wird Unterhaltung ermöglicht bzw. intensiviert. Allerdings liegen bisher kaum Arbeiten vor, die das Unterhaltungserleben bei der alleinigen und gemeinsamen Fernsehrezeption vergleichen und damit den Einfluss unterschiedlicher Nutzungskonstellationen systematisch untersuchen. Ebenso mangelt es an Studien, welche die in der Gruppenrezeption wirksamen sozialen Prozesse betrachten. Daher resümieren Bryant und Miron:»[ ] a considerable amount of speculation exists that deals with the consequences of specific social conditions for the enjoyment of the entertaining event«(2002: 573). Eine dieser Spekulationen ist die Annahme, dass die Fernsehrezeption in der Gruppe generell ein intensiveres Unterhaltungserleben ermöglicht (vgl. Schweiger 2007: 296). Sie basiert u. a. auf dem Erfolg der Public Viewing -Veranstaltungen in Deutschland seit der Fußballweltmeisterschaft 2006. Hierbei wird jedoch vernachlässigt, dass in der Gruppenrezeption auch soziale Mechanismen wirken, welche die Intensität des individuellen Unterhaltungserlebens mindern können. Vor diesem Hintergrund leitet sich die Zielstellung der vorliegenden Arbeit ab. Ihr Ziel ist es, den Einfluss der Fernsehrezeption in der Gruppe auf das individuelle Unterhaltungserleben zu bestimmen. Diesen Einfluss gilt es differenziert zu betrachten und diejenigen Gruppenprozesse herauszuarbeiten, welche für die gemeinsame Fernsehrezeption kennzeichnend sind. Hieraus ergeben sich folgende forschungsleitenden Fragen: Unterscheidet sich das Unterhaltungserleben bei der alleinigen und gemeinsamen Fernsehrezeption? Welche Gruppenprozesse wirken sich auf das Unterhaltungserleben beim gemeinsamen Fernsehen aus? Wie ist das Unterhaltungserleben bei der Fernseh- 3 Zum Einfluss der sozialen Rahmenbedingungen beim gemeinsamen Computerspielen auf das Unterhaltungserleben vgl. Bowman et al. 2013. 18

rezeption in der Gruppe gestaltet? Die Arbeit verfolgt damit das Ziel, die Rezeptionsforschung mit der sozial- und emotionspsychologischen Forschung zu Gruppenprozessen zu verbinden und für das Konzept Unterhaltung nutzbar zu machen. Auf diese Weise kann der Reiz am Fernsehen als Event näher bestimmt werden. Die beliebteste fiktionale Sendung, die gemeinsam mit Freunden und Bekannten gesehen wird, ist die Sendung Tatort (vgl. Gscheidle/Mohr/ Niederauer-Kopf 2011). Während die theoretisch konzipierten Prozesse dieser Arbeit gleichermaßen für die Rezeption unterschiedlicher Fernsehangebote gelten, beschränkt sich die empirische Studie daher auf die Krimirezeption. Tatort wird nicht nur besonders gerne in der Gruppe geschaut, sondern stellt insgesamt eine der meistgesehenen Sendungen des deutschen Fernsehens dar. So verfolgen durchschnittlich 7,99 Millionen Zuschauer den sonntäglichen Krimi (vgl. Zubayr/Gerhard 2011: 135). Dabei spricht er gleichermaßen ältere und jüngere Zuschauer sowie Männer und Frauen an (vgl. Zubayr/Geese 2005: 518). Die Arbeit ist wie folgt gegliedert: Zunächst wird in Kapitel 2 die theoretische Konzeption von Unterhaltungserleben bei der Fernsehrezeption erarbeitet. Hierzu steckt Kapitel 2.1 den theoretischen Rahmen der Arbeit ab, indem es einen komprimierten Überblick über die prominentesten rezeptionsorientierten Ansätze zur Erklärung von Unterhaltung gibt. Vor dem Hintergrund ihrer Schwächen widmet sich Kapitel 2.2 der Triadischdynamischen Unterhaltungstheorie. Diese Theorie berücksichtigt die soziale Rezeptionssituation explizit als eine relevante Komponente bei der Entstehung von Unterhaltung und ermöglicht es, den Einfluss unterschiedlicher Nutzungskonstellationen und Gruppenprozesse empirisch zu bestimmen. Ihre Annahmen werden auf drei Abstraktionsebenen erläutert und anschließend diskutiert. Hierauf aufbauend wird das Konzept der Erlebensqualitäten vorgestellt (Kap. 2.3). Unterhaltung ist durch einen Kernbereich des Erlebens (basales Unterhaltungserleben) gekennzeichnet, der durch verschiedene Erlebensqualitäten ausdifferenziert wird. Für die vorliegende Arbeit sind insbesondere die Erlebensqualitäten Empathie, Spannung, Rätseln und Tratschen von Relevanz. Das Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung der zentralen Annahmen und einer Definition von Unterhaltung durch Fernsehen (Kap. 2.4). Kapitel 3 befasst sich mit dem zweiten theoretischen Baustein dieser Arbeit, der sozial- und emotionspsychologischen Forschung zu Gruppen und Gruppenprozessen. Zunächst wird erläutert, was eine Gruppe ist, weshalb 19

Einleitung Gruppen gebildet und welche Arten von Gruppen unterschieden werden (Kap. 3.1). Danach befasst sich Kapitel 3.2 mit den Annahmen des sozialen Identitätsansatzes und geht auf die Prozesse der Selbstkategorisierung, sozialen Identität und Kohäsion ein. Kapitel 3.2 widmet sich sozialen Interaktionen in Gruppen (Kap. 3.3). Da Unterhaltung eine Makroemotion ist, werden solche Mechanismen vorgestellt, die dem emotionalen Erleben von Individuen in sozialen Interaktionen zugrunde liegen. Zuletzt werden die zentralen Annahmen zusammengefasst (Kap. 3.4). Den dritten theoretischen Baustein der Arbeit bildet die Forschung zur Fernsehrezeption in der Gruppe, welche in Kapitel 4 präsentiert wird. Arbeiten aus dem Bereich der quantitativen Nutzungs- und Wirkungsforschung dienen dazu, die Rahmenbedingungen, Motive und Wirkungen der gemeinsamen Fernsehrezeption zu spezifizieren (Kap. 4.1). Die ethnografische Medienforschung veranschaulicht den sozialen Gebrauch des Fernsehens (Kap. 4.2). Darüber hinaus zeigt die konversationsanalytische Aneignungsforschung, wie Zuschauer Fernseh inhalte durch fernsehbegleitende Gespräche in ihre Lebenswelt integrieren und welche Sprachhandlungsmuster sie hierbei verwenden (Kap. 4.3). Abschließend werden die relevanten Annahmen zusammengefasst (Kap. 4.4). Aufbauend auf diesem theoretischen Hintergrund wird in Kapitel 5 ein theoretisches Modell zum Unterhaltungserleben bei der Fernsehrezeption in der Gruppe entwickelt, das für die empirische Untersuchung handlungsleitend ist. Hieraus ergeben sich die Forschungsfragen und Hypothesen, welche in Kapitel 6 erläutert werden. Der empirische Teil der Arbeit beginnt in Kapitel 7 mit der Darstellung des methodischen Vorgehens. Hierzu werden zunächst mögliche Untersuchungsanlagen und Verfahren betrachtet und hinsichtlich ihrer Eignung diskutiert (vgl. Kap. 7.1). Vor diesem Hintergrund stellt Kapitel 7.2 das Design der Studie vor, indem die Durchführung und Stichprobe der Untersuchung sowie das verwendete Stimulusmaterial beschrieben werden. Im Rahmen der Arbeit wurde eine schriftliche Befragung (Kap. 7.3) mit einer Beobachtung (Kap. 7.4) kombiniert, weshalb die Operationalisierung der Konstrukte anhand der beiden verwendeten Methoden dargestellt wird. Anschließend werden die Gütekriterien der Untersuchung diskutiert (Kap. 7.5) und das Vorgehen bei der Datenauswertung erläutert (Kap. 7.6). Kapitel 8 widmet sich den Ergebnissen der empirischen Studie. Zunächst werden grundlegende Befunde präsentiert (Kap. 8.1). Die weitere Darstellung der Ergebnisse folgt den aufgestellten Forschungsfragen. 20

Kapitel 8.2 befasst sich mit den Rahmenbedingungen des gemeinsamen Fernsehens. Anschließend wird der Einfluss der unterschiedlichen Nutzungskonstellationen (Kap. 8.3), der Gruppenprozesse (Kap. 8.4) und der rezipientenbezogenen Merkmale (Kap. 8.5) auf das individuelle Unterhaltungserleben behandelt. Darauf aufbauend werden in Kapitel 8.6 Zuschauer typen vorgestellt, die sich hinsichtlich ihres Unterhaltungserlebens bei der Krimirezeption in der Gruppe unterscheiden. Die Arbeit schließt in Kapitel 9 mit der Diskussion. Hierbei werden die empirischen Ergebnisse zusammengefasst und eingeordnet (Kap. 9.1) sowie das methodische Vorgehen der Studie reflektiert (Kap. 9.2). Zudem wird ein Ausblick auf zukünftige Forschungsfelder gegeben (Kap. 9.3). 21