HAFTUNG VON ORGANMITGLIEDERN -RECHTLICHE GRUNDLAGEN IN UNSICHEREN ZEITEN - 1
I. BEDEUTUNGSZUWACHS DER ORGANHAFTUNG Gründe für den Bedeutungszuwachs PROF. DR. HANNO MERKT, LL.M. (UNIV. OF CHICAGO) Wachsender Einfluss des US-amerikanischen Unternehmensrechts (liability of corporate directors) ARAG/Garmenbeck-Urteildes Bundesgerichtshofs von 1997 Finanzkrise und dadurch ausgelöste Klagewelle 2
II. FUNKTIONEN DER ORGANHAFTUNG Kompensationsfunktion Präventions- bzw. Steuerungsfunktion Sanktionsfunktion? Bankensektor: Debt Governance 3
III. ELEMENTE DER ORGANHAFTUNG Sorgfaltspflicht (1): Vorstand Vorstand kann die Sorgfaltspflicht durch aktives Tun ebenso wie durch Unterlassen verletzen Ressortverteilung entlastet unzuständigen Vorstand nicht; aber Ressortzuständigkeit sowie besondere Expertise verschärfen Sorgfaltspflicht Gesteigerte Pflicht in der Unternehmenskrise 4
III. ELEMENTE DER ORGANHAFTUNG Sorgfaltspflicht (2): Aufsichtsrat Insbesondere: Aufsichtsrat muss ggf. dafür sorgen, dass Vorstand rechtszeitig Insolvenzantrag stellt Delegation an AR-Ausschussentlastet Gesamt-ARnicht (Auswahl- und Überwachungspflicht) Verschärfte Vorgaben für den Banksektor und für Kapitalanlagegesellschaften 5
III. ELEMENTE DER ORGANHAFTUNG Business JudgmentRule( 93 AktG) Unternehmerische Entscheidung auf der Grundlage angemessener Information in gutem Glauben zum Wohle der Gesellschaft frei von Sonderinteressen und sachfremden Erwägungen Problemkreise Angemessenheit der Information Verletzung von Verfahrensregeln Betriebswirtschaftliche Entscheidungsgrundsätze 6
III. ELEMENTE DER ORGANHAFTUNG Verschulden und Rechtsirrtum (1) Maßstab: Einfache Fahrlässigkeit Berufliche Spezialkenntnisse gehe zu Lasten des Organmitglieds Laxe Branchenstandards (Großzügigkeit, Nachlässigkeit) führen nicht zu einer Entlastung Problem des hindsight bias 7
III. ELEMENTE DER ORGANHAFTUNG Verschulden und Rechtsirrtum (2) Grundsatz: Rechtsirrtum schließt Haftung aus. Daher: Strenge Anforderungen an Rechtsirrtum. BGH: Vorstand muss bei Hinzuziehung externen Rats den zu prüfenden Sachverhalt umfassend darstellen, einen fachlich qualifizierten und unabhängigen Berufsträger konsultieren, die Antwort dauerhaft fixieren (Beweisbarkeit), die erhaltene Auskunft einer eigenen sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterziehen. 8
III. ELEMENTE DER ORGANHAFTUNG Beweislast Beweislast trifft Organmitglied ( US-Recht) Vorstand und Aufsichtsrat müssen bei ihrer Entscheidung die Vorbereitung, das Entscheidungsverfahren und auch die erwogenen Zweifel sorgfältig dokumentieren. 9
IV. DURCHSETZUNG UND D&O-VERSICHERUNG Durchsetzung und D&O-Versicherung(1) PROF. DR. HANNO MERKT, LL.M. (UNIV. OF CHICAGO) Reine Innenhaftung (nur Gesellschaft ist klagebefugt) Nur ausnahmsweise Außenhaftung (Deliktsansprüche, Schutzgesetze) Klagezulassungsverfahren ( 148 AktG) und Sonderprüfung ( 142 AktG) Drittgläubiger: Verfolgungsrecht ( 93 Abs. 5 AktG) 10
IV. DURCHSETZUNG UND D&O-VERSICHERUNG Durchsetzung und D&O-Versicherung(2) PROF. DR. HANNO MERKT, LL.M. (UNIV. OF CHICAGO) Drei Pflichten des Aufsichtsrats bei der Durchsetzung: (1) Prüfung, ob Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand bestehen und wie hoch die Realisierungschancen sind. (2) Im positiven Fall: Ansprüche gerichtlich geltend machen, es sei denn, Gründe des Gesellschaftswohls stehen entgegen. (3) Aufsichtsrat muss Gesichtspunkte außer Acht lassen, die außerhalb des Unternehmenswohls liegen. 11
IV. DURCHSETZUNG UND D&O-VERSICHERUNG Durchsetzung und D&O-Versicherung(3) D&O-Versicherung ist heute Standard Bedeutsam sind Haftungsausschlüsse Der Selbstbehalt ist wenig wirkungsvoll PROF. DR. HANNO MERKT, LL.M. (UNIV. OF CHICAGO) 12
V. AKTUELLE REFORMTENDENZEN Verjährung Verlängerung der Verjährungsfrist von 5 auf 10 Jahre ist verfehlt Sinnvoller: Beginn der Verjährung erst mit dem Ausscheiden aus dem Amt Hemmung des Fristlauf während der Sonderprüfung 13
V. AKTUELLE REFORMPUNKTE Business Judgment Rule(1) BGH 2008: wenn der Vorstand auf der Grundlage angemessener Information vernünftigerweise annehmen durfte, zu handeln. = Haftungsverschärfung durch Objektivierung 14
V. AKTUELLE REFORMPUNKTE Business Judgment Rule(2) BGH verlangt, dass der Vorstand in der konkreten Entscheidungssituation alleverfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpft. Aber: Informationsbeschaffung selbst setzt Kosten-Nutzen- Erwägung voraus Rechtsprechung fördert hindsight bias 15
V. AKTUELLE REFORMPUNKTE Business Judgment Rule(3) BGH: Vorstand darf grundsätzlich nicht ohne Weiteres seiner Rechtsabteilung vertrauen Aber: Syndikusanwälte unterliegen Berufsrecht und haben Rechtsrat unabhängig zu erteilen 16
V. AKTUELLE REFORMPUNKTE Business Judgment Rule(4) Flexibilisierung durch Lockerung oder Beseitigung der Beschränkungen für einen Verzicht auf oder Vergleich über Organhaftungsansprüche, durch Beschränkung des Verschuldensmaßstabs auf grobe Fahrlässigkeit, durch Gewährung arbeitsrechtlich geprägter Haftungserleichterungen bei betrieblich veranlassten Tätigkeiten. 17
V. AKTUELLE REFORMPUNKTE Sanktionen und Durchsetzung (1) Einsatz von whistle-blowers Ausbau der Vermögensabschöpfung Berufsverbote für Manager Banksektor Klagebefugnis für die BaFin Geschäftsleiter nur noch als persönlich haftende Gesellschafter 18
V. AKTUELLE REFORMPUNKTE Sanktionen und Durchsetzung (2) Vereinfachung der Organhaftungsklage und der Sonderprüfung Rechtsprechung Ausbau der Produkthaftung und der Verkehrssicherungspflichten Kapitalmarktinformationshaftungsgesetz (KapInHaG) 19
VII. STRAFRECHTLICHE VERANTWORTUNG VON ORGANEN Unterscheide Spezialtatbestände Bilanzfälschung Bestechung Steuerhinterziehung Insiderhandel Strafbares Organverhalten im unternehmerischen Bereich: Untreue, 266 Strafgesetzbuch 20
VII. STRAFRECHTLICHE VERANTWORTUNG VON ORGANEN Uneinheitliche Anwendung des Untreuetatbestands durch die Strafgerichte Mangelnde Abstimmung mit den für Gesellschafts-und Bankrecht zuständigen Zivilgerichten Einführung neuer Straftatbestände (zb 54a KWG: Verletzung von Risikomanagementpflichten) Eigenes Unternehmensstrafrecht bzw. Strafbarkeit jeder vorsätzlichen Verletzung von Organpflichten? 21
VIII. FAZIT Gesetzgebung Stetige Verschärfung der Haftung wachsende Detailgenauigkeit Verringerung des unternehmerischen Entscheidungsspielraums Rechtsprechung Konkretisierung der Haftungstatbestände Kasuistik fördert Unberechenbarkeit 22
BILDUNGSABSCHLÜSSE DEUTSCHER VORSTANDSCHEFS 1970-2012 IN % 1970 1995 2005 2012 40-50 30-40 31 Ökonomie 42 20-30 10-20 0-10 22 Jura 11 Quelle: Michael Hartmann, Soziale Ungerechtigkeit, 2013 23
RECHTSANWÄLTE UND SYNDIKUSANWÄLTE 1970 BIS 2012 (IN TSD.) 1970 1995 2005 2012 120-160 158 90-120 60-90 30-60 0-30 27 3 Rechtsanwälte davon Syndikusanwälte 40 Quelle: Bundesrechtsanwaltskammer 2013 (Zahlen Syndikusanwälte geschätzt) 24