Prinzipien und Standards des DaF-Unterrichts - und einige Überlegungen zum Stellenwert der Grammatik Tel Aviv, 28.4.2011 Friedrich-Schiller-Universität Jena Philosophische Fakultät Institut für Auslandsgermanistik Hermann.Funk@uni-jena.de
Überblick Nach dem Ende der großen Methoden: Theorien, Prinzipien und Modelle Zur Verteilung von Unterrichtsaktivitäten in einem output-orientierten orientierten Fremdsprachenunterricht Grammatikarbeit ohne Einsetzübungen, Regelpauken und Ausnahmen lernen Was heißt eigentlich Üben? Aktuelle Grundlagen der Lehrwerkgrammatik
1. Was mich am heutigen Thema besonders interessiert... 2. Eine Frage, die ich mir im Unterricht oft stelle ist... 3. Ich frage mich oft, warum... 4. Was ich mir nicht erklären kann, ist...
1. Grammatik-zentrierte Methoden: Grammatik als Thema, Mittel und Ziel Problem: Generiert viel Wissen aber wenig Können. 2. Audiolingual / audiovisuelle Methode: Behavioristische Konzepte / Sprachverhaltenstraining Problem: Nach guten Anfangserfolgen oft wenig Transfer. Keine Einsicht in Sprache. 3. Kommunikativer Ansatz: Pragmatik, Lernerorientierung, Output-Orientierung Orientierung Interkultureller Fremdsprachenunterricht Problem: Oft unzureichende Ausbildung von Lehrkräften, unklares methodisches Gesamtkonzept (c) Funk-FSU-Jena-2010
In der Lehrwerk- und Unterrichtspraxis sind Methoden selten sauber abgrenzbar. Nachweisbar ist, dass unterschiedliche Methoden unterschiedliche Ergebnisse zeitigen. Nicht nachweisbar ist dagegen, dass einzelne Methoden anderen grundsätzlich überlegen wären. Die Wahl der Methoden ist grundsätzlich vom Ziel her zu denken. Vereinfacht gesagt: Wer Sprechfertigkeit erreichen will, trainiert am besten Sprechen. Wer auf einen Grammatiktest vorbereitet, beschäftigt sich am besten mit sprachlichen Regeln. Empirisch beweisbar ist die Wirksamkeit des Prinzips time on task Der Streit um die beste Methode hat sich damit erledigt. (c) Funk-FSU-Jena-2010
Folgt man dieser Argumentation, werden viele Fragestellungen der fachdidaktischen Literatur der letzten 20 Jahre, die auf diesen Makro- Konzepten aufbauten, irrelevant: Ob man nun von vier oder fu nf Lehrwerkgenerationen sprechen kann, ob der kommunikative Ansatz in anderen Kulturräumen anwendbar wäre, das Verhältnis des interkulturellen zum kommunikativen Ansatz - aus all dem sind keine Erkenntnisse fu r die Wirksamkeit einer bestimmten Form des Fremdsprachenunterrichts abzuleiten. Zusammenfassend sind drei Merkmale fu r die Post-Methoden-Ära charakteristisch: (c) Funk-FSU-Jena-2010
Die Vielfalt lernkulturgeprägter Lehr-/Lern-szenarien und Übungsformen wäre auf der Grundlage einer Gesamt-Methodenkonzeption nicht mehr beschreib- bar: Es wäre wenig sinnvoll, z. B. Einzel-u bungen nach ihrer Form als audiolingual, grammatik-orientiert oder kommunikativ zu klassifizieren, ohne den Gesamtkontext und die Ziele einer kon-kreten kreten Unterrichtssequenz zu beru cksichtigen. Alle Übungen sind vom Ziel her zu denken. (c) Funk-FSU-Jena-2010
(c) Funk-FSU-Jena-2010
Aus Sicht der aktuellen fremdsprachenmethodischen Forschung erscheint eine andere topologische Sortierung sinnvoll: 1. Die Ebene der theoretischen Grundlagen des Spracherwerbs und Lernens, Frage: Wie funktioniert das Lernen und Erwerben von Wörtern und Regeln? 2. Die Ebene der didaktisch-methodischen Prinzipien und Standards Frage: : Welche grundlegenden Prinzipien leiten unser Handeln im Unterricht? 3. Die Ebene der methodischen Konzepte und -szenarien. Frage: Welche Modelle, Aufgaben- und Übungssequenzen tragen am besten zu meinen Zielen bei? (c) Funk-FSU-Jena-2010
Lernerorientierung / Individualisierung/ Personalisierung der Lerninhalte Handlungsorientierung Kommunikationsorientierung Mehrsprachigkeit & Lernökonomie Themen- und Inhaltsorientierung Aufgabenorientierung / reichhaltige Lernumgebungen (c) Funk-FSU-Jena-2010
Personalisierung ( meaningful ) Den Lernprozess zu personalisieren heißt für mich, die Lerner über sich selbst sprechen zu lassen bzw. sie dazu zu animieren, indem man ihre Lebenswelt, ihre Vorlieben, Abneigungen, Wünsche und Ansichten zum Thema macht. Bei meiner Nachhilfetätigkeit in Englisch (6.Kl.) wird mir das oft bewusst: Wenn es um fiktive Beispielsätze geht, tut sich mein Schüler eher schwer, doch wenn er eine eigene Vorliebe/Abneigung äußern soll oder will, ist die Wendung, an die er sich vorher nicht erinnern konnte, auf einmal wieder da. Dies tritt besonders dann auf, wenn es um Themen geht, die den Lerner besonders beschäftigen, auf die er gefühlsmäßig reagiert oder über die man lachen kann. Anja Schmidt, FSU Jena, Zweitsprachenerwerbsseminar 2005 (c) Funk-FSU-Jena-2010
Prinzip: Aufgabenorientiertes Lernen in reichhaltigen Lernumgebungen Je mehr das Umfeld der Entstehung fremdsprachlicher mentaler Netze (Inhalte, Rahmenbedingungen und Verfahren des Lernens fremder Sprachen) dem Umfeld der späteren Verwendung der Sprache gleicht, desto höher ist die Chance, der Aktivierung und Verfestigung der Netze reichhaltige und realitätsnahe Lernumgebungen führen zu besseren Lernergebnissen (vgl. Segalowitz 2003, S. 402). (c) Funk-FSU-Jena-2010
Als Beispiel: Was bedeutet das Prinzip Outputorientierung? (c) Funk-FSU-Jena-2010
DAS TRADITIONELLE MODELL DER VERTEILUNG DER FERTIGKEITEN IM FREMDSPRACHENUNTERRICHT rezeptiv Lesen Schreiben produktiv Hören Sprechen (c) Funk-FSU-Jena-2011
Präsentation bedeutungsvoller Inhalte meaningful input sprachform-bezogener Unterricht language focussed instruction aktives Sprachhandel der Lernenden meaningful output Training von Flüssigkeit fluency
Ganz einfach: Was das Gehirn für bedeutungsvoll hält: Z. B.: etwas Neues etwas Farbiges etwas Aufregendes etwas, zu dem es in Beziehung treten kann etwas, das es verarbeiten kann etwas, das unterschiedliche Sinne anspricht
Was heißt Sprachform- bezogener Unterricht?
Ein Blick in die Beziehungsgeschichte: Grammatik und Fremdsprachenlernen
Grammatikübungen sind für meine Schüler... Die deutsche Grammatik ist... Ohne Grammatikübungen... Probleme habe ich im Grammatikunterricht vor allem damit: Eine Struktur, die für mich schwer zu vermitteln ist: Überflüssig finde ich: Nützlich finde ich:
Ebenfalls am 24.09.10 hospitierte ich in der dritten Stunde in der Klasse 10 AB. Nachdem ich mich kurz vorgestellt hatte wurde die Hausaufgabe, so wie Frau Sámson es auch meistens macht, zu Beginn der Stunde verglichen. Es handelte sich um einen Lücken-text zum Thema Präteritum im Arbeitsheft. Danach sollte jeder einen einfachen Satz im Präteritum sagen. Die Schüler äußerten solche Sätze: Gestern stand ich auf. Später aß ich Mittag. Das hat gut funktioniert. Zur Vorbereitung auf den Präteritumstest am Montag, wo ca. 20 Verben abgefragt werden sollen nur in der 3. Person Singular bei unregelmäßigen Bildungen wie gehen-er er ging wird das komplette Konjugationsschema abgefragt werden wurde eine Übung mit dem Ball gemacht. Die Lehrerin nannte einen bekannten Infinitiv und warf den Ball einem Schüler zu, der dann für die dritte Person Einzahl die richtige Vergangenheitsform bilden musste. Bis auf unregelmäßige Formen waren die Schüler gut darin. aus: Praktikumsbericht : von Christiane Gilbert Németh-Lászlo- Gimnazium Budapest 2011 (Klasse 10AB)
Immer noch weit verbreitet: Begrenztes Übungsrepertoire ohne Sprachhandlungsbezug: aus: Neuner/Krüger/Grewer (1981), Übungstypologie zum kommunikativen Deutschunterricht. S. 11.
Kontextlose Transformationen aus: Schulz/Griesbach (1980), Deutsche Sprache für Ausländer.
Üben oder Testen?
Die Unterscheidung von Lernen und Erwerben Lernen bedeutet bewusstes und gesteuertes Aufnehmen von Strukturen und Regele. Lernen geschieht durch die Konzentration auf die Sprache, auf die Grammatik und das bewusste Lernen von Wörtern. Erwerben bedeutet die Integration dieser Erkenntnisse in das unbewusste sprachliche Handeln.
Form folgt Funktion (form follows function) Grammatik ist kein Selbstzweck Motivierende und sinnvolle Inhalte und Sprachfunktionen sind unverzichtbarer Ausgangspunkt grammatischen Lernens. Lernen heißt Fokus auf Form (explizit) Erwerben geschieht durch Verwenden (implizit) Training mit sinnvollen Inhalten als Voraus- setzung für das Erwerben von Strukturen. Der Anteil der Grammatikarbeit am Sprachunter- richt muss diesen Prioritäten entsprechen.
Automatisierung vor Regelkenntnis S. 179 27
28
29 S. 84
Inhaltsorientierte Übungen mit Sitz im Leben S. 195
Automatisierung S. 119
Beispiel: Automatisierung und aktives Sprachhandeln aus: studio d 2005
Beispiel: Automatisierung und aktives Sprachhandeln aus: studio d 2005
Sprachschatten Spielen Sie Echo. Ihr Partner erzählt. o Morgens stehe ich um sechs auf. # Aha, du stehst um sechs auf. o Ich arbeite von neun bis fünf. # Ach so, du arbeitest von neun bis fünf. o Am Samstag muss ich auch arbeiten. # Hmm, du musst am Samstag arbeiten? (Funk/Kuhn/Demme 2005) S. 84.
Merkmale: hohe Wiederholungsrate natürliches Sprechtempo übertragbare Muster Reichweite und Frequenz der Äußerungsmuster Ich-Bezug statt drill Flüssigkeit vor Korrektheit keine Korrekturunterbrechungen Fehler sollten durch die Form der Vorgaben weitgehend ausgeschlossen sein
Schlusszitate: Longum iter est per praecepta, breve et efficax per exempla. Es gibt nur die Beispiele.
Wortschatz & Grammatik Grammatische Kompetenz lässt sich nicht dadurch erwerben, dass man grammatische Regeln lernt, anwendet und durch Üben automatisiert. Die systemlinguistischen Regeln sind grundverschieden von den mentalen Regeln, die zu wohlgeformter gesprochener Sprache führen. Es gibt keinen direkten Weg von metasprachlichem grammatischem Regelwissen zu grammatischer Kompetenz.[1] [1] Tschirner (2001), 112.
1. Wenn man eine Fremdsprache flüssig spricht, reproduziert man fertige Redeteile, inklusive der phonologisch gespeicherten grammatisch richtigen Formen. Man baut in der gesprochenen Sprache nicht Sätze nach grammatischen Regeln auf. Für eine Konzentration auf die Form und die bewusste Wahl von grammatischen Markierungen wäre gar keine Zeit (List 2002; S. 128 und 2005, Ellis 1996 ) Ein Argument für das flüssige Einüben von Äußerungsmustern.
Markierungen suchen und wahrnehmen Wahrnehmungen ordnen Regeln verstehen Regeln in das eigene Grammatiksystem integrieren Durch: Anwendung in kommunikativen und personalisierten Kontexten
Selbstständige Erarbeitung von Regeln S. 119
Lerntabellen mit Inhaltsbezug S. 133
Ganzheitliches und vielfältiges Lernen Grammatikarbeit muss alle Lernformen umfassen: (Regelverstehen, Lernen durch Verwenden, z. B. in spielerisch - kreative Trainingsformen Flüssigkeitstraining und bedeutungsvolles Sprachliches Handeln (Lernende sprechen als sie selbst) stehen im Mittelpunkt des Übungskonzeptes nicht as Ausfüllen von Lücken
Die 2. Ebene: Prinzipen und Standards Lernerorientierung & Individualisierung Handlungsorientierung Kommunikationsorientier ung Mehrsprachigkeit & Lernökonomie Themen- und Inhaltsorientierung Regelbedarf muss auf Lernerseite entstehen bei jedem anders Systematisierung nach Anwendung in Sprachhandlungen Keine Übungssätze, die nur in Lehrwerken vorkommen Lernhilfen aus anderen Sprachen nutzen; nicht mehr System als nötig thematisieren Form folgt Funktion, nicht umgekehrt, Thema bestimmt Struktur Regelbedarf wird von der angestrebten Kompetenz DaF-Standards2011 bestimmt FSU Jena
... gibt Hilfen... spricht alle Fertigkeiten an... ist differenzierend, d. h. alle tun das Gleiche aber nicht das Selbe... hat einen inhaltlichen Anspruch (Bedeutung) ist persönlich... hat ein soziales Element... hat ein spielerisches Element
Robert Gernhardt
Ulla Hahn: "Ich bin die Frau"????Ich bin die Frau????die man wieder einmal anrufen könnte, wenn das Fernsehen langweilt????ich bin die Frau die man wieder einmal einladen könnte????wenn jemand abgesagt hat????ich bin die Frau die man lieber nicht einlädt zur Hochzeit????Ich bin die Frau????die man lieber nicht fragt????nach einem Foto vom Kind????Ich bin die Frau????die keine Frau ist????fürs Leben. Quelle: www.school24.de/hausaufgaben_th ema_1652.html
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Funk, H. (2009b) Grammatisches Wissen und Sprechkompetenz. Standards der Grammatikvermittlung. In: Goethe-Institut Athen (Hrsg.): akzent Deutsch. Zeitschrift für Deutschlehrer in Griechenland, Teil 2. Funk, Hermann (2010) Methodische Konzepte für den Deutsch als Fremdsprache - Unterricht. In: Krumm, H.J. et al. (Hrsg): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Berlin: de Gruyter. 939-951. Hallet, W./Königs, F.G. (2010) Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett. List, G. (2002) Wissen und Können beim Spracherwerb dem ersten und den weiteren. In: Barkowski, H./ Faistauer, R. (Hrsg). 121-131. Nation, I.S.P. (2001) Learning Vocabulary in Another Language. Cambridge: CUP. Nation, I.S.P./Newton, J. (2009) Teaching ESL/EFL. Listening and Speaking. New York/London. Tschirner, E. (2010) Wortschatz. In: Krumm, H.J. et al. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Berlin: de Gruyter. 236-245. (c) Funk-FSU-Jena-2010
mittlere Sprechzeit zwischen 3-Sekunden- Lücken über einen längeren Zeitraum (Towell, 1998; Tonkyn, 2001; Freed, 2003) Productions Rate Silben pro Minute (Towell, 1998; Tonkyn, 2001) fluid runs die längste Sprechzeit ohne Füller und Zögern (x 3, und dann gemittelt (Freed, 2003) John Morley and Sandra Truscott, The University of Manchester (Fluency Development in Advanced Language Learners, work in progress)
FSU Jena Danke für Ihre Aufmerksamkeit! (c) Funk-FSU-Jena-2010