Therapie des infrarenalen Aortenaneurysmas 2013: Stent oder offene Operation?

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Transkript:

Therapie des infrarenalen Aortenaneurysmas 2013: Stent oder offene Operation? Edin Mujagic, Thomas Wolff, Lorenz Gürke, Peter Stierli Universitäres Zentrum für endovaskuläre und vaskuläre Chirurgie Aarau-Basel Quintessenz Die endovaskuläre Behandlung mittels Stentgraft ist gegenüber der o ffenen Operation mit einer deutlich geringeren perioperativen Mortalität vergesellschaftet und erfreut sich grösster Beliebtheit. Nachteile der endovaskulären Behandlung bestehen darin, dass sich nicht alle Aneurysmata dafür eignen und dass Spätkomplikationen und Folgeeingriffe auch nach Jahren keine Seltenheit sind. Lebenslange computertomographische oder sonographische Kontrollen sind daher unumgänglich. Im Langzeitverlauf (>2 Jahre) sind die initialen Vorteile gegenüber der offenen Operation nicht mehr vorhanden. Die Patienten sterben einerseits an kardiovaskulären Ereignissen und andererseits an Spätkomplikationen der Stentgrafts. Wenn die anatomischen Grenzen beachtet werden, ist die endovaskuläre Behandlung mittels Stentgraft eine ausgezeichnete, risikoarme Alternative zur offenen Operation. Edin Mujagic Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Eine Erweiterung der normalerweise ca. 2 cm durchmessenden Bauchaorta auf über 3 cm oder das 1,5-Fache des normalen Durchmessers wird als abdominelles Aortenaneurysma (AAA) bezeichnet (Abb. 1 ). Da die Mehrheit der AAA infrarenal, also unterhalb der beiden aus der Aorta entspringenden Nierenarterien beginnt und die Therapie der selteneren suprarenalen sowie thorakalen oder thorakoabdominellen Aneurysmata komplizierter und weniger evidenzbasiert ist, möchten wir uns in diesem Artikel auf die «einfachen», infrarenalen AAA beschränken. Die Prävalenz des AAA steigt mit dem Alter, 5% der über 65-jährigen Männer haben ein AAA. Die allermeisten AAA sind atherosklerotischer Genese, zu den wichtigsten Risikofaktoren gehören das Alter, männliches Geschlecht sowie das Rauchen. Da die meisten AAA asymptomatisch sind, das heisst keinerlei Symptome verursachen, entsteht die Diagnose meistens als Zufallsbefund im Rahmen der heute weitverbreiteten bildgebenden Verfahren wie CT, MRI oder Ultraschall. Die Therapie des AAA verfolgt ein einziges Ziel, nämlich der Ruptur desselben zuvorzukommen. Die perioperative Mortalität des rupturierten AAA beträgt auch heute in den meisten publizierten Serien noch rund 50%, die Gesamtmortalität wird sogar mit bis zu 90% angegeben. Das Rupturrisiko eines AAA steigt mit dem maximalen Aneurysmadurchmesser. Aufgrund zuverlässiger Daten ist die Indikation zur Versorgung eines AAA prinzipiell ab einem Durchmesser von 5,5 cm gegeben, da das jährliche Rupturrisiko ab diesem Durchmesser die perioperative Mortalität (ca. 5% für die offen chirurgische Versorgung) übersteigt. Weitere Indikationen sind ein rasches Wachstum von 1 cm pro Jahr oder Schmerzen als Vorbote einer drohenden Ruptur. Der Nutzen einer medikamentösen Therapie der AAA, etwa mittels Betablocker, ACE-Hemmern oder Statinen, konnte trotz zahlreicher Studien nie nachgewiesen werden. Somit bleibt ein operatives Vorgehen die einzig mögliche Therapie. Die offene Operation, welche seit 1951 als Goldstandard gesehen werden muss, besteht aus dem Ersatz des aneurysmatischen Teiles der Aorta durch eine Kunststoffprothese (Abb. 2 ). Dafür wird eine Laparotomie oder ein links retroperitonealer Zugang durchgeführt. Das Retroperitoneum wird eröffnet, und die Aorta sowie die beiden Iliacalachsen werden dargestellt. Danach werden die Aorta sowie die Iliakalarterien abgeklemmt. Ab diesem Moment sind das Becken und die Beine nur noch über Kollateralen durchblutet, was die Gewebe während der üblicherweise ca. eine Stunde dauernden Abklemmphase gut tolerieren. Anschliessend wird das Aneurysma eröffnet und von den meistens vorhandenen wandständigen Thrombenmassen befreit. Rückblutende Lumbalarterien werden mit einer Naht verschlossen, auch das Rückenmark wird dann über Kollateralen durchblutet. Schliesslich wird eine rohr- oder Y-förmige Kunststoffprothese oberhalb des Aneurysmas an die Aorta und unterhalb des Aneurysmas an die Aortenbifurkation oder Iliakalarterien genäht. Nun können die Klemmen auf den Gefässen wieder entfernt werden, und das Blut strömt durch die rekonstruierte Strombahn. Der Aneurysmasack wird über der Prothese zusammengenäht, und das Retroperitoneum und die Bauchwand werden wieder verschlossen. Die Operation bedingt in jedem Fall eine Vollnarkose und einen grossen chirurgischen Zugang. Dazu kommen relevante Volumenverschiebungen sowie der häufig notwendige Einsatz von Vasoaktiva, um den Kreislauf zu stützen. Bei den häufig kardial, pulmonal und möglicherweise auch renal kompromittierten Patienten führen diese Faktoren zur genannten perioperativen Mortalität von 5%. Die wichtigsten Risikofaktoren sind eine vorbestehende Niereninsuffizienz, eine koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit sowie COPD. Neben der Mortalität können weitere, teilweise gravierende Komplikationen auftreten (Tab. 1 ). 1991 wurden die ersten AAA mittels eines vollkommen neuen Prinzips behandelt. Dabei wird das AAA nicht er- Schweiz Med Forum 2013;13(35):678 682 678

Abbildung 1 Infrarenales AAA. Abbildung 2 Eröffnetes infrarenales AAA mit implantierter Kunststoffprothese. Tabelle 1 Die häufigsten Komplikationen der elektiven offenen Operation. Komplikation Mortalität 5% Häufigkeit Myokardinfarkt 5 10% Niereninsuffizienz dialysepflichtig 5 10% 1 2% Kolonischämie 2% Narbenhernien 10 20% setzt, sondern über das Gefässlumen von innen (endovaskulär) «geschient» und damit von der Zirkulation ausgeschlossen (EndoVascular Aneurysm Repair; EVAR; Abb. 3 ). Damit wird die Wandspannung reduziert, was die weitere Dilatation und schliesslich die Ruptur verhindern soll. Man schiebt über die beiden Femoralarterien in den Leisten die meistens zwei oder drei Komponenten eines Stentgrafts (mit Kunststoff ausgekleidetes Drahtgeflecht) in die Aorta und die Iliakalarterien vor und platziert den Stentgraft unter angiographischer Kontrolle korrekt. Danach kann er ausgelöst werden, das heisst, er drückt sich durch seine Radialkraft gegen die Gefässwände ober- und unterhalb des Aneurysmas. Der fertige Stentgraft hat meistens die Form eines umgekehrten Y. Die Strecken, auf denen der Stentgraft sich oben und unten in der nicht erweiterten Aorta und den Iliakalarterien verankern kann, müssen lange genug sein, um zu verhindern, dass Blut zwischen Stentgraft und Gefässwand weiterhin in das Aneurysma fliesst. In zahlreichen Arbeiten wurden beeindruckende periinterventionelle 30-Tages-Mortalitätsraten von rund 0,5 2% publiziert. Dies hat dazu geführt, dass zum Beispiel bereits im Jahr 2006 in den USA 21 725 EVAR durchgeführt wurden. Viele Kliniken behandeln heute die allermeisten AAA mittels EVAR, die offene Operation scheint ausser Mode. Auch die Industrie ist hier äus serst aktiv: Es kommen laufend neue Systeme auf den Markt, und die grossen Hersteller haben bereits die 4. Generation von Stentgrafts auf den Markt gebracht. Die Lösung aller Probleme? Es scheint also, dass EVAR im Vergleich zu der offenen Operation viele Vorteile hat und diese weltweit immer mehr verdrängt. Es drängt sich hier natürlich die Frage auf, ob dieses Schwert nur einschneidig ist. Ein intrinsischer Nachteil der EVAR-Technik im Gegensatz zur offenen Operation besteht darin, dass gewisse Voraussetzungen in Bezug auf die Aneurysmakonfiguration erfüllt sein müssen, um eine erfolgreiche endovaskuläre Behandlung zu ermöglichen (Abb. 4 ). Dazu gehören Länge, Durchmesser und Form des proximalen Halses, wo sich der Stentgraft an die Wand anlegen und abdichten kann. Des Weiteren sollte hier nicht zu viel Thrombenmaterial vorhanden sein. Der meistens vorhandene Knick zwischen Hals und Aneurysma sollte maximal 60 betragen, und die Beckenarterien dürfen nicht zu weit und nicht allzu geknickt sein. Trotz dieser klaren, durch die Hersteller vorgegebenen Werte scheint die Beurteilung, ob ein bestimmtes AAA für EVAR geeignet ist, doch einer gewissen Subjektivität der Anwender zu unterliegen. Der Anteil der mittels EVAR behandelbaren AAA schwankt somit in der Literatur zwischen 25 und 75%. Beim EVAR können auch dieser Technik eigene Komplikationen auftreten, von denen der Patient in der Regel nichts bemerkt. Dazu gehören in erster Linie die sogenannten Endoleaks, die in rund einem Drittel der Fälle auftreten. Es handelt sich entweder um Undichtigkeiten an den Enden des Stentgrafts resp. zwischen den Komponenten oder aber viel häufiger um offen bleibende Aortenäste (Lumbalarterien oder die A. mesenterica in- Schweiz Med Forum 2013;13(35):678 682 679

ferior), über die Blut retrograd in den Aneurysmasack fliessen kann. Allen Endoleaks gemeinsam ist die Tatsache, dass trotz Stentgraft nach wie vor Blut in den Aneurysmasack gelangt und dieser somit unter arteriellem Blutdruck steht, auch wenn das Blut «nur» rückwärts fliesst. Da dies zu einem weiteren Aneurysmawachstum und damit zur Ruptur führen kann, ist es notwendig, Patienten nach EVAR in regelmässigen Abständen lebenslang mittels CT oder sonographisch nachzukontrollieren. Weitere Komplikationen nach EVAR sind der thrombotische Verschluss eines Graftschenkels und die (seltene) Migration des Grafts mit der Folge eines Endoleaks oder der direkten Ruptur. Nichtsdestotrotz ist es natürlich für den betroffenen Patienten am wichtigsten, dass er die für ihn sicherste Therapie erhält. An erster Stelle wird hier die Mortalitätsrate stehen. Was ist mit der Evidenz? Abbildung 3 Stentgraft. Abbildung 4 Anatomische Voraussetzungen für EVAR gemäss Vorgaben der Hersteller. Drei grosse, randomisierte, kontrollierte Multizenterstudien aus Europa und den USA haben die Resultate bis zu acht Jahren nach EVAR und nach offener Operation untersucht [1 3]. Dabei wurde als primärer Endpunkt jeweils die Mortalität analysiert, aufgeschlüsselt nach perioperativer (30 Tage nach OP) und AAA-assoziierter Mortalität sowie Gesamtmortalität. Sekundäre Endpunkte waren jeweils diverse allgemeine und auf die Intervention bezogene Komplikationen sowie die Reinterventionsraten. Wie bereits erwähnt, waren die 30-Tages-Mortalitätsraten nach EVAR mit 0,2 1,2% sehr tief im Vergleich zu 2,3 4,2% nach offener Operation. Interessanterweise ist dieser Überlebensvorteil bei den jüngeren und gesünderen und nicht bei den älteren und kränkeren Patienten am ausgeprägtesten dies ganz im Gegensatz zu den ursprünglichen Erwartungen an die neue Technik. Betrachtet man jedoch den weiteren Verlauf, so war der Überlebensvorteil nach EVAR bereits nach zwei Jahren nicht mehr vorhanden. Auch über den gesamten Beobachtungszeitraum von bis zu 7,5 Jahren zeigten sich keine Unterschiede mehr in den Überlebenskurven. Dies gilt sowohl für die AAA-assoziierte als auch für die Gesamtmortalität. Dafür konnten zwei Hauptgründe identifiziert werden. Einerseits scheint die offene Operation kardiovaskuläre Todesfälle durch den operativen Stress zeitlich vorzuverschieben. Anders ausgedrückt: Die geringere Belastung und somit geringere Mortalität durch EVAR verhindert nicht, dass die kardiovaskulär vorbelasteten Patienten im weiteren Verlauf an einer natürlichen, meistens kardiovaskulären Todesursache sterben. Andererseits ist ein Teil der verzögerten Todesfälle nach EVAR auch auf EVAR-spezifische Komplikationen, sprich sekundäre Rupturen, zurückzuführen, die nach der offenen Operation nicht auftreten. Eine andere wichtige Erkenntnis aus diesen Arbeiten zeigt sich bei den Komplikationen. Während sich die meisten Komplikationen nach der offenen Operation bereits in den ersten Tagen manifestieren und danach selten sind, ist die Situation nach EVAR anders. Hier zeigt sich, dass Komplikationen auch noch nach Jahren auftreten; insgesamt sind über die Jahre bei bis zu 50% aller Patienten nach EVAR Komplikationen zu erwarten. Dies führt zu einer doch sehr hohen Reinterventionsrate von rund 30% über sieben Jahre. Zudem hat sich gezeigt, dass bei einem beträchtlichen Anteil der Patienten nach EVAR das Aneurysma wächst anstatt schrumpft. Dies Schweiz Med Forum 2013;13(35):678 682 680

ist der wichtigste Prädiktor für eine spätere Ruptur. Dieses Aneurysmawachstum nach EVAR wird vor allem durch Endoleaks begünstigt. Eine Ausnahme bildet bei der offenen Operation die Narbenhernie, die im Verlauf auftreten kann. Die grösste der genannten drei Studien hatte die Narbenhernien nach der offenen Operation bei der Berechnung der Komplikationsraten nicht aufgeführt, was zu Recht kritisiert wurde. Eine weitere, sehr interessante randomisierte Studie wurde mit denjenigen Patienten durchgeführt, die aufgrund ihrer Komorbiditäten nicht für eine offene Operation in Frage kamen [4]. Anstatt diese also für die offene Operation vs. EVAR zu randomisieren, randomisierte man sie für EVAR vs. konservative Therapie. Hier zeigte sich, dass bei diesen kränkeren Patienten die perioperative Mortalität auch nach EVAR mit 7,3% deutlich erhöht war. Dies führte zu einer tendentiell höheren Gesamtmortalität in den ersten sechs Monaten nach EVAR verglichen mit der konservativen Therapie (26 vs. 19%). Im weiteren Verlauf bis zu acht Jahren waren die Überlebenskurven dann kaum mehr unterschiedlich. Zusammenfassend scheinen also die Patienten, die für die offene Operation zu krank sind, auch für EVAR zu krank zu sein und sollten somit nicht unnötig behandelt werden. Die Realität In die genannten Studien wurden nur Patienten eingeschlossen, deren AAA-Morphologie in Einklang war mit den «instructions for use» (IFU) der Stentgrafthersteller (Abb. 4). Ob und inwieweit dies in der Realität der Fall ist, darf in Anbetracht des Anteils der Patienten, die heute mittels EVAR behandelt werden, zumindest hinterfragt werden. Die IFU zielen darauf ab, die Komplikationen nach EVAR zu minimieren. Da nun bekannt ist, dass ein Endoleak den häufigsten Grund für ein persistierendes AAA- Wachstum nach EVAR darstellt und dieses wiederum der wichtigste Risikofaktor für eine spätere Ruptur ist, wurden diese Zusammenhänge in einer interessanten Arbeit untersucht [5]. Retrospektiv analysierte man die prä- und postoperativen CT-Bilder von 10 000 Patienten mit EVAR. Dabei wurde in erster Linie untersucht, inwieweit die Anwender sich an die IFU der Hersteller hielten, wie sich dies über die Jahre veränderte und wie die Aneurysmamorphologie mit dem späteren Aneurysmawachstum nach EVAR zusammenhing. Folgende Schlussfolgerungen wurden gezogen: Nur 41% der Patienten hatten überhaupt einen AAA- Durchmesser von 5,5 cm. Nach 5 Jahren zeigte sich bei 41% der Patienten ein Wachstum des AAA. Je nachdem, ob man die konservativsten oder liberalsten IFU betrachtet, wurden 58,5% resp. 31,1% der Patienten ausserhalb der IFU behandelt Zwischen 1999 und 2008 nahm der AAA-Anteil, der ausserhalb der IFU behandelt wurde, stetig zu. Das Überschreiten einiger der von den Herstellern empfohlenen Grenzen war ein unabhängiger Risikofaktor für ein späteres AAA-Wachstum. Diskussion Es zeigt sich also über die letzten Jahre eine drastische Zunahme der Anzahl durchgeführter EVAR. Wahrscheinlich ist dies darauf zurückzuführen, dass es sich um eine neuere Therapiemodalität handelt, die einige offensichtliche Vorteile gegenüber der offenen Operation besitzt. Es scheint aber, dass die Verbreitung dieser Technik auch dazu geführt hat, dass die Indikation zur Operation zu grosszügig gestellt wird. Dies wiederum mag einerseits mit dem der medizinischen Gilde eigenen Streben nach Fortschritt und Innovation zusammenhängen, andererseits dürfte auch ein gewisser Druck vonseiten der Industrie dazu beitragen. Immerhin kostet ein Stentgraftsystem (reine Materialkosten) das Vielfache einer normalen Aortenprothese. Die Frage nach der optimalen Therapie für jeden individuellen Patienten ist unserer Meinung nach trotz mehrerer randomisierter, kontrollierter Multizenterstudien nicht abschliessend beantwortet. Dies hat mehrere Gründe. In diese Studien wurden naturgemäss nur Patienten eingeschlossen, deren anatomische Gegebenheiten EVAR erlaubten. Diese Resultate sind somit nicht auf alle Patienten mit einem behandlungsbedürftigen AAA extrapolierbar, denn in der Realität werden offensichtlich auch AAA, deren Masse ausserhalb der IFU liegen, mittels EVAR behandelt. Die Resultate dieser EVAR könnten also durchaus schlechter sein als in den randomisierten Studien. Gleichzeitig gilt dieser Unterschied aber auch für die offene Operation. Die AAA, die sich gut für EVAR eignen, machen in der Regel auch die offene Operation einfacher. Somit ist also denkbar, dass in der Realität zunehmend nur noch die «schwierigen» Fälle offen operiert werden, was natürlich auch hier eine höhere Komplikationsrate zur Folge haben könnte. Des Weiteren werden die Resultate dieser Studien von Befürwortern von EVAR dahingehend kritisiert, dass zum Zeitpunkt, als die Eingriffe durchgeführt wurden (1999 2008), teilweise ältere Generationen von Stentgrafts verwendet wurden und möglicherweise auch die Erfahrung der Anwender noch nicht so gross war wie heute. Diese Tatsachen sind nicht von der Hand zu weisen, womit die Resultate möglicherweise nicht der heutigen Realität entsprechen. Allerdings ist diese Einschränkung allen randomisierten kontrollierten Studien zu eigen, weswegen dieses Problem auch in zukünftigen Studien ungelöst bleiben wird. Zusammenfassend hat die Versorgung von AAA mittels EVAR aufgrund der heutigen Datenlage sicherlich ihre Berechtigung, hat sie doch eine tiefere perioperative Mortalität, eine kürzere Hospitalisationsdauer und insgesamt eine kleinere Belastung für den Patienten zur Folge. Nichtsdestotrotz mehren sich die Hinweise, dass eine sorgfältige Selektion der für EVAR geeigneten Patienten unerlässlich ist, um die potentiellen Vorteile voll auszuschöpfen und unnötige Spätkomplikationen zu vermeiden. Zudem dürfen die Vorteile von EVAR nicht dazu führen, die Indikation zur Therapie auf AAA auszuweiten, deren Grösse und Rupturrisiko aufgrund der Datenlage nicht dafür qualifizieren. Der ideale Patient für EVAR ist aufgrund der heutigen Datenlage wahrscheinlich der 75- bis 80-Jährige, der Schweiz Med Forum 2013;13(35):678 682 681

prinzipiell auch für eine offene Operation in Frage kommt und eine ideale Aneurysmamorphologie aufweist. Jüngere, fitte Patienten sind aufgrund der möglichen Langzeitkomplikationen und der lebenslangen Nachkontrollen möglicherweise besser mit der offenen Operation bedient, obwohl gerade diese Patienten in den Studien am meisten von EVAR profitiert haben. Der wichtigste Punkt scheint uns, dass wenn Zweifel an einer geeigneten Anatomie bestehen keine Kompromisse bei einer allfälligen EVAR eingegangen werden. Dies kann zu einem Dilemma führen, wenn der betreffende Patient aufgrund seiner Co-Morbiditäten nicht für eine offene Operation qualifiziert. In solchen Fällen muss mit dem Patienten und seinen Angehörigen auch die Möglichkeit des Verzichts auf eine Therapie besprochen werden. Dies gilt auch für die Patienten, welche für EVAR in Frage kämen, aber für eine offene Operation zu krank sind. Wie beschrieben, profitieren diese bezüglich Mortalität nicht von EVAR. Für die Zukunft bleibt abzuwarten, ob die neueren Generationen von Stentgrafts oder ganz neue Systeme die bisherigen Probleme lösen und damit die Indikationen für EVAR ausgeweitet werden können, ohne die Sicherheit der Patienten dadurch zu gefährden. Danksagung Wir danken Herrn Dr. M. Mujagic für die kritische Durchsicht dieses Artikels und die wertvollen Anmerkungen aus der Sicht eines Allgemeinmediziners. Korrespondenz: Prof. Dr. Peter Stierli Universitäres Zentrum für endovaskuläre und vaskuläre Chirurgie Aarau/Basel Spitalstrasse 21 CH-4031 Basel peter.stierli[at]ksa.ch Literatur 1 EVAR trial participants; Endovascular aneurysm repair versus open repair in patients with abdominal aortic aneurysm (EVAR trial 1): randomised controlled trial. Lancet. 2005;365(9478):2179 86. 2 De Bruin JL, et al. Long-term outcome of open or endovascular repair of abdominal aortic aneurysm. N Engl J Med. 2010;362(20):1881 9. 3 Lederle FA, et al. Long-term comparison of endovascular and open repair of abdominal aortic aneurysm. N Engl J Med. 2012;367(21): 1988 97. 4 EVAR trial participants; Endovascular aneurysm repair and outcome in patients unfit for open repair of abdominal aortic aneurysm (EVAR trial 2): randomised controlled trial. Lancet. 2005;365(9478):2187 92. 5 Schanzer A, et al. Predictors of abdominal aortic aneurysm sac enlargement after endovascular repair. Circulation. 2011;21;123(24): 2848 55. Schweiz Med Forum 2013;13(35):678 682 682