Die deutsche Pflegeversicherung Ziele / Grundsätze Versicherte ambulant (in Luxemburg Pflegenetz) vor (voll-)stationär: Ziele: 1. den pflegebedürftigen Menschen ermöglichen, so lange wie möglich in der häuslichen Umgebung zu bleiben 2. Kosteneinsparung Bei Einführung Öffnung für private Anbieter, zuvor nur frei-gemeinnützige und kommunale Leistungsanbieter. Ziel privat/frei-gemeinnützig vor staatlichen Anbietern: Schaffung eines privaten Pflegemarktes (Rückzug des Staates auf Versorgungsplanung) Teilleistungscharakter (Leistung in Höhe begrenzt, deckt Kosten in der Regel nicht voll; im ambulanten Bereich sind als Zuschuss gedacht) Die Versicherungspflicht folgt dem Prinzip Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung. Pflicht zur Pflegeversicherung besteht bei und über die eigene Krankenversicherung sowohl bei gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) als auch privater Krankenversicherung (PKV). Es besteht eine weitgehende Pflicht zu einer Krankenversicherung (seit 2007) für abhängig Beschäftigte bis zur Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung; für Selbstständige, Beamte und Personen mit Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze besteht Wahlfreiheit, ob PKV oder freiwillig in der GKV (wenn einmal in der PKV ist Rückkehr in die GKV schwierig bis unmöglich); Eheleute und Lebenspartner ( Homosexuellen-Ehe in Deutschland) und Kinder sind in der GKV mitversichert, soweit sie nicht selbst pflichtversichert oder von der Versicherungspflicht befreit sind und ein Einkommen von unter rund 450 Euro im Monat haben. Damit sind fast alle Menschen in Deutschland pflichtweise pflegeversichert. Entweder in der sozialen Pflegeversicherung (SPV) oder der privaten Pflegeversicherung (PPV). Finanzierung Finanzierung über Beiträge der Versicherten; Beiträge zu SPV/PPV sind steuerlich absetzbar. SPV: Beitragssatz von (formal: paritätisch zu tragenden) 1 2,35% vom Bruttolohn; ggf. zzgl. alleine vom AN zu tragenden 0,25% für über 23-jährige Versicherte ohne Kinder PPV: versicherungsmathematisch errechnete Tarif-Beiträge 1 Formal wird der Beitragssatz paritätisch durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen, mit Ausnahme des Freistaates Sachsen. Da bei Einführung der Pflegeversicherung alle Bundesländer außer Sachsen einen Feiertag abgeschafft haben, sind die Arbeitgeber nicht paritätisch an der Finanzierung beteiligt worden. In Sachsen wurde kein Feiertag abgeschafft, weshalb dort ein um 0,5%-Punkte erhöhter Satz für die AN und ein um 0,5%-Punkte verminderter Satz für die Arbeitgeber gilt. Beitragserhöhungen werden also pari tätisch verteilt.
Leistungen (Feststellung und Ausgestaltung): Pflegebedarfsfeststellung, Leistungsumfang und Ausgestaltung sind sowohl für SPV als auch die PPV gesetzlich geregelt und einheitlich festgelegt. Bedarfsermittlung: Bei SPV-Versicherten begutachtet der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) die hilfebedürftige Person; bei den PKV-Versicherten Gutachter der privaten Krankenkassen Umfang der Pflegebedürftigkeit wird anhand des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ermittelt. Dieser ist verrichtungsbezogen und ist in Tätigkeiten (Anlage 1) aus vier Bereichen eingeteilt: Körperpflege Ernährung Grundpflege Mobilität Hauswirtschaft o Die Einzeltätigkeiten aus den Bereichen sind dabei mit einem Zeitkorridor versehen ( Kämmen 1 bis 3 Minuten, vollständiges Ankleiden 8-10 Minuten) o Bei Tätigkeiten (bspw. Waschen des ganzen Körpers, 20 bis 25 Minuten) welche nicht täglich stattfinden wird der Aufwand pro Woche (bspw. 3 mal die Woche á 22 Minuten = 66 Minuten) durch 7 Tage geteilt, um den durchschnittlichen täglichen Bedarf (=9,43 Minuten => 9 bis 10 Minuten) zu ermitteln o Die Zeiten werden addiert o Ferner wird nach einem gesonderten Katalog (nicht verrichtungsbezogen) festgestellt, ob eine dauerhaft erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz vorliegt. o Einschränkungen müssen dauerhaft (=für voraussichtlich mehr als sechs Monate) vorliegen, um leistungsrelevant zu sein (Abgrenzung zu Erkrankungen ) Anhand des Pflegebedarfs werden Pflegestufen gewährt o Stufe I ( erheblich Pflegebedürftige ) täglicher Hilfebedarf (Grundpflege/Haushalt) von mind. 90 Minuten, davon mind. 45 Minuten Grundpflege mind. einmal täglich Hilfebedarf bei wenigstens zwei Tätigkeiten aus dem Bereich Grundpflege zusätzlich mehrmals wöchentlich Hilfe im Bereich Hauswirtschaft o Stufe II ( Schwerpflegebedürftige ) täglicher Hilfebedarf mind. 3 Stunden, davon mind. 2 Stunden Grundpflege mind. dreimal täglich Hilfebedarf im Bereiche Grundpflege zusätzlich mehrmals wöchentlich Hilfe im Bereich Hauswirtschaft o Stufe III ( Schwerstpflegebedürftige ) täglicher Hilfebedarf mind. 5 Stunden, davon mind. 4 Stunden Grundpflege rund um die Uhr (auch Nachts) Hilfe im Bereiche Grundpflege zusätzlich mehrmals wöchentlich Hilfe im Bereich Hauswirtschaft
o sog. Pflegestufe 0 : bei erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (insbesondere demenzielle Erkrankungen), wenn der Pflegebedarf nicht den Mindestumfang für Stufe I erreicht; erst 2008 eingeführt, in Vorgriff auf einen weiterentwickelten Pflegebegriff (vgl. Abschnitt aktuelle Debatte ). o Innerhalb der Stufen I bis III wird im ambulanten Bereich jeweils zusätzlich noch der Aspekt erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz unterschieden (eingeführt 2012). Auch dies ist ein Vorgriff auf einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff (vgl. Abschnitt aktuelle Debatte ). Leistungsausgestaltung: o Leistungen können als Geldleistung: zur Finanzierung einer (privat organisierten) Pflegeperson (Hilfebedarf muss gesichert werden) = Angehörigenpflege und (nichtberufliche/nichtprofessionelle) Laienpflege Sachleistung: wenn ein ambulanter Pflegedienst (entspricht in Luxemburg dem Pflegenetz ) oder stationäre Pflegeeinrichtung, die Leistungen erbringt Auch als Kombinationsleistung (in Luxemburg: Aufteilung ) aus Geld- und Sachleistung möglich Rund 75% werden ambulant versorgt; rund 50% aller Fälle beziehen ausschließlich Pflegegeld und rund 15% beziehen Kombinationsleistung o Maximal abrechenbarer Betrag hängt von Pflegestufe sowie Form der Leistungserbringung (Pflegegeld, ambulant oder stationär) erheblich eingeschränkte ambulante teilstationäre vollstationäre Alltagskompetenz Pflegegeld Sachleistung Pflege Pflege Stufe 0 123 231 231 - Stufe I ohne 244 468 468 mit 316 689 689 1064 Stufe II ohne 458 1144 1144 mit 545 1298 1298 1330 StufeIII ohne 728 mit 728 1612 1612 1612 Stufe III ohne - - 1995 (Härtefall) mit - - 1995 o Für ambulante Pflege (Pflegegeld und Sachleistung): Zusätzlich abrechenbarer Betrag von 104 Euro (Grundbetrag) bzw. bis zu 208 Euro bei erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (erhöhter Betrag); nur nachgewiesene Kosten können abgerechnet werden o Das Pflegegeld wird in der jeweiligen Höhe ausgezahlt, o Sachleistungen muss der Pflegedienst / die Einrichtung die Leistungen abrechne n (Punkte-System nach durchgeführter pflegerischer Maßnahme) und bekommt diese
dann bis zum jeweiligen Höchstbetrag erstattet. Sätze werden regional festgesetzt => bedeutet regionale Verzerrungen (z.b. an Landesgrenzen) o Statt Pflegesachleistungen können auch über die 104/208 Euro hinaus Teile der Sachleistung für niedrigschwellige Betreuungsangebote verwendet werden (höchsten 40% der maximalen Pflegesachleistung der Stufe) o Übersteigen die Pflegekosten die Leistungen, sind die Mehrkosten privat zu finanzieren. Entsteht hierdurch finanzielle Hilfebedürftigkeit, dann übernimmt die Sozialhilfe (Unterhaltsrückgriff auf Kinder auch außerhalb des Haushalts) Bewertung des Systems Vorteile: o Grundsätzlich durch Pflegeversicherung: spürbare Linderung der ausgeprägten Unterversorgung im Bereich ambulanter und stationärer Pflegeangebote, bessere Versorgungssituation vieler pflegebedürftiger Menschen o Grundsatz ambulant vor stationär, für die Betroffenen wünschenswert (bessere Teilhabe und gewohntes Lebensumfeld) o finanzielle Unterstützung der Betroffenen und Angehörigen für meist teure Pflegeleistungen o finanzielle Entlastung der kommunalen Träger der Sozialhilfe, welche bei finanzieller Bedürftigkeit der Betroffenen die Kosten für die Pflege übernehmen müssen (mit Unterhaltsrückgriff auf Kinder der Bedürftigen) Nachteile: o Teilleistungscharakter : finanzielle Eigenleistung für die Betroffenen notwendig erheblicher Wertverlust der Pflegeleistungen seit Einführung aufgrund mangelnder Dynamisierung; damit einhergehend sind Betroffene wieder häufiger auf Hilfe zur Pflege (Sozialhilfe) angewiesen. Seit dem Jahr 2008 sollen sich die Sätze an der Preisentwicklung orientieren; Anpassung steht allerdings unter Vorbehalt der Regierung offen wie es sich tatsächlich entwickelt. enger Finanzrahmen für Leistungserbringer -> finanzieller Druck hat negative Wirkung auf Löhne und Arbeitsbedingungen sowie insgesamt auf Tarifverträge o Pflegegeld kann finanzieller Anreiz (zumeist für Frauen) sein, Erwerbsarbeit zugunsten der Pflege von Angehörigen zu reduzieren / aufzugeben (aufgrund Teilkasko unter Umständen hohe Opportunitätskosten bei professioneller Pflege ) o Enger, verrichtungsbezogener Pflegebedürftigkeitsbegriff ; trotz erster Verbesserungsversuche (allg. Betreuungsbedarf) o Wenige Pflegestufen bieten nur geringe Genauigkeit o Gleichstellung privater mit frei-gemeinnützigen Dienstleister im Vorrang vor staatlichen Angeboten. Führte in der Pflege zu Privatisierung und Vermarktlichung
und einem massiven Ausbau privater Leistungsanbieter in den lukrativen Segmenten. Der Pflegemarkt unterliegt einem hohem Preis- und Wettbewerbsdruck mit entsprechenden Arbeits- und Lohnbedingungen. o Problematik der Vereinbarkeit (Beruf und Pflege): Weder Pflegeversicherung noch mehrere Gesetze bieten bisher ein adäquates Angebot für Beschäftigte Freistellung bis zu zehn Tage zur Organisation der Pflege, Lohnersatzleistung: 90% des Nettolohns. Außerdem 24 Monatige unbezahlte Teilfreistellung mit Anspruch auf zinsfreies Darlehen (in Betrieben mit über 25 Beschäftigten). Auswirkungen auf Beschäftigte sowohl durch die Rahmenbedingungen als auch durch die starke Prägung und Orientierung am Wettbewerb. In Deutschland hohes Maß an atypischer und finanziell prekärer Beschäftigung. Viele Minijobs (Steuer- und Sozialabgaben frei), überwiegend Teilzeit (50% Fachkräfte und 70 % der Hilfskräfte) 2. Gesamte Branche von hoher Arbeitsverdichtung geprägt. Formen der Taylorisierung durch Einsatz von Hilfskräfte und ungelernten). Aktuelle Debatte Die Debatte in Deutschland dreht sich um das Vorhaben, den Pflegebedürftigkeitsbegriff neu auszurichten und die Frage Teil- oder Vollversicherung. Beim Pflegebedürftigkeitsbegriff stehen folgende Aspekte im Fokus stärkere Berücksichtigung von kognitiven Fähigkeiten Fünf Pflegegrade statt drei Pflegestufen Selbständigkeitsbezogen ( was-geht-noch-wie-gut? statt was-geht-nichtmehr? ) Einbeziehung von Teilhabe (sozialem und öffentlichem Leben) Bei Frage Teil-/Vollversicherung geht es im Wesentlichen um die Frage, ob die Pflichtversicherung die Kosten vollständig übernehmen soll, oder ob die Versicherten auf freiwilliger Basis (staatlich geförderte) ergänzende Pflegezusatzversicherungen abschließen sollen. Finanzieller Eigenanteil je nach Pflegestufe durchschnittlich 346 bis 768 Euro, im vollstationärer Pflege in Stufe III durchschnittlich rund 1.800 Euro (vgl. Barmer GEK Pflegereport, http://www.gesundheitsstadtberlin.de/luecke-zwischen-pflegekosten-und-eigenanteil-wird-immer-groesser-2739/). Pflegebedürftigkeitsbegriff ist seit Jahren in der Diskussion, weil problematisch, daher mehrfach nachgebessert. Problem ist auch, dass nicht mehr Finanzvolumen, sondern Frage der Verteilung. D.h. es gibt immer Gewinner und Verlierer. 2 Vgl. Studie Was man in den Pflegeberufen in Deutschland verdient : http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/publikationen/pflege/sonstiges/studie_zu_den_entgelten_der_pflegebe rufe.pdf
Anlage 1: die anerkannten Tätigkeiten aus den vier Bereichen Körperpflege Mobilität Ernährung Hauswirtschaftliche Versorgung Waschen Duschen Baden Zahnpflege Kämmen Rasieren Darm-/Blasenentleerung Aufstehen Zu-Bett-Gehen An-/Auskleiden Gehen, Stehen, Treppensteigen Betreten/Verlasen der Wohnung Mundgerechte Zubereitung Nahrungsaufnahme Einkaufen Kochen Reinigung der Wohnung Wechseln und Waschen der Wäsche/Kleidung Beheizen en (im Abgleich zu denen in Luxembourg) Anl age 2: List e mit Beg riff Grundpflege Aktivitäten der täglichen Lebens Tätigkeiten in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität In Deutschland gibt daneben noch den Bereich hauswirtschaftliche Versorgung Pflegeperson ähnlich wie in Luxembourg: Person, die nicht-erwerbsmäßig pflegt Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK) Gutachter Stellt Pflegebedarf fest Kombinationsleistung Aufteilung Leistungserbringer, wie in Luxembourg Geldleistungen; wie Luxembourg, allerdings in Deutschland kann auch die Gesamtleistung als Pflegegeld ausgezahlt werden. Sachleistung, wie in Luxembourg Ambulanter Pflegedienst Pflegenetz Mindestbedarf (Luxemburg): dies ist in Deutschland nach Stufen gestaffelt Pflegestufen: Einordnung des Pflegebedarfs in Stufen; jede Stufe hat Mindestbedarfsanforderung; Pflegestufe mit Geldwerten hinterlegt, welche maximal abgerechnet werden können