Haftungsrisiko Ausführung 41 Haftungsrisiko Ausführung Muss ich bei der Objektüberwachung mein Büro auf die Baustelle verlegen? Klarzustellen ist zunächst, dass es sich bei Leistungen innerhalb der Leistungsphase 8 (Objektüberwachung) nur um solche Leistungen handelt, die Sie im Rahmen ihres Architektenvertrags gegenüber dem Auftraggeber schulden. Haben Sie daneben zusätzlich noch als ausführender Unternehmer eine bauvertragliche Errichtungsverpflichtung, so beurteilt sich die damit verbundene unternehmerische Leistungs-, Kontroll- und Abwicklungsfunktion allein nach dem bauvertraglichen Teil. Ferner ist zu unterscheiden zwischen den (immer zu erbringenden) sog. Grundleistungen auf der einen und den (je nach Bauvorhaben ggf. zu erbringenden) sog. besonderen Leistungen auf der anderen Seite. Als Grundleistung ist das Überwachen der Ausführung des Objekts auf Übereinstimmung mit der Baugenehmigung oder Zustimmung, mit den Ausführungsplänen und den Leistungsbeschreibungen, mit den anerkannten Regeln der Technik und mit den einschlägigen Vorschriften (BGHZ 68, 169, 173) zu verstehen. Der Bauleiter hat unter Beachtung aller einschlägigen Vorschriften für die Einhaltung der Regeln der Bautechnik zu sorgen. Für Ingenieurleistungen kann er sich der sog. Fachbauleiter bedienen, ausgenommen hiervon ist allerdings das Überwachen der Ausführung von Tragwerken auf Übereinstimmung mit dem Standsicherheitsnachweis, diese als Fachingenieurleistung geltende Maßnahme zählt noch zu den Grundleistungen der Objektüberwachung. Grundleistungen der Objektüberwachung (Bauüberwachung) 15 HOAI Leistungsphase 8 Welche Grundleistungen im Rahmen der Leistungsphase 8 des 15 HOAI von Ihnen zu erbringen sind, soll der nachfolgende Überblick verdeutlichen:
42 Haftungsrisiko Ausführung Überwachen der Ausführung des Objekts auf Übereinstimmung mit der Baugenehmigung oder Zustimmung, den Ausführungsplänen und den Leistungsbeschreibungen sowie mit den anerkannten Regeln der Technik und den einschlägigen Vorschriften Überwachen der Ausführung von Tragwerken nach 63 I Nr. 1 und 2 HOAI auf Übereinstimmung mit dem Standsicherheitsnachweis Koordinieren der an der Objektüberwachung fachlich Beteiligten Überwachung und Detailkorrektur von Fertigteilen Aufstellen und Überwachen eines Zeitplans (Balkendiagramm) Führen eines Bautagebuchs gemeinsames Aufmaß mit den bauausführenden Unternehmen bauausführenden Unternehmen im Vergleich zu den Vertragspreisen und dem Kostenanschlag Besondere Leistungen der Objektüberwachung (Bauüberwachung) 15 HOAI Leistungsphase 8 Darüber hinaus haben Sie möglicherweise auch folgende Besonderen Leistungen zu erbringen: Aufstellen, Überwachen und Fortschreiben eines Zahlungsplans Aufstellen, Überwachen und Fortschreiben von differenzierten Zeit, Kosten- oder Kapazitätsplänen Tätigkeit als verantwortlicher Bauleiter, soweit diese Tätigkeit nach jeweiligem Landesrecht über die Grundleistungen der Leistungsphase 8 hinausgeht Abnahme der Bauleistung unter Mitwirkung anderer an der Planung und Objektüberwachung fachlich Beteiligter unter Feststellung von Mängeln Rechnungsprüfung (dazu später) Kostenfeststellung nach DIN 276 oder nach dem wohnungsrechtlichen Berechnungsrecht Antrag auf behördliche Abnahme und Beteiligung daran Übergabe des Objekts einschließlich Zusammenstellung und Übergabe der erforderlichen Unterlagen, z.b. Bedienungsanleitung, Prüfprotokolle Auflistung der Gewährleistungsfristen (dazu später) Überwachen der Beseitigung der bei der Abnahme der Bauleistung festgestellten Mängel Kostenkontrolle durch Überprüfen der Leistungsabrechnung der Hierbei kann sogar eine Art rechtsbesorgende Tätigkeit von Ihnen gefragt sein: Beispiel 1: Auflistung der Gewährleistungsfristen: Hier müssen Sie, wollen Sie sachgerecht den Ablauf der Gewährleistungsfristen für die einzelnen Gewerke bezeichnen, den Abnahmezeitpunkt feststellen. Sie müssen auch in die Auflistung aufnehmen, wann und wie lange die Verjährung gehemmt ist, sowie berücksichtigen, wenn ihnen bekannte Unterbrechungstatbestände vorliegen (Locher/Koeble/Frik: Kommentar zur HOAI, Einl. Rdnr. 694). Beispiel 2: Prüfung von Rechnungen: Im Rahmen der Leistungsphase 8 des 15 HOAI haben Sie die Rechnungen zu prüfen. Sie haben also den Auftraggeber über die Höhe von Einbehalten, Zurückbehaltungsrechten, aber auch über die Freigabe und die Anlegung von Sicherheitseinbehalten zu beraten.
Haftungsrisiko Ausführung 43 Sie müssen unter anderem prüfen, ob die Rechnungen prüffähig sind, ob Fälligkeit eingetreten ist oder ob die Voraussetzungen des Skontoabzugs vorliegen. Muss ich täglich vor Ort sein, alles untersuchen und jeden überwachen? Nun kann leicht der Eindruck entstehen, dass Sie ständig vor Ort sein und alles und jeden überwachen müssten. Ganz so streng sind aber die Anforderungen nicht, um eine etwaige Haftung zu vermeiden. Vielmehr hängen der Umfang und die Intensität der Überwachung von den Anforderungen der Baumaßnahme und den jeweiligen Umständen ab. Je höher der Schwierigkeitsgrad der Baumaßnahme, desto höher sind auch der Umfang und die Intensität der Überwachung. Grundsatz Grundsätzlich müssen Sie als Architekt die Baustelle nicht ständig besuchen und der Auftraggeber kann hieraus auch keine Honorarminderung herleiten. Nach dem Urteil des BHG vom 10. Februar 1994 ( NJW 1994, 1277) hat der die Bauaufsicht führende Architekt dafür zu sorgen, dass der Bau plangerecht und frei von Mängeln errichtet wird. Der Architekt ist dabei nicht verpflichtet, sich ständig auf der Baustelle aufzuhalten, er muss allerdings die Arbeiten in angemessener und zumutbarer Weise überwachen und sich durch ständige Kontrollen vergewissern, dass seine Anweisungen sachgerecht erledigt werden. Bei wichtigen oder kritischen Baumaßnahmen, die erfahrungsgemäß ein hohes Mängelrisiko aufweisen, ist der Architekt zu erhöhter Aufmerksamkeit und zu einer intensiveren Wahrnehmung der Bauaufsicht verpflichtet. Besondere Aufmerksamkeit hat der Architekt auch solchen Baumaßnahmen zu widmen, bei denen sich im Verlauf der Bauausführung Anhaltspunkte für Mängel ergeben. Danach ist also die Aufsichtstätigkeit des Architekten oder eines zuverlässigen Mitarbeiters an Ort und Stelle grundsätzlich immer dann erforderlich, wenn es sich um in der Ausführung beinhaltete wichtige Bauvorgänge handelt, welche für die Erreichung der Bauaufgabe sowohl in technischer, insbesondere konstruktiver, als auch in gestalterischer Hinsicht von wesentlicher Bedeutung sind.
44 Haftungsrisiko Ausführung Erhöhte Aufmerksamkeit ist auch bei Abbrucharbeiten geboten! Überwachung einfacher Arbeiten Nicht überwachen müssen Sie einfache, gängige Arbeiten, von denen Sie annehmen dürfen, dass sie auch ohne Überwachung fachlich ordnungsgemäß erledigt werden. Hier müssen Sie nicht ständig auf der Baustelle sein, um die Arbeiten zu kontrollieren, Sie können sich von deren Ordnungsgemäßheit nach der Fertigstellung durch Stichproben überzeugen, da diese Arbeiten handwerkliche Selbstverständlichkeiten darstellen (BGH, BauR 1971, 131). Beispiele: Malerarbeiten, das Aufbringen von Dachpappe als Trennschicht (nicht dagegen als Isolierschicht), die Errichtung einer Klärgrube, das Verlegen von Fußböden oder Platten, das Auftragen von Innenputz sowie einfache Erdarbeiten und allgemein übliche Holzund Fassadenanstricharbeiten, egal ob ein Wärmeverbundsystem oder eine Putzoberfläche beschichtet werden soll (KG, NJW-RR 2001, 1167). Erhöhte Aufmerksamkeit ist aber geboten, wenn sich bei Ausführung dieser einfacheren Arbeiten bereits Mängel zeigen (BGH, BauR 1994, 392)! Werden schwierigere Verfahren oder Konstruktionen eingesetzt, bedürfen sie generell besonderer Überprüfung. Beispiel: Erhebt ein Fliesenleger Bedenken wegen Rissen im Estrich, dann muss der Architekt diese genauer untersuchen lassen. So ist ebenfalls eine erhöhte Aufmerksamkeit dann geboten, wenn sich bereits während der Putzarbeiten Mängel der Ausführung herausstellen (LG Köln, VersR 1981, 1191). Überwachen kritischer Arbeiten Kritische Arbeiten und Bauabschnitte sind solche, von denen das Gelingen des ganzen Werks abhängt. Diesen hat der Architekt seine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Diese Bauabschnitte sind persönlich vom Architekten oder von einem erprobten Erfüllungsgehilfen unmittelbar zu kontrollieren. Der Architekt muss sich zumindest nach Ausführung der Arbeiten von deren Ordnungsgemäßheit überzeugen. Als Bauabschnitte, die besondere Gefahrenquellen mit sich bringen und die somit eine verstärkte Wahrnehmungs- und Überwachungstätigkeit erfordern, sind folgende beispielhaft zu nennen: Beispiele: Gießen der Betondecke, Kontrolle der Bewehrung (BGHZ 68, 169, 173) sowie allgemein Abdichtungs- und Isolierarbeiten, z.b. Anbringung einer Abdichtungsfolie vor nachfolgenden Verfüllarbeiten (OLG Hamm, BauR 1990, 638), Abdichtung von Balkonen und Loggien (BGH, BauR 1986, 113) oder Abdichtung gegen Grundund Schichtwasser (OLG Düsseldorf, 1994, 546) und Abdichtung eines Neubaus gegen drückendes Wasser (OLD Düsseldorf, BauR 2001, 1780). Hinsichtlich der Fundamente muss der
Haftungsrisiko Ausführung 45 Architekt darauf achten, dass diese in einer der DIN 1054 entsprechenden Einbindungstiefe in den gewachsenen Boden eingebracht werden (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 532). Erhöhte Aufmerksamkeit ist ebenfalls geboten, wenn der Bestandsschutz eines Gebäudes durch Abbrucharbeiten gefährdet werden kann (OLG Oldenburg, BauR 1992, 258), wenn sich mangelhafte Bauleistungen auf Nachbargrundstücke auswirken können, wie durch fehlerhaften Anschluss bei Abwasserleitungen an das Kanalanschlussrohr (LOG Köln, MDR 1994, 687) und bei der Vornahme der notwendigen Verkehrssicherung bei Ausschachtungsarbeiten, insbesondere ist darauf zu achten, dass die Stabilität des Nachbargebäudes erhalten bleibt und etwaige Auflagen der Bauaufsicht eingehalten werden (BGH, NJW 1961, 1523, OLG Köln, NJW-RR 1994, 89). Estricharbeiten dürften heute nicht mehr zu den gefährlichen Bauabschnitten gehören. Im Ausnahmefall kann aber eine besondere Überprüfung notwendig werden (nicht einheitlich entschieden)! Beispiel: So entschied das OLG Oldenburg (BauR 1999, 1476, NJW-RR 2000, 21), dass sich der Architekt nach der Fertigstellung von Estricharbeiten vor Beginn der anschließenden Parkettverlegung zumindest durch eine Gitterritzprüfung Gewissheit darüber zu verschaffen hat, dass der Estrichboden als Untergrund für den vorgesehenen Belag geeignet ist. Das Gericht ging in seinem Urteil davon aus, dass der Zeitpunkt der Fertigstellung des Estrichs vor Verlegung des Parketts doch einen kritischen Bauabschnitt darstellt. Ebenfalls wohl zu weitgehend ist die Entscheidung des OLG Stutgart (BauR 2001, 671), wonach der Architekt vor dem Verlegen des Oberbelags Materialmessungen des Estrichs veranlassen muss oder selbst (!) die Restfeuchte ermitteln soll. Grenzen der Überwachungstätigkeit Die Grenzen der Überwachungstätigkeit ergeben sich aus dem ordnungsgemäßen Wissensstand des Durchschnittsarchitekten, es wird keine Kenntnis von Sonderfachleuten verlangt. Anforderungen an die Bauüberwachung Intensität der Überwachung 100 % 80 % 60 % 40 % 20 % 0 % Anforderungen der Baumaßnahme