Heimat und Identität in der Einwanderungsgesellschaft



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Transkript:

Heimat und Identität in der Einwanderungsgesellschaft Vorbemerkungen Deutschland ist ein in der Welt angesehenes Land. Viele Menschen aus der ganzen Welt sind in den letzten 60 Jahren aus verschiedenen Gründen zu uns gekommen. Sie suchten hier ein besseres Leben in Freiheit und Sicherheit, gesellschaftlichen und beruflichen Aufstieg. Sie wurden als Arbeitskräfte gebraucht und haben erheblich zu unserem Wohlstand beigetragen. Viele, die zunächst nur vorübergehend kamen, haben bei uns eine neue Heimat gefunden. Sie und ihre Kinder gehören zu uns. Aus dieser Einwanderung ist eine große Vielfalt entstanden. Neue Generationen verschiedener Herkünfte wachsen gemeinsam in Deutschland auf. Dennoch haben wir über Jahrzehnte darüber diskutiert, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei. Diese Debatte hat das Zugehörigkeitsgefühl der Einwanderer zu diesem Land beeinträchtigt. Auch die Mehrheitsbevölkerung hat sich lange Zeit nicht ausreichend mit dieser Frage beschäftigt. In der Integrations- und Migrationspolitik wurden in den letzten Jahren atmosphärisch und inhaltlich viele Fortschritte erzielt. Ein neues Bewusstsein hat sich herausgebildet: Integration ist ein wichtiges Thema für unsere Gesellschaft insgesamt. Umso bedauerlicher ist es, dass dieses Thema noch nicht in allen Teilen der Gesellschaft jenen Stellenwert hat, der ihm gebührt. Zwar genießt Integrationspolitik inzwischen hohe Priorität, es gibt viele Konzepte und Bemühungen auf allen staatlichen Ebenen, aber auch in der Zivilgesellschaft. Über den richtigen Weg zu mehr Partizipation gibt es dabei teilweise unterschiedliche Vorstellungen. Notwendig sind aber auch Engagement und Verantwortung von uns allen, weil Integration die gesamte Gesellschaft fordert und verändert. Gefordert ist jeder Einzelne,

denn Integration erfolgt in erster Linie vor Ort und im alltäglichen Leben. Sie ist nicht alleine Aufgabe und Verantwortung staatlicher Stellen, sondern eines jeden einzelnen von uns. Die öffentliche Aufmerksamkeit konzentriert sich leider zu oft nur auf die Defizite von Einwanderern oder auf technische, bspw. rechtliche, Fragen von Integration als Teilhabe und zu wenig auf die Potentiale der Einwanderung als wirtschaftliche und soziale Grundlage für die gemeinsame Zukunft in der Einwanderungsgesellschaft. In der Debatte über diese Fragen und Herausforderungen der Integration ist vieles erreicht worden, obwohl es in der politischen Debatte teilweise unterschiedliche Auffassungen gibt. Was jedoch noch fehlt, ist das allgemeine Bewusstsein breiter Gesellschaftsschichten für die Bedeutung des Themas und für den anhaltenden Prozess, der unser Land und damit alle seine Menschen fordert und verändert. Wir setzen uns ein für einen Paradigmenwechsel von der Defizitorientierung hin zur Potentialorientierung. Wir brauchen vor allem eine breite Willkommens- und Anerkennungskultur. Entscheidend ist, dass wir alle ein aufrichtiges Interesse daran haben, uns als eine Gesellschaft zu begreifen. Seite 2 von 5

1. Was bedeutet Heimat in der Einwanderungsgesellschaft? Heimat ist mehr als ein Vater- oder Mutterland im klassischen Sinne und mehr als nur ein Ort der Verwurzelung. Heimat ist da, wo ein Heimatgefühl sich entwickeln kann. Sie ist eine Lebenswelt, in der sich Menschen mit ihren Bedürfnissen nach Identität, Sicherheit und Gemeinschaft zuhause fühlen und ihre Zugehörigkeit nicht infrage gestellt wird. Heimat ist nie homogen. Heimat bedeutet deshalb auch, Fremdheit zuzulassen und dem anderen seinen Platz in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Heimat ist auch ein Ort, an dem Konflikte entstehen, ausgetragen und gelöst werden können. Die Suche nach und das Finden von Heimat ist ein dynamischer und emotionaler Prozess, der nicht einfach ist, nicht selbstverständlich. Wir müssen darüber sprechen, in welche Gesellschaft sich Einwanderer und Eingewanderte integrieren sollen. Wir müssen eine gemeinsame Vorstellung davon entwickeln, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Heimat ist nicht mehr nur eine Schicksalsgemeinschaft, die sich aus einer gemeinsamen Vergangenheit definiert, sondern eine Gemeinschaft der Zukunft. Diese Gemeinschaft wollen wir gemeinsam gestalten. 2. Heimat und Identität Heimat und Identität sind nicht zu trennen. Heimat gibt Identität. Identität wiederum schafft durch ihre räumliche, biografisch-zeitliche und psychosoziale Dimension Heimat. Die Identität jedes einzelnen ist vielschichtig. Heimat bedeutet, diese Vielfalt leben zu können. Einwanderer bringen kulturelle Traditionen, religiöse und politische Überzeugungen mit. Durch moderne Medien ist der Kontakt zum Herkunftsland intensiv. Auch außenpolitische Entwicklungen, bspw. Spannungen zum Herkunftsland, spielen für sie eine bedeutende Rolle. Sie und ihre Kinder fühlen sich in mehreren Kulturen zuhause, sie vereinen mehrere Identitäten in sich. Wir unterschätzen Menschen, wenn wir ihnen die Fähigkeit dazu absprechen. Seite 3 von 5

3. Heimat und Identität in Deutschland Unser Land tut sich manchmal schwer mit der eigenen Identität. Das macht den Umgang mit dem Neuen nicht leichter. Auch daher fällt es vielen Eingewanderten schwer, in Deutschland ein Heimatgefühl zu entwickeln, obwohl sie gerne hier leben und sich in ihrem persönlichen Umfeld wohl fühlen. Unsere Gesellschaft hat manchmal Schwierigkeiten, sich für andere zu öffnen. Integration braucht diese Bereitschaft zur Offenheit und ist daher eine Herausforderung für unsere gesamte Gesellschaft. Wir möchten deshalb miteinander über unsere gemeinsame Identität nachdenken und sprechen. Heimat gibt nicht nur Identität, sondern ist ohne eine gemeinsame Geschichts- und Erinnerungskultur inhaltslos. Dabei spielen auch Symbole und eine angemessene Sprache eine wichtige Rolle. Wir wollen die Willkommens- und Anerkennungskultur stärken. Sie muss im öffentlichen Raum sichtbar sein. Chancengleichheit, Anerkennung und Teilhabe können kaum politisch oder rechtlich verordnet werden. Sie müssen vielmehr vorgelebt und gefördert werden. Wir müssen sowohl neu Ankommende als auch bereits hier Lebende als Teil unserer gemeinsamen Zukunft begreifen. Nur so ermöglichen wir ihnen, sich hier heimisch zu fühlen. 4. Migranten und Migrationshintergrund Die Bezeichnung Migrant für Menschen, die dauerhaft hier leben, ist ausgrenzend. Sie beschreibt einen Zustand des Nicht-Angekommenseins und macht es für Einwanderer und ihre Kinder schwerer, sich mit unserem Land zu identifizieren. Migranten sind längst selbst Teil der Aufnahmegesellschaft, Teil unserer Gemeinschaft. Es ist deshalb an der Zeit, diesen Begriff hinter uns zu lassen. Migrationshintergrund ist nur als statistische Größe sinnvoll, aber nicht maßgeblich für das Zusammenleben in unserem Land. Seite 4 von 5

5. Vielfalt leben und Gemeinsamkeit stärken Vielfalt ist in vielen Bereichen Alltag in unserem Land. Sie bietet Chancen, macht unser Land reicher und stärker. Wir wollen Vielfalt als Selbstverständlichkeit erhalten und stärken. Deshalb müssen wir den Menschen in den Mittelpunkt rücken, nicht seine Herkunft. Noch immer gibt es Diskriminierung in institutionellen Routinen und Handlungen. Wir brauchen eine veränderte Auseinandersetzung mit dieser Diskriminierung. Antidiskriminierungskultur braucht rechtliche Grundlagen. Denn Recht ist ein wesentlicher Beitrag, Kultur und somit Heimat zu prägen. Wir müssen die Teilhabechancen in der Gesellschaft stärken. Wer sich am gesellschaftlichen Leben beteiligt und sich angenommen fühlt, wird sich mit unserem Land identifizieren und es zu seiner Heimat machen. Zugleich muss jeder einzelne sich einbringen, Verantwortung übernehmen und seine Chancen ergreifen. Wir wollen die Debatte über Vielfalt chancen- und potentialorientiert führen. Eingewanderte und Einheimische haben unser Land gemeinsam aufgebaut. Sie können stolz sein auf das, was sie in den letzten Jahrzehnten gemeinsam aus unserem Land gemacht haben. Diese gemeinsamen Erfolge müssen Teil unserer Erinnerungskultur werden, in Schulbücher und Museen explizit aufgenommen werden. Bildung und Erziehung kommen eine wichtige Aufgabe zu. Institutionen und Organisationen (z.b. Schulen, Kommunen, Kirchen, Verbände und Vereine) sind Orte, an denen Vielfalt gelebt und gelernt wird, und die gemeinsame Identität schaffen. Sie verhindern Ausgrenzung, spiegeln die Vielfalt in unserem Land wider und stärken zugleich die Bindungen untereinander. Seite 5 von 5