29. September 2004 Rückverfolgbarkeit im internationalen Handel Sitzung des Wirtschaftsausschusses für Außenhandelsfragen am 29.9.2004 Jutta Jaksche Referentin für agrar- und ernährungspolitische Grundsatzfragen im Verbraucherzentrale Bundesverband - vzbv Verbraucherzentrale Bundesverband - vzbv Markgrafenstr. 66 10969 Berlin www.vzbv.de Seite 1 /6
Nach der DIN EN ISO Norm Qualitätsmanagementsysteme Grundlagen und Begriffe, ist der Ablauf in oder während der Verarbeitung ebenso bei der Rückverfolgbarkeit zu betrachten, wie Herkunft und Verteilung. Nicht nur der vor- und nachgelagerte Bereich interessiert folglich, sondern auch die internen Prozesse im Betrieb müssen transparent sein um den Werdegang eines Produktes rückverfolgbar machen zu können. Der Betrieb darf keine Black Box bleiben. Die Diskussionen über die Ziele und die Reichweite der Rückverfolgbarkeitssysteme wird seit Jahren auch auf Codex-Ebene geführt. Das CODEX Grundsatz- Komitee, hat Ende Juni/ Anfang Juli des Jahres eine Definition der Rückverfolgbarkeit vereinbart. Dazu finden Sie die Beschlussvorlage für diese Entscheidung im Juli als Tischvorlage 1. Zwar herrscht in diesem Gremium weitgehende Einigkeit über das Prinzip der Rückverfolgbarkeit für die Lebensmittel-Sicherheit. Uneinigkeit besteht aber über das Ausmaß, in dem Produkte rückverfolgbar sein sollen und darüber, ob Rückverfolgbarkeit auch dem Zweck der Verbraucherinformation dienen soll. Die nächste Folie und die Tischvorlage 2 gibt die EU-Position in den Codex-Verhandlungen wieder. Sie zeigen: es geht bei der Rückverfolgbarkeit um mehr als um Lebensmittelsicherheit und die Möglichkeit der Rückverfolgbarkeit im Falle von Gefahren durch gesundheitsschädigende Produkte. Es geht auch um legitime andere Anforderungen, wie die Authentizität der Produkte, die Möglichkeit der Überprüfung von Produktangaben und den Schutz vor Verbrauchertäuschung. Die Position der Verbraucherverbände findet sich in dieser EU-Position wieder. Diese allgemein gehaltene Forderungen müssen noch ausgefüllt und präzisiert werden. Folgende Anforderungen sind aus unserer Sicht der Verbraucherverbände an die Rückverfolgbarkeitssysteme zu stellen: - sie soll eine größtmögliche Verbrauchersicherheit gewährleisten, soll möglichst effektiv und effizient sein, insbesondere im Hinblick auf Rückrufaktionen - sie soll einen Beitrag zur Wahlfreiheit für Verbraucher leisten, denn eng verknüpft mit der Rückverfolgbarkeit sind die Kennzeichnungssysteme. Hier wollen wir erreichen, dass sich Verbraucher am Markt verantwortlich verhalten können. Voraussetzung dafür aber sind die Verbraucherinformationen. - Das Rückverfolgbarkeitssystem soll zuverlässig und praktikabel sein. - Es muss eine möglichst große Transparenz gewährleistet werden, damit die Lebensmittelüberwachung das Rückverfolgbarkeitssystem auch kontrollieren kann. Auch deshalb brauchen wir ein EU-weit einheitliches Umgehen mit solchen Systemen. - Da aber weltweit kein einheitliches System auf hohem Niveau verhandelbar sein wird, brauchen wir im Codex eine weite Auslegung, dafür, was in Europa machbar ist. Seite 2 /6
Aus unserer Sicht liegen die Hauptvorteile sowohl in dem gesundheitlichen wie auch in dem wirtschaftlichen Verbraucherschutz. Vorteile liegen in der - Sicherstellung der Lebensmittelsicherheit - dem Verbraucherschutz vor Täuschung. Kontrollen und Nachweise von Etikettierungsaussagen werden durch Rückverfolgbarkeitssystem erleichtert. - Produktions- und Vermarktungsbedingungen der Erzeugnisse, insbesondere im Hinblick auf die Produktherkunft können transparenter gestaltet werden, insbesondere wenn die Verknüpfung mit der Kennzeichnung für den Endverbraucher verbunden ist. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Qualitätsproduktion und die Nachfrage von Verbrauchern nach hochwertiger Produkt- und Prozessqualität. - Und es können faire Praktiken im Handel besser gesichert werden. Ein verbindliches System von Anforderungen ist notwendig, damit Anstrengungen von Unternehmen zu mehr Lebensmittelsicherheit und Transparenz zu kommen, auch belohnt werden. Rechtlich vorgegebene und freiwillige Systeme sollten sich hier sinnvoll ergänzen können. Dazu müssen die datenrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Doch auch für die Unternehmen bringen Rückverfolgbarkeitssysteme viele Vorteile: Gezielte Rückholungen und Rückrufe werden möglich, damit kann der Warenschaden in Grenzen gehalten werden. Je kleiner die Chargen, desto aufwendiger die Dokumentation, desto gezielter und den Schaden begrenzender kann aber auch die Rückholung erfolgen. Das System verursacht also nicht nur Kosten, sondern kann auch Kosten sparen. Auch können Haftungsregelungen, Sanktionsmaßnahmen verursachergerechter erfolgen und z.b. Schadensersatzforderungen gezielter gestellt werden. Der Imageschaden gegenüber der Öffentlichkeit kann begrenzt werden und letztlich braucht ein Unternehmen solche Systeme um betriebliche Abläufe auch im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung zu optimieren (z.b. Qualitätsmangements- Systemen und EMAS). Auch hier haben die Unternehmen folglich ein Eigeninteresse. Nachfolgend möchte ich einige wichtige Gremien benennen, in denen die Definitionsarbeit für die Rückverfolgbarkeit derzeit erfolgt. Der Codex arbeit seit vielen Jahren nicht nur in dem Codex Grundsatzkomittee (CCGP), sondern auch in seinen vielen Gremien an einer Klarstellung für die verschiedenen Bereiche. Dabei wird die Rückverfolgbarkeit für den jeweiligen Problembereich und Anforderungen an das jeweilige Rückverfolgbarkeitssystem definiert. Für die Task Force Biotechnology (TFBT) ist die Rückverfolgbarkeit, insbesondere im Hinblick auf potentiell auftretende gesundheitliche Problem von Bedeutung. Das Codex Komitee für Import- und Exportkontrollen und Zertifizierungssysteme (CCFICS) arbeitet an Richtlinien für Rückverfolgbarkeitssysteme im Hinblick auf die Bereiche Produktidentifikation und Produktinformation. Seite 3 /6
Darüber hinaus arbeiten die Codex Komitees für Lebensmittelhygiene (CCFH) und für die Lebensmittelkennzeichnung (CCFL) an der Ausgestaltung der Rückverfolgbarkeitssysteme. Die EU hat mit ihrem Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit und in zahlreichen Verordnungen einen ganzheitlichen Ansatz gewählt, der zu einem vorbeugenden Verhalten und der Anwendung des Vorsorgeaspektes führen soll: Präventive Schadensbegrenzung und wirtschaftliche Risikominderung in einem. Das Fundament hat die EU mit der Basisverordnung VO (EG) Nr. 178/2002 gelegt. Aber auch die einzelnen Verordnungen müssen auf die Problemstellung ausgereichtet werden und stellen unterschiedliche Anforderungen an die Rückverfolgbarkeitssysteme. Die Rückverfolgbarkeit von gentechnisch veränderten Organismen ist nur mit einem größeren Aufwand zu bewerkstelligen. Mit den Verordnungen VO (EG) Nr. 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel und die VO (EG) Nr. 1830/2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung sollen nicht nur Kennzeichnung und Rückrufaktionen erleichtert, sondern auch die Voraussetzungen für eine Beobachtung geschaffen werden. Entsprechend ist auch der Aufwand wie im GVO-Beispiel durch Erkennungsmarker, Datenbank etc. größer als in anderen Bereichen. Wo aus meiner Sicht Defizite bei der Umsetzung des Rückverfolgbarkeitsprinzipes bestehen, möchte ich beispielhaft und plakativ an einigen Verordnungen festmachen, die entweder nicht ausreichend umgesetzt oder kontrolliert werden. Die Verordnungen (EWG) Nr. 2081/92 zum Schutz geographischer Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel und die Verordnung (EWG) Nr. 2082/92 über Bescheinigungen besonderer Merkmale von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln sind noch nicht in der üblichen Kontrollpraxis der Lebensmittelüberwachung angekommen. Hier gehen Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Die Rindfleischetikettierung: VO (EG) Nr. 1760/2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnisse ist ein Beispiel dafür, wie wichtig die geschlossene Kette ist. Die aufwändigen Separierungen und Dokumentationen am Anfang der Kette, bei den Schlachthäusern und Zerlegungsbetrieben, sind vergeblich, wenn die Informationen nicht beim Kunden ankommt. Die Kommission hat geeignete Lösungen in Aussicht gestellt, damit die Praktikabilität der Regelungen im Einzelhandel und im Fleischerhandwerk erhöht wird. Neben den Standard, die gesetzlich geregelt werden, haben aber auch die freiwilligen Standards große Auswirkung auf Erzeuger, Verarbeiter und den Handel. Häufig entstehen gerade auf Initiative dieser Akteure gemeinsame Kontroll- und Rückverfolgbarkeitssysteme. So ist das System EUREPGAP, ein Beispiel für ein Kontrollsystem auf der Ebene des landwirtschaftlichen Betriebes und für eine Initiative des Lebensmitteleinzelhandels. Seite 4 /6
Die Kontrollen der Öko-Anbauverbände, bevor dann die EU-Kommission mit den Verbänden die EU-Öko-Verordnung (EWG) 2092/91 erarbeitet hat, ist ein Beispiel dafür, wie im ökologischen Landbau die Rückverfolgung und Kennzeichnung von den Akteuren selbst privatwirtschaftlich organisiert und finanziert wurde. Ein anderes nationales Bespiel ist die Initiative QS, die geprüfte Qualitätssicherung. Günstig ist es, wenn die Interessen des Handels und der Verbraucher gleichermaßen vertreten werden und sich eine win-win-situation ergibt. Doch wir haben es oft auch mit Zielkonflikten zu tun. Einerseits ist es für Verbraucher zum Vorteil, wenn der Einkauf, die Beschaffung durch große Strukturen gesichert werden, andererseits sehen wir das Problem der Vereinheitlichung des Sortiments und die wachsende Marktmacht, die kleine und andere Strukturen benachteiligt. Heute gibt es zahlreiche spezifische Programme, die den Rahmen für effektive Dokumentation und Kontrollen von Gefahren im Bereich der Lebensmittelsicherheit enthalten. Good Hygienic practice, Good Trading practice, infrastructure and maintenance programs, operational prerequisite programs. Zunächst als Leitlinien gedacht, werden sie faktisch immer mehr zu einem ungeschriebenen Gesetz, zu unveränderlichen Standards. Ich fasse einige Punkte noch einmal zusammenfassen: Wir haben inzwischen eine verbindliche Definition für die Rückverfolgbarkeit auf Codex- Ebene. Darauf aufgebaut werden in Zukunft die speziellen Anforderungen je nach Produktgruppe, Gefahrenpotential und der zu transportierenden Verbraucherinformation. Die Beobachtung und Mitarbeit von Verbraucherorganisationen in diesen Gremien ist daher besonders wichtig. Die europäische Union verteidigt bei den derzeitigen CODEX-Verhandlungen nicht nur das Konzept des gesundheitlichen, sondern auch des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes. Die Verbraucherverbände unterstützen diese Position. Damit die Rückverfolgbarkeit als Konzept funktioniert, darf der Betrieb keine Black Box sein, der nur eine Stufe vor und eine zurück in der Kette Dokumente austauscht und sammelt. Unternehmen müssen auf dieser Grundlage auch Entscheidungen für den Verbraucherschutz treffen und -handeln. Es darf beispielsweise nicht sein, wenn lediglich dokumentiert oder hingenommen würde, dass die in Deutschland angebotene Lebensmittel erhöhte und häufig unzulässige Pflanzenschutzmittelrückstände aufweisen. Lieferanten müssen strenger auditiert werden und Konsequenzen für die Beschaffung gezogen werden, sonst haben Qualitätsmanagement- und Rückverfolgbarkeitssysteme nicht den Wert für den Verbraucher, den sie haben müssen. Weitere notwendige Schritte sind daher: Das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmittelkontrollen muss zukünftig weiter gestärkt werden. Anderenfalls fehlt auch das Vertrauen in das Konzept und in die Instrumente der Rückverfolgbarkeit. Der Prozess der Neuorganisation der Lebensmittelüberwachung ist noch nicht abgeschlossen und bringt viele Neuerungen, die kommuniziert werden müssen. Auch ist ein einheitlicher Schutzstandard für Verbraucher in Europa noch nicht gewährleistet. Seite 5 /6
Unterschiedlicher Gesetze und Ausgestaltungen von Vorschriften innerhalb der EU, Streit um Zuständigkeiten Bund/Länder, mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten und Ländern sind nicht vertrauensstiftend. Und - was helfen uns die schönsten Regelungen, wenn sie nicht vollzogen werden. Die personelle und materielle Ausstattung im Vollzug muss den Zielen und Aufgaben angemessen sein. Die Überwachung erfordert verbesserte datenrechtliche Vorgaben zum Vollzug. Das System der Herkunftskennzeichnung sollte weiter entwickelt werden. Es sollte insbesondere auf problematische andere Lebensmittel (aktuelles Thema: asiatische Geflügelprodukte) ausweitbar sein. Auch sollte es als Instrument stärker genutzt werden um die regionale Erzeugung auch vor dem Hintergrund der Wertschöpfung zu unterstützen. Die Instrumente sollten stärker mit Aussagen zur Prozessqualität verknüpft werden, damit der Verbraucher diese honorieren kann. Wichtig ist zu sehen, wo die Reglementierung zum Nutzen für den Verbraucher und die Sicherheit von Waren und Dienstleistungen gebraucht werden und wie die Systeme dem Problem und der Zielsetzung angemessen ausgestaltet werden müssen. Zum Schluss möchte ich noch einen zentralen Gedanken aus dem Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit, Kapitel 1, Absatz 3 herausstellen: Jedes seiner Glieder (der Lebensmittelherstellungskette) hat genauso stark zu sein, wie die anderen, wenn man die Gesundheit der Verbraucher angemessen schützen soll. Seite 6 /6