Bedeutung der UN BRK für das multidimensionale EU Anti-Diskriminierungsrecht 1 Überblick BRK & EU (superknapp) Focus auf Begriff der Behinderung und Intersektionalität Diskussion von vier EuGH Entscheidungen EU Anti- Diskriminierungsrecht und Knotenpunkte Praktische Konsequenzen 2 1
Die UN BRK und die EU Formell EU als Signatar Bindung des EU Rechts an UN BRK? Invalidierung von EU Sekundärrecht? Materiell Begriff der Behinderung bewegt sich auf den sozialen Behinderungsbegriff zu (Artikel 1) Multiple Diskriminierung wird anerkannt (Artikel 6) Angemessene Vorkehrungen erhalten völkerrechtlich Grundlage und Verstärkung 3 UN BRK ein sehr kleiner Ausschnitt (Regierungstext) Artikel 1 Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können Artikel 5 (paraphrasiert) Verbot der Diskriminierung Förderung der Gleichberechtigung durch angemessene Vorkehrungen Positive Maßahmen darüber hinaus zulässig Artikel 6 Die Vertragsstaaten anerkennen, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt sind 4 2
5 EuGH C-335/11 Ring & Skouboe Werge 2 Sekretärinnen leiden an Rückenschmerzen (generelles Problem, Schleudertrauma) lange Fehlzeiten Entlassung nach üblichen Maßstäben [nicht unter dem Schutz besonderer Regelungen für behinderte Menschen) Teilzeitarbeit als angemessene Vorkehrung abgelehnt. 3
C-335/11 Behinderung? Ring: schmerzhafte chronische Krankheit (Osteoathritis) Skouboe: Langdauernde Krankheit, anfänglich keine Prognose der Heilbarkeit In beiden Fällen: Teilzeitarbeit (+ höhenverstellbarer Schreibtisch - Ring) würde Weiterbeschäftigung ermöglichen Spezielle Hilfen entbehrlich Z v A Gov. Dep.tment (C-363/12): Frau ohne Gebärmutter Frühere Rspr Chacon Navas (2006) Arbeitnehmerin im Cateringsektor 8 Monate Krankheit Entlassung mit Abfindung Wiedereinstellungsklage Vorlage EuGH: Diskriminierung aufgrund einer Behinderung? (Behindertenbegriff) Coleman (2008) Sekretärin erleidet Belästigung wegen Behinderung ihres Sohnes (und damit verbundenem Betreuungsbedarf) Verlangt Entschädigung wegen Diskriminierung Diskriminierung durch Assoziation? 4
Ein Zufall? Alle vier Fälle betreffen Arbeitnehmerinnen in typischen Frauenberufen Ihre Klage weisen zudem Elemente auf die als geschlechtstypisch gelten Rollenzuschreibung von Müttern Gebärfähigkeit und Weiblichkeit Frauen und chronische (Schmerz) Krankheit Teilzeitarbeit Chacón Navas (C-13/05) EU-autonomer Begriff der Behinderung in RL 2000/78 Behinderung als Beeinträchtigung die ein Hindernis für die Teilnahme am Berufsleben darstellt, was insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist (43) Behinderung und Krankheit sind abzugrenzen (44, 46) Pflicht angemessene Vorkehrungen zu ergreifen nur bei langdauernder (wenn nicht dauerhafter) Beeinträchtigung(45) Entlassung aufgrund einer Behinderung ist Diskriminierung wenn nicht (unter Berücksichtigung der Verpflichtung angemessene Vorkehrungen zu ergreifen) gerechtfertigt weil ArbN für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen ihres Arbeitsplatzes nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist. (51) 5
Kritik Chacón Navas Medizinischer Behindertenbegriff Urteil impliziert dass Beeinträchtigung die Ursache des Hindernisses im Berufsleben ist Künstliche Differenzierung zwischen chronischer Krankheit und Behinderung EuGH relativiert im Coleman Urteil (C- 303/06): 46 nicht entschieden, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz und der sachliche Geltungsbereich dieser Richtlinie (...) restriktiv ausgelegt werden müssen Relevanz Ring UN BRK bindet die EU, und geniesst insoweit Vorrang vor EU Recht als das EU Recht konventionskonform auszulegen ist (Glatzel, C- 356/12: keine Invalidierung) Begriff der Behinderung: Interaktion von Beeinträchtigung und Barrieren wird betont Krankheit (heilbar oder chronisch), kann zu Behinderung führen Behinderung setzt nicht die Angewiesenheit auf Hilfsmittel voraus Angemessene Vorkehrungen als weiter Begriff, kann Teilzeit umfassen 6
Ein neuer Begriff der Behinderung? Soziales Modell UN BRK Article 1 Radikal Behinderung (i.e. Hindernis) beruht auf unzureichenden Vorkehrungen der Gesellschaft bezüglich Beeinträchtigung Modifiziert Beeinträchtigung und Gesellschaft führen interaktiv zur Behinderung. WHO ICF Funktion(sverlust) wird im Lichte der Umgebung analysiert Zu den Menschen mit Behinderungen zählen (diejenigen) mit (..) (B)eeinträchtigungen welche sie inwechselwirkung mit (..) Barrieren an der ( ) Teilhabe in der Gesellschaft hindern können Urteil 335/11 (Ring): Behindertenbegriff 38 (erfasst) eine Einschränkung (..), die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, (...), hindern können 39 Beeinträchtigung muss langdauernd sein (UN BRK)) 41 Krankheit (chronisch oder heilbar) kann Behinderung sein, wenn Wechselwirkung von krankheitsbedingter Beeinträchtigung und Barriere zu langdauernder Beschränkung führt 7
Z v Gov.mentl Body (C-363/12) Stellt es eine Behinderung nach RL 2000/78 dar wenn Frau Z mangels eines Organs keine Schwangerschaft austragen kann? 76: Eine Einschränkung liegt vor (Leidensdruck) 80 Begriff Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78 setzt jedoch voraus, dass die Einschränkung, unter der eine Person leidet, sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern kann Unbefriedigend All diese Urteile betreffen Frauen Zum Teil in Situationen die mit der Geschlechtsrolle eng verbunden sind Beruf der mit traditioneller Frauenrolle korreliert Chronische Krankheit Mutterschaft / Gebärfähigkeit 8
Neue Konzeption des (EU)Anti- Diskriminierungsrechts Re-organisierung um Knotenpunkte Heterarchisch statt hierarchisch Inklusiv anstatt ausschließend Geschlecht Rasse Behinderung Übergreifende Ratio hinter allen Diskriminierungsgründen? dauerhafte Ungleichheiten die aus strukturellen Ausgrenzungsprozessen resultieren (Young 2009).basierend auf zugeschriebener Differenz (Schiek, 2002, 2005) 18 9
Knotenpunkte: mit Zentrum und Peripherie Geschlecht Rasse 19 Soziale Zuschreibung affirmiert Privilegien in Relation zu Männlichkeit Knotenpunkte Geschlecht Rassialisierung durch Askription, soziale Beziehungen werden im Hinblick auf Whiteness strukturiert Rasse Behinderung Behinderung Beschränkung von Chancen und Fähigkeiten durch Standardisierung imaginierte Normalität Alter Religion School of Krankheit Law 20 10
What does this mean for gendered notion of disability? Geschlecht Rasse Behinderung 21 How does the overlap between nodes impact? Re-evaluation Die zunehmende Relevanz multipler Diskriminierung anerkennen Rasse Geschlecht Abilistischer Geschlechtsbegriff? Behinderung 22 11
Praktische Konsequenzen? Behindertenbegriff: Modifizierter sozialer Begriff wird typisch weiblicher Erfahrung besser gerecht Einbeziehung chronischer Krankheiten ebenfalls Zweifelhaft: sollte normative Imposition von Weiblichkeit (Z) Frauen als behindert kategorisieren? Angemessene Vorkehrungen Linderung von Beeinträchtigung Adaption an typisch weibliche Realität Bedeutung für die Schnittstelle zwischen Diskriminierung aufgrund von Behinderung und Rasse??? 23 Literatur (1) Davies, Lennard J (2013) Disability Studies Reader - DSR (London: Routledge) Garland-Thomson, Rosemarie Integrating Disability, Transforming Feminist Theory DSR 333-346 Kaper, Alison (2013); Feminist, Queer, Crip, Indiana: Indiana University Press Schiek, Dagmar (2011) Organising EU non-discrimination law around the nodes of race gender and disability?, EU Non-Discrimination Law and Intersectionality: investigating the triangle of racial, gender and disability discrimination (Schiek & Lawson, A. eds, Farnham: Ashgate 2011) 12-27 Shakespeare, Thomas The Social Model of Disability DSR, 214-221 12
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