Arbeitspapier: Überblick über die gewerkschaftliche Programmatik im Arbeitsschutz ab 2009 Unabhängig vom Wahlausgang ist es zweckmäßig, vor Ende der Legislaturperiode die wesentlichen gewerkschaftlichen Ziele zum Arbeits- und Gesundheitsschutz zu diskutieren und festzulegen. Hierfür spricht, dass sich auf europäischer Ebene durch die Stoiber-Kommission, auf nationaler Ebene durch Vereinfachungs- und Kostensenkungsstrategie, fehlende oder schlechte Regulierung und ungenügende personelle Ressourcen auf der Ebene der Betriebe und der Aufsicht eine Gefahr des weiteren Abbaus von Arbeitsschutzvorschriften ergibt. Neben Defensivstrategien sind aber auch neue Akzente im Arbeitsschutz zu setzen, die zur Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen beitragen und den gewerkschaftlich geprägten Arbeitsschutz im Betrieb stärken. Darüber hinaus sind Strategien für die betriebliche und tarifvertragliche Ebene weiter zu entwickeln. 1. Bewahrung und Stärkung des tradierten Arbeitsschutzsystems Das deutsche und europäische Arbeitsschutzsystem ist unter Druck geraten. In der kommenden Legislaturperiode geht es daher darum, zentrale Elemente dieses Systems zu erhalten. Dies gilt etwa für den durch die europäische Richtlinie zum Arbeitsschutz vorgegebenen Rahmen, insbesondere die Rahmenrichtlinie und ihre deutsche Umsetzung im Arbeitsschutzgesetz. Des Weiteren sind Angriffe auf das Arbeitsicherheitsgesetz abzuwenden. Ausnahmeregelungen für Kleinbetriebe und der Abbau von Arbeitgeberverpflichtungen sind zu stoppen. Es muss dabei bleiben, dass den Arbeitgebern die wesentliche Verantwortlichkeit für die Erfüllung arbeitsschutzrechtlicher Pflichten erhalten bleibt. Insbesondere dürfen Pflichten des Arbeitgebers nicht auf die Arbeitnehmer übertragen werden. Hierbei zu unterscheiden ist die notwendige Einbeziehung der Beschäftigten etwa bei der Gefährdungsbeurteilung und über die Mitbestimmungsrechte nach den Betriebsverfassungs- und Arbeitssicherheitsgesetz. Hier sind die Partizipationsmöglichkeiten der Beschäftigten zu stärken und auszubauen. Gleichzeitig muss die tatsächliche Umsetzung in der Breite gefördert werden. Die nationale Arbeitsschutzstrategie muss mit Leben erfüllt werden und mit Ansätzen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilungen verknüpft werden. Die Institutionen des Arbeitssicherheitsgesetzes müssen gestärkt und in der Praxis besser ausgenutzt werden. Hierfür sind insbesondere auch im Kleinbetrieb erforderliche organisatorische Strukturen beizubehalten bzw. herzustellen. Die Interaktion über die wesentlichen Fragen des
Arbeitsschutzes, aber auch der betrieblichen Gesundheitsförderung und des hierfür erforderliche Managements muss im Arbeitsschutzausschuss angesiedelt und der betrieblichen Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz zugänglich sein. 2. Gefährdungsbeurteilung: Quantität und Qualität Das Instrument der Gefährdungsbeurteilung hat sich bewährt. Betriebe, die Gefährdungsbeurteilungen ernst nehmen, erzielen hierdurch nicht nur ein angemessenes Schutzniveau, sondern auch weitere positive Begleiteffekte. Dies gilt insbesondere auch für Kleinbetriebe. Dies zeigen Erfahrungen z. B. aus dem Land Brandenburg. Die Verbreitung der Gefährdungsbeurteilungen muss daher weiter gefördert und auch durch die Aufsichtsdienste durchgesetzt werden. Hinzu kommen muss eine ausreichende Qualität der Gefährdungsbeurteilung. Insbesondere sollte die Einbeziehung psychischer Beanspruchung sowie eine ausreichende Partizipation der Beschäftigten und der Betriebsräte am Prozess der Gefährdungsbeurteilung selbstverständlich werden. Bei der inhaltlichen Schwerpunktsetzung können die Verhütungsziele der gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie einbezogen werden, ohne die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Betriebes zu vernachlässigen. 3. Regelwerk Das technische Regelwerk muss geordnet und verständlich organisiert werden und dabei ein angemessenes Schutzniveau garantieren. Eine anwenderfreundliche Ausgestaltung ist für die Akzeptanz des Arbeitsschutzes entscheidend. Eine weitaus bessere Ausstattung mit Ressourcen ist unumgänglich, dies gilt insbesondere für das staatliche Regelwerk, welches seiner Aufgabe nur gerecht werden kann, wenn die Aushandlungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Arbeitnehmerseite mit denen der Arbeitgeber Schritt halten. Hierfür sind neben Freistellungsansprüchen auch die Zahlung von Fahrtkosten und Verdienstausfall notwendig. Die Regeln müssen verständlich und praxisgerecht ausgestaltet werden und dürfen nicht zur Aufweichung bereits festgelegter rechtlicher Positionen auf verordnungs- und gesetzlicher Ebene genutzt werden. Die Vielfalt der Gefährdungen lässt sich nicht durch ein Regelwerk, das allein auf staatliche Vorschriften setzt, abbilden und beherrschen. Branchenspezifische Gefährdungen sollten auch auf Ebene der Branche unter Beteiligung der Unfallversicherungsträger geregelt werden können. Hierbei dürfen aus staatlichem Recht folgende Anforderungen nicht unterschritten werden:
Soweit ein bestimmtes Arbeitsschutzproblem von Regeln erfasst wird, werden von der Praxis konkrete Regelungen erwartet, die leicht auffindbar und verständlich sein müssen. 4. Bekämpfung arbeitsbedingter Erkrankungen Arbeitsbedingte Erkrankung lösen nach wie vor enorme volkswirtschaftliche Kosten aus. Insbesondere Muskel-Skelett-Erkrankungen und der über einen längeren Zeitraum zu beobachtende Anstieg psychischer Erkrankungen ist besonders teuer. Bei der Bekämpfung der arbeitsbedingten Erkrankungen sind auch multifaktorielle Ursachenzusammenhänge zu berücksichtigen und in Präventionskonzepte umzusetzen. 5. Arbeitsmedizin Strategien im Bereich der Arbeitsmedizin müssen auf den etablierten Strukturen des Arbeitssicherheitsgesetzes aufbauen und dürfen diese nicht in Frage stellen. Eine Weiterentwicklung im Bereich der Arbeitsmedizin, die insbesondere im neukonstituierten Ausschuss für Arbeitsmedizin angelegt ist, muss auf einem zutreffend ermittelten Rollenverständnis des Betriebsarztes beruhen. Hierbei sollte die Orientierung des Betriebsarztes auf den Arbeitplatz im Mittelpunkt stehen. Die Arbeitsmedizinverordnung sieht vor, dass im Bereich der Arbeitsmedizinverordnung technische Regeln entwickelt werden, die sich über 9 Abs. 3 Ziffer 5 sogar auf arbeitsmedizinische Präventionsmaßnahmen nach dem Arbeitssicherheitsgesetz erstrecken. Das Arbeitsprogramm sieht dabei die folgenden Tätigkeitsfelder vor. 1. Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe in der Arbeitsmedizinverordnung 2. Erstellung eines einheitlichen Konzepts zur Anpassung bestehender Regeln an die Systematik und Begrifflichkeiten der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge 3. Fortschreibung des Konzepts zum Biomonitoring bei krebserzeugenden Stoffen 4. Überprüfung der Kataloge zur Pflicht- und Angebotsuntersuchung 5. Erarbeiten und Aufstellen von Empfehlungen zu Wunschuntersuchungen
6. Bedarfsprüfung für arbeitsmedizinische Präventionsmaßnahmen zur Unfallvermeidung 7. Erarbeitung von Empfehlungen für weitere Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge, insbesondere der Gesundheitsförderung 8. Erarbeitung von Konzepten zur Qualitätssicherung der arbeitsmedizinischen Vorsorge Die Gewerkschaften sind gegen eine undifferenzierte Streichung von Katalogen zur Pflicht- und Angebotsuntersuchungen. Soweit die Arbeitsmedizinverordnung Wunschuntersuchungen einführen möchte, sind solche Erweiterungen der Tätigkeiten von Betriebsärzten nur dann plausibel, wenn ausreichend Ressourcen hierfür zur Verfügung stehen. In jedem Fall ist eine Einzelbewertung der Untersuchungsanlässe und ihres Nutzens erforderlich. Ebenfalls mit Skepsis wird gesehen, wenn weitere Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge, insbesondere betriebliche Gesundheitsprogramme auf den Betriebsarzt übertragen werden, ohne die hierfür erforderlichen Ressourcen mitzuregeln. Gefördert werden sollte eine vermehrte Beteiligung von Ärzten an der Gefährdungsbeurteilung, wobei hierbei eine Einbindung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit und der betrieblichen Interessenvertretung anzustreben ist. Die Präventionszeiten für Arbeitsmediziner sind zu erhöhen, ohne den Anteil sicherheitstechnischer Betreuung zu reduzieren. Ferner müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass ausreichend qualifizierte Betriebsärzte zur Verfügung stehen. Dies muss durch mehr Lehrstühle in der universitären Ausbildung und ausreichende Weiterbildung von Ärzten gewährleistet werden. Wegen erkennbarer Missbräuche beim Umgang mit Gesundheitsdaten im Betrieb sollte der Datenschutz im arbeitsmedizinischen Bereich beim Umgang mit gesundheitlichen Daten bei arbeitsmedizinischen Maßnahmen, aber auch zum Beispiel beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement stets mitbedacht werden. Eine entsprechende Sensibilierung von betrieblichen Interessenvertretern ist anzustreben. 6. Gefahrstoffe
Im Bereich Gefahrstoffe ist ein besonderer Schwerpunkt auf den Umgang mit krebserzeugenden Stoffen zu legen. Insoweit ist das vom AGS entwickelte Konzept von risikobasierten Abschätzungen fortzuführen und umzusetzen. Des Weiteren müssen in die Gefahrstoffpolitik neu auftretende Gefährdungen wie etwa durch Nanomaterialien einfließen und zu Konsequenzen, u.a. im Regelwerk, führen. Wichtige TRGS vor allem zu Quarzstaub aber auch zu Hochtemperaturwolle müssen zu Ende geführt werden. 7. Arbeitsstätten Die Erstellung der Arbeitsstättenregeln muss unter den gegebenen Bedingungen wesentlich beschleunigt werden. Die ASR müssen dazu beitragen, dass eine barrierefreie Arbeitswelt entstehen kann. 8. Arbeitsverdichtung Angesichts der Wirtschaftskrise ist mit vermehrtem Druck auf die Beschäftigten zu rechnen. Die zum Abbau von Stress und anderen psychischen Beanspruchungen einsetzbaren Instrumente sind weiterzuentwickeln und in mehr Betrieben anzuwenden und umzusetzen. Für Beschäftigte, die von Überlastung betroffen sind, sind Kommunikations- und Beschwerdewege zu schaffen, die ohne Nachteile beschritten werden können. 9. Arbeitsschutz im öffentlichen Dienst Die für den Arbeitsschutz geltenden Regelungen im Arbeitsschutz bleiben in vielen Konstellationen hinter dem zurück, was außerhalb des öffentlichen Dienstes üblich ist. Dies gilt etwa für das Arbeitssicherheitsgesetz, welches für den Dienstherrn und Arbeitgeber wesentlich unverbindlichere Vorgaben macht als für private Unternehmen. Derartige Ungleichbehandlungen sind nicht gerechtfertigt und müssen langfristig angeglichen werden.