Zystische Nierenerkrankungen und Ziliopathien

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Varia 151 Carsten Bergmann Übersicht Einleitung 151 Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) 153 Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkankung (ARPKD) 161 Differenzialdiagnosen zystischer und polyzystischer Nierenerkrankungen 164 Wichtigkeit der zugrunde liegenden genetische Diagnose 173 Fazit 175 Video online! Sie finden das Video unter www.thieme-connect.de/products bei Ihrer Pädiatrie up2date Einleitung Fehlbildungen der Nieren und des übrigen Urogenitaltraktes stellen mit einer Prävalenz von etwa 10% die häufigsten Fehlbildungen des Menschen dar. Maßgeblichen Anteil hat die komplexe Organentwicklung während der frühen Embryonalentwicklung. Im Folgenden werden insbesondere die zystischen Nierenerkrankungen und hiermit überlappende bzw. assoziierte Krankheitsbilder dargestellt. Merke: Fehlbildungen der Nieren und des übrigen Urogenitaltraktes stellen die häufigsten Fehlbildungen des Menschen dar. Einteilung Zystische Nierenerkrankungen umfassen eine klinisch und genetisch heterogene Erkrankungsgruppe und zählen mit einer Prävalenz von etwa 1:200 zu den häufigsten Erbkrankheiten überhaupt [1]. Die wichtigsten Formen umfassen die als Zystennieren bezeichnete autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) mit einer Mutation im PKD1- oder PKD2-Gen und die autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) mit PKHD1-Mutationen. Es folgt die heterogene Gruppe der zystisch-dysplastischen Nierenerkrankungen sowie der Nephronophthisen (NPHP). Merke: Zystische Nierenerkrankungen umfassen eine klinisch und genetisch heterogene Erkrankungsgruppe und zählen zu den häufigsten Erbkrankheiten überhaupt, jede 200.Person ist betroffen. Zystoproteine und Zystennieren Die Produkte der verantwortlichen Gene werden unter dem Begriff Zystoproteine zusammengefasst und sind primär im Bereich des Zilium-Zentrosomen-Komplexes lokalisiert [2]. Zilien sind antennenartige Ausstülpungen auf der Oberfläche der meisten Zellen, die einen intensiven Informationsaustausch in und zwischen Zellen erlauben und für die Kontrolle des Zellzyklus essentiell sind [3]. Strukturelle und funktionelle Störungen dieser Strukturen führen zu einer Vielzahl sehr unterschiedlicher, kollektiv als Ziliopathien bezeichneter Krankheitsbilder, die praktisch alle Organe isoliert oder im Rahmen von Syndromen (Jeune-, Bardet-Biedl-, Joubert-, Meckel-Gruber-Syndrom) betreffen können (Abb.1) [4,5]. Den Zystennieren kam eine Vorreiterrolle in der Charakterisierung der Ziliopathien zu Beginn dieses Jahrhunderts zu. Mittlerweile wird deutlich, dass die meisten Ziliopathien Nierenzysten aufweisen können. Die meist progredienten renalen Veränderungen werden oft (im Fall der ARPKD immer) von fibrozystischen Veränderungen der Leber und Gallenwege begleitet [6]. êdoi http://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1365722 êvnr 2760512014144212031

152 Die Abgrenzung der verschiedenen Entitäten voneinander kann im Einzelfall sehr schwierig sein. Einen wertvollen Beitrag zur klinischen und genetischen Einordnung kann neben Informationen zur Familienanamnese, Klinik und Morphologie der Fehlbildungen insbesondere die in den vergangenen Jahren stark verbesserte molekulargenetische Diagnostik liefern (Abb.2). Nomenklatur, Klassifikation und Morphologie zystischer Nierenerkrankungen Unter der Bezeichnung polyzystisch werden traditionell sowohl die autosomal-dominante (ADPKD) als auch die autosomal-rezessive Form (ARPKD) der zystischen Nierenerkrankungen zusammengefasst, wobei sich die genetisch basierten Bezeichnungen wie auch in anderen Bereichen der Medizin zunehmend durchsetzen. Die historischen Bezeichnungen infantil und adult sollten in Anbetracht überlappender klinischer Verläufe vermieden werden. Abb.1 Breites klinisches Spektrum der Ziliopathien. Praktisch alle Organe können im Rahmen dieser Erkrankungsgruppe betroffen sein, die wichtigsten seien hier schematisch dargestellt. Diagnostik Zur diagnostischen Abklärung wird als erster Schritt eine abdominale Ultraschalluntersuchung empfohlen (siehe Video 1 online). Untersucherunabhängiger, häufig leichter zu interpretieren, aber auch teurer und aufwändiger sind Computer- (CT) und Kernspintomografie (MRT). Kleinere Zysten sind im Vergleich zum Ultraschall hiermit meist besser und präziser zu entdecken. Merke: Die genetische Diagnostik nimmt eine zunehmend wichtige Rolle in der Klassifizierung und Diagnostik ein. Ein Video zur Ultraschalluntersuchung bei zystischen Nierenerkrankungen finden Sie unter www.thieme.connect.de/products bei Ihrer Pädiatrie up2date. Merke: Als Zystennieren im engeren Sinne werden die autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) und die autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) bezeichnet. Histopathologie Histopathologisch stellen Nierenzysten flüssigkeitsgefüllte epithelialisierte Hohlräume dar, die aus den verschiedenen glomerulären und tubulären Segmenten des Nephrons hervorgehen [1]. Die ADPKD ist gekennzeichnet durch eine progrediente Größenzunahme der Zysten in allen Nephronabschnitten, während bei der ARPKD gemeinhin die Glomerula blande sind und die Zysten sich primär in den distalen Tubuli und Sammelrohren entwickeln. Ein häufiger insbesondere in fortgeschrittenen Krankheitsstadien zu beobachtender Unterschied ist, dass die Zysten bei der ARPKD in aller Regel mit dem Tubuluslumen verbunden bleiben, während sie sich bei der ADPKD häufig hiervon abkoppeln. Klassifikation Die morphologisch basierte Klassifikation nach Potter und Osathanond wird weiterhin häufig zur Charakterisierung der grundlegenden Nierenveränderungen genutzt, gleichwohl auch hier gewisse Überlappungen der Formen im Einzelfall zu beobachten sind. Dysplasien (multizystisch-dysplastische Nieren, Typ Potter II) sind ätiologisch heterogen (Tab. 1).

Varia 153 Art der Nierenveränderungen beim Kind/Feten im Ultraschall Polyzystisch: Nieren vergrößert mit erhöhter Echogenität und verwaschener CMD. Im Säuglings- und frühen Kindesalter oft keine Einzelzysten abgrenzbar (v.a. bei ARPKD); mit zunehmendem Alter unterschiedlich große, abgrenzbare Zysten. Markzysten: Nieren eher normal groß oder klein mit erhöhter Echogenität und verminderter CMD. Zysten meist erst sekundär bei Nierenversagen, dann typischerweise am Mark-Rinden-Übergang lokalisiert. Multizystisch-dysplastisch: Nierengröße variabel, Nierenstruktur gestört, unruhiges Muster mit unterschiedlich großen Zysten, ggf. später Rückbildung der Niere ( Nierenagenesie, cave FA: ggf. klinisch gesunde Familienmitglieder mit unilateraler Nierenagenesie) Normaler elterlicher US u./o. negative FA: Auffälliger elterlicher US u./o. positive FA: Normaler elterlicher US u./o. negative FA: Auffälliger elterlicher US u./o. positive FA: Normaler elterlicher US u./o. negative FA: Auffälliger elterlicher US u./o. positive FA: ARPKD (PKHD1, PKD1, PKD2) ADPKD (PKD1, PKD2) NPH (NPHP1-20) ADMCKD (MUC1, UMOD) HNF1ß-Neumutation (häufig auch i.r. von Syndromen u. CAKUT) RCAD (HNF1ß) Bei zusätzlichen Fehlbildungen eher denken an: Chromosomenstörungen (praktisch immer mit mentaler Retardierung) Ziliopathien und andere syndromale Erkrankungen: Dominant erblich: z. B. TSC, VHL, BOR (cave Neumutation und variable Expressivität) Rezessiv erblich: z. B. BBS, JSRD, MKS, SRPS, SLS, RHPD, ZS Abb.2 Formen zystischer und polyzystischer Nierenerkrankungen und typischerweise betroffene Gene. Wie im Text näher erläutert, sind zahlreiche Überlappungen zu beachten, sodass es sich hierbei nur um eine simplifizierte Darstellungsform handeln kann. Dominant erbliche Erkrankungen mögen aufgrund stark variabler Krankheitsausprägung in der Familie ( variable Expressivität ) oder einer Neumutation beim Kind sporadisch oder autosomal-rezessiv erscheinen. Im Algorithmus der genetischen Abklärung sollten neben dem klinischen, ultrasonografischen und morphologischen Bild der Nierenerkrankung weitere Organfunktionsstörungen oder Fehlbildungen sowie die Familienanamnese und eine Ultraschalluntersuchung der Eltern besonders berücksichtigt werden. ADPKD, autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung; ARPKD, autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung; ADMCKD, autosomal-dominante medullär-zystische Nierenerkrankung; BBS, Bardet Biedl-Syndrom; BOR, branchio-oto-renales Syndrom; CAKUT, Congenital Anomalies of the Kidney and the Urinary Tract; CMD, kortiko-medulläre Differenzierung; FA, Familienanamnese; JSRD, Joubert-Syndrom-verwandte Erkrankungen; NPH, Nephronophthise; MKS, Meckel-Gruber- Syndrom; RCAD, Renal Cysts and Diabetes syndrome; RHPD, reno-hepato-pankreatische Dysplasie (Ivemark-Syndrom); SLS, Senior Løken-Syndrom; SRPS, short rib (Kurzrippen)-Polydaktylie-Syndrom (Jeune-Syndrom und andere); TSC, Tuberöse Sklerose; VHL, von Hippel Lindau-Syndrom; ZS, Zellweger Syndrom. Potter-Sequenz Als Potter-Sequenz wird der Folgezustand eines intrauterinen Fruchtwassermangels unabhängig von der Ursache verstanden. Häufige renale Ursachen sind ARPKD-Zystennieren aber auch Nierendysplasien und -agenesien. Merke: Zur Einordnung und der Möglichkeit einer genauen humangenetischen Beratung mit Einschätzung des Wiederholungsrisikos ist bei Versterben des Feten mit Potter-Sequenz eine pathologisch-anatomische Abklärung dringend anzuraten. Neben der Abklärung von Nieren- und Leberveränderungen kommt auch der Erfassung möglicherweise vorliegender weiterer Fehlbildungen besondere Bedeutung im Rahmen der Syndromeinordnung zu (Tab.2). Merke: Als Potter-Sequenz wird der Folgezustand eines intrauterinen Fruchtwassermangels unabhängig von der Ursache verstanden. Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) Epidemiologie und Klinik Die ADPKD ist die häufigste lebensbedrohliche genetische Krankheit mit weltweit 10 15 Millionen Betroffenen [7]. In der westlichen Welt ist die ADPKD Ursache des Nierenversagens bei 5 10% aller dialysepflichtigen Patienten. Diagnostik Obgleich die genetische Diagnostik an Bedeutung gewinnt, gilt der ultrasonografische Nachweis von 3 oder mehr Nierenzysten (uni- oder bilateral) im Alter von unter 40 Jahren als diagnosebeweisend bei Personen, die aufgrund der Familienanamnese ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer ADPKD haben.

154 Tabelle 1 Kriterien zur Klassifikation der polyzystischen Nierenerkrankungen und der Nierendysplasie: Typenklassifikation der Nierenbeteiligung nach Potter in Typ I III. Polyzystische Nierenerkrankungen Nierendysplasie Autosomal-rezessive PKD Autosomal-dominante PKD Potter Typ Typ I Typ III Typ II NIERE Pathologie/Größe vergrößert vergrößert, zu Beginn häufig normal verkleinert-vergrößert Symmetrie symmetrisch zu Beginn/z.T. über Jahre, asymmetrisch häufig asymmetrisch z. T. in Kombination mit Nierenagenesie Zystenmorphologie Fusiform erweiterte Sammelrohre, Mark-Rinden-Differenzierung aufgelöst Zysten in allen Bereichen des Nephrons, Mark-Rinden Differenzierung anfänglich erhalten meist keiner anatomischen Struktur mehr zuzuordnen Zystendurchmesser zu Beginn stecknadelkopfgroß bis 2mm, bei längerer Überlebenszeit bis zu Zentimetern zu Beginn ggf. gering, später bis zu mehreren Zentimetern bis zu mehreren Zentimetern WEITERE ORGANE Leberveränderungen Weitere Symptome Hauptsymptome Manifestation bei betroffenen Familienangehörigen kongenitale Leberfibrose (obligat), Caroli-Syndrom selten Aneurysmen und Pankreasbeteiligung Neugeborenenperiode: respiratorische Störungen; Kindes-, Jugend-, Erwachsenenalter: Niereninsuffizienz, portale Hypertension (sehr variabel, bei ca. 80% der Patienten) oft ähnlicher Verlauf bei betroffenen Geschwistern, unterschiedliche Verläufe jedoch möglich Leberzysten bei 70 80% der dialysepflichtigen Patienten, sehr selten auch kongenitale Leberfibrose Mitralklappenprolaps, Colondivertikel, intrakranielle Aneurysmen, Pankreaszysten, Arachnoidzysten, und weitere seltene Erwachsenenalter (2. 4.Dekade): Hypertension, Volumenzunahme der Nieren, später Niereninsuffizienz; bei ca. 2% bereits pränatal oder perinatal: respiratorische Störungen, Niereninsuffizienz, Hypertension variabel, hohes Wiederholungsrisiko für Frühmanifestationen bei bereits betroffenen Familien Elterliche Nieren keine Auffälligkeiten Zysten bei einem Elternteil je nach Lebensalter, bei 5 10% kein Elternteil betroffen im Rahmen von Syndromen häufig im Rahmen komplexer Fehlbildungssyndrome meist vollständiger Funktionsverlust der betroffenen Niere. Bei bilateralem Befall Anhydramnie mit Potter Sequenz im Rahmen des RCAD unilaterale bzw. bilaterale Nierenagenesie/-dysplasie s.o.

Varia 155 Tabelle 2 Auswahl syndromaler Krankheitsbilder mit zystischen Nierenveränderungen. Die meisten der genannten Erkrankungen zeigen eine ausgeprägte klinische und genetische Heterogenie und sind oftmals der Gruppe der Ziliopathien zuzuordnen. Syndrom Leitsymptome Nierenbeteiligung Genetik Axiale mesodermale Dysplasie (VACTERL, Klippel-Feil, MURCS- Assoziation) Vertebralanomalien, Analatresie, Herzfehler, Tracheoösophagealfistel, Radiusdys-/-aplasie, Fehlbildungen des Müller-Gangs meistausdemspektrumagenesie/ Hydronephrose meist sporadisch, nur vereinzelt familiär (dann wahrscheinlich zumeist autosomal-rezessiv) Bardet-Biedl-Syndrom Retinopathie, Adipositas, mentale Retardierung, Polydaktylie, hypoplastisches Genitale häufig polyzystisch imponierende Nierenerkrankung autosomal-rezessiv Branchio-oto-renales Syndrom Präaurikularfisteln, Halsfisteln, Hörstörungen, Ohrmuscheldysplasie Typ II-Zystennieren bei ca. 5 10% der Patienten, Nierenagenesie autosomal-dominant Chromosomenstörungen je nach Chromosomenstörung weitere Fehlbildungen, faziale Dysmorphie, mentale Retardierung verschiedene Formen, meist Agenesie/Nierendysplasie meist de-novo-chromosomenstörung, gelegentlich als Folge einer familiären Translokation Jeune-Syndrom (Asphyxierende Thoraxdysplasie) enger Thorax, kurze Extremitäten, hypoplastische Beckenknochen, Gallengangs- und Pankreasdysgenesie verschiedene Formen der Nierenbeteiligung autosomal-rezessiv Joubert-Syndrom (JS) und Joubert syndrome related disorders (JSRD) Meckel-Gruber-Syndrom Oro-Fazio-Digitales-Syndrom Typ I RCAD (renal cysts and diabetes)- Syndrom, HNF1ß-assoziierte Erkrankungen Kurz-Rippen-Polydaktylie- Syndrome (mehrere Typen) Senior-Løken-Syndrom Tuberöse Sklerose von Hippel-Lindau-Syndrom Kleinhirnfehlbildungen, neonatal auffällige Atmung, Retinopathie, okuläre Motilitätsstörungen, mentale Retardierung, Polydaktylie okzipitale Enzephalozele, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, Hirnfehlbildungen, Genitalanomalien, Polydaktylie Lobulierte Zunge, mediane Lippenspalte, Gaumenspalte, hypoplastische Nasenflügel, Handfehlbildungen, mentale Retardierung Harntrakt- und Genitalanomalien, familiärer Diabetes mellitus (MODY Typ 5), Gicht kurze Rippen, kurze Extremitäten, Polydaktylie, Gallengangs- und Pankreasdysgenesie Retinitis pigmentosa, Kleinhirnveränderungen, Leberfibrose Adenoma sebaceum, hypopigmentierte Hautflecken (white spots), Epilepsie, mentale Retardierung Angiomatosis retinae, zerebelläre Hämangioblastome, Hämangiome Nierendysplasie, Markzysten meistausdemspektrumagenesie/ Hydronephrose, auch Typ I oder III- Zystennieren meist Typ III-Zystennieren verschiedene Formen, meist Typ II- Zystennieren Agenesie/Nierendysplasie, seltener auch polyzystisch meist Typ II-Zystennieren, Nierendysplasie Markzysten, Nephronophthise Typ III-Zystennieren, Nierendysplasie, renale Angiomyolipome (40 80%) Typ III-Zystennieren, Hypernephrome autosomal-rezessiv autosomal-rezessiv X-chromosomal autosomal-dominant (fast 50 % de novo) autosomal-rezessiv autosomal-rezessiv autosomal-dominant, variable Expressivität autosomal-dominant, variable Expressivität Zellweger-Syndrom (zerebrohepato-renales Syndrom) Muskelhypotonie, Hirnfehlbildungen, Gesichtsdysmorphien, Hepatomegalie, erhöhte überlangkettige Fettsäuren (VLCFA) verschiedene Typen autosomal-rezessiv

156 Merke: Im Kindesalter sollte bereits der Nachweis einer Nierenzyste an eine ADPKD denken lassen, da Zysten ansonsten in diesem Alter ausgesprochen selten sind. Er ist praktisch diagnosesichernd, wenn aufgrund eines betroffenen Elternteils ein 50%iges Wiederholungsrisiko besteht. Merke: Nierenzysten sind flüssigkeitsgefüllte epithelialisierte Hohlräume, die aus den verschiedenen glomerulären und tubulären Segmenten des Nephrons hervorgehen. Diagnostik der ADPKD Mit Hilfe einer Ultraschalluntersuchung der Nieren können bis zum 30. Lebensjahr ca. 98% und bis zum 40. Lebensjahr praktisch alle Anlageträger für ADPKD identifiziert werden. Eine Mutationsanalyse bei ADPKD sollte bei folgenden Konstellationen diskutiert werden: Patienten mit zystischen Nierenveränderungen, aber negativer Familienanamnese zur Diagnosesicherung und Risikobeurteilung in der genetischen Beratung Lebendnierenspende zum Ausschluss einer Anlageträgerschaft bei jüngeren Spendern Merke: Die Pränataldiagnostik spielt für ADPKD- Familien praktisch keine Rolle. Symptome Klinisch steht eine Hypertension und eine progrediente Nierenfunktionsverschlechterung mit Volumenzunahme beider Nieren bedingt durch massive Zystenbildung im Vordergrund. Das CRISP (Consortium for Radiologic Imaging Studies of Polycystic Kidney Disease)-Konsortium konnte zeigen, dass Nieren von ADPKD-Patienten exponentiell an Größe zunehmen; so stieg das Nierenvolumen in einem Kollektiv von mehr als 200 Patienten pro Jahr um durchschnittlich 63ml (5,3%). Die Hälfte aller Patienten ist im Alter von 60 Jahren chronisch niereninsuffizient. Patienten mit einer PKD2-Mutation zeigen im Durchschnitt einen signifikant milderen Krankheitsverlauf als PKD1-Patienten mit einer niedrigeren Prävalenz von Harnwegsinfektionen und arterieller Hypertonie. PKD1-Patienten werden durchschnittlich 20 Jahre früher als PKD2-Patienten terminal niereninsuffizient (58,1 vs. 79,9 Jahre), was durch die Entwicklung von mehr Zysten in einem frühen Alter bedingt ist, nicht jedoch durch ein schnelleres Wachstum der Zysten. Eine kürzlich publizierte Studie von mehr als 500 Familien mit ADPKD zeigte, dass nicht nur das betroffene Gen, sondern auch die Art der PKD1-Mutation signifikant mit der absoluten Nierenüberlebenszeit korreliert [8]. Patienten mit einer zum Kettenabbruch führenden, sog. trunkierenden Mutation wurden im Durchschnitt gut 12 Jahre früher terminal niereninsuffizient als Patienten mit einer nicht zum Kettenabbruch führenden PKD1-Mutation (55,6 vs. 67,9 Jahre). Die ADPKD zählt zu den sog. spätmanifesten genetischen Erkrankungen, d.h. klinische Symptome treten gewöhnlich nicht vor dem Erwachsenenalter auf. Die Variabilität selbst innerhalb der Familie ist allerdings erheblich. So zeigen ca. 2 % der Patienten bereits im Kindesalter klinische Zeichen [9], darunter solche mit Potter-Sequenz und beträchtlicher perinataler Morbidität und Mortalität. Merke: Frühmanifeste Formen der ADPKD stellen daher die wichtigste Differentialdiagnose zur ARPKD dar. Wichtigstes diagnostisches Kriterium ist der Nachweis von Zystennieren bei einem Elternteil. Nicht selten sind bei den Eltern Zystennieren bis zur Diagnosestellung nach der Geburt eines betroffenen Kindes nicht bekannt. Familienstudien zeigen, dass ein hohes Wiederholungsrisiko von ca. 50% für Geschwister von frühmanifesten ADPKD-Patienten besteht. Kürzlich konnte ein genetisches Prinzip beschrieben werden, welches das hohe Wiederholungsrisiko in Familien mit frühmanifester Verlaufsform erklären hilft [10]. Demnach trägt ein Teil der früh und schwer betroffenen Patienten Mutationen in nur mehr als einer Genkopie bzw. einem Gen im Sinne einer erhöhten Mutationslast. Merke: Erster Schritt in der diagnostischen Abklärung ist in der Regel eine abdominale Ultraschalluntersuchung. Bei einem Kind mit zystischer Nierenerkrankung unklarer Genese ist die Ultraschalluntersuchung der Eltern wichtig und liefert häufig weitere Erkenntnisse bzgl. der Einordnung. Extrarenale Manifestationen Obgleich in erster Linie die Nieren betroffen sind (Abb.3), stellt die ADPKD eine progressiv verlaufende Multisystemerkrankung mit profunder extrarenaler Beteiligung dar [1].

Varia 157 Leber Zysten der Leber sind die mit Abstand häufigste extrarenale Manifestation. Klinisch verhalten diese sich zumeist benigne und führen zu keinen größeren Komplikationen. Zysten in anderen epithelialen Organen (z.b. Samenblase, Pankreas, Arachnoidia) und Divertikulose sind ebenfalls recht häufig. Leberzysten treten vermehrt bei Frauen und ca. 75% der ADPKD-Patienten mit Mitte 60 auf. Die polyzystische Lebererkrankung (ADPLD) kann aber auch als eigenständige Erkrankung mit Mutationen in bislang zwei beschriebenen Genen (PRKCSH und SEC63) auftreten [8]. Kardiovaskuläres System Kardiovaskuläre Komplikationen der ADPKD sind gefürchtet. Während die Diagnose eines Mitralklappenprolaps zwar häufig (jeder vierte ADPKD-Patient), jedoch klinisch meist unbedeutend ist, stellen die bei ca. 8 % der Patienten auftretenden intrazerebralen Aneurysmen eine potenziell lebensbedrohliche Manifestation mit der Gefahr der Hirnblutung dar. Merke: Patienten mit positiver Familienanamnese zeigen ein signifikant erhöhtes Risiko für intrazerebrale Aneurysmen, worauf im Rahmen der Betreuung hingewiesen werden sollte. Intrazerebrale Aneurysmen. Goldstandard für die Detektion intrazerebraler Aneurysmen ist die MR- Angiografie, von einem breiten Massenscreening aller ADPKD-Patienten sollte jedoch Abstand genommen werden. Eine differenzierte Betrachtungsweise mit umfassender Erläuterung der Pros und Kontras sowie möglicher Konsequenzen für den Patienten sollte vor Untersuchung erfolgen. Gleiches gilt in noch viel höherem Umfang für das Kindes- und Jugendalter, für das extrarenale Komplikationen im Allgemeinen keine Rolle spielen. Morphologie Makroskopisch sieht man bei ADPKD im Endstadium große komplett zystisch umgebaute Nieren (Abb. 3), die unterschiedlich flüssigkeitsreich und über 1 kg schwer sein können. Die Zystenbildung beginnt üblicherweise zwischen dem 20. und 30.Lebensjahr. Die Zysten nehmen im Laufe der Erkrankung an Zahl und Größe zu, kommen in allen Nephronabschnitten (somit auch glomerulär) bevorzugt im Bereich der Henle-Schleife und der Sammelrohre vor, sind variabel groß, teils abgekapselt, teils sehr dünnwandig und hämorrhagisch inhibiert oder auch superinfiziert; sie können unterschiedlich große Konkremente enthalten. Histologie Histologisch werden die unterschiedlich großen Zysten von variabel breiten, oft ausgeprägt fibrosierten Bindegewebsbändern, bzw. komprimierten Parenchymresten umgeben und in der Regel von einreihigem, kubischem bis flachem Epithel ausgekleidet. Eine Tumorentstehung in einer ADPKD-Niere ist eine ausgesprochene Rarität. Genetik Die Mehrzahl der Patienten weist eine Mutation im PKD1-Gen auf, etwa 20% zeigen eine Mutation im PKD2-Gen. Bis vor kurzem wurde angenommen, dass Mutationen in diesen beiden Genen ausschließlich dominant mit variabler Expressivität und stets kompletter Penetranz vererbt werden. Wie man seit weni- Abb.3 a, c Makroskopisches Erscheinungsbild der autosomal-dominanten polyzystischen Nierenerkrankung (ADPKD) im fortgeschrittenen Stadium. Die Nieren sind vergrößert und weisen deutlich multiple Zysten auf, die das Nierenparenchym beinahe komplett zerstört und ersetzt haben. b Im Querschnitt sind multiple Zysten im Kortex und der Medulla zu sehen; die Zysten variieren beträchtlichingröße und Erscheinungsbild und reichen von wenigen Millimetern bis zu vielen Zentimetern [31].

158 gen Jahren aber weiß, können sich PKD1- und PKD2- Mutationen auch inkomplett penetrant und rezessiv hinsichtlich ihres Vererbungsmusters verhalten [10, 11]. Diese primär hypomorphen Veränderungen bedingen zumeist bei alleinigem heterozygoten Auftreten keinen oder allenfalls einen sehr milden Phänotyp, während sie in homozygoter (auf beiden Genkopien die gleiche Mutation) oder compound heterozygoter (auf beiden Genkopien eine jeweils andere Mutation) Form zu einer klinischen Manifestation führen. In trans (sprich auf dem anderen elterlichen Allel) mit einer pathogenen Mutation können sie auf diese Weise eine Aggravierung des Phänotyps und somit ein deutlich früheres Erkrankungsalter bedingen. Es ist anzunehmen, dass diesen Veränderungen eine prognostische Bedeutung für den klinischen Verlauf zukommt und sie eine zumindest partielle Erklärung für variable intrafamiliäre Verläufe und Frühmanifestationen liefern. Weitere Erklärungsmodelle für die große klinische Variabilität stellen zelluläre Mosaike, epigenetische Mechanismen und andere modifizierende Gene dar. Pathogenetisch wird auf zellulärer Ebene in den Zysten seit vielen Jahren eine rezessive Situation mit einem second hit Ereignis im vermeintlichen Wild-Typ Allel postuliert. Neuere Erkenntnisse gehen dahingehend sogar von einem three-hit oder multihit Geschehen aus. PKD1-Gen und Protein Das aus 46 Exons bestehende Gen erstreckt sich genomisch über ca. 50 kb auf Chromosom 16p13, das entsprechende Transkript ist ca. 14 kb groß. Das hierdurch kodierte Polycystin-1 Protein besteht aus 4303 Aminosäuren und ist ein integrales Membranprotein der primären Zilienmembran (Abb.4). Im Komplex mit Polycystin-2 wurden neben anderen eine Funktion als Mechanorezeptor sowie im Rahmen der Zellzyklus- Regulation, planaren Zellpolarität (PCP) und Zell-Zellsowie Zell-Matrix-Interaktionen beschrieben. PKD1 wird in erster Linie in Niere, Leber und Pankreas, aber auch einer Vielzahl weiterer Gewebe wie Gehirn, Lunge und Gefäßen exprimiert. Die Mutationsanalyse des PKD1-Gens wird dadurch erschwert, dass die verantwortliche Region in mehreren nahezu identischen Kopien vorliegt [7]. Die insgesamt sechs Pseudogene grenzen unmittelbar an das PKD1-Gen auf Chromosom 16p an und weisen eine 98 99%ige Homologie zu den Exons 1 33 des PKD1-Gens auf. Das Vorkommen dieser nahezu sequenzhomologen Pseudogene macht die Analytik komplex und erfordert eine Voramplifikation mittels spezifischer Long-range-PCRs. Mutationen verteilen sich über das komplette Gen, eigentliche hotspots werden nicht beobachtet. Größere Deletionen machen nur einen geringen Anteil der Mutationen aus (ca. 5 %). Insgesamt weist das PKD1-Gen eine sehr hohe Variabilität und Mutabilität auf, was die Beurteilung von Veränderungen im PKD1-Gen erschwert. Bei Patienten mit tuberöser Sklerose und Zystennieren konnten große Deletionen nachgewiesen werden, die sowohl das PKD1- als auch das TSC2-Gen einschließen (TSC2-PKD1 contiguous gene syndrome). Hierbei handelt es sich um nahezu ausschließlich schwere Manifestationsformen des Kindesalters, die in der Regel als Neumutation auftreten. PKD2-Gen und Protein Das ca. 5 kb große Transkript des PKD2-Gens auf Chromosom 4q21 umfasst 15 Exons und kodiert ein Protein (Polycystin-2) von 968 Aminosäuren. Wie Polycystin-1 stellt auch Polycystin-2 ein ziliäres Multipass-Transmembranprotein mit intrazellulärem C-Terminus dar (Abb.4) [12]. Polycystin-2 (TRPP2) ist als Mitglied der TRP-Kanal-Familie (transient receptor potential channels) ein nicht-selektiver Kationenkanal und z. B. für die Kalziumhomöostase der Zelle bedeutsam. Die beiden ADPKD-Proteine interagieren über ihre kurzen intrazellulären C-Termini miteinander. Für Polycystin-2 wurde zudem eine Interaktion mit dem ARPKD-Protein Fibrocystin/Polyductin gezeigt (Abb.4). PKD2 wird in zahlreichen Geweben exprimiert, subzelluläre Lokalisationen sind neben der Zilienmembran vor allem das endoplasmatische Retikulum, Zentrosom und Mitosespindel. Die Analyse mittels Direktsequenzierung ermöglicht die Identifizierung eines Großteils der PKD2-Mutationen. Auch hier ergibt sich kein Hinweis für überzeugende Mutationshotspots. Die Interpretation ist jedoch deutlich weniger komplex als bei PKD1, auch weil ein Großteil der PKD2-Mutationen zum Kettenabbruch führt, sprich trunkierenden Charakter besitzt. Klinisch-ultrasonografische und genetische Diagnostik Mit Hilfe einer Ultraschalluntersuchung der Nieren können bis zum 30. Lebensjahr ca. 98% und bis zum 40. Lebensjahr praktisch alle Anlageträger identifiziert werden. Werden bei einer Person unter 40 mittels Ultraschall drei oder mehr Nierenzysten uni- oder bilateral beobachtet, so ist die Diagnose ADPKD sehr wahrscheinlich. Das Vorkommen von weniger als zwei Nierenzysten im Alter von 40 Jahren schließt die Erkrankung hingegen weitgehend aus [13]. In einer Studie von Kindern und Jugendlichen mit bekannter PKD1-Mutation hatten bereits 60% der unter 5-jährigen Nierenzysten, in der Gruppe der 5 18-jährigen waren dies bereits 75 80% [14]. Eine prädiktive

Varia 159 Mutationsanalyse ist zumeist besonderen Fällen vorenthalten und gilt z. B. für Patienten mit zystischen Nierenveränderungen bei negativer Familienanamnese (unauffälliger elterlicher Ultraschall) zur Diagnosesicherung und Risikobeurteilung in der genetischen Beratung. Im Fall einer vermeintlichen Neumutation ist auch das Vorliegen eines Mosaiks in Betracht zu ziehen, was besondere Anforderungen an die genetische Diagnostik mit sich bringt und verlässlich nur mittels neuer Sequenziertechniken (Next-Generation Sequencing, NGS) und entsprechend hoher Abdeckung (coverage) zu gewährleisten ist. Eine weitere wichtige Indikationsstellung zur Mutationsanalyse ist die Frage der Anlageträgerschaft bei möglichen Nierenspendern aus betroffenen Familien. Vor allem bei jüngeren Spendern (<25 Jahre) schließt eine unauffällige Ultraschalluntersuchung die Anlageträgerschaft noch nicht sicher aus. Auch beim Vorkommen einzelner Zysten kann in diesem Zusammenhang in Abhängigkeit vom Lebensalter eine Testung auf die zuvor identifizierte familiäre Mutation sinnvoll erscheinen. In Anbetracht der zunehmenden Identifizierung und Charakterisierung pathogenetisch bedeutsamer Faktoren und modifizierender Gene könnte eine molekulargenetische Diagnostik auch in Hinblick auf eine weitere Abschätzung des klinischen Verlaufs und Verlaufsprognose denkbar werden. In Familien mit Frühmanifestation könnte beispielsweise der Nachweis hypomorpher Allele und weiterer aggravierender Mutationen Bedeutung für eine eventuelle Pränataldiagnostik erlangen. Es ist zudem sehr wahrscheinlich, dass mögliche zukünftige therapeutische Optionen eine vorherige molekulargenetische Charakterisierung mit entsprechendem Mutationsnachweis erforderlich machen [15]. Die Pränataldiagnostik spielt in Deutschland in ADPKD- Familien, abgesehen von seltenen Ausnahmen frühmanifester Fälle, praktisch keine Rolle. Nach dem Gendiagnostikgesetz wäre sie in spätmanifesten Familien nicht erlaubt. Eine molekulargenetische prädiktive Testung bei Kindern und Jugendlichen ist ebenfalls, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt ohne sich direkt daraus ableitender Therapieoption bzw. Änderung des klinischen Regimes, nicht sinnvoll und daher zu unterlassen. Wegen der Möglichkeit von Komplikationen bei bisher nicht erkannten Zystennierenträgern im Kindesalter sollten Kinder betroffener Personen einer weitmaschigen ultrasonografischen Untersuchung unterzogen werden. Finden sich keine Hinweise auf Komplikationen sollte in großzügigen, mit dem betreuenden Kliniker abzustimmenden Abständen NH 2 Polycystin-1 Leucine-rich repeats WSC homology PKD domain C-type lectin LDL-A-related REJ domain GPS domain COOH NH 2 eine Kontrolluntersuchung erfolgen. Werden hingegen Nierenzysten festgestellt, ist es in jedem Falle sinnvoll, die betreffende Person in eine kontinuierliche pädiatrisch-nephrologische Betreuung zu überführen. Klinische Studien und potenzielle zukünftige Therapieoptionen Aktuell beschränkt sich die Therapie von Patienten mit Zystennieren primär auf die konsequente Behandlung des prognostisch ungünstigen Blutdrucks, die Vermeidung und konsequente Behandlung von Harnwegsinfekten sowie im weiteren Verlauf Behandlung der Niereninsuffizienz. Durch das verbesserte Verständnis der Pathogenese der Zystenbildung mit Identifizierung der verantwortlichen Gene und Charakterisierung der Funktion der verantwortlichen Proteine haben sich neue Behandlungsstrategien eröffnet (Abb.5) [15,16]. Nachfolgend sollen von den zahlreichen Ansätzen nur diejenigen erwähnt werden, die bereits zu klinischen Studien geführt haben. Eine erste Schwierigkeit besteht in der Wahl geeigneter Biomarker, d.h. Parameter zur Lipoxygenase Homology 2 Coiled coil EF hand ER retention signal IPT domain PbH1 domain COOH Polycystin-2 NH 2 COOH Fibrocystin/ Polyductin Abb.4 Proteinnetzwerk bei Zystennieren. Alle drei der hier abgebildeten für die autosomal-dominante (ADPKD) und rezessive (ARPKD) polyzystische Nierenerkrankung verantwortlichen Proteine interagieren miteinander. Beide ADPKD-Proteine (Polycystin-1 und Polycystin-2) stellen ziliäre Multipass-Transmembranproteine, das ARPKD-Protein Fibrocystin/Polyductin ein Typ 1-Membranprotein jeweils mit intrazellulärem C-Terminus dar. Die Funktionen der einzelnen Proteine sind weiterhin nicht restlos aufgeklärt; Funktionen als Mechanorezeptor, im Rahmen der Zellzyklus-Regulation, planaren Zellpolarität (PCP) sowie Zell-Zell- und Zell-Matrix-Interaktionen, sind beschrieben bzw. werden diskutiert. Polycystin-2 (synonyme Bezeichnung TRPP2) ist zudem als Mitglied der TRP-Kanal-Familie (transient receptor potential channels) ein nicht-selektiver Kationenkanal und u. a. auch für die Homöostase des Ca2 + -Haushalts bedeutsam. Sowohl für Polycystin-1 als auch für Fibrocystin/Polyductin wurden prozessierte Isoformen im Zytoplasma und Zellkern beschrieben, die einem sog. RIP (Regulated Intramembrane Proteolysis) Mechanismus unterliegen und im Zellkern möglicherweise als Transkriptionsfaktoren fungieren.

160 PC-1 (1) TNF α IKKβ (2) EGF IGF VEGF Cl PKA (5) Ras/B-Raf/MEK/ERK TSC1/TSC2 Rheb (6) mtor CFTR SRC (3) (4) GSK3β (7) AMPK Potential Interventions: (1) TNF antagonists (2) Tyrosine kinase inhibitors (3) CFTR inhibitors (4) SRC inhibitors (5) MEK inhibitors (6) mtor inhibitors PC-1 PC-2 FC β-catenin Ca 2+ SHH Signaling? Proliferative Transcription Stats, Myc, jun, phos Cyclin D (8) (7) Metformin (8) CDK inhibitors (9) Triptolide (10) Somatostatin (11) V2 receptor antagonists Downregulated in PKD Upregulated in PKD SSTR Ca 2+ (?) camp Ca 2+ Ca 2+ AC VI (10) ATP V2R (11) Vasopressin PC-1 PC-2 Messung des Therapieeffektes. Systematische Studien ließen das mittels MRT bestimmte absolute Nierenvolumen (TKV, total kidney volume) als den bestmöglichen Parameter hierfür erscheinen. Wie zumeist üblich wurden die derzeit bei Patienten mit ADPKD in klinischen Studien geprüften Substanzen zuvor in meist mehreren Tiermodellen erfolgreich getestet. ER (9) PC-2 Abb.5 Schematische Darstellung einer Nierenepithelzelle mit primärem Zilium an der Oberfläche und der bei Zystennieren alterierten Signalwege mit Kennzeichnung potenzieller pharmakologischer Zielmoleküle ( drug targets ). Alle Zystennierenproteine [Polycystin-1 (PC-1), Polycystin-2 (PC-2), und Fibrocystin/Polyductin (FC)] sind subzellulär u.a. im Bereich primärer Zilien lokalisiert. PC-2 spielt zudem eine wichtige Rolle im endoplasmatischen Retikulum (ER). Der Polycystin-Komplex reguliert ziliäre Ca2 + -Signale und steuert hierdurch die Ca2 + -Freisetzung aus dem ER. Eine Reduzierung des intrazellulären Ca2 + -Spiegels führt zu gesteigerter camp-konzentration in der Zelle. Die Aktivierung des V2-Rezeptors (V2R) unterstützt dies, während eine Aktivierung des Somatostatin-Rezeptors (SSTR) einen gegenteiligen Effekt hat. Eine gesteigerte camp-konzentration hat eine vermehrte chloridabhängige Flüssigkeitssekretion und verstärkte Zellproliferation bei Zystennieren zur Folge, u.a. durch Aktivierung des mtor-signalwegs. AC-VI, Adenylylzyklase Typ VI; ATP, Adenosintriphosphat; CFTR, Cystic Fibrosis Transmembrane conductance Regulator; ER, Endoplasmatisches Retikulum; ERK, Extrazelluläre Signal Regulierte Kinase; MEK, mitogen-activated protein kinase kinase (MAPKK); PKA, Protein Kinase A; EGF, Epidermal Growth Factor; IGF, Insulin-like Growth Factor; VEGF, Vascular Endothelial Growth Factor; AMPK, AMP-activated protein kinase; SHH, Sonic Hedgehog Signalweg. Vasopressin V2-Rezeptor (VPV2 R)-Antagonisten. Der Effekt von Vasopressin auf camp in Sammelrohrzellen über den V2-Rezeptor ist ein zentraler Mechanismus der Zystenentstehung. So konnten bei ADPKD-Patienten erhöhte Vasopressin-Werte im Serum und erhöhte camp-level in Tubuluszellen nachgewiesen werden. Es lag daher nahe, die Wirkung von Vasopressin V2-Rezeptor (VPV2 R)-Antagonisten in verschiedenen Tiermodellen zu untersuchen. Der VPV2R-Antagonist Tolvaptan wurde in der klinischen Studie TEMPO 3/4 (Tolvaptan Efficacy and Safety in the Management of PKD and Outcomes) untersucht, einer großen Phase 3, Placebo-kontrollierten, doppelblinden Studie bei 18 50-jährigen Patienten mit einer GFR >60ml/min und deutlich vergrößerten Nieren > 750 ml als Indikator eines progressiven Krankheitsverlaufes. Nach drei Jahren zeigten die mit Tolvaptan behandelten Patienten ein signifikant langsameres Nierenwachstum (2,8 % vs. 5,5% in der Kontrollgruppe), eine geringere Nierenfunktionsverschlechterung und weniger ADPKD-assoziierte unerwünschte Ereignisse, jedoch andererseits auch eine höhere Abbruchrate (23% vs. 14% in der Kontrollgruppe) aufgrund hepatischer Nebenwirkungen und Aquarese [17]. Obgleich weitere Langzeitstudien den nützlichen Effekt von Tolvaptan noch bestätigen müssen und die Nebenwirkungsrate reduziert werden sollte, war die TEMPO 3/4 Studie doch ermutigend und konnte die effektive Behandlung der ADPKD nachweisen. Somatostatin-Analoga. Eine weitere Möglichkeit via SST2-Rezeptor in Leber und Niere den intrazellulären camp-spiegel zu senken, ist der Gebrauch lang wirkender Somatostatin-Analoga. So führte Octreotid zu vermindertem Zystenwachstum in Niere und Leber in der PCK Ratte als Tiermodell für ARPKD sowie mehreren kleinen klinischen Studien von Patienten mit ADPKD und ADPLD, während eine Verbesserung der Nierenfunktion jeweils nicht erreicht werden konnte. In einer randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studie von 42 Patienten mit ADPKD oder ADPLD mit einer GFR von 70ml/min [18] zeigten ADPKD-Patienten im Gegensatz zur Kontrollgruppe nach einem Jahr Behandlung mit Octreotid keine weitere Zunahme des absoluten Nierenvolumens. Auch in dieser Studie wurde jedoch kein signifikanter Unterschied in der GFR zwischen Octreotid- und Placebo- Gruppe identifiziert. Octreotid wurde als Substanz gut toleriert.

Varia 161 mtor-inhibitoren. Ein anderer mit der Pathogenese der ADPKD in Verbindung gebrachter Signalweg ist mtor. So wirkt Polycystin-1 als negativer Regulator des mtor-signalwegs. Folgerichtig weisen Zystenepithelien der Nieren von ADPKD-Patienten eine erhöhte mtor-aktivität auf. Nachdem mehrere PKD-Tiermodelle ermutigende Resultate gezeigt hatten, wurden schließlich vier verschiedene klinische Studien zu mtor-inhibitoren (Sirolimus, Everolimus) bei ADPKD initiiert. Dabei konnten die zwei großen, in der Schweiz und Deutschland durchgeführten klinischen Studien wider Erwarten keinen Durchbruch erzielen. Die Schweizer Studie (open-label, randomisiert und kontrolliert) über 18 Monate schloss 100 sich in einem frühen Krankheitsstadium befindenden Patienten zwischen 18 und 40 Jahren mit einer Kreatinin-Clearance von mindestens 70ml/min ein. Die Verum-Gruppe hatte zu Studienbeginn ein mittleres TKV von 907cm 3, die Kontrollgruppe ein mittleres TKV von 1003cm 3. Sirolimus wurde in einer Zieldosis von 2 mg/tag verabreicht. Nach Abschluss der Studie konnte kein signifikanter Unterschied für TKV und GFR zwischen Verumund Placebo-Gruppe beobachtet werden, jedoch zeigte sich ein Anstieg der Albuminurie in der Sirolimus- Gruppe [19]. Die deutsche Studie schloss insgesamt 433 Patienten mit fortgeschrittenerer ADPKD in einer randomisierten, doppelblinden, placebo-kontrollierten Studie über zwei Jahre ein [20]. Die Patienten der Verum-Gruppe wiesen zu Studienbeginn im Mittel eine egfr von 53ml/min/1,73m 2 bei einem TKV von 2028 cm 3 auf, die Kontrollgruppe entsprechend 56ml/ min/1,73m 2 und 1911 cm 3. Everolimus wurde zweimal täglich in einer Dosis von 2,5mg verabreicht. Nach einem Jahr konnte eine signifikante Abnahme des TKV in der Verum-Gruppe beobachtet werden, dieser Unterschied verlor jedoch nach zwei Jahren seine statistische Signifikanz. Mit Everolimus behandelte Patienten zeigten zudem eine raschere Abnahme der egfr nach zwei Jahren (8,9ml/min vs. 7,7ml/min in der Placebo-Gruppe). Obgleich die Ergebnisse dieser großen Studien für alle überraschend und außerordentlich ernüchternd waren, so mag dennoch die Substanzgruppe der mtor-inhibitoren zukünftig eine therapeutische Option für eine bestimmte Patientengruppe darstellen, ob alleine, in Kombination mit weiteren Wirkstoffen oder in anderer Weise (z.b. tubulus-spezifisch) appliziert müssen weitere Studien zeigen. Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkankung (ARPKD) Epidemiologie und Klinik Die Häufigkeit der ARPKD ist regional unterschiedlich. In Mitteleuropa erscheint eine Prävalenz von 1:20000 realistisch, was einer Heterozygoten-Frequenz von ca. 1 :70 entspricht. In isolierten Kohorten und Bevölkerungsgruppen mit hohem Anteil konsanguiner Verbindungen ist die ARPKD entsprechend häufiger. Im Gegensatz zur ADPKD ist die ARPKD typischerweise eine pädiatrische Erkrankung, obwohl das klinische Spektrum sehr viel variabler ist als ehemals angenommen, und mittlerweile auch moderat betroffene Erwachsene beschrieben sind [21]. Dennoch sind die meisten Verläufe schwer und resultieren bei bereits prä- oder perinatal massiv vergrößerten Nieren in einer Potter-Oligohydramnion-Sequenz und nachfolgender respiratorischer Insuffizienz, die in etwa 30 50% neonatal zum Tode führt. Im Ultraschall haben Kinder mit ARPKD typischerweise beidseits große echogene Nieren mit reduzierter oder aufgehobener kortikomedullärer Differenzierung [22] (Abb.6). Merke: Im Gegensatz zur ADPKD ist die ARPKD typischerweise eine pädiatrische Erkrankung. Morphologie Die morphologischen Veränderungen bei ARPKD können abhängig vom Alter und Krankheitsstadium stark variieren. Makroskopisch zeigen sich radiär die Niere von der Medulla zum Kortex durchziehende fusiforme Zysten in beiden Nieren (Abb. 7a). Größere Einzelzysten lassen sich im Allgemeinen nicht nachweisen, diese treten meist erst im Laufe des weiteren Lebens auf. Mikroskopisch sieht man teils langgestreckte, teils zystisch erweiterte distale Tubuli und Sammelrohre innerhalb einer nur rudimentär angelegten Nierenstruktur mit insgesamt schwammartigem Aspekt (Abb. 7b,c). Die proximalen Tubuli und die Glomeruli sind von der Erkrankung nicht betroffen. Die Zysten und zystisch erweiterten Tubuli werden von einem kubischen Epithel ausgekleidet. Heterologe Gewebselemente wie Knorpel oder Knochen sind ebenso wie bei der ADPKD nicht zu erkennen und unterscheiden die polyzystischen Nierenerkrankungen von frühembryonal zystisch-dysplastischen Entitäten.

162 Abb.6a d Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD). a Säugling mit ausladendem Abdomen aufgrund stark vergrößerter Nieren, Atemprobleme und früher Tod waren die Folge. b Abdominaler Situs eines vor der Geburt verstorbenen ARPKD-Patienten mit symmetrisch vergrößerten Nieren, die typische Nierenform ist erkennbar. c, d Nierenultraschall eines Säuglings mit ARPKD. Symmetrisch vergrößerte Nieren mit fusiformen Zysten von Sammelrohren und distalen Tubuli, die das Nierenparenchym radial von der Medulla bis zum Kortex durchziehen [31]. Verlauf Mit fortschreitendem klinischen Verlauf und Bildung größerer Zysten sowie mit zunehmender interstitieller Fibrose ähnelt die Nierenstruktur mehr und mehr derjenigen bei ADPKD. Eine trotz Mehrfachmedikation häufig schwer zu kontrollierende arterielle Hypertonie entwickelt sich meist bereits in den ersten Lebensmonaten und betrifft ca. 80% der Kinder [22]. Eine engmaschige Blutdrucküberwachung ist daher unabdingbar, um kardiale Spätfolgen und eine Verschlechterung der Nierenfunktion zu vermeiden. Merke: Eine Hypertonie tritt bei ARPKD häufig früh auf und ist oftmals schwer zu kontrollieren. Komorbidität der Leber Während die Niere und hierdurch bedingte Komorbiditäten zumindest in den ersten Lebensjahren meist im Mittelpunkt stehen, entwickelt jeder ARPKD-Patient bereits embryonal eine histologisch nachzuweisende Leberbeteiligung in Form einer kongenitalen Leberfibrose (CHF) mit Duktalplattenmalformation, was die angelsächsische Krankheitsbezeichnung Polycystic Kidney and Hepatic Disease 1 (PKHD1) ausdrückt [8]. Abgesehen von den Periportalfeldern entwickelt sich das übrige Leberparenchym normal, weshalb außer erhöhten Cholestaseparametern die übrigen Leberenzyme gewöhnlich im Referenzbereich liegen. Hepatobiliäre Komplikationen können jedoch das klinische Bild insbesondere bei älteren Patienten dominieren und der fortschreitende Pfortaderhochdruck zu konsekutiven Komplikationen wie Hypersplenismus und Ösophagusvarizen führen. Die kongenitale Leberfibrose mit Duktalplattenmalformation tritt obligat im Rahmen der ARPKD auf, kann aber auch bei anderen zysti-

Varia 163 schen Nierenerkrankungen vorkommen. Bei praktisch allen Zilienerkrankungen, wie den Nephronophthisen, dem Jeune-, Bardet-Biedl-, Joubert- oder Meckel-Gruber-Syndrom ist sie ein häufiges Merkmal. In sehr seltenen Fällen kann sie auch in Verbindung mit der ADPKD auftreten. Merke: Die kongenitale Leberfibrose mit Duktalplattenmalformation tritt bei allen Patienten mit ARPKD auf, kann aber auch bei anderen zystischen Nierenerkrankungen und Ziliopathien vorkommen. Das Caroli-Syndrom beschreibt eine Erweiterung der großen Gallengänge heterogener Ätiologie und kann Manifestation der Leberbeteiligung im Rahmen der ARPKD sein. Selten können ARPKD-Patienten auch einen (nahezu) organspezifischen Phänotyp aufweisen, der sich klinisch auf die Niere oder die Leber beschränkt. Abb.7a c Mikroskopische und makroskopische Merkmale der autosomal-rezessiven, polyzystischen Nierenerkrankung (ARPKD). a, b Querschnitte von ARPKD-Nieren zeigen kortikale Extensionen durch fusiforme oder zylindrische Zysten, welche radiär die Niere von Medulla bis Kortex durchziehen. c Mikroskopische Darstellung von fusiformen Zysten der Nierensammelrohre und distalen Tubuli ausgekleidet von kubischem Epithel. Die zystischen Sammelrohre verlaufen senkrecht zur Nierenkapsel [31]. Merke: Die ARPKD wird primär durch Mutationen im PKHD1-Gen verursacht. MutationeninanderenGenen(z.B.PKD1, PKD2, HNF1ß) können klinisch wie ARPKD imponieren. Merke: Eine sichere und frühe Pränataldiagnostik für ARPKD ist nur mittels direkter Mutationsanalyse und Nachweis des zugrunde liegenden genetischen Defektes möglich. Komorbidität der Leber bei ARPKD Jeder ARPKD-Patient zeigt feingeweblich eine kongenitale Leberfibrose mit Gallengangshyperplasien. Die Lebersyntheseleistung ist in der Regel nicht beeinträchtigt. Hepatobiliäre Komplikationen können das klinische Bild insbesondere bei älteren Patienten dominieren und der fortschreitende Pfortaderhochdruck kann zu konsekutiven Komplikationen wie Hypersplenismus und Ösophagusvarizen führen.

164 PKHD1-Gen und Fibrocystin-/Polyductin-Protein Die ARPKD wird primär durch Mutationen des sich genomisch über nahezu 500 kb auf Chromosom 6p12 erstreckenden PKHD1-Gens verursacht [6]. Das Transkript des längsten offenen Leserahmens umfasst 67 Exons und kodiert ein Typ 1- Membranprotein von 4074 Aminosäuren (Fibrocystin/Polyductin), dessen Funktion noch nicht restlos aufgeklärt ist (Abb. 4). NebendemVorkommeninprimärenZilien wahrscheinlich als Rezeptor wurden prozessierte Formen des Fibrocystin-/Polyductin-Proteins auch im Zytoplasma und im Zellkern beschrieben. In diesem Kontext konnte gezeigt werden, dass auch Fibrocystin/Polyductin einem durch Polycystin-1 und den Notch-Rezeptoren bekannten RIP (Regulated Intramembrane Proteolysis) Mechanismus unterliegt und im Zellkern möglicherweise als Transkriptionsfaktor fungiert. Neben einigen wenigen rekurrenten Mutationen wie etwa der T36M-Missensemutation, ist ein Großteil der Mutationen privat, d. h. individuell auftretend. Etwa 30 40 % der beschriebenen Veränderungen sind Missensemutationen. Die Abgrenzung von pathogenen Mutationen gegenüber seltenen Varianten stellt eine stetige Herausforderung dar. Der Anteil an größeren Deletionen ist gering und liegt unter5%.zuroptimierungderpkhd1- Analytik wurde ein Algorithmus entwickelt, bei dem mit der Analyse von 27 Fragmenten ca. 80% der detektierbaren Mutationen in Mitteleuropa erfasst werden [22]. Eine Genotyp-Phänotyp-Korrelation existiert insofern, als dass Patienten mit 2 zu einem Kettenabbruch führenden MutationeninderRegeleinesehrschwereperinatale Verlaufsform zeigen und die Neugeborenen-Periode zumeist nicht überleben. Ca. 20% der Geschwisterfälle weisen jedoch unterschiedliche Verläufe auf, die auf modifizierende genetische oder exogene Einflussfaktoren hindeuten. Überzeugende klinische Daten, gegebenenfalls eine pathologisch-anatomische Untersuchung eines verstorbenen Kindes und ein negativer elterlicher Ultraschallbefund zum Ausschluss autosomal-dominanter Formen sind Voraussetzungen für die Mutationsanalytik. In wenigen Familien mit klinischer Diagnose einer ARPKD konnte eine Kopplung zum PKHD1-Lokus Differenzialdiagnosen zystischer und polyzystischer Nierenerkrankungen Von den polyzystischen Nierenerkrankungen müssen vor allem dysplastische Formen sowie zystische Nierenveränderungen im Rahmen von Syndromen und dem großen Komplex der Nephronophthisen und medullär-zystischer Nierenerkrankungen abgegrenzt werden. Glomeruläre zystische Nierenerkrankung (GCKD) Der Terminus GCKD (Glomerular Cystic Kidney Disease) im Sinne glomerulärer Zystennieren wird vor allem im angloamerikanischen Raum verwendet und bezeichnet unterschiedliche Entitäten, denen glomeruläre Zysten gemein sind. Vielfach liegt diesen Fällen ausgeschlossen werden, weshalb Locus- Heterogenie zu postulieren ist [4]. Darüber hinaus können neben Mutationen in einem der ADPKD-Gene auch VeränderungeninanderenGenenklinischwieARPKD imponieren. Pränataldiagnostik Aufgrund der Schwere des Krankheitsbildes besteht bei betroffenen Familien häufig der Wunsch nach Inanspruchnahme einer sicheren und frühzeitigen vorgeburtlichen Diagnostik. Eine ultrasonografische Pränataldiagnostik bietet keine ausreichende Sicherheit, da Veränderungen häufig erst spät in der Schwangerschaft (ggf. erst perinatal) erkannt werden können. In Anbetracht nicht sicher auszuschließender Locus-Heterogenie und der großen Fortschritte im Bereich der Sequenzanalytik sollte von einer indirekten, auf Kopplung basierenden Methodik Abstand genommen werden und ein direkter Mutationsnachweis in betroffenen Familien als Grundlage für eine sichere Pränataldiagnostik angestrebt werden. eine Frühmanifestation der ADPKD zugrunde. Im engeren Sinne sollte der Terminus für Erkrankungen mit glomerulären Zysten, die nicht durch Mutationen in den ADPKD-Genen verursacht werden, vorbehalten bleiben. TCF2/HNF1ß-Mutationen des Transkriptionsfaktors HNF1ß können ebenfalls zum klinischen Bild glomerulärer Zysten führen und mitunter einen ARPKD-ähnlichen, meist jedoch einen zystisch-dysplastischen Phänotyp bedingen. Zystisch-dysplastische Nierenveränderungen (Renaler Adysplasie- Komplex) Die Nierendysplasie (Zystennieren Typ Potter II) ist eine frühembryonale Entwicklungsstörung, die bei beidseitigem Auftreten zur Potter-Sequenz führt und dann häufig nicht mit dem Leben vereinbar ist. Die ultrasonografische Abgrenzung zu den polyzystischen Nierenerkrankungen ist meist unproblematisch.