Bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz gegen Bauleitplanung und Baugenehmigungen

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Transkript:

Bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz gegen Bauleitplanung und Baugenehmigungen Wintertagung der Arbeitsgemeinschaft für Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein, Landesgruppe NRW Münster, den 05.12.2014 Dr. Georg Hünnekens Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht ter.org BAUMEISTER RECHTSANWÄLTE Partnerschaft mbb, Münster

Vortragsgliederung I. Einleitung II. III. IV. Verwaltungsprozessuale Grundlagen 1. Individualrechtsschutzsystem der VwGO 2. Subjektive Rechtsverletzung als Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzung im baurechtlichen Nachbarstreit Relativierung der Schutznormtheorie? 1. Rechtsentwicklung im Umweltrecht 2. Übertragung auf das öffentliche Baurecht i.e.s. Materiell-rechtliche Aspekte des bauplanungsrechtlichen Nachbarschutzes (Einzelfälle) 1. Nachbarschützende Vorschriften aus dem Bauplanungsrecht 2. Nachbarschützende Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten V. Nachbarrechtsschutz von Gemeinden (Einzelfälle) VI. 1. Einzelhandelsvorhaben Fazit w2. Windkraftanlagen

Verwaltungsprozessuale Grundlagen Dreiecksbeziehung Bauherr/Behörde/Nachbar; notwendige Beiladung Grds. repressiver, ausnahmsweise vorbeugender Rechtsschutz Alle Klage- und Antragsarten der VwGO kommen in Betracht, insbes. vorläufiger Rechtsschutz nach 80 Abs. 5, 80a Bedeutung des 212a BauGB bei Interessenabwägung im Eilverfahren Besonderheit des Normenkontrollantrages Grundlage und Prüfungsmaßstab der Baunachbarklage: Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte des Klägers (vgl. 42 Abs. 2, 113 Abs. 1, 47 Abs. 2 VwGO) durch die (objektiv rechtswidrige) i Baugenehmigung Identifizierung subjektiv-öffentlicher Rechte nach der Schutznormtheorie Generell-abstrakt / individuell-konkret id k drittschützende d Vorschriften Anforderungen an die Darlegung einer subjektiven Rechtsverletzung

Relativierung der Schutznormtheorie? 1. Rechtsentwicklung im Umweltrecht Erweiterung der Klagerechte von Umweltvereinigungen durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz 2006 Novellierung 2013 nach EuGH-Urteil vom 12.05.2011 (Trianel) BVerwG, Urteil vom 05.09.2013 ( NVwZ 2014, 64): Bürger habe prokuratorische Rechtsstellung im Hinblick auf das Unionsrecht Bedeutung des 42 Abs. 2 VwGO ( Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist ) Klagerecht für jedermann gem. 4 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 UmwRG EuGH, Urteil vom 07.11.2013 (NVwZ 2014, 49): Auch Verfahrensfehler bei einer durchgeführten UVP müssen gerügt werden können; Beschränkung in 4 Abs. 1 UmwRG ist europarechtswidrig

Relativierung der Schutznormtheorie? Nach BVerwG, 9. Senat, Urteil vom 20.12.2011 (NVwZ 2012, 573) aber dennoch Möglichkeit subjektiver Rechtsverletzung i. S. d. 42 Abs. 2 VwGO erforderlich Nach OVG Münster, 8. Senat, Beschluss vom 23.07.2014, dagegen unmittelbar einklagbare Rechtsposition für die betroffene Öffentlichkeit i. S. d. 2 Abs. 6 UVPG; keine Popularklagen wegen faktischer Komponente 2. Übertragung auf das öffentliche Baurecht i. e. S. Erweiterte Klagemöglichkeiten Dritter bei UVP-pflichtigen Bauvorhaben Im Übrigen klassische Schutznormtheorie Weitere Entwicklung?

Materiell-rechtliche Aspekte des bauplanungsrechtlichen Nachbarschutzes 1. Nachbarschützende Vorschriften aus dem Bauplanungsrecht Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung / Gebietswahrungsanspruch Voraussetzungen: Grundstück im Plangebiet; Verfremdung des Gebietscharakters Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung: Grundsätzlich nicht drittschützend Festsetzungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen: Grundsätzlich nicht drittschützend Festsetzungen zur Bauweise: Für Angrenzer drittschützend, soweit offene Bauweise festgesetzt ist BVerwG, Urteil vom 05.12.2013 2013 (NVwZ 2014, 370): Drittschutz über das Rücksichtnahmegebot im Baugebiet nach 34 Abs. 1 BauGB mit offener Bauweise (Fall Doppelhaus)

Materiell-rechtliche Aspekte des bauplanungsrechtlichen Nachbarschutzes Inhalt und Einordnung des Rücksichtnahmegebotes BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 (NVwZ 2013, 719): Berücksichtigung des Abstandsgebotes bei Störfallanlagen über das Rücksichtnahmegebot (Fall Mücksch ) BVerwG, Urteil vom 12.09.2013 (NVwZ 2014, 69): Anwendung des Rücksichtnahmegebotes setzt voraus, dass der Bebauungsplan dafür noch offen ist 2. Nachbarschützende Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten Denkmalschutzrecht: (eingeschränkter) Drittschutz zugunsten des Denkmaleigentümers; BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 (NVwZ 2009, 1231); OVG Münster, Urteil vom 08.03.2012; 03 OVG Lüneburg, Urteil vom 23.08.2012; VGH München, Urteil vom 24.01.2013 Hochwasserschutzrecht: Drittschutz in Rechtsprechung und Literatur umstritten

Nachbarrechtschutz von Gemeinden 1. Einzelhandelsvorhaben Bedeutung des Abstimmungsgebotes gem. 2 Abs. 2 BauGB BVerwG, Urteil vom 01.08.2002 (NVwZ 2003, 86) ( Zweibrücken ) Abstimmungs- und Planungserfordernis bei Einzelhandelsvorhaben nach 11 Abs. 3 S. 1 BauNVO Bei fehlendem oder unwirksamem Bebauungsplan Verstoß gegen 2 Abs. 2 BauGB; bei Anfechtung einer Baugenehmigung durch die Nachbargemeinde daher inzidente Rechtmäßigkeitsprüfung des zugrunde liegenden Bebauungsplans geboten (OVG Lüneburg, Urteil vom 15.11.2002; OVG Saarlouis, Urteil vom 11.11.2010; OVG Koblenz, Urteil vom 03.11.2011)

Nachbarrechtschutz von Gemeinden 2. Windkraftanlagen Kein Koordinierungs- und Planungsbedarf bei Windkraftanlagen; Prüfung nach 35 BauGB reicht aus; 2 Abs. 2 BauGB daher nicht tangiert OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.02.2014 (NVwZ-RR 2014, 512)