Innere Stressoren erkennen und überwinden

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Transkript:

Workshop Innere Stressoren erkennen und überwinden Titus Bürgisser PHZ Luzern, Leiter Zentrum Gesundheitsförderung Sekundarlehrer phil. I, Fachmann für Prävention und Gesundheitsförderung, Geprüfter Transaktionsanalytiker CTA E EATA / DSGTA PHZ Luzern, Zentrum Gesundheitsförderung, Frohburgstrasse 3, 6002 Luzern titus.buergisser@phz.ch www.phlu.ch/weiterbildung/zentrum-gesundheitsfoerderung/ www.schulklima-instrumente.com

Inhaltsverzeichnis 1 Stress und das Stressmodell... 2 2 Die inneren Prozesse der Bewertung einer Situation Übersicht... 4 3 Das Kohärenzgefühl... 5 4 Antreiber und Erlaubnisse... 5 5 Hemmende Denkmuster... 8 6 Die Balance halten...10 7 Literaturhinweise und Links...10 8 Anhang: Test Antreiber Selbsteinschätzung...11 9 Arbeitsblatt innere Stressoren...14 Es gibt keine Garantie dafür, dass man ein Ziel in einer bestimmten Zeit erreicht. Aber es gibt eine Garantie dafür, dass man Ziele, die man sich nie gesteckt hat, nie erreicht. David Mcnally 1 Stress und das Stressmodell Definition Der Ausdruck Stress stammt vom ungarischen Arzt und Forscher Hans Seyle (1907-1978), der diesen Begriff 1949 in die Medizin eingeführt hat und ihn wie folgt beschrieb: Stress ist das körperliche Anpassungsprogramm des Menschen an neue Situationen, seine unspezifische und stereotype Antwort auf alle Reize, die sein persönliches Gleichgewicht stören. Er bezeichnet damit einen zum Lebensvorgang gehörenden körperlichen Mechanismus, mit dem der Mensch auf Belastungen und Anstrengungen reagiert. Neben dieser rein körperlichen, medizinischen Definition hat in den letzten Jahren eine Erweiterung um psychische Stressreaktionen stattgefunden. Neben körperlichen Reaktionsmustern sind von Seiten der Psychologie auch psychische Reaktionsmuster auf Stress entdeckt und untersucht worden. So ist bekannt, dass wir unter Stress häufig auf alte, bekannte Muster zurückgreifen, welche in unserer Kindheit einmal wirksam waren, heute aber unsere Entscheidungsmöglichkeiten einschränken und behindern. Stressfaktoren (Stressoren) Als Stressfaktoren nennt der Präventivmediziner Boris Luban-Plozza (Ascona) körperliche Stressfaktoren: z.b. Lärm, Hunger, Überarbeitung, Schlafmangel psychische Stressfaktoren (innerer Stress): z.b. Angst, Depression, ständige Unsicherheit soziale Stressfaktoren: Vereinsamung, Armut, aber auch übertriebener Luxus Eustress und Distress Dem Wort Stress haftet eine fast ausschliesslich negative Etikette an. Doch Stress ist nicht an und für sich schlecht. Es ist das Übermass an Stressoren, welche ihn zur Gesundheitsbelastung werden lässt. Motivationsstress (Eustress) Mit Eustress bezeichnet man die positiven Aspekte von Stress. Eustress treibt uns zur Arbeit und zu Leistung an und hat etwas mit der Lust am Leben zu tun. ist Lebenselixier. Psychologisch gesehen würde das gänzliche Ausbleiben von Stress den Tod bedeuten, denn ein gewisses Mass an Stress oder Anregung ist für unsere Gesundheit und unsere Leistungsfähigkeit unerlässlich. Der Eustress - euphorisch verstanden - beinhaltet Stimulation, Hochstimmung, Lust zur Arbeit und zur Leistung sowie Kreativität. Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 2

Belastungsstress (Distress) Distress bezeichnet die belastenden Aspekte von Stress. Distress ist Ausdruck für Überforderung und Überlastung. Hat das optimale Mass Eustress seinen Höhepunkt erreicht, so dass keine Leistungssteigerung mehr möglich ist, kippt die Kurve um, der Mensch kommt in den belastenden, negativen Distress. Die Belastungsfähigkeit wird überschritten, krankmachende Symptome sind die Folge. Herausforderung im richtigen Mass Stress-Zone Stretch-Zone Comfort-Zone Stress-Zone Permanente Überforderung Wachstum und Lernen blockiert Resignation Stretch-Zone Gute, gesunde Herausforderung Wachstum und Innovation möglich Gutes Lernumfeld Comfort-Zone Unterforderung Wenig Wachstum und Innovation Nach Hans Ruis, Trigon Drei Grundbedingungen für die Entstehung von Stress 1. (Objektiver) Überforderungs- und / oder Unterforderungscharakter der Situation. 2. (Subjektive) Wahrnehmung der Situation als bedrohlich, unangenehm, belastend. 3. Geringer od er fehlen der Handlu ngs- oder Kontrollspi elraum und / oder kein e (od er geri nge) Bewältigungsmöglichkeiten. Das heisst keine oder geringe äussere oder innere Ressourcen Stressbewältigung Als gesunde Bewältigungsstrategien können wir jene Verhaltensweisen ansehen, die uns helfen, auch bei zukünftigen Belastungen Kraft und Energie zu ihrer Bewältigung zur Verfügung zu haben. Das Stress-Modell Bewertungsinstanz Herausforderung Eustress Situation Stressor Bewertung der Situation Handlung Belastung Disstress Die Situation verändern Die Bewertung verändern Hilfreiche Handlungs-Strategien Sinnhaftigkeit Verstehbarkeit Bewältigbarkeit Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 3

Nach Lattmann (2003) angepasst Bürgisser Wer Stress abbauen will, kann auf drei Ebenen aktiv werden: Die Situation verändern Lässt sich die Situation verändern, die Stress verursacht? Mit Lehrpersonen sprechen, wenn sich Prüfungen oder Aufgaben kumulieren. Arbeitsplatz so wählen, dass ich weniger abgelenkt / gestört werde. Hausaufgaben auf ganze Woche verteilen etc. Konflikte lösen, die Stress verursachen etc. Einstellung zum Problem verändern Ist die Situation wirklich so bedrohlich, wie ich sie mir vorstelle? Ist der Berg Hausaufgaben wirklich so gross, wie ich ihn wahrnehme? Genau hinschauen, nüchtern betrachten, quantifizieren, beschreiben, Distanz schaffen, durchatmen Was habe ich alles zu tun? Wie ist der Aufwand genau? Was ist schwierig? Was kann ich schon? Brauche ich die Energie, um die Aufgabe anzupacken? Oder will ich sie einsetzen, um mich gegen die Situation zu wehren? Innerlich klar sein, was ich will! Innerlich ja sagen. Positiv denken, Spannungen abbauen Hilfreiche Handlungsstrategien Stress vermindern durch Didaktik, Unterrichtsgestaltung Stress vermindern durch Entspannungstechniken und Entspannungsinseln im Schulalltag Stress vermindern durch bewegten Unterricht und Bewegungspausen Stress vermindern durch Lern- und Arbeitstechnik Umgebung schaffen, in der konzentriert gearbeitet werden kann. Anfangen, erste Schritte einer Aufgabe oder Herausforderung tun, Etappen definieren, machbare Portionen Sich Hilfe holen, andere Personen fragen, nicht alles alleine tun. Im Hinblick auf die Bewertung der Situation kommt den inneren Bewertungsprozessen eine grosse Bedeutung zu. Dieses Handout gibt Hinweise auf drei mögliche Ansatzpunkte. 2 Die inneren Prozesse der Bewertung einer Situation - Übersicht "Die Dinge an sich sind kaum je gut oder schlecht; erst unser Denken lässt sie so werden!" William Shakespeare Stress ist subjektiv und persönlich. Er beginnt dann, wen n wir eine Situation, eine Person, ein Ereignis als Stressor wahrnehmen. Wie wir ein Ereignis wahrnehmen, hängt in ho hem Mass von unserem Selbstbild, unserer Ich-Stärke, unseren Wertnormen und unserer aktuelle n Befindlichkeit ab. Zwei Pe rsonen können die gleiche Situatio n völlig unterschiedl ich wahrnehmen. So kann sie der eine als aufregende, spannende Herausforderung, der andere dagegen als lebensgefähr lich erleben. Dazu kommt, dass wir die gleich en Ereignisse zu verschiedenen Zeitpunkten unterschie dlich wahrnehmen und je nach unserer Stimmung und unserer körperlichen Verfassung unterschiedlich reagieren. Viel Arbeit, schwierige Aufgaben und spannu ngsreiche Beziehungen mit anderen Menschen aktivieren uns, belasten uns vielleicht auch vor übergehend, aber sie müssen dann nicht zu Stress und Ausbrennen führen, wenn wir daraus le rnen und a ngemessene Bewältigungsstrategie n entwickeln können für zukünftige und neue Anforderungen. Drei Theorien zum Verstehen innerer Bewertungsprozesse: Das Kohärenzgefühl (Aaron Antonovsky) Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 4

Antreiber (Taibi Kahler, Transaktionsanalyse) Hemmende Denkmuster (Arnold Lazarus) 3 Das Kohärenzgefühl Aaron Antonovsky beschreibt drei zentrale Faktoren für die Gesundheit und bezeichnet diese als Kohärenzgefühl (1988). Das Kohärenzgefühl ist ein dynamisches Gefühl des Vertrauens Verstehbarkeit... dass die Anforderungen, die das Leben stellt vorhersagbar, erklärbar, und verstehbar sind, Bewältigbarkeit... dass die Ressourcen zur Verfügung stehen, die Anforderungen zu bewältigen Sinnhaftigkeit... dass es sich lohnt und sinnvoll ist, die Anforderungen als Herausforderung anzunehmen und sich zu engagieren. Die drei Dimensionen des Kohärenzgefühls sind ein gutes Instrument, um innere Belastungen zu analysieren und zu bewältigen: Was kann ich tun, damit die Situation für mich verstehbar wird? bewältigbar wird? alleine oder mit Unterstützung weiterer Personen sinnhaft wird? Sinn muss jeder für sich finden, kann man niemandem geben. 4 Antreiber und Erlaubnisse 4.1 Antreiber-Fragebogen Füllen Sie den Antreiber-Fragebogen im Anhang aus und machen Sie die Auswertung. Der Test ist auch online verfügbar. http://www.poeschel.net/zeit/antreiber.php Übung Tauschen Sie sich in Kleingruppen über die Testergebnisse aus. Orientieren Sie sich dabei an den folgenden Fragestellungen: Welches sind meine bevorzugten Antreiber? In welchen Situationen bin ich für Antreiberverhalten anfällig? Woran merke ich, dass ich mich in einem Antreiber befinde? Welche verbalen Äusserungen und nonverbalen Signale zeige ich in solchen Situationen? 4.2 Antreiber-Verhalten Der amerikanische Transaktionsanalytiker Taibi Kahler hat fünf Antreiber beschrieben, welche häufig das Handeln von Menschen prägen. Antreiber innere Stressoren (nach Taibi Kahler) Mach es allen recht! Beeile dich! Sei stark! Streng dich an! Sei perfekt! (vergl. G. Henning/G. Pelz, Transaktionsanalyse, S. 100ff) «Sei immer perfekt» oder «Mach keine Fehler». Dieser Antreiber verlangt Perfektion, Vollkommenheit und Gründlichkeit in allem, was ich tue. In der Regel erwarte ich ein solches Verhalten auch von anderen. Dieser Antreiber ist ein Aufruf zur Übererfüllung der Ziele und gleichzeitig eine Warnung, «fünf gerade sein zu lassen». «Mach immer schnell», «Beeil Dich» oder «Schau immer vorwärts». Dieser Antreiber ist Anlass, alles rasch zu erledigen, auch rasch zu antworten, rasch zu Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 5

sprechen, rasch zu essen. Es ist ein Aufruf zur Hektik und zum Verlassen der Gegenwart und häufig eine verborgene Warnung, anderen zu nahe zu kommen. «Streng Dich immer an», «Im Schweiße Deines Angesichts» oder «Müh Dich bis zum letzten ab». Wer diesem Antreiber folgt, macht aus jedem Auftrag ein Jahrhundertwerk. Und er versucht, auch andere dazu zu bringen, dass sie sich mit ihm zusammen bemühen. Wer unter dem Einfluss dieses Antreibers steht, folgt dem Aufruf: «Nur nicht lockerlassen.» Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt. Es ist darin auch die Warnung davor enthalten, sich gehen zu lassen. «Mach es immer allen recht», «Sei immer liebenswürdig» Bei diesem Antreiber ist der andere immer wichtiger als ich selbst. Wer unter diesem Antreiber steht, fühlt sich dafür verantwortlich, dass die anderen sich wohlfühlen. Er kommt den anderen entgegen; denn es ist ihm wichtig, von anderen geschätzt zu werden und beliebt zu sein. Dieser Antreiber ist ein Aufruf zur Freundlichkeit und zum «Frieden». Zudem ist er eine Warnung vor Konflikten und eine Ermahnung, ja keine eigenen Bedürfnisse anzumelden. «Sei in jeder Lage stark» oder «Beiss auf die Zähne» Dieser Antreiber besagt: Sich keine Blöße geben, Vorbild sein, Haltung bewahren, eiserne Konsequenz zeigen und am besten alles allein durchstehen, nur keine fremde Hilfe in Anspruch nehmen, «wir lösen unsere Probleme selber». Dieser Antreiber ist ein Aufruf zum Heldentum und eine Warnung davor, Gefühle zu zeigen oder traurig zu Sein. Menschen befolgen die Antreiber aus der Überzeugung heraus: Ich bin nur in Ordnung, wenn ich den Antreibern gehorche. Antreiber lassen sich mit Hilfe von Erlaubern beeinflussen. Diese unterstützenden Botschaften erlauben uns, etwas tun zu dürfen und nicht zu müssen. Es ist hilfreich, sich diese Gegenbotschaften - vor allem zu den besonders stark ausgeprägten Antreibern (Hauptantreiber) - immer wieder bewusst selbst zu geben. Wichtig ist es, darauf zu achten, dass diese Erlaubnis dabei nicht selbst den Charakter eines Antreibers bekommt, wie etwa beim Mach schnell": Nun beeil' dich aber mit der Verringerung des Antreibers!" Ein erster Schritt zur Gegensteuerung ist es, den gewohnten Ablauf zu durchbrechen, neue Verhaltensweisen auszuprobieren und das Feedback der Mitmenschen bewusst zu registrieren. Lassen Sie sich dabei Zeit und versuchen Sie, Ihre Erlauber schrittweise zu verinnerlichen. Dadurch werden Sie Ihre Antreiber auf jenes Maß zurücknehmen können, in dem sie hilfreich und unterstützend für Ihren Erfolg sind. Idealerweise ergänzen sich Menschen mit unterschiedlichen Antreibern, anstatt sich zu bekämpfen. 4.3 Antreiber und Arbeitsverhalten Antreiberverhalten Vorteil Nachteil Beeil Dich Erledigt viel Macht Fehler, Qualitätsprobleme, wirkt eventuell, ungeduldig. Sei perfekt Sei gefällig Sei stark Akkurat, gut organisiert, plant im Voraus. Gutes Teammitglied, gute Intuition für zwischenmenschliche Beziehung. Ruhe in der Krise, zuverlässiger Arbeiter, ehrlich und konstruktiv. Überdetailliert, keine Entwürfe; fasst Vorschläge als negative Kritik auf, delegiert nicht. Grenzt sich nicht ab, entwickelt keinen eigenen Standpunkt, reagiert auf Kritik sehr persönlich Fragt nicht nach Hilfe, überlastet sich, zeigt keine Gefühle Streng Dich an (Versuche angestrengt) Initiative, Enthusiasmus, Interesse. Ausufern, zu viel tun, nicht fertig machen. Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 6

4.4 Antreiber in Organisationen.- zum Beispiel an unserer Schule Wenn Sie ein Gespür entwickelt haben für Ihr Antreiberverhalten, so können Sie Verhaltensänderungen vornehmen. Denken Sie daran, dass Ihre KollegInnen sich an Ihr Verhalten gewöhnt haben und lassen Sie sich Zeit, wenn Sie Ihr Arbeitsverhalten verändern wollen. Es geht um Konsequenz, nicht um Schnelligkeit. In gleichem Maße, wie Menschen Antreiber haben, können auch Unternehmen unter solchen Antreibern stehen. Diese werden häufig vom Unternehmensgründer selbst geprägt, der wie «ein guter Vater» seine Botschaften seinen Nachfolgern hinterlässt. Wenn sich die Umweltsituation im Verlaufe der Jahre oder Jahrzehnte verändert, können solche Gründerbotschaften einem Unternehmen recht zu schaffen machen. Auch Schulen und Lehrpersonen-Teams haben oft gemeinsame Antreiber, welche die Arbeit und das Verhalten der Mitarbeitenden prägen. 4.5 Erlaubnisse - Antreiber entschärfen Sei stark! Streng Dich an! Sei perfekt! Beeil Dich! Mach es allen Recht! Nach Tahibi Kahler, Transaktionsanalytiker Sei offen und drücke deine Wünsche aus! Tu s! Du bist gut genug, so wie du bist! Nimm dir Zeit! Mach es Dir Recht. Hilfreiche Schritte zur Entschärfung der Antreiber: Antreiber und hemmende Bewertungen erkennen Sich und anderen Erlaubnisse geben statt Antreiber wirken zu lassen Hemmende / hinderliche Bewertungen überprüfen und verändern Realistische Erwartungen an sich selbst und die anderen stellen Vorschläge zur Entschärfung von Antreibern nach Julie Hay: Beeil Dich Zerlege Deine Arbeit in Abschnitte, setze Dir Zwischentermine. Höre anderen sorgfältig zu, bis sie zu Ende geredet haben. Lerne eine Entspannungstechnik und wende sie regelmäßig an. Sei perfekt Setze Dir realistische Standards für Darstellung und Genauigkeit. Frage dich nach den wirklichen Konsequenzen, wenn Du einen Fehler findest. Hebe hervor, dass bestimmte Fehler bei anderen nicht so schlimm sind. Sei gefällig Frage andere direkt, statt Dir den Kopf darüber zu zerbrechen, was sie möglicherweise wollen. Tue etwas für Dich, was Dir gefällt, und bitte andere Menschen um das, was Du möchtest. Beginne anderen mitzuteilen, wenn sie sich irren. Sei stark Entwickle einen Aufgaben- und Zeitplan, so dass du Deine Arbeitsbelastung steuern kannst. Frage andere um Hilfe. Plane Mußezeiten, die Du richtig genießen kannst. Streng Dich an Höre auf, Dich freiwillig zu melden für bestimmte Aufgaben. Wenn Du eine Arbeit beginnst, plane sie so, dass Du sie auch beendest; und dann bleibe dabei, diese Arbeit auch wirklich zu beenden. Frage genau, was Du erledigen sollst und tue auch nur das, was von Dir Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 7

(Nach Julie Hay) erwartet wird Fragen zur Entschärfung von Antreibern (Kälin / Müri 1995): Inwieweit ist ein Antreiber heute noch gerechtfertigt? Inwieweit verzerrt ein Antreiber meine Wahrnehmung der gegenwärtigen Situation? Was würde geschehen, wenn ich einen Antreiber in sämtlichen Situationen ernst nähme? Was würde geschehen, wenn ich einen starken Antreiber noch übertreiben würde? Was würde passieren, wenn ich einen Antreiber vollends über Bord werfen würde? Welche Vor- und Nachteile bringt die Befolgung eines Antreibers für mich heute? Welche Vor- und Nachteile bringt die rigorose Befolgung des Antreibers in der gegenwärtigen Situation? Welche Vor- und Nachteile bringt eine bedingte Einhaltung des Antreibers, und welches müssten die Bedingungen sein? 5 Hemmende Denkmuster Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 8

Aus: Kompetenzzentrum Ressourcen +, FHNW. Persönliches Stress- und Ressourcenmanagement Einblicke Aus: Urs-Peter Lattmann. Persönliches Stress- und Ressourcenmanagement Einblicke. www.drlattmann.ch Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 9

6 Die Balance halten Die Balance halten und zu Ruhe und Gelassenheit finden Genügend Bewegung Raus gehen, in der Natur sein Genügend Schlaf Genügend trinken Ausgewogene Ernährung Zeit für Freundschaften und Beziehungen Zeit für mich und meine Bedürfnisse Ein konkreter Schritt für meine eigene Balance 7 Literaturhinweise und Links Urs Peter Lattmann, Jürg Rüedi Stress- und Selbstmanagement Ressourcen fördern. Schriftenreihe Lehrerbildung Sentimatt Luzern Bildung Sauerländer, Oberentfelden / Aarau 2003 Urs Peter Lattmann Persönliches Stress- und Ressourcenmanagement - Einblicke Kompetenzzentrum Ressourcen+, FHNW (vergriffen) Download: http://www.schulklima-instrumente.com/stress.php oder http: www.drlattmann.ch http://www.stressnostress.ch Rudolf Kretschmann, Hrsg. Stressmanagement für Lehrerinnen und Lehrer. Trainingsbuch mit Kopiervorlagen, Beltz Verlag, 2000 Meyer, Thomas (1994) Anwendung der Transaktionsanalyse (TA) Theorie und Praxis in der Schule. Verlag LCH Buch vergriffen. Download des Buchers kapitelweise möglich unter: http://www.dsgta.ch/139d376.html Online-Version des Antreiber-Fragebogens http://www.poeschel.net/zeit/antreiber.php Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 10

8 Anhang: Test Antreiber - Selbsteinschätzung Online-Version: http://www.poeschel.net/zeit/antreiber.php Es reicht nicht aus, Antreiber an Wortfloskeln oder Gesten festzumachen. Wichtiger ist, ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Atmosphäre durch ein Antreiberverhalten im Miteinander entsteht. Trotzdem können bestimmte Verhaltensweisen einen ersten Hinweis auf die Dynamik von Antreibern geben. Beantworten Sie die Fragen (nach Karl Kälin und Peter Müri Kälin/Müri: Sich und andere führen, 2000) bitte so ehrlich und spontan wie möglich. 8.1 Selbsteinschätzung Bewerten Sie anhand der Skala, in welchem Maße die Aussagen auf Sie zutreffen: Trifft gar nicht auf mich zu 01. Wenn ich eine Arbeit mache, dann mache ich Sie gründlich. 02. Ich fühle mich verantwortlich, dass diejenigen, die mit mir zu tun haben, sich wohl fühlen. 03. Ich bin ständig auf Trab. 04. Anderen gegenüber zeige ich meine Schwächen nicht gern. 05. Wenn ich raste, roste ich. 06. Häufig brauche ich Sätze wie: Es ist schwierig, etwas so genau zu sagen. 07. Ich sage oft mehr, als eigentlich nötig ist. 08. Ich habe Mühe, Leute zu akzeptieren, die nicht genau sind. 09. Es fällt mir schwer, Gefühle zu zeigen. 10. Nur nicht locker lassen ist meine Devise. 11. Wenn ich eine Meinung äußere, begründe ich sie auch. 12. Wenn ich einen Wunsch habe, erfülle ich ihn mir schnell. 13. Ich liefere einen Bericht erst ab, wenn ich ihn mehrere Male überarbeitet habe. 14. Leute, die herumtrödeln, regen mich auf. 15. Es ist mir wichtig, von den anderen akzeptiert zu werden. 16. Ich habe eine harte Schale, aber einen weichen Kern. 17. Ich versuche oft herauszufinden, was andere von mir erwarten, um mich danach zu richten. 18. Leute, die unbekümmert in den Tag hineinleben, kann ich nur schwer verstehen. 19. Bei Diskussionen unterbreche ich die anderen oft. 20. Ich löse meine Probleme selber. 21. Aufgaben erledige ich möglichst rasch. 22. Im Umgang mit anderen bin ich auf Distanz bedacht. Trifft völlig auf mich zu Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 11

23. Ich sollte viele Aufgaben noch besser erledigen. 24. Ich kümmere mich persönlich auch um nebensächliche Dinge. 25. Erfolge fallen nicht vom Himmel, ich muss sie hart erarbeiten. 26. Für dumme Fehler habe ich kein Verständnis. 27. Ich schätze es, wenn andere auf meine Fragen rasch und bündig antworten. 28. Es ist mir wichtig, von den anderen zu erfahren, ob ich meine Sache gut gemacht habe. 29. Wenn ich eine Aufgabe einmal begonnen habe, führe ich sie auch zu Ende. 30. Ich stelle meine Wünsche und Bedürfnisse zugunsten derjenigen anderer Personen zurück. 31. Ich bin anderen gegenüber oft hart, um von ihnen nicht verletzt zu werden. 32. Ich trommle oft ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch. 33. Beim Erklären von Sachverhalten verwende ich gerne eine klare Aufzählung 34. Ich glaube, dass die meisten Dinge nicht so einfach sind, wie viele meinen. 35. Es ist mir unangenehm, andere Leute zu kritisieren. 36. Bei Diskussionen nicke ich häufig mit dem Kopf. 37. Ich strenge mich an, meine Ziele zu erreichen. 38. Mein Gesichtsausdruck ist eher ernst. 39. Ich bin nervös. 40. So schnell kann mich nichts erschüttern. 41. Meine Probleme gehen die anderen nichts an. 42. Ich sage oft: Macht mal vorwärts. 43. Ich sage oft: genau exakt klar logisch. 44. Ich sage oft: Das verstehe ich nicht. 45. Ich sage eher: Können Sie es nicht einmal versuchen als Versuchen Sie es einmal. 46. Ich bin diplomatisch. 47. Ich versuche, die an mich gestellten Erwartungen zu übertreffen. 48. Beim Telefonieren bearbeite ich oft noch etwas anderes. 49. Auf die Zähne beißen, heißt die Devise. 50. Trotz enormer Anstrengung will mir vieles einfach nicht gelingen. Auswertung siehe nächste Seite! Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 12

8.2 Auswertung Test Antreiberverhalten Übertragen Sie Ihre Zahlenwerte für jede Fragenummer in folgende Tabelle. Zählen Sie die Zahlenwerte für jeden Antreiber zusammen. Sei perfekt! Beeil Dich Streng Dich Mach es allen Sei stark! an! recht! 1 3 5 2 4 8 12 6 7 9 11 14 10 15 16 13 19 18 17 20 23 21 25 28 22 24 27 29 30 26 33 32 34 35 31 38 39 37 36 40 43 42 44 45 41 47 48 50 46 49 Summe Summe Summe Summe Summe Tragen Sie nun die Ausprägungen der einzelnen Antreiber im nachstehenden Diagramm ein: Sei perfekt! Beeil Dich Streng Dich an! Mach es allen recht! Sei stark! 10 15 20 25 30 35 40 45 50 förderlich Möglicherweise leistungsbeeinträchtigend Möglicherweise gesundheitsgefährdend Auswertung: bis 30 Punkte: förderlich ab 30 Punkte: mögliche Leistungsbeeinträchtigung ab 40 Punkte: möglicherweise gesundheitsgefährdend Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 13

9 Arbeitsblatt innere Stressoren Beschreiben Sie in Stichworten eine Situation, die Sie in letzter Zeit belastet oder gestresst hat: (oder in der Sie ein Schule beraten) Antreiber: welche sind wirksam? (Ankreuzen) Sei stark! Streng Dich an! Sei perfekt! Beeil Dich! Mach es allen Recht! Antreiber auf Ebene Schule / Team Erlaubnisse, die ich mir gebe Erlaubnisse, die wir uns als Team geben Hemmende negative Bewertung / Muster Flexible, hilfreiche Bewertung / Gedanken Kohärenzsinn: Ist die Situation für mich: verstehbar? Was kann ich tun, damit die Situation für mich verstehbar wird bewältigbar? bewältigbar wird sinnhaft? sinnhaft wird. Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 14

Beppo der Strassenkehrer Er fuhr jeden Morgen lange vor Tagesanbruch mit seinem alten, quietschenden Fahrrad in die Stadt zu einem grossen Gebäude. Dort wartete er in einem Hof zusammen mit seinen Kollegen, bis man ihm einen Besen und einen Karren gab und ihm eine bestimmte Strasse zuwies, die er kehren sollte. Beppo liebte diese Stunden vor Tagesanbruch, wenn die Stadt noch schlief. Und er tat seine Arbeit gern und gründlich. Er wusste, es war eine sehr notwendige Arbeit. Wenn er so die Strassen kehrte, tat er es langsam, aber stetig: Bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich. Schritt - Atemzug Besenstrich. Schritt - Atemzug Besenstrich. Dazwischen blieb er manchmal ein Weilchen stehen und blickte nachdenklich vor sich hin. Und dann ging es wieder weiter - Schritt - Atemzug Besenstrich - -. Während er sich so dahinbewegte, vor sich die schmutzige Strasse und hinter sich die saubere, kamen ihm oft grosse Gedanken. Aber es waren Gedanken ohne Worte, Gedanken, die sich so schwer mitteilen liessen wie ein bestimmter Duft, an den man sich nur eben noch erinnert, oder wie eine Farbe, von der man geträumt hat. Nach der Arbeit, wenn er bei Momo sass, erklärte er ihr seine grossen Gedanken. Und da sie auf ihre besondere Art zuhörte, löste sich seine Zunge und er fand die richtigen Worte. Siehst Du, Momo sagte er dann zum Beispiel, es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Strasse vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang das kann man niemals schaffen, denkt man. Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 15

Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort: Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz ausser Puste und kann nicht mehr. Und die Strasse liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen. Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: Man darf nie an die ganze Strasse auf einmal denken, verstehst Du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten. Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: Dann macht es Freude, das ist wichtig, dann macht man eine Sache gut. Und so soll es sein. Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Strasse gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie und man ist nicht ausser Puste. Aus: Momo, Michael Ende, 1973 Handout Workshop Innere Stressoren überwinden Bürgisser PHZ Luzern 16