Olaf Stuve & Katharina Debus. Die sind eben so... Rassismus und Klasse als Kulminationspunkte geschlechtsbezogener Vorurteile

Ähnliche Dokumente
Von der Angst, das eigene Geschlecht verboten zu bekommen

Intersektionale fallbezogene Pädagogik. Eine Stunde (wiederholbar)

Auf dem Weg zur geschlechterreflektierten Ganztagsschule. Workshop: Mädchen sind anders, Jungen auch

Brauchen Jungen Männer? Symposium Nr. 19 Jungenarbeit und Gender

Pädagog_innen in der Arbeit mit Jungen und Jungenarbeit

Ankündigung der Trans Tagung. in Leichter Sprache. Transtagung Berlin TransInterQueer e.v. Glogauerstrasse Berlin Telefon:

Jeder ist anders verschieden. Pädagogik der Diversität

Übungen - Für das Deutsche Sprachdiplom der KMK

Migrant + Männlich = Gewalttätig? Mythen, Erkenntnisse und Konsequenzen für die Gewaltprävention

Zum pädagogischen Umgang mit Gleichheit und Differenz

I. BEWERTUNG DER KOMMUNIKATIVEN KOMPETENZ (30 Punkte) Lesen Sie den Text und lösen Sie die folgenden Aufgaben:

Emanzipatorische Arbeit mit Jungen* und Mädchen* im Kontext von Identität und Ehre. Salzburg, , Selim Ȃsar

keineswegs um leere Floskeln, vielmehr wird in den meisten der 7. Dabei handelt es sich in den Konzepten der Bildungsprogramme

Migrationspädagogik Grundzüge eines erziehungswissenschaftlichen Konzepts

6. Wirtschaftswissen: Kenntnis Aktie und Rendite Viele wissen, was eine Aktie ist, wenige jedoch, was man unter Rendite versteht.

Kinder und Jugendliche Fans von Hörbüchern? Eine Untersuchung im Rahmen des Leseförderungsprojektes Ohr liest mit 2006

Uni ohne Vorurteile Diskriminierungswahrnehmung und erfahrungen an der Universität Bielefeld Eindrücke der Studierenden

Typisch Mädchen - Typisch Jungs!

QUEERE UND INTERSEKTIONALE PERSPEKTIVEN IN DER PÄDAGOGIK DR. INES POHLKAMP, GENDERINSTITUT BREMEN

Schulerfolg von Kindern mit Migrationshintergrund in Erlangen

Constanze Schwärzer Anti-Bias und Interkulturelles Lernen Was ist Anti-Bias? Anti-Bias. Voreingenommenheit Einseitigkeit Schieflage

Potentiale querschnittlichen biografischen Arbeitens. Praxiserfahrungen und Gedanken aus der Mädchenarbeit.

Migration und Integration als Herausforderung in Europa: Wie gehen wir in unseren Schulen damit um?

Gender und Diversity im Gesundheitsmanagement

Schülerfeedback gestalten

Herzlich Willkommen!

Buchbare Fortbildungen zur interkulturellen Kompetenz und Beratung

1. Spaß an eigenen Geldangelegenheiten Sechs von zehn Befragten haben Spaß daran, sich um die eigenen Geldangelegenheiten zu kümmern.

Bildung Individualisierung der Bildungsbiografie. Tagung Entsicherte Kindheit Erfurt,

Workshop 1 Zwischen: Du kannst mir gar nichts sagen und Lehrerinnen sind viel netter - Frauen in der Arbeit mit Jungen

Vielfalt begegnen ein Haus für alle Kinder. Begegnungen und Erfahrungen mit Vielfalt reflektieren

Ich sehe was, was Du nicht siehst

Institutionen an die Schülerschaft anpassen und nicht umgekehrt! Claudia Schanz Niedersächsisches Kultusministerium Hamburg,

Gleiche Chancen. Immer. Leichte Sprache. Themenjahr gegen Rassismus

Appendix: questionnaire youth and Internet

Mädchenarbeit in der Migrationsgesellschaft. Dipl.-Päd. Güler Arapi

BAGE-BUNDESTAGUNG MEERMÄNNER IN KITAS HANNOVER Das Projekt wird gefördert von:

Albert Kehrer, Manuela Möller KOPF Stormarn, Bargetheide, Was hat Gender mit Politik zu tun?

Schritt für Schritt zur Interkulturellen Schulentwicklung

Katalog für In-House-Schulungen in Schulen.

Bildung(miss)erfolge von Jungen und männlichen Jugendlichen

Grußwort. der Ministerin für Schule und Weiterbildung. des Landes Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann

Mission: Gleichberechtigung der Geschlechter. Fach: Lernziele: Vorbereitung:

Migrationsgesellschaftliche Differenz am Übergang Schule-Beruf

Sichtbares Zeichen der Parallelwelten: Konzentration von Zuwanderern in bestimmten Teilen der Stadt

Feedback-Kultur als Strategie der Veränderung Erfahrungsbericht aus dem Fontane-Gymnasium, Rangsdorf!

Schule der Vielfalt Schule ohne Homophobie Kurzpräsentation zum Projekt

Österreich. Schülerfragebogen. Projektzentrum für Vergleichende Bildungsforschung Universität Salzburg Akademiestr.

Fatma Ceri Die Bildungsbenachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund

1 / 12 ICH UND DIE FREMDSPRACHEN. Fragebogen für die Schülerinnen und Schüler der 5. Klasse (Luxemburg) Februar - März 2007

Statistik 2014: Förderschülerinnen und -schüler

NEUIGKEITEN AUS DEM GOETHE- INSTITUT TORONTO ULRIKE KUGLER GOETHE-INSTITUT TORONTO

EINE VIELFALT AN INFORMATIONEN...

Soziale Ungleichheit im österreichischen Schulsystem

Allgemeinbildende Schule und nonformale Lernwelten im Schulalter - Befunde und Problemlagen

Modul 22: Sozialraum und Gemeinwesen in interkulturellen Handlungsfeldern Seminar: Zwischen Partizipation und Diskriminierung - Migration und

Geschlechterreflektierte Arbeit mit Jungen an der Schule

Forum 2: Herausforderung Integration. Dr. Fiona Brunk 5. Wolfsburger Bildungskonferenz, 30. November 2016

Perspektiven muslimischer Eltern auf Bildung und Schule wahrnehmen Elternbeteiligung stärken

Wege zu einer geschlechtergerechten Schule. Dr. Jürgen Budde Prof. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland Januar 2008

Unterschiedliche Milieus als Ausgangspunkt für Schule

Welche Rolle(n) hast Du?

Diskussionsrunden über Ethik und Demokratie im Jugendtreff und in Jugendgruppen zur Förderung der Integration

Doing gender von Lehrpersonen (FRÜHE) KINDHEIT UND DIFFERENZ JÄGER CÉLINE

JUGENDLICHE MIGRANTINNEN

Die folgenden Leitfragen sollen Ihnen bei Ihrer Spurensuche dabei helfen:

Befragung der Angehörigen von Jugendlichen mit Epilepsie

Gendersensible Burschenarbeit

Lehrveranstaltungen zum Modul re 2-28 Pädagogik und Person: Themenfelder Seelsorge in der Schule, Geschlecht und Schule

Vielfalt macht uns stark:

Unterschiede, die einen Unterschied machen Intersektionalität: Überschneidungen und Wechselwirkungen von Benachteiligungen

Systemisches Coaching. Systemisches Coaching. Interkulturelle Kompetenz und Diversity. Kurs 2017/2018. Kurs 2017/ /03.03.

Praxissituationen entgeschlechtlichen und entkulturalisieren

Kindergarten steht drauf- Vielfalt ist drin! KULTURSENSIBEL UND MEHRSPRACHIG IM ALLTAG

Rahel El-Maawi. Gender Heute! Wege zur Verbreitung geschlechtergerechter Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Atelier Nr. 5

Relationale Verantwortung

Qualitätsleitbild der Realschule Balingen. Präambel: Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.

Ethnische und soziale Segregation in Schule und Nachbarschaft in Berlin

Erstellung einer Hausarbeit

Schulalltag: Wahrnehmungen und Erfahrungen von Eltern und Lehrern.

Genderkompetenz was ist dies und was bedeutet für die Arbeit des Career Center Tagung des Women`s Career Center am

Rauchen bei Erwachsenen

Interkulturelle Kompetenz für Bildungspatenschaften Christa Müller-Neumann

Einige Ergebnisse einer Schülerbefragung zur Berufsorientierung

Migrationshintergrund vs. Chancenlosigkeit = Kausalzusammenhang? Fachtag: Bildungsgerechtigkeit herstellen aber wie? Heidelberg,

Praxissituationen entgeschlechtlichen

Dr. Frank Gesemann Zum Stand der kommunalen Integrations- und Diversitätspolitik in Deutschland

Anhang: Fragebogen und Auswertung der Evaluation Kerstin Muth

POWER UP der Aufklärungs- Fortbildungsbereich von PLUS e.v. PLUS. Psychologische Lesben-und Schwulenberatung Rhein-Neckar

Erkenntnisse aus den qualitativen Erhebungen zum Stand der Prävention sexualisierter Gewalt an Schulen im Rahmen des UBSKM-Monitoring

Migrantinnen gründen Unternehmen. Beratungspraxis für Gründerinnen mit Migrationshintergrund zwischen Wunsch und Wirklichkeit

I. Begrüßung Liedzitat

Verwendung des städtischen Zuschusses (Gender-Budgeting im Zuschusswesen) Online-Fagebogen

Walderholung mit Migrationshintergrund?

Die Schulklasse als aktives System des Sozialraums

Befragungs-Ergebnisse: Unsere Erfahrungen und Bedürfnisse als Interessen-Vertreter und Interessen-Vertreterinnen für Menschen mit Lernschwierigkeiten

Protokoll des ersten Interkulturellen-Miteinander-Forums vom im SZ I. Thema: Gemeinsam besser leben in der neuen Heimat

Entschieden verschieden Diversitätsmanagement in Theorie und Praxis

Tagung Elternarbeit und Integration

Transkript:

& Katharina Debus Die sind eben so... Rassismus und Klasse als Kulminationspunkte geschlechtsbezogener Vorurteile Fachtag Geschlechterreflektierte Arbeit mit Jungen in Schule und Jugendarbeit Konzepte Erfahrungen Perspektiven Glienicke, 01.06.2012 DISSENS e.v., 01.06.2012

1. Beispiele a: Die sind halt so Zwei Beispiele von engagierten Lehrkräften mit Bewusstsein für soziale Ungleichheit und Diskriminierung, die in einem großstädtischen Raum mit hohem Anteil an Schüler_innen mit türkischen und arabischen Migrationshintergründen unterrichten: Ein Hauptschullehrer merkt bei einer Einheit zu Intersektionalität anhand der Themen Rassismus und Klasse bei der Besprechung einer Sequenz des Films Billy Elliot I can dance an, seine Schüler (die Jungen) könnten so was nicht verstehen, das sei zu komplex. Er könne ihnen nur Bollywood-Filme zeigen, wo von Anfang bis Ende klar sei, wer gut und wer böse sei. Homosexualität ginge sowieso gar nicht. Eine Lehrerin einer Integrierten Gesamtschule: Und jetzt hier ist der Druck natürlich in so nem Viertel mit Migrationshintergrund hunderttausend mal mehr. [ ] Da sind die Rollenmodelle viel festgebackener. [ ] Zum großen Teil sagen die Mütter, wenn man mal ein bisschen hintenrum fragt, ist ganz klar, die Kinder brauchen zu Hause nicht aufzuräumen. [ ] Deswegen hat s mich so gewundert, was die teilweise [in einer Gesprächsrunde zum Haushaltsengagement d.a.] gesagt haben. [ ] Wir reden hier von bildungsfernen Schichten zum größten Teil, da machen die Mütter alles.

2. Erste Schlussfolgerungen Ein intersektionales Herangehen in den Fortbildungen ist nötig, um bestimmte geschlechtsbezogene Vorannahmen überhaupt zu erfassen und dann mit ihnen arbeiten zu können. Häufig sind geschlechtsbezogene Vorurteile verhältnismäßig gering(er) ausgeprägt bzgl. mehrheitsdeutscher Mittelschichts-Kids und werden so schnell unsichtbar. Sie beziehen sich verstärkt auf Kinder der sog. Unterschicht bzw. solche, die als nicht deutsch gelesen werden. Falle: soziale und kulturelle Unterschiede mitdenken wollen und dabei essentialisierenden Bildern aufzusitzen. Problem: Zuschreibungen anstatt Analysefolie Stattdessen: Dialog und Beziehungsarbeit

3. Beispiel b: Wie kann ich den von seinen Männlichkeitsanforderungen entlasten? Eine Lehrerin bringt während eines Fortbildungsmoduls die Frage ein, wie sie einen Schüler von seinen Männlichkeitsanforderungen entlasten könne, der sehr rechthaberisch sei und nie einsehen könne, wann er Unrecht habe. Dies sei sicherlich sehr anstrengend nicht nur für sein Umfeld sondern auch für ihn. Sie würde ihn gerne unterstützen, davon loszulassen. Nach einer beispielhaften Situation befragt, beschreibt sie, dass in der Klasse eine Aussage über die Nicht-Integration von Einwander_innen türkischer bzw. arabischer Herkunft diskutiert werden sollte, die der Junge rassistisch fand. Sie beschreibt nun, dass der Junge, der selbst einen türkischen Hintergrund hat, während der ganzen Stunde darauf beharrte, diese Aussage sei rassistisch, obwohl die anderen Schüler_innen ihr teilweise rechtgaben mit Äußerungen wie Wir sind doch auch manchmal wirklich so. In der Fallbeschreibung und der Frage der Lehrerin an den Fall ist Rassismus oder Diskriminierung kein Thema. Sie konzentriert sich auf das Anliegen, wie sie den Jungen von der Männlichkeitsanforderung der Rechthaberei entlasten könne.

4. Zweite Schlussfolgerungen In diesem Fall verstellt der Fokus auf Geschlecht die Wahrnehmung des Einflussfaktors Rassismus Gender Only Perspektive als Problem Der Junge nutzt hier Männlichkeit als Ressource der Widerständigkeit gegen eine rassistische Zumutung Zum Verständnis der Situation ist ein intersektionaler Blick notwendig, der auf Wissen zu Geschlecht wie zu Rassismus zurückgreifen kann Verwischte Grenzen zwischen traditionell männlichen Verhaltensweisen und Widerständigkeit, Durchsetzungsvermögen und Interessenvertretung sowie zwischen traditionell weiblichen Verhaltensweisen und Anpassung, Unterwerfung und Assimilation Frage der Perspektive, wann ein Verhalten als das eine oder andere gedeutet wird

5. Zwischenfazit: Dramatisierung Ausblendung Dramatisierung: Hauptschüler und Migranten (und auch Migrantinnen) Ausblendung: Rassismus, soziale Ungleichheiten und Selektivität des Schulsystems Individualisierung der Probleme Verwechslung zwischen Symptomatik und Problem Wenig Denken in Verhältnissen

6. Beispiel c: Wir versuchen zu verheimlichen, wer Kind von Hartz IV Empfängern ist. In der Pause spricht ein Teilnehmer Olaf nach einer Einheit, in der sie methodisch zur Thematisierung von sozialer Ungleichheit gearbeitet haben an und sagt, dass es an seiner Schule unmöglich sei, sowas zu bearbeiten. Er ist Ko-Rektor an einem Gymnasium in einer Stadt in einem sonst eher ländlichen Gebiet. Sie würden umgekehrt sogar versuchen zu verheimlichen, wenn Familien von Schüler_innen Transferleistungen, z.b. ALG 2, beziehen würden. Es müsste befürchtet werden, dass andere Eltern sich dafür einsetzen würden, dass ihre Kinder nicht mit Kindern aus Hartz 4 Familien in eine Klasse gehen sollten, da sie einen Leistungsabfall befürchten würden.

7. Dritte Schlussfolgerungen Versuch, die Schüler_innen zu schützen, ohne etwas an den Verhältnissen zu ändern Eingeschränkte Handlungsspielräume, etwas an den Verhältnissen ändern zu können Normalitätskonstruktionen und fiktionen gehen auf Kosten derer, die die schwierigsten Ausgangsvoraussetzungen haben

8. Konsequenzen für Pädagogik und Fortbildung Gemeinsam mit Pädagog_innen ihre Möglichkeitsräume ausloten, doch an Verhältnissen Dinge zu ändern anstatt nur bei den jeweils diskriminierten Personengruppen anzusetzen Pädagogisch auch als privilegierte Person klare Standpunkte beziehen und Verhältnisse beim Namen nennen Geschlechtsbezogene Pädagogik muss intersektional ansetzen, um den jeweiligen Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden und sie mit ihren Themen ernst zu nehmen => Dialog und Beziehungsarbeit Geschlecht nicht gegen andere Themen auszuspielen ethnisierte und klassisierte geschlechtsbezogene Vorannahmen sichtbar werden zu lassen

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! DISSENS e.v., 01.06.2012