Zentralprojektion im virtuellen Raum eine Einführung mit Cabri 3D

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Heinz Schumann Zentralprojektion im virtuellen Raum eine Einführung mit Cabri 3D 1. Einleitung Traditionelle Aufgabe der darstellenden Geometrie ist die Entwicklung und Anwendung zweckgebundener Abbildungsverfahren des Raumes auf die Ebene. Neben dem Informationsverlust, den die Verebnung räumlicher Konfigurationen mit sich bringt, konkurrieren zwei wesentliche Forderungen: die Anschaulichkeit und die Maßtreue der betreffende Abbildungen. Die Anschaulichkeit kann man so beschreiben: ein Betrachter der Abbildung der räumlichen Konfiguration soll deutlich erkennen, was sie räumlich darstellt. Während von einer maßtreuen Abbildung auf Kosten der Anschaulichkeit die wahren Abmessungen bzw. Maßverhältnisse abgelesen werden können. Abbildungsverfahren wie die der Zentralprojektion (auch Zentralperspektive genannt), die das einäugige Sehen, das Fotografieren und den von einer punktförmigen Lichtquelle, z. B. einer Glühbirne, hervorgerufenen Schattenwurf modellieren, vermitteln einen anschaulichen Raumeindruck. Aus den zentralprojektiven Abbildungen sind aber im allgemeinen nur auf komplizierte Weise die wahren Maße der abgebildeten räumlichen Objekte rekonstruierbar. Die Kugel kann beispielsweise auf die Ebene durch stereografische Projektion, die eine besondere Zentralprojektion ist, nur winkeltreu abgebildet werden. Aus parallelprojetiven Abbildern lassen sich auf einfache Weise die (maßstäblichen) Abmessungen der räumlichen Objekte ermitteln. Die Anwendung der Zentralprojektion ist das Metier von Künstlern, Grafikern und Architekten. Parallelprojektive Bilder finden bei vielen Produktplanungen, -herstellungen und -darstellungen Verwendung. Im folgenden nutzen wir die durch das computergrafische Werkzeug Cabri 3D in der Version 1.0 gegebenen interaktiven Möglichkeiten der raumgeometrischen Konstruktion, Visualisierung und Variation (vgl. Schumann 2005a/d), um auf neue Weise in die Zentralprojektion einzuführen. Im Gegensatz zur bisherigen zweidimensionalen Behandlung der Zentralprojektion können wir im virtuellen Raum sowohl die abzubildenden räumlichen Objekte als auch ihre zentralprojektiven Abbilder konstruieren. Wir arbeiten dabei in einer natürlichen Zentralprojektion des systeminternen dreidimensionalen geometrischen Raummodells auf die Bildschirmebene und entwickeln in dieser Art des virtuellen Raumes, der entsprechende räumliche Wahrnehmungsqualität hat, die Zentralprojektion als Abbildungsverfahren. Um in die Zentralprojektion einzuführen, benutzen wir also die im System implementierte Zentralprojektion. So können wir auch die anderen unter der Oberfläche des Systems versteckten Methoden der Darstellenden Geometrie, die optional verwendet werden können, verstehen lernen. 2. Zentralprojektion im virtuellen Raum Im folgenden skizzieren wir einen Einführungskurs in die Zentralprojektion, in dem wir nur relativ einfache geometrische Kenntnisse voraussetzen und den Sachverhalt durch entsprechende Abbildungen illustrieren. 2.1 Zur Begriffsbildung der Zentralprojektion Die Objekte einer Ebene (Originalebene) können auf eine zweite Ebene (Bildebene), die mit der ersteren eine Gerade (Achse) gemein hat, wie folgt abgebildet werden (Abb. 1): Der Durchstoßpunkt der Verbindungsgeraden durch einen festgewählten

26 Punkt Z (Zentrum), der nicht in beiden Ebenen liegt, und dem Originalpunkt mit der Bildebene ist der Bildpunkt. Die Abbildung bildet die Originalebene auf die Bildebene umkehrbar eindeutig ab. Eine solche Abbildung ist die Zentralprojektion der Originalebene auf die Bildebene. Sie ist geradentreu und lässt das Doppelverhältnis: DV(P, Q, R, S) = ( PR : PS ) : ( QR : QS ) invariant. Die Achse ist Fixpunktgerade. Solche Abbildungen werden auch perspektive Kollineationen (perspektive geradentreue Abbildungen) genannt. Die Bilder von Kegelschnitten sind Kegelschnitte und umgekehrt, haben Kegelschnitte als Originale wiederum Kegelschnitte (Kegelschnittstreue der Abbildung). Falls die Bildebene und die Originalebene parallel sind, so liegt eine zentrische Streckung mit dem Zentrum Z vor. Wandert das Zentrum Z etwa lotrecht zur Bildebeben in s Unendliche, d. h. Z wird zu einem unendlich fernen Punkt, so geht die Zentralprojektion in eine Parallelprojektion beider Ebenen aufeinander über. Abb. 1 Erweitert man den Definitionsbereich der Abbildung auf den Raum, so erhalten wir eine Zentralprojektion des Raumes auf eine Ebene (Abb. 2). Alle dreidimensionalen Objekte haben zweidimensionale Bilder; entsprechend ist der Informationsverlust! Derartige Abbildungen dreidimensionaler Objekte sind uns auch als Schattenbilder aus dem Alltag bekannt, die modellhaft durch eine punktförmige Lichtquelle Z erzeugt werden (Abb. 3, Schattenbild eines Kantenwürfels; wenn die Position von Z variiert wird, so verändert sich auch der Schatten; die Standebene ist zugleich die Bildebene). Die Abbildung 4 zeigt das Schattenbild eines Würfel-Flächenmodells. Bei der Konstruktion des Schatten und der unbeleuchteten Seitenflächen sind bei Variation der Lage von Z entsprechende Fallunterscheidungen zu treffen.

27 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Bezüglich eines auf einer Grundebene stehenden Objekts, hier eines stilisiertes Haus mit Satteldach, kann das Zentrum Z zusammen mit der Bildebene beliebig bewegt werden; die Bildebene ist dabei Tangentialebene an eine Kugel, die das Objekt umschließt (Abb. 5, mit Durchstoßpunkten der Sehstrahlen in der schrffierten Bildebene für die Konstruktion des zentralprojektiven Bildes). Variiert man die Position von Z bzw. die der Bildebene, so verändert sich das zentralperspektive Bild (Abb. 6-8 mit transparenter Bildebene). Man könnte auch so konstruieren, dass das Zentrum und die Bildebene fest bleibt und das Objekt mit einer es umschließenden Kugel beliebig bewegt wird, indem man die Kugel entsprechend rotiert. Das kommt einer Simulation des Virtual Sphere Device gleich.

28 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 In der Geschichte der Zentralprojektion wurde aber die Lagebeziehung von Standebene, Bildebene und Zentrum zur sogenannten Malerperspektive kanonisiert, wie wir der skizzenhaften Kopie eines Stichs von Albrecht Dürer entnehmen (Abb. 9, ein Glastafelverfahren von Dürer: Der Zeichner der Kanne, Dresdner Skizzenbuch 1525): Die Bildebene steht senkrecht auf der nicht eingezeichneten Gegenstandsebene. Ein Bildpunkt P des Objekts wird quasi als Durchstoßpunkt auf der Glastafel markiert, indem der Zeichner den Originalpunkt mittels einer gespannten Schnur anpeilt, die im Zentrum Z befestigt ist. Abb. 9

29 Abb. 10 In Abbildung 10 sind die heute üblichen Bezeichnungen des zentralprojektiven Abbildungsapparates zu sehen. Die Bildebene steht senkrecht zur Standebene und schneidet diese in der Achse a. Die parallele Ebene durch Z zur Bildebene ist die sog. Verschwindungsebene; ihre Punkte haben keine Bildpunkte. Die Schnittgerade der Verschwindungsebene mit der Gegenstandsebene ist die Verschwindungsgerade v. Das Lot vom Zentrum Z auf die Bildebene hat als Fußpunkt den Hauptpunkt H. Die Parallele zur Achse a durch H ist der Horizont h. Die Fußpunkte der Lote von H und Z sind H 0 und Z 0. Der Lotabstand des Zentrums bzw. Augpunkts, von der Bildebene ist die Aughöhe; ihre Größe entscheidet, ob der Gegenstand bezüglich des Horizonts mehr von oben oder mehr von unten gesehen wird. Der Abstand des Zentrums Z von der Bildebene, die Distanz, regelt die Größe des planaren Bildes. Die Blickrichtung auf das abzubildende Objekt kann durch seitliche Lageänderungen von Z variiert werden. Anmerkung: Das Sehen ist normalerweise zweiäugig (binokular); erst durch die Kombination der beiden zentralprojektiven Netzhautbilder entsteht das visuelle Abbild eines Objekts. Indem wir den zentralprojektiven Apparat durch einen zweiten Augpunkt ergänzen (Abb. 11, abzubildendes Objekt: Würfel mit dualem Oktaeder hinter der durchsichtigen Bildebene), können wir sozusagen simulativ zweiäugige zentralperspektive Bilder gewinnen (Abb. 12).

30 Abb. 11 Abb. 12 2.2 Parameter der Zentralprojektion Wir zeigen nun, wie sich die Variation der Größe der Parameter Aughöhe, Blickrichtung und Distanz auf die visuelle Wahrnehmung des zentralperspektiven Bildes eines Objekts auswirkt. Da das aktive Gesichtsfeld vom Augpunkt Z aus nicht beliebig groß ist, konstruieren wir noch einen Sichtkegel, der an der Spitze Z den empirisch belegten Öffnungswinkel von 60 hat. Objekte bzw. Teilobjekte innerhalb des entsprechenden Sichtkreises auf der Bildebene werden von Z aus auf einen Blick erfasst (Abb. 13). Abb. 13 In Abbildung 14 ist das Objekt in Vogelperspektive zu sehen, der Horizont h liegt o- berhalb des Objekts; man blickt auf das Objekt von vorn oben.

31 Abb. 14 In Abbildung 15 erscheint das Objekt sogenannter Normalprojektion ; der Horizont h liegt mittig zum Objekt, dessen Bild innerhalb des Sichtkreises liegt. Abb. 15 Die Abbildung 16 zeigt eine Froschperspektive; man blickt von vorn unten nach oben auf das Objekt, welches vor dem Betrachter aufragt. Abb. 16 Die Abbildung 17 zeigt das Objekt in Blickrichtung von links, Abbildung 18 mehr mit Blickrichtung von der Mitte aus usw.

32 Abb. 17 Abb. 18 Schließlich variieren wir die Distanz. Verringern wir die Distanz, so wird das Bild bzw. der Sichtkreis immer kleiner (Abb. 19); vergrößern wir die Distanz, so wird das Bild bzw. der Sichtkreis größer (Abb. 20). Abb. 19

33 Abb. 20 2.3 Zentralprojektives Abbilden einfacher Objekte Wir beginnen mit dem Abbilden von Geraden. Zuerst sollen Lotgeraden der Standebene abgebildet werden (Abb. 21). Die Lotgeraden sind parallel zur Bildebene, deshalb schneiden die Ebenen, jeweils gebildet aus Lotgerade und dem Zentrum Z, die Bildebene in parallelen Geraden, die die betreffenden Bildgeraden sind. Die Bildgeraden stehen auch senkrecht auf der Standebene und somit senkrecht auf der Achse. Abb. 21 Generell gilt für Geraden, die parallel zur Bildebene verlaufen, dass ihre Bildgeraden zu ihnen parallel sind (Abb. 22).

34 Abb. 22 Betrachten wir nun eine Gerade g, die nicht parallel zur Bildgeraden liegt und nicht durch Z geht (Abb. 23). Sie schneidet die Bildebene im Durchstoßpunkt D, der zugleich Bild- und Originalpunkt ist. Die Bildgerade g erhält man als Verbindungsgerade von D mit einem Bildpunkt P eines von D verschiedenen Geradenpunktes P. Wir verziehen nun auf der Geraden g den auf ihr beweglichen Punkt P. P geht in den Punkt F über, wenn P zum unendlich fernen Punkt der Geraden flüchtet ; die Gerade durch Z und P geht dabei in die Parallele zu g durch Z über. F heißt Fluchtpunkt der Geraden g; die Parallele zu g durch Z wird Fluchtgerade (f) der Geraden g genannt. F ist der Durchstoßpunkt der Fluchtgeraden f von g mit der Bildebene. Da F auf g liegt, kann man die Bildgerade auch aus D und F konstruieren. Alle Punkte der Fluchtgeraden werden auf ihren Durchstoßpunkt mit der Bildebene abgebildet; das gilt natürlich auch für alle durch Z verlaufenden Geraden. Abb. 23

35 Alle einander parallelen Geraden, die die Bildebene schneiden, haben dieselbe Fluchtgerade, denn es gibt nur eine Parallele zu ihnen durch Z (Abb. 24). Ihre Bildgeraden gehen durch den gemeinsamen Fluchtpunkt. Insbesondere haben die Lotgeraden auf die Bildebene dieselbe Fluchtgerade, die mit der Geraden durch den Hauptpunkt H und Z zusammenfällt; ihre Bildgeraden gehen durch H (Abb. 25). Abb. 24 Abb. 25 Die Fluchtgeraden zweier einander schneidender Originalgeraden schließen den selben Winkel des Maßes α ein, wie ihre zugehörige Fluchtgeraden, denn jede Fluchtgerade ist parallel zu ihrer Originalgeraden und die Winkelgleichheit folgt mit Stufenwinkelsatz an Parallelen (Abb. 26). Bildet man zum Beispiel ein Rechteck zentralprojektiv ab, so liegt Z auf dem Thaleskreis um den Mittelpunkt von F 1 F 2, wobei F 1, F 2 die Fluchtpunkte der im rechten

36 Winkel stehenden Trägergeraden der Rechteckseiten sind. Der Thaleskreis liegt in der zur Rechteckebene parallelen Ebene durch Z (Abb. 27). Abb. 26 Abb. 27 Einen Kreis bildet man ab, indem sein Sichtkegel mit der Bildebene geschnitten wird (Abb. 28). Die Schnittfigur ist ein Kegelschnitt. Liegt der Kreis nicht parallel zur Bildebene so geht der Kreismittelpunkt nicht in den Mittelpunkt des Kegelschnitts über. Das Bild eines Kreises ist eine Ellipse bzw. eine Parabel bzw. eine Hyperbel, falls der Originalkreis die Verschwindungsgerade meidet bzw. berührt bzw. schneidet. Interessant sind Umkehraufgaben, die bei gegebenem Bildobjekt nach dem (den) Originalobjekt(en) fragen. Beispielsweise: Wie muss ein Objekt (z. B. ein Buchstabe oder ein Verkehrszeichen auf die Originalebene (z. B. Straße) aufgezeichnet werden, damit man es auch gut erkennen kann. (Abb. 29).

37 Abb. 28 Abb. 29 2.4 Ein-, Zwei- und Drei-Fluchtpunktperspektive Die Bedeutung dieser klassischen Fluchtpunktperspektiven liegt in ihrer Anwendung zur einfachen Konstruktion von zentralprojektiven Bildern räumlicher Objekte. Wir erläutern sie am Beispiel des Würfels. Ein-Fluchtpunktperspektive: Liegen zwei der drei einen Würfel erzeugenden Kanten parallel zur Bildebene, so gehen die Fluchtgerade der dritten Bildkanten durch den Hauptpunkt H; dieser Punkt ist ihr Fluchtpunkt. (Abb. 30, Ein-Fluchtpunktperspektive eines Würfels in besonderer Lage).

38 Abb. 30 Zwei-Fluchtpunktperspektive: Hier ist nur noch eine der drei erzeugenden Würfelkante parallel zur Bildebene. Die Fluchtgeraden, die zu den restlichen Bildkanten gehören, schneiden einander in zwei Fluchtpunkten (Abb. 31, Zwei-Fluchtpunktperspektive eines Würfels in besonderer Lage). Abb. 31 Drei-Fluchtpunktperspektive: Liegen keine der den Würfel erzeugenden Kanten mehr parallel zur Bildebene, so treffen sich die Bildgeraden der Würfelkanten in drei Fluchtpunkten (Abb. 32 mit transparenter Bildebene).

39 Abb. 32 Da in jeder Würfelecke die Kanten im rechten Winkel stehen, so stehen auch ihre Fluchtgeraden in Z im rechten Winkel (Abb. 33, ZF 1, ZF 2, ZF 3 stehen paarweise senkrecht). Im Rechtwinkeltetraeder ZF 1 F 2 F 3 gilt für seine Seitenflächen: ZF 1 F 2 F 3 ²= ZF 1 F 2 ² + ZF 2 F 3 ² + Z F 3 F 2 ² (räumlicher Verallgemeinerung des Pythagoras-Satzes). Außerdem ist der Hauptpunkt H Höhenschnittpunkt im Dreieck F 1 F 2 F 3 und ZH ist Höhe in diesem Rechtwinkeltetraeder. Abb. 33

40 2.5 Anwendungsbeispiele In den folgenden Beispielen, die nicht über die Darstellung in Drei-Fluchtpunktperspektive hinausgehen, ist jeweils zuerst das abzubildende Objekt in der Gegenstandsebene konstruiert worden. Bei der Beschreibung der Beispiele meinen wir mit Ansicht von vorn, wenn wir den Abbildungsapparat von Z aus betrachten; eine Betrachtung von der Gegenseite wird mit Ansicht von hinten beschrieben. Die Abbildung 34 zeigt ein Portal, dessen Dach von zwei quadratischen Säulen getragen wird. Das ein-fluchtpunktperspektive Bild bietet eine Ansicht in Normalperspektive (Abb. 35). In Abbildung 36 ist das abzubildende Objekt durch eine gefüllte Bildebene verdeckt worden, um sein perspektives Bild besser betrachten zu können. Abb. 34 Abb. 35

41 Abb. 36 Ein quaderförmiger Innenraum ist in Abbildung 37 konstruiert; sein zentralperspektives Bild zeigt die Abbildung 38. Abb. 37

42 Abb. 38 Das abzubildende Objekt in Abbildung 39, ein achteckiges Prisma mit aufgesetzter Pyramide, ist dem Baptisterium in Florenz nachempfunden. Die Abbildung 40 zeigt ein zwei-fluchtpunktperspektives Bild wie bei Brunelleschi (Florentinischer Baumeister des 15. Jahrhunderts). Die zwei-fluchtpunktperspektive Ansicht einer Wand mit Fenster und parallelperspektivem Schattenwurf ist in Abbildung 41 (Ansicht von hinten) und in Abbildung 42 (Ansicht von vorn) zu sehen. Abb. 39

43 Abb. 40 Abb. 41 Abb. 42

44 Beim Fotografieren eines Objekts, z. B. eines Turms von unten, entsteht oft ein drei-fluchtpunktperspektives Bild. Beim Anvisieren durch den Kamerasucher liegt der Augpunkt in der Linse des Betrachterauges und die Bildebene ist die Ebene des Suchers. Die Bildebene steht dann nicht mehr senkrecht auf der Standebene des Objekts und es kommt je nach Neigung der Bildebene zu mehr oder weniger perspektiv verzerrten Darstellungen (Abb. 43/44). Abb. 43 Abb. 44 2.6 Verebnung der Zentralprojektion Wir klären jetzt die Schnittstelle zwischen der Konstruktion zentralprojektiver Bilder im virtuellen Raum und der Konstruktion solcher Bilder in der Zeichenebene. Durch Eindrehen bzw. Umklappen der Bildebene zusammen mit dem Zentrum in die Gegenstandsebene gewinnen wir aus der räumlichen Konstruktion eine Konstruktion in der Ebene. Räumlich erhalten wir die Bilder von Punkten als Durchstoßpunkte des Sehstrahls mit der Bildebene (Abb. 45). Man kann aber auch die Bildpunkte folgendermaßen konstruieren: Fällt man vom Originalpunkt das Lot auf die Bildebene so liegt der Bildpunkt auch auf Bildgeraden dieses Lotes, die durch H geht (vgl. Abschnitt 2.3). Der Sehstrahl zum Originalpunkt schneidet also die Bildgerade in seinem Bildpunkt. Dreht man nun die Bildebene zusammen mit dem Gelenkviereck ZHH 0 Z 0 in die Standebene (Abb. 46, das Rechteck ZHH 0 Z 0 wird zu einem Parallelogramm), so ergibt sich die entsprechende Konstruktion von zentralperspektiven Bildpunkten in der Ebene (Abb. 47).

45 Abb. 45 Abb. 46 Abb. 47

46 Jetzt können sich die üblichen planaren Konstruktionsverfahren der Zentralprojektion anschließen (vgl. u. a. Graf/Barner 1964). Die zentralprojektiv in der Zeichenebene darzustellenden räumlichen Objekte müssen dabei in maßtreuen parallelprojektiven Darstellungen verfügbar sein. 3 Schlußbemerkungen 3.2 Das Printmedium kann die Möglichkeiten der interaktiven Visualisierung und Variation nicht adäquat wiedergeben. Durch die Gestaltung des einführenden Kurses als ein Online-Dokument mit voll funktionsfähigen Applets, ist sein dynamischer Informationsgehalt besser vermittelbar. Ideal wäre eine Online-Gestaltung, bei der auch das konstruktive Werkzeug Cabri 3D im selben Dokument verfügbar wären. Zur Zeit müssen Kurs und Computerwerkzeug noch parallel in zwei Fenstern benutzt werden. 3.3 Die Frage, ob und in welchem Umfang die herkömmlichen zentralprojektiven Abbildungsverfahren noch behandelt werden sollen, wird hier nicht diskutiert. Wir betrachten die in diesem Beitrag skizzierten phänomenologische Einführung als ein Minimalprogramm, um mit dem Thema vertraut zu werden.u. E. sollte die interaktive Behandlung der Zentralprojektion im virtuellen Raum im Rahmen eines fächerübergreifenden bzw. anwendungsorientierten Geometrieunterrichts wegen ihrer Bedeutung für die anschauliche Darstellung des Raumes einen angemessenen Platz beanspruchen. 3.4 Cabri 3D ermöglicht im Vergleich mit bisherigen Raumgeometrie-Werkzeugen einen verbesserten Zugang zur synthetischen Raumgeometrie. Nicht nur die Darstellende Geometrie sondern auch die folgenden traditionellen raumgeometrischen Themen erfahren eine neue adäquate Behandlung bzw. Bewertung im Kontext des Geometrie-Unterrichts: - Körpergeometrie, insbesondere die Geometrie der Polyeder (z. B. der Platonischen Körper und ihrer Derivate) - Konzept und Lagebeziehungen geometrischer Objekte (z. B. von Punkten, Geraden, Ebenen) - Räumliche Konstruktionsaufgaben (z. B. mit Ebenenlineal und Kugelzirkel oder mit räumlichen Kongruenzabbildungen) - Räumliche Analogisierung von Begriffen und Sätzen der ebenen Geometrie (z. B. die Analogisierung der Dreiecksgeometrie zur Tetraedergeometrie) - Räumliche Behandlung der Kegelschnitte (z. B. als zentralprojektive Kreisbilder) - Kugelgeometrie (z. B. Kreisvieleck-Lehre) - anwendungsorientierte Modellierung. 4. Literatur Bainville, E., Laborde, J.-M. (2004): Cabri 3D 1.0. (Software). Grenoble: Cabrilog. Deutsche Version (Bearbeitung von H. Schumann) zu beziehen von www.cotec.de Edgerton, S. Y. (2002): Die Entdeckung der Perspektive. München: Wilhelm Fink Graf, U. (1961): Darstellende Geometrie. Bearbeitet von M. Barner. Heidelberg: Quelle & Meyer Schumann, H. (2004): Entdeckung von Analogien mit Cabri 3D am Beispiel Dreieck Tetraeder. In: math. did. 27 (2004) Bd. 1, S. 82-99 Schumann, H. (2005 a): Dynamische Raumgeometrie. In: Beiträge zum Mathematikunterricht 2005. Hildesheim: Franzbecker

47 Schumann, H. (2005b): Interaktives geometrisches Modellieren im virtuellen Raum mit Cabri 3D. In: LOG IN Informatische Bildung und Computer in der Schule, Heft 133, S. 55-61 Schumann, H. (2005c): Dynamische Einführung der Kegelschnitte. Materialien Mathematik M 70. Stuttgart: Landesinstitut für Schulentwicklung Schumann, H. (2005d): Interaktives geometrisches Konstruieren im virtuellen Raum mit Cabri 3D. Erscheint in: LOG IN Informatische Bildung und Computer in der Schule, Heft 136/137