Heparin-induzierte Thrombozytopenie. Vorlesung im Modul 3.4. Erkrankungen des Blutes

Ähnliche Dokumente
Heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) Typ II Genese, Diagnostik, Aussagekraft

Diagnostik und Patienten management bei HIT

Heparininduzierte. Thrombozytopenie (auch

Vorlesung Hämostaseologie WS 2015/16

Neue Therapieoptionen der oralen Antikoagulation. Inselspital Bern

Thrombozytopenie in der Schwangerschaft. Robert Klamroth Klinische Hämostaseologie Vivantes-Zentrum für Gefäßmedizin Klinikum im Friedrichshain

Thrombopenie auf der Intensivstation. Prof. Dr. Jörg Beyer Vivantes Klinikum Am Urban, Berlin

Milenia QuickLine HIT. Labordiagnostischer HIT Ausschluss einfach und schnell

Thromboseprophylaxe bei Thrombozytopenie: Wie geht das? Sirak Petros Interdisziplinäre Internistische Intensivmedizin Zentrum für Hämostaseologie

Die venöse Thromboembolie als Todesursache

ANDREAS TIEDE ZENTRUM INNERE MEDIZIN KLINIK FÜR HÄMATOLOGIE, HÄMOSTASEOLOGIE, ONKOLOGIE UND STAMMZELLTRANSPLANTATION

10 Hämostaseologie, Antikoagulation und Hämatologie. Bei begleitender tiefer Thrombose Kap

b 23 Labor bericht Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT) Stand: J u n i 2 013

Pathophysiologie, Epidemiologie, Diagnose und Behandlung von Heparin-Induzierter Thrombocytopenie (HIT)

Heparin-induzierte Thrombozytopenie Typ II bei Patienten der internistischen Intensivstation

Tumorkonferenz der Niedergelassenen Onkologen für Niedergelassene. 8. April Thrombozytenbedingte Blutungsneigung und Therapiemöglichkeiten


INAUGURAL- DISSERTATION. zur Erlangung des Doktorgrades. Dr. med. (doctor medicinae)

HÄMOSTASE. Pharmakologie Zahnmedizin X, J. Donnerer, A. Heinemann, Primäre Hämostase. Sekundäre Hämostase (Blutgerinnung)

Allgemeine Produktbeschreibung Spezifisches IgE

Praktikum Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin. Prof. Dr. med. Hermann Eichler Institut für Klinische Hämostaseologie und Transfusionsmedizin

Hämostaseologie. Gerinnung für Zahnmediziner. Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik. Dr. med. Günther Kappert

griff bereit Jörg Fuchs 2. Auflage Gefäßchirurgie Manual für die Praxis Mit einem Geleitwort von Giovanni Torsello

Die plasmatische Gerinnung

Antikoagulation und Thrombozytenaggregationshemmung

Die perioperative Thromboseprophylaxe an einer Abteilung für Unfallchirurgie Die tägliche Praxis

Antikoagulation beim betagten Patienten

Antikoagulation in der Intensivdialyse

LABORDIAGNOSTIK BEI HEPARIN-INDUZIERTER THROMBOPENIE Typ 2 (HIT Typ 2)

Westfälische Wilhems-Uni versität Münster. Hauptvorlesung Radiologie. Neuroradiologie II

Antikoagulation und Thromboseprophylaxe bei neurochirurgischen Patienten

synlab MVZ Stuttgart

Die Lungenembolie in der Notfallaufnahme. Oana-Maria Driga

Perioperative Antikoagulation bei Heparin-induzierter Thrombozytopenie Typ II

Therapie mit Thrombozytenkonzentraten. Vorlesung im Modul 3.4. Erkrankungen des Blutes

Antikoagulation bei Heparin induzierter Thrombozytopenie

Originalie. Klinische Symptomatik der HIT II

Hämostase - Blutgerinnung

Vorwort. 2 Epidemiologie Inzidenz Mortalität Prävalenz Prognose 7

Zusatzinformationen Fremdwörter QuickVet

Veränderungen der Gerinnung in der Schwangerschaft Köln Köln/Bonner Symposium Schwangerschaft und Gerinnung

Leistungsverzeichnis LV_SBGR. Antikörper gegen Systemische Sklerose-assoziierte Antigene (Immunoblot)

Update Schlaganfall Was gibt es Neues?

Die Lungenembolie im Jahre Leitlinie und praktische Behandlungsrealität

noak Indikation, Interaktion, Dosierung, Applikation Ulrike Georgi, Zentralapotheke,

Gerinnungsstörungen in der Praxis. Dr. med. E. Bächli

Orgaran enthält Danaparoid-Natrium und gehört zu einer Gruppe von Arzneimitteln, die als Antithrombotika bezeichnet werden.

Heparin-induzierte Thrombopenie (HIT)

Vortrag Berlin Thrombozyten

Antikoagulation im Alter

Mehrfache Gerinnungshemmung bei Vorhofflimmern und KHK - Wie geht man heute vor? Dr. med. D. Enayat

Untersuchungen zum Einfluss von alpha Defensinen. aus neutrophilen Granulozyten auf die. primäre Hämostase

Womit haben wir es eigentlich zu tun?

Seminar SA3 Block 4 Hämostase

42 Antikoagulation von kritisch kranken Patienten

2008, Weihs Wolfgang. Unterbrechung der antikoagulatorischen Therapie. W. Weihs Department für Kardiologie und Intensivmedizin

Immunhistochemische Färbung F Immunfluoreszenz. Vortrag Immunologie am von Christopher Tollrian

Vit-K-Antagonisten, Heparine, Plättchenhemmer rund um die operative Medizin, insbesondere unter dem Aspekt der Dialyseshuntchirurgie

Akute Halbseitenlähmung / akute gekreuzte Symptomatik

Stationäre und ambulante Thromboembolie- Prophylaxe in der Chirurgie und der perioperativen Medizin Leitlinien der Chirurgie

Diagnostik und Therapie der akuten Lungenembolie

HELIOS Kliniken GmbH. Antithrombotische Therapie 2013 Chance und Risiko, ein Überblick. HELIOS William Harvey Klinik Bad Nauheim. Dr.

Faktor-V-Leiden Mutation: Diagnose und Klinik

ANDREAS TIEDE ZENTRUM INNERE MEDIZIN KLINIK FÜR HÄMATOLOGIE, HÄMOSTASEOLOGIE, ONKOLOGIE UND STAMMZELLTRANSPLANTATION

Zerebrale Gefäßversorgung

Management der Antikoagulation während des kardiopulmonalen Bypasses bei Patienten mit einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie

Wie kann die Gerinnung korrigiert werden? Jetzt? In Zukunft? D. Tsakiris Bern, 4. November 2016

Ein Gerinnungskonzept auf dem Bierdeckel

Heparin I. E. Heumann Creme

Heparin I. E. Heumann Creme

Herzlich willkommen in der Gerinnungssprechstunde! Persönliche Angaben

Der Patient mit Blutungsneigung. Rationale Diagnostik und Management. K. Severin

Praktikum Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin Teil VI Hämostaseologie

Heparin ist seit Jahrzehnten als

Heparin ist seit Jahrzehnten als

Mit Hilfe: i Thromboseanamnese i Thrombophilen Risikofaktoren

Akute hämolytische TR. Schmerzen in der Nierengegend Hypotonie Übelkeit, Erbrechen RR-Abfall Blutiger Urin (auch bei Schock) Nierenversagen Schock

Blutgruppenkompatibilitäten im AB0-System

Update Antikoagulation

3 Die Thrombozyten Historisches Morphologie Aktivatoren Die Granula der Thrombozyten... 15

Themenheft. Gerinnung

Genetik, Klinik und Behandlung des von Willebrand-Jürgens-Syndroms

Intensivkurs Pneumologie 17. Juni 2016 Bonn Lungenembolie - Praktisches Assessment, Guidelines, Therapien

Klinfor 2011 Klinische Fortbildungstage St. Gallen

Thrombose. Nina Dressler

Lungenembolie. Lungenembolien sind häufig. Sie kommen bei ein bis zwei Prozent aller Patienten vor, die im Krankenhaus behandelt werden.

Natürliche Autoantikörper Pathologische Autoantikörper

Block 11 Seminar Pharmakologie Pharmakotherapie Blutgerinnung

Orale Antikoagulation bei Herzklappen. Oliver Reuthebuch Klinik für Herzchirurgie Universitätsspital Basel

Dieses Dokument ist ausschließlich medizinischem Fachpersonal vorbehalten

Immunoassays

INRswiss Tag INR. Neue orale Antikoagulanzien. Wasser Fluch oder Segen? Fluch oder Segen? Es kommt darauf an! 54.j. Mann. 54.j. Mann. 54.j.

INRswiss Tag. Antikoagulation Medikamente und Nebenwirkungen Welches Medikament für Wen?

PF4 Enhanced Test GEBRAUCHSANLEITUNG INHALTSVERZEICHNIS

Grundlagen und aktueller Erkenntnisstand zur klinischen Anwendung. Lepirudin for therapeutic use in heparin-induced thrombocytopenia

Fallbeispiele aus der Praxis

Periinterventioneller Antikoagulanzienwechsel. 4. Albertinen Kolloquium, Hamburg, April 2006

Pädiatrische Hämostaseologie. U. Nowak-Göttl und Mitarbeiter: A. Krümpel & D. Manner D. Kunkel (Patientenmanager)

Transkript:

Heparin-induzierte Thrombozytopenie Vorlesung im Modul 3.4 Erkrankungen des Blutes

Patientin, 40 Jahre; In Anamnese TVT rechts und Phlebitis bds. Thrombozyten [x10 3 /µl] 700 600 500 400 300 200 100 Lyse Heparin 0 Tag 5 10 15 20 25 Thrombose V. jugularis li Thrombose V. axillaris li Verschluß A. cerebri media li TVT re & Lungenembolie

Heparin-induzierte Thrombozytopenie -Themen - Erscheinungsformen & Pathogenese - Klinik Symptome Differentialdiagnose Häufigkeit des Auftretens - Labor Thrombozytenverlauf Nachweismethoden 1. Antikörpernachweis 2. Funktioneller Nachweis - Therapie

Heparin-induzierte Thrombozytopenie - Einteilung Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT) = Heparin-assoziierte Thrombozytopenie (HAT) Typ I: Nichtimmunologische, heparinassoziierte Thrombozytopenie Heparinbindung an Thrombozyten führt zu Thrombozytenaktivierung (ohne Antikörperbildung) -> vorübergehende Thrombozytopenie (bis 100.000/µl) ohne Thrombose, nur in Einzelfällen ist (je nach Grunderkrankung) Thrombozytenabfall deutlich ausgeprägter Ausschlußdiagnose, in der Regel keine Therapie notwendig

Heparin-induzierte Thrombozytopenie - Pathogenese Typ II: Immunologische, heparininduzierte Thrombozytopenie - Heparin bindet an Plättchenfaktor 4 -> Komplexbildung und Exposition dieses Komplexes als Krypt- bzw. Autoantigen - Bildung von Antikörpern innerhalb von 5-10 Tagen nach Ersttherapie mit Heparin bzw. auch < 5 Tagen bei Re-exposition (wenn letzte Heparingabe innerhalb der letzten 100 Tage) - Antikörper binden an Antigenkomplex und Immunkomplexe auf der Thrombozytenoberfläche (Bindung an Fc RIIa - Rezeptor) -> Auslösung einer Thrombozytenaktivierung, (Ausschüttung Inhaltsstoffe, Bildung Mikropartikel), Gerinnungsaktivierung und Thrombingenerierung -> Thrombosebildung unter Thrombozytenverbrauch

Entwicklung von Anti-PF-4/Heparinkomplex-Antikörpern 1. Ruhender Thrombozyt 2. Applikation von Heparin / Bildung von PF-4/Heparinkomplexen 3. Bildung von Antikörpern, die an Fc RIIa-Rezeptor binden 4. Aktivierung der Thrombozyten durch Antikörper Legende Heparinmolekül Plättchenfaktor 4 HIT-Antikörper Fc IIa-Rezeptor 5. Freisetzung PF-4 Generierung von Thrombin Gerinnungsaktivierung...

Heparin-induzierte Thrombozytopenie - Klinik - Thrombozytenabfall um > 50 % des höchsten Wertes (bei ca. 10 % der Patienten auf unter 20.000 / µl) - Thromboseentwichklung / Embolie bzw. -folgen: Tiefe Beinvenenthrombose Lungenembolie Hirnvenenthrombose Arterielle Gefäßverschlüsse Extremitätengangrän Nebennierenrindeninfarkt und (sekundäre) -einblutung - Hautnekrosen (Einstichstellen Heparin) - Akute systemische Reaktion möglich - Normalerweise keine Blutung

Heparin-induzierte Thrombozytopenie - Differentialdiagnose - Autoimmunthrombozytopenie - Medikamenteninduzierte Thrombozytopenie - Verbrauchskoagulopathie - Posttransfusionelle Purpura diese Krankheitsbilder meist mit Blutung! - Thrombozytopenie anderer Ursache (z.b. durch Aktivierung) - Thrombose anderer Ursache - Akuter Lungenembolie anderer Ursache - Antiphospholipidsyndrom

Heparin-induzierte Thrombozytopenie - Häufigkeit Labor / Klinik [% der Patienten] - Antikörper positiv unter Heparin (intern-chirurg.) 3-50 - In funktionellen Tests positiv 1-20 - Thrombozytopenie: 0,5-5 - Thrombosegeschehen: 0,25-3 - Bei isoliertem Antikörpernachweis: Absetzen Heparin nicht nötig, aber bei zusätzlicher Thrombozytopenie (sonst Thrombose in 50 %) - Chirurgische Patienten > internistische - nach unfraktioniertem Heparin > niedermolekularem Heparin

Heparin-induzierte Thrombozytopenie - Labor (I) Antikörpernachweis (HPIA = Heparin-PF-4-induced aggregation) - Testprinzip EIA: In beschichtete Mikrotiterplatte (PF-4-Heparin-/ bzw. Polyvinyl-Sulfanat-Komplex) Zugabe von Patientenserum. Anschließend Zugabe von (mit alkalischer Phosphatase markiertem) Anti-Human Ig(G+A+M), welches ggf. an haftendem Antikörper bindet. Nach Auswaschen Auslösung und Abstoppen einer enzymatischen Farbreaktion, welche photometrisch ausgewertet wird -> Extinktionsänderung bei vorliegendem Antikörper - Problem: Erfaßt nur Antikörper mit PF-4-Anteil (ca. 90 %) Hoher Anteil positiver Ergebnisse ohne klin. Relevanz

Heparin-induzierte Thrombozytopenie - Labor (II) Funktionsassay (HIPA = Heparin induced platelet activation) - Testprinzip: Inkubation Spenderthrombozyten mit Heparin, einmal in physiologischer und in extrem hoher (x500) Konzentration unter Zugabe des Patientenserums - Bei HIT-Antikörpern aggregieren Thrombozyten an beigefügten Metallkugeln unter physiologischer Heparinkonzentration (nicht unter hoher Konzentration!), der Versuchsansatz klärt sich auf. - Bei negativem Ergebnis bleiben Thrombozyten in Lösung, der Versuchsansatz bleibt trüb

Auswertung des HIPA 1. Negativkontrolle ohne Heparin 2. Positivkontrolle Zusatz Kollagen 3. Heparin (0,2 IU/ml) Physiologische Heparinkonzentration 4. Heparin (100 IU/ml) 500-fach erhöhte Heparinkonzentration Beurteilung: negativ positiv

Heparin-induzierte Thrombozytopenie - Therapie I 1. Bei Verdacht Absetzen des Heparins 2. Umsetzen der Antikoagulation auf a) Danaparoid-Natrium (z.b. Orgaran) - Steuerung über Anti-Xa-Aktivität - Kreuzreaktionen im HIT-Testung 7-50 %, in Einzelfällen klinisch relevant b) Hirudin (Desirudin / Lepirudin [Refluxan]) - Rekombinanter direkte Thrombininhibitor, i.v. - Steuerung über aptt (Ziel 1,5-2,5-fache Norm) - Bildung Anti-Hirudin-Antikörpern in bis zu 50 % (Cave, z.t. untypische aptt-verlängerung)

Heparin-induzierte Thrombozytopenie - Therapie (II) 3. Weitere Maßnahmen nach Klinik erwägen - ggf. Thrombolyse (regional / systemisch), Thrombektomie - i.v. IgG (Rezeptorblockade), ASS (bei Risiko arterieller Thrombose) - Plasmaaustausch - Cave: Heparinanteil in Faktoren- / Antithrombinkonzentraten! 4. Langfristige Therapie - Nach akuter Phase Umstellung der parenteraler Antikoagulation auf Vitamin-K-Antagonisten (z.b. Marcumar). Cave: Induktion eine passageren Portein-C-Mangels bei voller Funktion prokoagulatorischer Faktoren, daher muß bei Therapiebeginn überlappend antikoaguliert werden.

Heparin-induzierte Thrombozytopenie - Zusammenfassung - Typ I: nicht-immunologisch, Thrombozytopenie (bis 100.000/µl) keine Thrombose, Ausschlußdiagnose - Typ II: immunologisch, Antikörper gegen Heparin-PF-4 Komplex Thrombozytopenie (< 50% Ausgangswert), Thrombose(n) - Antikörpernachweis > Thrombozytopenie > Thrombose(n) - Differentialdiagnostisch abgrenzbar gegen Thrombozytopenien verschiedener Ursache, die meist mit Blutungsneigung einhergehen - Bei Verdacht sofortiges Absetzen des Heparins und Umsetzen auf Orgaran oder Hirudin unabhängig von Labordiagnostik

Deutsches Ärzteblatt: Archiv Heft 34 Seite A2220, 2003