Die Verschuldungskrise und die Zukunft Europas *

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Transkript:

Die Verschuldungskrise und die Zukunft Europas * Reinhold Bocklet, MdL 1. Vizepräsident des Bayerischen Landtags Staatsminister a.d. Als der Vertrag von Lissabon als jüngste vertragliche und verfassungsrechtliche Grundlage der Europäischen Union am 1. Dezember 2009 nach einem mehrjährigen Tauziehen in Kraft trat, waren trotz der zwischenzeitlich ausgebrochenen Internationalen Finanzkrise und der virulent werdenden Verschuldungskrise einiger Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Hoffnungen noch groß, dass damit eine neue Phase der Entwicklung des europäischen Vereinigungsprojekts in Gang gesetzt sein würde. Obwohl der Vertrag von Lissabon alle äußeren Anklänge an den gescheiterten Verfassungsvertrag vermeidet, zeigt eine genauere Analyse, dass der Vertrag die Architektur des europäischen Hauses grundlegend verändert hat: Er strebt eine Verbesserung der Effizienz der Arbeit einzelner Institutionen und ihres Zusammenspiels, eine Erhöhung der demokratischen Legitimität der EU sowie höhere Transparenz ihrer Aktivitäten für die EU-Bürger an. Der Kampf um die Eindämmung und Bewältigung der Verschuldungskrise einiger Mitgliedstaaten hat jedoch zwischenzeitlich die politische und institutionelle Entwicklung der Europäischen Union völlig in den Hintergrund gedrängt. Das politische Geschehen in der Europäischen Union wird von einer Vielzahl an Regierungstreffen dominiert, die den einzelnen Maßnahmen zur Beherrschung der Verschuldungskrise gelten. Gleichzeitig verändert die Krisenbewältigung auch den politischen Prozess im Inneren der EU. Die bereits im Lissabon-Vertrag angelegte Stärkung der dominierenden Rolle der nationalen Regierungen im Rahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit des Gipfels der Staats- und Regierungschefs kommt nun im Zusammenhang mit der laufenden Krisenbewältigung voll zum Tragen und verschiebt die Statik der EU weg von der Integration hin zur zwischenstaatlichen Kooperation. Gleichzeitig befördert die Verschuldungskrise die Auseinanderentwicklung zwischen den Mitgliedstaaten, insbesondere zwischen dem Norden und dem Süden, und vergiftet das politische Klima in der EU, so dass die Gespenster der Vergangenheit wieder hervortreten. So ist die Verschuldungskrise zur größten Bewährungsprobe geworden, die Europa seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge im Jahr 1957 zu bestehen hat. Wie konnte es dazu kommen? I. Die Schaffung der Europäischen Währungsunion mit der Gemeinschaftswährung des Euro sollte den Europäischen Binnenmarkt mit seinen vier Freiheiten der Personenfreizügigkeit, der Dienstleistungsfreiheit, des freien Warenverkehrs und des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs ergänzen sowie den Weg in eine politische Union unumkehrbar machen. Mit dem Beitritt zum Euro verliert ein Land zwar seine Souveränität in der Geldpolitik, es bleibt aber nach dem Lissabon-Vertrag souverän in seiner Finanz- und Wirtschaftspolitik. Da der Euro ohne den notwendigen Rahmen einer politischen Union eingeführt wurde, sollten die Kriterien des Maastricht-Vertrages von 1992 sowie der Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1997 für die * Vortrag im Rahmen der Veranstaltung Die Verschuldungskrise und die Zukunft Europas am 7. Mai 2013 in der Gesellschaft des Chinesischen Volkes für Freundschaft mit dem Ausland in Peking. 1

Mitglieder der Euro-Zone den Gleichklang der nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik sicherstellen. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Kriterien: Preisstabilität: Die Inflationsrate darf nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über derjenigen der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen. Finanzlage der öffentlichen Haushalte (Art. 126 AEU-Vertrag): - Der staatliche Schuldenstand darf nicht mehr als 60 % des Bruttoinlandsprodukts betragen. - Das jährliche Haushaltsdefizit darf nicht mehr als 3 % des Bruttoinlandsprodukts betragen. Wechselkursstabilität: Der Staat muss mindestens zwei Jahre lang ohne Abwertung am Wechselkursmechanismus II teilgenommen haben. Dabei darf die Währung des Landes nur in einer bestimmten Wechselkursbandbreite (meist 15 %) vom Eurokurs abweichen; bei größeren Abweichungen muss die Zentralbank des Landes intervenieren. Langfristige Zinssätze: Der Zinssatz langfristiger Staatsanleihen darf nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen. Gelingen kann diese Währungsunion aber nur, wenn sich die einzelnen Volkswirtschaften, vor allem aber die Mitgliedstaaten der Euro-Zone, an die gemeinsam festgelegten Regeln halten. Bedauerlicherweise war es nicht gelungen, den Stabilitäts- und Wachstumspakt unmittelbar in den Maastricht-Vertrag einzufügen und mit automatischen Sanktionen bei Verstößen zu versehen. Zu den Eckpfeilern der Währungsunion gehörten auch die Schaffung einer Europäischen Zentralbank (EZB), die unabhängig und auf die Währungsstabilität verpflichtet ist, die Koordinierung der Wirtschaftspolitik und der Grundsatz des Haftungsausschlusses für Verbindlichkeiten untergeordneter Körperschaften (No bail out). Nicht zuletzt die am Modell der Deutschen Bundesbank ausgerichtete Unabhängigkeit der EZB und das vertragliche No-bail-out-Gebot waren für die deutsche Öffentlichkeit Argumente, die die Zustimmung zur Abschaffung der DM erleichtern sollten. Der Euro hat nach seiner Einführung durch den Wegfall von Wechselkursrisiken und Umtauschgebühren die Kosten für grenzüberschreitende Transaktionen verringert, für einen stabilen Binnen- sowie Außenwert der Währung gesorgt und damit Handel, Arbeitsplätze und Wohlfahrt gefördert. Er hat sich außerdem als zweitwichtigste Währung deutlich nach dem Dollar etabliert und Europas Rolle als Wirtschaftsmacht in der Welt gestärkt. Und er hat sich als genauso stabil wie die DM erwiesen. Nicht zuletzt für Deutschland als größter Volkswirtschaft in der Euro-Zone hat ein stabiler Euro große volkswirtschaftliche aber auch politische Bedeutung. Allerdings ist deutsches Kapital mit der Euro-Einführung wegen des höheren Zinses überdurchschnittlich stark in die Peripheriestaaten abgeflossen, was zur Folge hatte, dass in Deutschland die Gelder für Investitionen fehlten und die deutsche Wirtschaft in diesem Zeitraum das Schlusslicht der Wirtschaftsentwicklung in der Euro-Zone bildete. Der Euro hat aber auch Fehlanreize gesetzt, indem die mit seiner Einführung verbundene deutliche Zinsverbilligung in den sogenannten Peripheriestaaten (z.b. Griechenland, Portugal, Spanien) dazu beitrug, dass sich z.b. Griechenland massiv verschuldete, keinerlei Haushaltsdisziplin übte und die notwendigen Strukturreformen unterließ. 2

Die Mitgliedschaft in der Euro-Zone und das damit verbundene billige Geld hat einige Euroländer dazu verleitet, die Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu vernachlässigen und strukturelle Wettbewerbsnachteile auszublenden. Die Hauptursache für die Verschuldungskrise im Euro- Raum war aber die exzessive Verschuldungspolitik in einigen Euro-Staaten und die anhaltende Missachtung des Stabilitäts- und Wachstumspakts durch die Staaten der Euro-Zone. Dass sich die Volkswirtschaften der Euro-Zone so gefährlich auseinander entwickeln konnten, hängt zum einen mit der leichtfertigen Erwartung zusammen, dass die Einführung des Euro von selbst zu einer Konvergenz der Volkswirtschaften beitragen werde. Zum anderen wurden die geltenden Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts nach Einführung des Euro rund 100-mal verletzt, wobei es in keinem einzigen Fall zu Sanktionen kam. Schädlich für die europäische Stabilitätskultur war insbesondere das Verhalten der beiden größten Euro-Staaten, Deutschland und Frankreich, die in der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts mehrfach verletzt und dafür gesorgt haben, dass der Pakt selbst aufgeweicht wurde. Dieses schlechte Beispiel machte auch bei den kleineren Mitgliedstaaten Schule. Griechenland hat im Übrigen vor und nach dem Beitritt zur Währungsunion die europäischen Behörden über die wahren Zahlen seiner Wirtschaft und über die tatsächliche Entwicklung seines Haushalts getäuscht, so dass es unter falschen Voraussetzungen in die Währungsunion aufgenommen wurde. Weder die Europäische Kommission noch die Mitgliedstaaten sind den Warnungen nachgegangen und haben die Einhaltung der Kriterien durch Griechenland genauer geprüft. Mit dem starken Einbruch der Weltwirtschaft infolge der internationalen Finanzkrise verschärfte sich die Lage in diesen Ländern dramatisch und gefährdete deren Verbleib in der Europa- Zone und die Euro-Zone selbst. II. Nachdem die notwendige, vertraglich vereinbarte Stabilitätspolitik zwischen den Euro- Staaten nicht politisch durchgesetzt werden konnte, erzwangen die Finanzmärkte eine massive Kehrtwende. Die staatliche Verschuldungsdynamik rückte nämlich im Dezember 2009 in den Fokus der Märkte, nachdem Griechenland mit einer Neuverschuldung von 12,7 % des BIP einen stark erhöhten Wert für das Budget 2009 bekanntgegeben hatte. Am 8. Mai 2010 haben die Euro-Länder und der Internationale Währungsfond (IWF) aufgrund eines Hilfegesuchs Griechenlands ein gemeinsames Stützungspaket in Höhe von insgesamt 110 Mrd. Euro als Soforthilfe vereinbart. Griechenland erhielt die Mittelzusage nur im Gegenzug zu einem harten Sanierungsprogramm. Nachdem massive Ansteckungseffekte für Portugal und Irland drohten, einigten sich die EU-Finanzminister am 10. Mai 2011 auf einen Rettungsschirm (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität EFSF) mit einem Gesamtumfang von bis zu 750 Mrd. Euro, der IWF-Zusagen in Höhe von 250 Mrd. Euro enthält und an den sich ab Ende 2012 der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) in Höhe von 700 Mrd. Euro anschloss. Damit war der organisatorische und institutionelle Rahmen für die fiskalische Bewältigung der Verschuldungskrise gesetzt. Zu den wesentlichen Akteuren der weiteren Krisenbewältigung gehören neben dem Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs mit dessen Präsidenten van Rompuy, der Rat der Finanzminister der Euro-Zone, der ESM mit der auslaufenden EFSF, die sogenannte Troika, die bestehend aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF als finanztechnisches Kontrollinstrument die Verhandlungen mit den Schuldnerländern führt, und die EZB. Was als Ad-hoc-Hilfe begonnen hatte, mündete im ESM in eine gewal- 3

tige intergouvernementale Finanzinstitution in Luxemburg. Banken und Versicherungen wurden an den Kosten der Bewältigung der Staatsschuldenkrise Griechenlands und inzwischen auch Zyperns beteiligt. Mit der Erweiterung der Aufgaben des ESM waren auch der Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt und die Möglichkeit von Vorsorgeprogrammen sowie von Darlehen an Regierungen für Finanzinstitute in allen Euro-Ländern verbunden. Nachdem mit dem Beitritt eines Landes zum Euro die Möglichkeit der Abwertung seiner Währung entfällt, muss ein Land seine Wettbewerbsfähigkeit und seine Schuldentragfähigkeit durch interne Maßnahmen wie Anpassung des Preisniveaus, Senkung der Arbeitskosten, Abbau der Verschuldung, Senkung der öffentlichen Ausgaben wiederherstellen, um damit das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen. Darauf zielen vor allem die Auflagen der Troika ab, deren Erfüllung die Voraussetzung für Hilfen aus dem ESM und des IWF ist. Die mit den Auflagen verbundenen massiven Eingriffe in die sozialen Besitzstände der Menschen haben in den betroffenen Staaten zwischenzeitlich zu erheblichen Protesten und zur Abwahl von Regierungen geführt. In den Schuldnerländern besteht inzwischen eine erhebliche Bereitschaft, sich vom Sparkurs schrittweise wieder zu verabschieden. Entscheidend für die Zukunft des Euro ist aber, dass die Einhaltung der von den Euro-Staaten gemeinsam eingegangenen Verpflichtungen konsequenter überwacht und politisch durchgesetzt und dass die Wirtschaftspolitiken der Euro-Staaten besser miteinander abgestimmt werden. Nur mit einer auf Stabilität ausgerichteten Politik in allen Euro-Staaten kann das Vertrauen der Märkte zurück gewonnen werden. Darauf hat seit Beginn der Krise allen voran die Politik der deutschen Bundesregierung Wert gelegt. Auf der Grundlage des Prinzips, dass jeder Mitgliedstaat für seine eigenen Schulden selbst haftet, hat die deutsche Seite die von anderen Mitgliedstaaten geforderte Vergemeinschaftung der Schulden oder die Einführung von Eurobonds kategorisch abgelehnt, weil sie nicht nur dem Grundsatz der finanziellen Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten widersprechen, sondern auch den Reformdruck auf überschuldete Staaten zur Konsolidierung ihrer Finanzen mindern. Diese Haltung, die in den Schuldnerstaaten auf z.t. heftige Kritik stößt, hat aber bisher mit dazu beigetragen, dass in diesen Staaten ein Teil der notwendigen Reformen in Angriff genommen worden ist. Eine besondere Rolle zwischen vertraglichem Auftrag zur Sicherung der Geldwertstabilität und pragmatischem Management der Schuldenkrise spielt die Europäische Zentralbank. Zwar hat das deutsche Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Rettungsschirm ESM festgestellt: Ein Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank, der auf von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten zielte, ist als Umgehung des Verbotes monetärer Haushaltsfinanzierung untersagt. Aber der fundamentale Rollenwechsel der EZB wird deutlich, wenn sie erklärt, dass sie nur dann Anleihen kaufen will, wenn der emitierende Staat wirtschaftspolitische Auflagen des ESM erfüllt, die EZB also ihr Handeln von der politischen Entscheidung der Finanzminister der Euro-Staaten abhängig macht. Im Übrigen kommt die überragende Bedeutung der EZB in der Verschuldungskrise vor allem darin zum Ausdruck, dass hauptsächlich die Aussage des EZB- Präsidenten Mario Draghi, er werde alles tun, um den Euro zu retten, zur Beruhigung der Märkte beigetragen hat. Genau genommen ist es die EZB, die derzeit die Währungsunion zusammenhält. Die EZB hat inzwischen Maßnahmen ergriffen, um Blockaden zu beseitigen, die die Banken daran hinderten, die niedrigen Zinsen an die Kreditnehmer weiterzugeben. Die Banken konnten soviel Liquidität aufnehmen, wie sie brauchten. Und die EZB rief eine Maßnahme ins 4

Leben (OMT s Outright-Geschäfte), um einen Sicherungsmechanismus für den Staatsanleihemarkt bereitzustellen. Im Hinblick auf die mit dieser Politik immer wieder beschworene Inflationsgefahr betont die EZB, dass das Geldmengenwachstum derzeit weit unter einem inflationärem Niveau liege. Trotzdem bleibt die gegenwärtige Politik der EZB eine Gratwanderung zwischen Geld- und Fiskalpolitik. Die vertragliche Aufgabe der EZB ist aber vorrangig die Sicherung der Währungsstabilität. III. Das Grundproblem der bisherigen Rettungsmaßnahmen besteht darin, dass sie keine umfassende Antwort auf die grundlegende Frage bieten, wie das Nebeneinander einer integrierten Geld- und Währungspolitik mit 17 unabhängigen nationalen Haushaltspolitiken und der in nationaler Verantwortung verbliebenen Bankenaufsicht in Zukunft spannungsfrei organisiert werden kann. Es ist unwahrscheinlich, dass die souveränen EU-Mitgliedstaaten Durchgriffsrechte der EU politisch akzeptieren werden. Vor diesem Hintergrund ist auch weiterhin von der nationalen Autonomie und Verantwortlichkeit in der Finanzpolitik, die durch die Finanzmärkte diszipliniert wird, auszugehen. In einem einheitlichen Währungsraum muss jedoch sichergestellt sein, dass die Staatsverschuldung nicht übermäßig hoch ist, weil andernfalls die Geldwertstabilität gefährdet wird. Deshalb muss die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten so koordiniert werden, dass die Verschuldung begrenzt bleibt. Diesem Ziel dienen eine Reihe von Maßnahmen, die inzwischen im Gefolge der Schuldenkrise von den Mitgliedstaaten beschlossen worden sind. Auf europäischer Ebene wurden aus diesem Grund die bestehenden Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts verschärft und mit einem eingeschränkten Automatismus bei der Verhängung von Sanktionen versehen. Er bleibt auf der Ebene des Ministerrates angesiedelt. Auf der nationalen Ebene sieht der Fiskalpakt der Euro- Länder die Einrichtung nationaler Schuldenbremsen vor. Zwar erhöht dies die Verbindlichkeit der Regel, andererseits bleibt aber eine eigenständige nationale Wirtschaftspolitik weiterhin möglich. Die Schuldenbremse genügt somit anders als eine übermäßig zentralisierte Wirtschaftsregierung dem Wettbewerbsgedanken und dem Subsidiaritätsprinzip. Den Komplex einer reformierten Fiskalpolitik ergänzen der sogenannte Sixpack, der Euro-Plus-Pakt und der Twopack, die alle dem Ziel einer enger abgestimmten Haushaltspolitik dienen. Es handelt sich dabei um eine stärkere Überwachung der nationalen Haushaltspolitik durch die EU- Kommission, aber um keine Entmachtung der nationalen Parlamente. Um die bisher fehlende Glaubwürdigkeit der No-bail-out-Klausel gegenüber den Finanzmärkten zu stärken, wird aber zusätzlich auch eine staatliche Insolvenzordnung für den Euro-Raum gefordert. Deutlich mehr Eingriffe als der Fiskalpakt beinhaltet der bereits erwähnte ESM. Diese neu geschaffene Institution vergibt ähnlich wie der Internationale Währungsfond (IWF) gegen Auflagen Kredite. Die Reformauflagen sollen nicht nur die Basis für einen Schuldenabbau und ein höheres Wirtschaftswachstum legen, sondern auch das Haftungs- und Sanktionsprinzip wahren: Länder, die ein hohes Schuldenrisiko eingehen, müssen dafür auch geradestehen. Deswegen verlieren Staaten, die die Hilfe des ESM in Anspruch nehmen müssen, ein Stück ihrer nationalen Souveränität. Das kann im betroffenen Land zu Protesten wie in Griechenland oder Portugal führen. Der ESM dürfte auf potentielle Schuldnerländer deutlich abschreckender wirken als die bisherigen Regeln. Dies zeigt das Beispiel Spanien. 5

Die bisherige Entwicklung hat allerdings deutlich gemacht, dass dezentrale Haftung und Kontrolle im fiskalischen Bereich mit mehr Zentralisierung im Finanzmarktbereich im Rahmen einer Vergemeinschaftung der Bankenaufsicht kombiniert werden muss. Auf diesem Feld ist im Binnenmarkt und ergänzend zur Währungsunion ein weiterer Integrationsschritt notwendig. Eine Bankenunion würde mit gemeinsam gestützten Bankenrettungs- und Einlagensicherungsfonds das Haftungsprinzip aushebeln und falsche Anreize setzen. Dagegen wird eine starke zentrale Bankenaufsicht mit Restrukturierungs- und Abwicklungskompetenz wie sie jetzt für die systemischen Banken in der EU geschaffen wird die Gefahr von Fehlentwicklungen minimieren. IV. Der nun vorrangig für die Euro-Staaten auf den Weg gebrachte Ordnungsrahmen der Europäischen Union soll sicherstellen, dass die EU dem Ziel einer Stabilitätsunion in allen ihren Mitgliedstaaten besser als bisher gerecht werden kann. Dazu bedarf es keiner grundlegenden Veränderung des Lissabon-Vertrages, sondern lediglich der Übertragung der Kompetenz zur Einrichtung des ESM, der Vergemeinschaftung der Bankenkaufsicht, einer intensiveren Koordinierung der Wirtschaftspolitik und einer stärkeren Abstimmung der Haushaltspolitik in Richtung Schuldenbremse. Die öffentliche Debatte über die Wege zur Bewältigung der Schuldenkrise hat erheblich zur Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit beigetragen. Die gemeinsame Währung soll Frieden zwischen den Nationen sichern und unseren gemeinsamen Wohlstand fördern, hat kürzlich EZB-Präsident Mario Draghi erklärt. Wer die gegenwärtige öffentliche Debatte in der EU verfolgt, wird zwar ein erheblich breiteres europapolitisches Interesse in den Bevölkerungen feststellen, allerdings wird diese Öffentlichkeit von einem zunehmenden Gegeneinander und von der Wiederkehr der Gespenster der Vergangenheit bestimmt. Die Europäisierung wird hier von einem wachsenden gegenseitigen Missvergnügen begleitet. Manche meinen, dass dies der Augenblick sei, dass die Völker Europas einen qualitativen Schritt hin zu einer politischen Union unternehmen sollten. Gegenwärtig ist dafür bei den Völkern in der EU aber keine Mehrheit zu finden. Das ergaben alle Umfragen. Nach wie vor gilt der Nationalstaat als der erste Hüter des Gemeinwohls und der eigenen Interessen. Bei realistischer Betrachtungsweise geht es aktuell darum, die Stabilitäts- und Wachstumskrise der EU zu überwinden, die die übrigen Politikbereiche im politischen Alltag und in der Wahrnehmung der Menschen überlagert und das internationale Erscheinungsbild der Europäischen Union verdunkelt. Dabei dürfen weder die Gemeinschaftsorgane noch die Mitgliedstaaten in ihren Reformanstrengungen nachlassen. Nur wenn der Euro-Zone die Stabilisierung gelingt, wird auch die Währungsunion Erfolg haben. Deshalb wird es in den nächsten Jahren um eine anhaltende Auseinandersetzung um den Umfang der Stabilisierungsbemühungen und der Sparpolitik sowie um die Notwendigkeit der Wachstumspolitik und die Steigerung der wirtschaftlichen Leistungskraft gehen. Dabei werden der europäische Wohlfahrtsstaat und das europäische Sozialmodell auf dem Prüfstand stehen. Auf der anderen Seite ist die Europäische Union mehr als der Euro. Deshalb gilt es, den Lissabon-Vertrag in allen seinen Teilen mit Leben zu erfüllen und gleichzeitig die Konsolidierung des Erreichten und die Optimierung des Bestehenden voranzutreiben, wozu auch eine kriti- 6

sche Überprüfung des gegenwärtigen Standes der Integration gehört. Im Zusammenhang mit der Bewältigung der Verschuldungskrise wird auch die Stärkung der Regierungen der Mitgliedstaaten und des gouvernementalen Elements der EU beklagt. Nachdem aber eine weitere Übertragung von substantiellen nationalen Kompetenzen auf die EU von der Mehrheit der Menschen abgelehnt wird, bleiben nur die starke Bindung der nationalen Regierungen an ihre Parlamente und Völker, soweit es um deren Handeln auf EU-Ebene geht, die Verstärkung der öffentlichen Debatte unter den Völkern über den weiteren Weg Europas und in Ergänzung dazu die strikte Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, der faire Wettbewerb der Volkswirtschaften und die disziplinierende Kraft der Finanzmärkte. Der wirtschaftliche Erfolg der EU, der auf diesen Grundsätzen aufbaut, wird auch die Strahlkraft der Europäischen Union wieder zum Leuchten bringen. Wer sich den wirtschaftlichen Realitäten stellt und gleichzeitig neben der parlamentarischen Legitimierung der EU vor allem die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten intensiviert, muss nicht von den Vereinigten Staaten von Europa träumen, um die Europäische Union zu einem handlungsfähigen, respektierten Akteur auf der Weltbühne zu machen. 7