Bohrende Gefahr im rohen Fisch!

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Transkript:

FALLBERICHTE 870 Ein ungewöhnliches Souvenir aus Peru Bohrende Gefahr im rohen Fisch! Nadine Hollenstein a, dipl. Ärztin; Dr. med. Mathis Trepp a ; Dr. med. Robert van der Ploeg b ; Dr. med. Andreas Neumayr c,d a Praxis für Allgemeinmedizin, Tropen- und Reisemedizin, Chur; b Praxis für Tropen- u. Reisemedizin, Wetzikon; c Medizinische Dienste, Schweizerisches Tropen- und Public Health Institut, Basel; d Universität Basel, Basel Nadine Hollenstein Hintergrund Wir berichten über eine Patientin, die nach der Rückkehr aus Peru über ein Jahr an rezidivierenden Episoden einer wandernden Rötung und Schwellung im Bereich des rechten Oberschenkels litt. Es zeigte sich das Vorliegen einer seltenen Gewebsparasitose als Ursache. Fallbeschreibung Anamnese Eine 43-jährige in der Schweiz lebende Peruanerin konsultierte ihren Hausarzt einen Monat nach der Rückkehr von einer Reise in Peru wegen einer handtellergrossen Rötung und Weichteilschwellung im Bereich des rechten Oberschenkels. Eine ähnliche Rötung und Schwellung war, begleitet von lokalen Schmerzen, in ähnlicher Lokalisation bereits während des Aufenthaltes in Peru aufgetreten. Die bei Erstmanifestation in Peru veranlasste Arztkonsultation hatte keine Diagnose erbracht und der Befund war symptomatisch mit Analgetika behandelt worden. Im Zuge der Konsultation zeigte sich neben der Effloreszenz am Oberschenkel auch das Vorliegen einer Angina tonsillaris und es erfolgte die Einleitung einer Amoxicillin/Clavulansäure- Therapie (2 875/125 mg/tag) über 10 Tage, unter der sowohl die Angina als auch die Effloreszenz am Oberschenkel abheilte. Einen Monat später kam es zu einem Wiederauftreten der Effloreszenz am Oberschenkel und im Zuge eines dermatologischen Konsiliums erfolgte eine Biopsieentnahme. Eine Ursache der Effloreszenz könnte aus dem histologischen Befund allerdings nicht abgeleitet werden. In der Folge zeigte die Effloreszenz ein über acht Monate monatlich wiederkehrendes selbstlimitierendes Auftreten bei lokal wandernder Lokalisation im Bereich des rechten Oberschenkels. Bei Ferienabwesenheit des Hausarztes wurde durch den Stellvertreter die Verdachtsdiagnose einer Borreliose gestellt und eine Therapie mit Doxycyclin (2 100 mg/tag) über 20 Tage eingeleitet, unter der sich abermals eine vorübergehende Regredienz der Effloreszenz zeigte. Im Verlauf kam es allerdings zu weiteren monatlich wiederkehrenden Episoden des lokal wandernden Weichteilbefundes im Bereich des rechten Oberschenkels. Aufgrund des Erstauftretens der Effloreszenz im Rahmen des vorangegangenen Peru-Aufenthaltes stellte sich die Patientin schliesslich zu einer tropenmedizinischen Abklärung des Befundes vor. Anamnestisch schilderte die Patientin bis auf eine bekannte Rhinitis allergica keinerlei relevanten Vorerkrankungen und verneinte die Einnahme von Medikamenten. Eine über den Lokalbefund hinausgehende Beschwerdesymptomatik bestand im Rahmen des jeweils selbstlimitierenden Auftretens der Effloreszenz nicht. Status Der körperliche Untersuchungsbefund der Patientin zeigte sich im Zuge der wiederholten Konsultationen bis auf die sich lokal wandernd manifestierende, ca. handflächengrosse gerötete Weichteilschwellung im Bereich des rechten Oberschenkels jeweils unauffällig (Abb. 1). Abbildung 1: Wandernde Rötung und Weichteilschwellung im Bereich des rechten Oberschenkels. Befunde Unter den vorliegenden Laboranalysen imponierte eine diskrete Erhöhung des CRP (8 mg/l [Normbereich <5]), eine grenzwertige Erhöhung der Leukozyten (10,3 10 3 /μl [Normbereich 4 10]), eine diskrete Eosino-

FALLBERICHTE 871 Tabelle 1: Humanpathogene Gnathostoma-Arten (adaptiert nach [2]). Gnathostoma spp. Geographische Verbreitung Natürlicher Endwirt G. spinigerum* China, Indien, Japan, Südostasien Katzen und Hunde G. binucleatum* Mexiko, Ekuador, Peru Katzen und Hunde G. doloresi Japan, Südostasien Schweine G. hispidum Mexiko, China, Japan, Korea, Südostasien, Australien Schweine G. malaysiae Japan, Südostasien Ratten G. nipponicum Korea, Japan Wiesel * Die meisten Infektionen des Menschen werden durch G. spinigerum in Asien und G. binucleatum in Lateinamerika verursacht. philie (0,62 10 3 /μl [Normbereich <6%]) und eine Erhöhung des IgE-gesamt (333,0 ku/l [Normbereich <26]). Die übrigen Blutbildparameter sowie die ebenfalls bestimmten Leberfunktionswerte waren normwertig. Der histologische Befund des im Rahmen des dermatologischen Konsiliums veranlassten Hautbiopsie erbrachte histologisch eine leichtgradige epidermale Hyperplasie mit Hyperorthokeratose und superfizieller perivaskulärer und interstitieller gemischtzelliger Dermatitis mit zahlreichen eosinophilen Granulozyten. Eine aufgrund der von der Patientin geschilderten Rhinitis allergica veranlasste allergologische Testung zeigte den Nachweis einer Sensibilisierung auf diverse Gräser, Bäume, Tierhaare sowie Hausstaub. Die im Hinblick auf die Differentialdiagnose einer Dermatomyositis bestimmten Autoantikörper, ANA und anti-jo-1, waren negativ. Abbildung 2: Lebenszyklus von Gnathostoma spp. Im Zuge der tropenmedizinischen Abklärung erfolgte aufgrund der Klinik und der im Blut und Histologie imponierenden Eosinophilie ein serologisches Screening auf gewebsinvasive Helminthen (Echinococcus spp., Fasciola, Filaria spp., Schistosoma spp., Strongyloides, Toxocara und Trichinella), das sich negativ zeigte. Da die Patientin im Rahmen der erweiterten Expositionsanamnese allerdings angab, während des Aufenthalts in Peru «Ceviche», ein aus Peru stammendes und in weiten Teilen Lateinamerikas verbreitetes rohes Fischgericht, konsumiert zu haben, wurde das serologische Screening unter dem Verdacht auf das Vorliegen einer Gnathostomiasis entsprechend erweitert und das positive Resultat der Gnathostoma-Serologie erhärtete schliesslich die Verdachtsdiagnose. Gnathostomiasis Die Gnathostomiasis ist eine zoonotische Parasiteninfektion, die hauptsächlich in Asien (v.a. Südostasien und Japan) und einigen Regionen Lateinamerikas (Mexiko, Ekuador und Peru) verbreitet ist, in denen rohe Fischgerichte (z.b. Sushi, Ceviche) Teil der traditionellen Küche sind [1]. Von den 13 bekannten Gnathostoma- Arten, die zu den Fadenwürmern (Nematoden) gehören, sind 6 als humanpathogen bekannt (Tab. 1) [2]. Der Lebenszyklus des Parasiten ist komplex (Abb. 2): Die adulten Würmer leben in tumorartigen Höhlungen der Magenwand von Katzen, Hunden und anderen Karnivoren (Endwirte). Gelangen die mit dem Stuhl ausgeschiedenen Eier in Oberflächengewässer (z.b. Reisfelder, Bewässerungskanäle), schlüpfen die Larven, die dann vom ersten Zwischenwirt (einem Ruderfusskrebs/ Wasserfloh) aufgenommen werden, in dem sich das zweite Larvenstadium entwickelt. Wird dieser erste Zwischenwirt durch einen geeigneten zweiten Zwischenwirt (z.b. Fisch, Aal, Amphib) verspeist, entwickelt sich das dritte Larvenstadium, welches ins Muskelgewebe des Zwischenwirtes migriert und sich dort als zystische, infektiöse Larve einnistet. Der Lebenszyklus des Parasiten schliesst sich, wenn der natürliche Endwirt diesen zweiten Zwischenwirt verzehrt und sich

FALLBERICHTE 872 die aus den Muskelzysten freigesetzte Larve in dessen von Larven ins Gehirn und Rückenmark schwere neu- Gastrointestinaltrakt zum adulten Wurm entwickelt. rologische Schäden verursachen und gegebenenfalls Der Mensch wird als «Fehlwirt» durch den Verzehr von sogar tödlich sein. rohem oder ungenügend gekochtem Fisch infiziert, in dessen Körper aber ist eine Weiterentwicklung der Diagnostik Larven zum adulten Wurm nicht möglich. In den aller- Wegweisend für die Diagnose ist meist die Trias aus meisten Fällen sind menschliche Infektionen durch Anamnese (Verzehr von rohem Fisch in bekannten En- einzelne Larven verursacht. Die häufigste klinische demiegebieten), der Klinik und dem Vorliegen einer Manifestation ist ein «kutanes Larva-migrans-Syn- Eosinophilie. Insbesondere das Bestehen einer Eosi- drom», das durch das intermittierend-rezidivierende nophilie ist im Hinblick auf eine zugrundeliegende Auftreten von wandernden kutanen und subkutanen Gewebsparasitose differentialdiagnostisch hilfreich, Rötungen und Schwellungen sowie, bei sehr oberfläch- allerdings ist diese nicht in allen Fällen vorhanden. Da licher Larvenwanderung, durch erythematös-serpigiös die Diagnosebestätigung durch den Parasitennachweis gewundene Gänge imponiert. Begleitend können Juck- mittels Biopsie nur in Ausnahmefällen möglich ist (bei reiz und lokale Schmerzen bestehen. Die Larven können sehr oberflächlicher Parasitenwanderung), ist der sero- mit einer Geschwindigkeit von bis zu einem Zentimeter logische Nachweis von Gnathostoma-spezifischen Anti- pro Stunde und, wenn keine medikamentöse Therapie körpern im Westernblot das Diagnostikverfahren der erfolgt, über mehrere Jahren durch den Körper wandern, Wahl. Bedingt durch das Fehlen kommerzieller Test- bis sie schliesslich absterben. Bei tiefer Gewebswande- Assays ist die serologische Diagnostik derzeit auf wenige rung durch Muskulatur und innere Organe kann auch Referenzzentren (namentlich das «Hospital for Tropical ein «viszerales Larva-migrans-Syndrom» auftreten. In Diseases» der Mahidol-Universität in Bangkok und das sehr seltenen (und bislang ausschliesslich in Südost- Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut in asien beobachteten) Fällen kann die Einwanderung Basel) beschränkt [1]. Abbildung 3: Infektiöse Gnathostoma-binucleatum-Larve (A); enzystierte Larve im Muskelfleisch eines Süsswasserfisches (B); charakteristische Kopfregion der gewebsinvasiven Larve (C); «design by nature» Gotthard-Basistunnel-Bohrmaschine* (D). * Bildquelle: www.herrenknecht.com SWISS MEDICAL FORUM SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(41):870 874

FALLBERICHTE 873 Therapie und Verlauf Nach der Diagnosestellung erhielt die Patientin während zwei Tagen eine perorale Ivermectin-Therapie (Stromectol ) mit 0,2 mg / kg Körpergewicht / Tag. In den folgenden vier Monaten zeigte sich allerdings ein dreimaliges Wiederauftreten der Hauteffloreszenz, sodass ein zweiter Therapieversuch mit Albendazol (Zentel, 2 400 mg/tag p.o. für 21 Tage) unternommen wurde. Nach dreimonatigem beschwerdefreiem Intervall zeigte sich abermals das Auftreten der Effloreszenz und es wurde ein dritter Therapieversuch mit Verabreichung einer Ivermectin-Albendazol-Kombinationstherapie (in jeweils identischer Dosierung) unternommen, nach dem kein weiteres Wiederauftreten der Läsion beobachtet wurde. Tabelle 2 gibt die Chronologie des Diagnostik- und Therapieverlaufs zusammenfassend wieder. Diskussion Obwohl das klinische Bild des hier beschriebenen Falls relativ typisch ist, verzögerte sich die Diagnosestellung über ein Jahr, da tropische Gewebsparasitosen aufgrund ihrer Seltenheit im hausärztlichen Bereich verständlicherweise eine exotische Differentialdia gnose darstellen. Ferner war die nur leichtgradig ausgeprägte Eosinophilie und IgE-Erhöhung in dem vorliegenden Fall vor dem Hintergrund der bekannter Rhinitis allergica, mit Polysensibilisierung auf verschiedene Allergene, auch wenig richtungsweisend für eine Gewebsparasitose und das Histologieergebnis war folglich als allergisch bedingte Urtikaria interpretiert worden. Wegweisend war letztendlich das tropenmedizinische Konsilium mit gezielter Evaluation der Expositionsbzw. Nahrungsmittelanamnese. Hierbei ist anzumerken, dass die Gnathostomiasis in Südamerika, und insbesondere in Peru, im Gegensatz zu Asien, relativ selten ist. Bislang wurden in Peru nur eine Serie von 20 lokal diagnostizierte Fälle publiziert [3] und es existiert nur ein einzelner publizierter Fallbericht einer in Peru erworbenen Gnathostomiasis bei einem Reisenden [4]. Die Sensitivität und Spezifität des etablierten G. spinigerum-antigen-basierten Westernblot wird mit 99% angegeben. Zur Serologie ist allerdings anzumerken, dass der derzeit etablierte Westernblot für die Diagnostik der in Südostasien erworbenen G. spinigerum-infektion entwickelt und validiert wurde, die zahlenmässig den Grossteil aller humanen Infektionen darstellt. Seren von in Lateinamerika mit G. binucleatum infizierten Patienten werden in diesem G. spinigerum-antigen-basierten Westernblot allerdings regelmässig falsch negative getestet [5]. In den letzten Jahren wurde daher am nationalen Referenzzentrum für importierte Parasitosen am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut parallel zum etablierten G. spinigerum-antigen-basierten Westernblot ein G. binucleatum-antigen-basierter Westernblot entwickelt. Hierbei zeigte sich, dass Seren von mit G. spinigerum- und mit G. binucleatum-infizierten Patienten in den beiden speziesspezifischen Westernblots eine inkomplette Kreuzreaktivität aufweisen. Aus diesem Grund sollte bei der Anforderung der Serologie dem Labor auch immer der geographische Hintergrund der Infektion mitgeteilt werden. Die etablierten medikamentösen Therapieoptionen der Gnathostomiasis sind Albendazol (Zentel ), 400 mg 2 täglich über 21 Tage, und Ivermectin (Stromectol ), 0,2 mg / kg Körpergewicht / Tag als Einzeldosis über 2 Tage. Letzteres wird in der Schweiz für humane Therapien nicht vertrieben, kann aber über das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut in Basel bezogen werden. Wie auch in dem hier beschriebenen Fall sind Rückfälle (beschrieben in bis zu 62% der Fälle) Tabelle 2: Chronologie des klinischen Verlaufs sowie der Diagnostik und Therapie. Januar 2014 Februar 2014 März 2014 April Nov. 2014 Dezember 2014 Januar 2015 Februar 2015 März Juni 2015 September 2015 Seit Sept. 2015 Erstmaliges Auftreten der Effloreszenz während des Aufenthaltes in Peru, symptomatische analgetische Therapie Wiederauftreten der Effloreszenz DD Erysipel: Amoxicillin-Therapie Nach Wiederauftreten der Effloreszenz dermatologisches Konsilium; Hautbiopsie: histopathologisch unklare Ätiologie Rezidivierendes Auftreten der Effloreszenz in ca. monatlichem Abstand DD Erythema migrans: Doxycyclin-Therapie Weiterführende Abklärung bei Wiederauftreten der Effloreszenz DD allergische Genese: Allergie-Screening (Nachweis einer Sensibilisierung auf verschiedene Gräser und Bäume sowie Tierhaare und Hausstaub); DD Dermatomyositis, Autoantikörper-Screening (ANA und anti-jo-1 negativ) Tropenmedizinische Abklärung bei Wiederauftreten der Effloreszenz DD Gewebsparasitose, Gnathostoma-Serologie positiv: Ivermectin-Therapie Nach dreimaligem Wiederauftreten der Effloreszenz: Albendazol-Therapie Nach Wiederauftreten der Effloreszenz: Ivermectin-Albendazol-Kombinationstherapie Kein weiteres Wiederauftreten der Effloreszenz

FALLBERICHTE 874 Korresondenz: Dr. med. Andreas Neumayr Schweizerisches Tropenund Public Health Institut Socinstrasse 57 CH-4051 Basel andreas.neumayr[at] unibas.ch nicht selten und gelegentlich wird auch von Patienten berichtet, bei denen selbst durch wiederholte Therapiezyklen keine Abtötung des Parasiten erreicht wird. Aufgrund der guten Verträglichkeit der beiden zur Verfügung stehenden Medikamente und der hohen Rate an Therapieversagern nach einer Monotherapie, wird daher von einigen Experten eine kombinierte oder sequentielle Therapie mit beiden Medikamenten empfohlen. Dieser Ansatz zeigte sich auch in dem hier beschriebenen Fall schliesslich erfolgreich. Informed consent Die Publikation erfolgt im Einverständnis der Patientin. Disclosure statement Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Das Wichtigste für die Praxis Da die Differentialdiagnose und Abklärungsstrategie einer sich durch wandernde Haut- und Weichteilbefunde manifestierenden Gewebsparasitose je nach Geographie und Expositionsanamnese durchaus breit sein können (z.b. Ancylostoma spp., Loiasis, Strongyloidiasis, Sparganosis, Paragonimiasis, Fascioliasis usw.), ist das Hinzuziehen eines Tropen- und Reisemediziners zur differentialdiagnostischen Evaluation sowie zu Diagnostikund Therapieüberlegungen empfehlenswert. Literatur 1 Herman JS, Chiodini PL. Gnathostomiasis, another emerging imported disease. Clin Microbiol Rev. 2009;22(3):484 92. 2 Diaz JH. Gnathostomiasis: an emerging infection of raw fish consumers in gnathostoma nematode-endemic and nonendemic countries. J Travel Med. 2015;22(5):318 24. 3 Alvarez P, Morales A, Bravo F. Gnathostomasis, experiencia en una practica privada en Lima-Peru. Folia dermatol Peru. 2011;22(2):67 74. 4 Chappuis F, Farinelli T, Loutan L. Ivermectin treatment of a traveler who returned from Peru with cutaneous gnathostomiasis. Clin Infect Dis. 2001;33(4):17 9. 5 Neumayr A, Ollague J, Bravo F, Gotuzzo E, Jimenez P, Norton S, et al. Cross-reactivity pattern of Asian and American human gnathostomiasis in western blot assays using crude antigens prepared from Gnathostoma spinigerum and G. binucleatum third-stage larvae. Am J Trop Med Hyg. 2016;95(2):413 6.