Kultursensibler Ansatz zur Überwindung interkulturell bedingter Problemlagen in der Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ali Kemal Gün a.k.guen@lvr.de
Viele Migranten meiden wegen sprachlicher Schwierigkeiten und insbesondere aufgrund von kulturell, religiös und ethnisch bedingten Vorerwartungen eine Behandlung bei deutschen Kollegen. Fragt man den Patienten auf der einen und den Behandler auf der anderen Seite, so werden unterschiedliche Gründe sichtbar, die zum Entstehen dieser Situation beitragen:
1) Verständigungsschwierigkeiten sprachlicher, kultureller und religiöser Art 2) Schwierigkeiten beim Aufbau einer tragfähigen Behandler-Patient-Beziehung 3) Verhältnismäßig höherer Arbeitsaufwand für die Behandler 4) Mangelnde interkulturelle Kompetenz der Behandler bzw. des Behandlerteams 5) Fehlende strukturelle Rahmenbedingungen in der Versorgung und Behandlung der Migranten- Patienten in ihren (oft) spezifischen Problemlagen.
Geht es z.b. um Psychotherapie haben die Therapeuten und Patienten unterschiedliche Wahrnehmungen, Vorstellungen und Erwartungen an und über die Behandlung im interkulturellen Setting. Dies beeinflusst die Beziehung zwischen Behandlern und Patienten und dementsprechend auch den Therapieerfolg.
Die Therapeuten, die ich befragt habe, gehen von einer Gleichbehandlungsmaxime als therapeutisches Ideal aus und denken, alle ihre Patienten gleich zu behandeln. Ausschlaggebend für die Planung und Durchführung einer Behandlung sei für sie die gestellte Diagnose, nicht aber die kulturellen, religiösen, ethnischen und sprachlichen Hintergründe der zu behandelnden Patienten.
Die interviewten Patienten erleben die Gleichbehandlungsmaxime, als ungleiche Behandlung. Sie fühlen sich nicht verstanden, wenn sie sozusagen gleich behandelt werden. Hierdurch kommt es zur Ignoranz ihrer jeweiligen Andersartigkeiten, Besonderheiten und Unterschiedlichkeiten.
Bei der Gleichbehandlungsmaxime besteht die Gefahr, in der Gleichheit die Unterschiede aus den Augen zu verlieren bzw. in den Unterschieden die Gleichheit nicht wahrzunehmen. Die Lösung des Konflikts scheint darin zu liegen, bei der Ungleichheit eine höhere Form der Gleichheit zu finden. Indem man die Ungleichheit wahrnimmt und entsprechend behandelt, behandelt man die Patienten gleich.
Tiefenhermeneutisch betrachtet: Die Therapeuten fühlen sich unter Druck, beweisen zu müssen, dass sie die Migranten nicht anders behandeln als ihre deutschen Patienten und versuchen dem befürchteten Vorwurf vorzubeugen, sie könnten Migranten schlecht behandeln.
Im Festhalten der Patienten, (in der Betonung der kulturellen, ethnischen und religiösen Besonderheiten) kann ebenfalls eine Abwehr- oder Vermeidungsstrategie erkannt werden, sich nicht mit ihren eigentlichen Problemen auseinander setzen zu wollen. Unbewusst wirksame Widerstände, die mit Verdrängungsmechanismen einhergehen, können zu einer Konfliktverlagerung und letztlich zur Agieren der Konflikte in der Beziehungsebene führen.
Auch die kulturelle Zugehörigkeit wird je nach Perspektive, als Bereicherung, Erleichterung und Vorteil oder auch Erschwerung, Einengung und Benachteiligung. Beide Seiten nehmen die jeweiligen Gegenseiten aus einer bestimmten Perspektive wahr und vertreten dieselbe Ansicht, dass kulturelle Differenzen als Hindernis in der Therapeut-Patient- Interaktion anzusehen ist. Sowohl die Therapeuten als auch die Patienten sind der Ansicht, dass sie miteinander nicht über dieselben Themen sprechen.
Abwehrphänomene bei den Patienten Bei den Patienten dient das Zurückgreifen auf die Herkunftskultur als Abwehr, sich auf die hiesige Gesellschaft einzulassen. Das, was ihr System unterstützt, wird als angenehm erlebt und angenommen. Idealisierung der Herkunftskultur ist hier nur ein Teil der Abwehr zu verstehen. Daraus resultiert:
Therapeuten Schicken ihre Patienten zu anderen Behandlern, Familien oder in Freundeskreisen, stellen falsche Diagnosen und behandeln entsprechend. Patienten Nehmen die Angebote nicht oder zu spät in Anspruch, sie versuchen ihre Probleme zunächst in der Familie, in Bekanntenkreisen bzw. auf traditionell-religiösem Wege zu lösen. Konfliktverarbeitung wird somatoform ausgedrückt. Abbruch der Therapie und Suche nach muttersprachlichen Therapeuten.
Fazit Die Therapeuten, die im interkulturellen Setting arbeiten, neigen dazu, kulturelle Differenzen überbzw. unterzubewerten. Vorschnell wird etwas als kulturell angesehen und überbewertet, was nicht kulturell begründet ist, oder es werden kulturelle Determiniertheiten einfach übersehen, bzw. hierüber wird hinweggegangen.
Interkulturelle Therapeutische Kompetenz scheint die ideale Voraussetzung dafür zu sein, die sprachlichen, kulturellen, ethnischen und religiösen Missverständnisse in der therapeutischen Behandlung zu minimieren und das gegenseitige Verstehen zwischen einheimischen Therapeuten und Patienten zu optimieren.
Ansätze zur interkulturelle Öffnung in der LVR-Klinik Köln
Anteil Migrantenpatienten 2011-14 in % 50 45 40 35 30 25 20 43 % 43 % 32 % 28 % 27 % 33 % 44 % 33 % 36 % 45,5 % 30 % 37 % Forensik I + II ohne Forensik Gesamt 15 10 5 0 2011 2012 2013 2014
Integrationsbeauftragter und Besonderheiten LVR-Klinik Köln 1. Freigestellte Integrationsbeauftragter 2. Einführung der Datenerhebung und Erfassung von Migrationshintergrund (bei Stichtagserhebung) 3. Einstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Mutter- und Fremdsprachenkompetenzen (bei Stellenausschreibungen: Interkulturelle Kompetenz erwünscht ) 4. QZI Qualitätszirkel Integration 5. Interkulturelle Konsildienst und Sprechstunde für interkulturelle Fragen 6. Klinikinternes Intranetportal 7. Interne Fremdsprachenliste 8. Patientenbefragung LVR (3jährlich in allen LVR-Kliniken in 4 Sprachen) 9. Kontinuierliche Patientenfragebogen (2 Mal jährlich in vier Sprachen) 10.Thema Migration als feste Bestandteil des Leitbild der Klinik
11. Leitbildkalender 12. Aufbau eines Dolmetschernetzes bzw. stärkere Einsatz von Sprach- und Integrationsmittlern 13. Deutschkurse in der forensischen Abteilung 14. Angebot an Schulungen zur Interkulturellen Kompetenz (Interne Fort- und Weiterbildungen) 15. Bereitstellung von Muttersprachlichem Informationsmaterial und Übersetzung relevanter Formulare 16. Entwicklung eines Kommunales Gesundheitskonzept für Migrantinnen und Migranten 17. Teilnahme an internen Gremien sowie Kommunale und bundesweite Arbeitskreise 18. Verbundprojekt mit LVR-Klinik Essen (bis vor etwa einem Jahr) 19. Öffentlichkeitsarbeit 20. Entwicklung eines Audit-Instruments zur Selbstbewertung der Interkulturelle Ausrichtung unserer Klinik (Checkliste zur Überprüfung der Interkulturalität)
Audit-Instruments zur Selbstbewertung der Interkulturelle Ausrichtung unserer Klinik (Checkliste zur Überprüfung der Interkulturalität) Leitkriterien für eine interkulturell geöffnete bzw. ausgerichtete Institution des Gesundheitsdienstes (Checkliste) (Gün, A. K. (2009): Interkulturelle Öffnung in den Institutionen der Gesundheitsdienste. In: Yesim Erim, Klinische Interkulturelle Psychotherapie, Ein Lehr- und Praxisbuch. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart.) Die Durchschnittsnote über alle Fragen ist 2,09
Fazit Die Erfahrungen zeigen, dass die Interkulturelle Öffnung einer Klinik nur dann gelingen kann, a) wenn diese Aufgabe (als Querschnittsaufgabe in der gesamten Betriebsorganisation) auf der Leitungsebene angesiedelt ist (d.h. von oben gewollt) und b) von den Beschäftigten mit voller Überzeugung angenommen wird (d.h. von unten getragen).