PJ Unterricht 14 02 III Seite 1 Nebenwirkungen Der 67-jährige Daniel R. fühlt sich jetzt schon monatelang müde und abgeschlagen, und hat immer wieder Fieber und dabei hat der Winter jetzt Anfang Januar gerade erst begonnen. Vor 10 Jahren hatte er schon einmal lange unter Abgeschlagenheit und Luftnot gelitten. Die idiopathische Kardiomyopathie, die den damaligen Beschwerden zugrunde lag, war nicht therapierbar, so dass er vor jetzt 6 Jahren ein Herz transplantiert bekam. Außer der idiopathischen Kardiomyopathie ist Daniel nicht krank gewesen, abgesehen von einer Tonsillektomie und einer Appendektomie, beides als Kind. Insbesondere hat er immer normale Blutfettwerte gehabt, und auch eine Koronarsklerose im alten Herz ist durch mehrfache Herzkatheteruntersuchungen ausgeschlossen gewesen. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft hat Daniel bei einer kleinen Bank, der Nassauischen Sparkasse, angefangen und dort bis zu seiner vorzeitigen Berentung mit 59 Jahren den Bereich Risikomanagement Kredite geleitet. Nach der Transplantation hat er wieder angefangen, ehrenamtlich bei den Vereinen, in denen er Mitglied ist, die Geschäfte zu führen. Er hat nie geraucht oder Drogen genommen, Alkohol hat er nur bei Festen in kleinen Mengen getrunken. Er nimmt derzeit Mycophenolat Mofetil, Cyclosporin und Fluvastatin; das Prednisolon wurde drei Jahre nach der Transplantation abgesetzt. Bisher hat Daniel keine schwerere Abstoßungsepisode gehabt. Er lebt mit seiner Frau im westlichen Taunus. In seiner Freizeit angelt er und jagt in einem Revier im Hochtaunuskreis. Diese Hobbies hatte er zwischen dem 56. und 62. Lebensjahr krankheitsbedingt aufgegeben, aber ein Jahr nach der Transplantation wieder aufgenommen. Er hat keine Haustiere. Die Urlaubsreisen haben ihn meist nach Nordafrika geführt (Ägypten, Tunesien, Marokko), zweimal vor etlichen Jahren haben sie auch Australien bzw. Neuseeland besucht. Daniels Vater ist im Alter von 52 Jahren an einer Herzkrankheit verstorben, seine beiden älteren Schwestern sind altersentsprechend gesund.
PJ Unterricht 14 02 III Seite 2 In den letzten 8 Wochen ist Daniel immer wieder bei seinem Hausarzt gewesen, etwa einmal pro Woche. Dieser hat bei ihm Anfang November eine Sinusitis vermutet, weil seine Nasennebenhöhlen verstopft sind, und Amoxicillin verschrieben; als dieses nicht half, wurde die Antibiose auf Levofloxacin umgestellt. Dennoch blieb die Temperatur immer wieder am Nachmittag erhöht, und Daniel maß zwischen 38,6 C und 38,9 C. Der Hausarzt hat bei seinem herztransplantierten Patienten beim Abdomensonogramm mehrere Gallensteine gefunden, mit einer im CT nachweisbaren Verdickung der Gallenblasenwand. Unter der Diagnose einer steinbedingten Cholezystitis wurde Daniel vor 2 Wochen laparatomisch cholezystektomiert. Die drei Steine bis zu 4 cm Durchmesser wurden entfernt, die histologische Untersuchung der Gallenblase fand allerdings keine Entzündung. Während dieses Aufenthaltes wurde auch eine Depression diagnostiziert, jedoch keine Antidepressiva verschrieben. Auf Nachfragen durch den Hausarzt bestätigt Daniels Frau, dass sein Kurzzeitgedächtnis in den letzten Wochen schlechter geworden ist, was der Hausarzt ebenfalls auf die Depression zurückgeführt hat.
PJ Unterricht 14 02 III Seite 3 Während der letzten 8 Wochen wurden ohne pathologische Ergebnisse ein großes Blutbild, Leberfunktionsparameter, Elektrolyte, Nierenfunktionsparameter und Gerinnungswerte bestimmt. PCR-Tests auf CMV und EBV blieben ebenso unauffällig wie serologische Tests auf Cryptokokken und ein CT bzw. ein Röntgen der Lunge. Der Hausarzt weist Daniel zur stationären Abklärung in die Uniklinik ein, wo er auch transplantiert wurde. Bei der Aufnahme ist die Körpertemperatur 38,3 C, die Herzfrequenz 95/min, der Blutdruck 153/ 80 mm Hg, die Atemfrequenz 12/min, die Sättigung 98% unter Raumluft. Daniel ist orientiert zu Person, Ort und Zeit, erscheint aber immer wieder kurzzeitig apathisch und antwortet nur langsam auf Fragen. Der Affekt ist flach, mit schnellem Stimmungswechsel. Inspektorisch sind die Narben der Herztransplantation gut verheilt, die Laparatomiewunde ist granuliert und verheilt ebenfalls gut. Die Auskultation der Lunge ist unauffällig, die Herztöne sind gut hörbar und klar, ohne Geräusche. Das Abdomen ist soweit untersuchbar ebenfalls unauffällig, ohne Abwehrspannung oder Organomegalie. Arme und Beine sind warm, ohne Ödeme, alle peripheren Pulse sind seitengleich tastbar. Neurologisch sind die Hirnnerven unauffällig, die grobe Kraft ist 5/5 an Armen und Beinen, Tests auf Muskelkloni sind negativ, die Sensibilität ist überall erhalten. Die orientierende Fundoskopie zeigt keine Auffälligkeiten. Im Mini- Mental-Test erreicht Daniel 22 Punkte, insbesondere beim Erinnern und beim Rechnen hat er Punkte verloren.
PJ Unterricht 14 02 III Seite 4 Im Labor finden sich nur wenige pathologische Werte: Hb 10,8 g/dl Thrombozyten 199 000/µl Leukozyten 8 800/µl neutrophile Granulozyten 53% Lymphozyten 43% Monozyten 4% Kreatinin 0,9 mg/dl Harnstoff 14 mg/dl TSH normal Elektrolyte, Leberfunktionswerte und die Werte des Urinstatus sind wieder unauffällig. Ein cct zeigt einen beginnenden Hydrocephalus mit einem Ventrikel-Hirn-Quotienten von 0,3, was mit einem cmrt bestätigt wird: Eine Lumbalpunktion ergibt bei einem Öffnungsdruck von 22 mm Hg klare Flüssigkeit in allen vier Gläsern. Die Analytik ergibt: 102 Leukozyten / ml 47% Lymphozyten 47% Granulozyten 6% Monozyten 99 mg/dl Protein 42 mg/dl Glukose (Serum-Glukose 125 mg/dl)
PJ Unterricht 14 02 III Seite 5 Ein Zentrifugat des Liquors nach Gram, und eine Zytospin-Färbung auf Pilze sind negativ; auch Tests auf Cryptococcus, säurefeste Bakterien und PCR auf Herpes simplex ergeben negative Ergebnisse. Ein Tuberkulin-Hauttest wird angelegt; Liquorkulturen werden ebenfalls angelegt. Trotz der negativen Ergebnisse bekommt Daniel Acyclovir, Ceftriaxon, Vamcomycin und Ampicillin.
PJ Unterricht 14 02 III Seite 6 Nach 48 Stunden hat sich beim Hauttest eine 8 mm große Papel entwickelt, der Test ist damit negativ. Noch einen Tag später wächst in der Liquorkultur ein Erreger, der im Direktpräparat folgendermaßen aussieht: Nach diesem Kulturergebnis wird Test auf Cryptococcus-Antigene im Blut und im Liquor wiederholt und ist im Liquor schwach positiv. Im Blut bleibt dieser Test negativ; dies ist auch nicht auf einen Prozon-Effekt zurückzuführen. Zur Klärung des Subtypes wird im Liquor und in der Kultur ein PCR-Test durchgeführt; in beiden Medien läßt sich C. neoformans var. grubii, Serotyp A nachweisen. Daniel bekommt sofort eine hierauf angepasste Therapie.
PJ Unterricht 14 02 III Seite 7 Unter liposomalem Amphotericin B und Flucytosin bessert sich das Fieber schnell, die Apathie und Affektverflachung werden ebenfalls besser, es dauert aber einige Monate, bis Daniels Symptome sich komplett zurückgebildet haben. Daniel wird über 6 Wochen mit Amphotericin B und Flucytosin behandelt, danach bekommt er Fluconazol, vorläufig als Dauertherapie. Ein nach 4 Wochen durchgeführtes Kontroll-MRT zeigt normale anatomische Verhältnisse. Die Störungen des Kurzzeitgedächtnisses halten über 3 Monate an, die Konzentrationsstörungen über 2 Monate. Im Mai allerdings, nach 4 Monaten Therapie, sind alle neurologischen Symptome verschwunden; das Fluconazol wird nach 6 Monaten abgesetzt. Er soll sich allerdings sofort melden, wenn eines der Symptome wie Fieber oder Konzentrationsstörungen wieder auftreten sollten. Nach dem serologischen Nachweis der Cryptococcus-Meningitis hat das mikrobiologische Labor die Erkrankung an das Robert-Koch-Institut gemeldet, auch wenn keine Meldepflicht für Cryptokokkosen besteht.