Deutsches und Europäisches Kartellrecht (2016/17) 3. Anwendungsbereich Josef Drexl

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Transkript:

Deutsches und Europäisches Kartellrecht (2016/17) 3. Anwendungsbereich Josef Drexl

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (1) 1, 19, 35, 37 GWB; Art. 101, 102 AEUV; Art. 1, 3 FKVO: Unternehmen als Adressaten 1. Funktionaler Unternehmensbegriff Fall 4 (Höfner, C-41/90, ECLI:EU:C:1991:161): Fällt das frühere Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit unter Art. 106 Abs. 1 AEUV? EuGH: Unternehmen = jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. BGH: Unternehmen = jedwede Tätigkeit im wirtschaftlichen Verkehr (z.b.: v. 19.9.1974 WuW/E BGH Autoanalyzer). Merke: Auch der Staat ist als Unternehmen anzusehen, soweit er eine selbstständige unternehmerische Tätigkeit ausübt (siehe 130 Abs. 1 S. 1 GWB).

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (2) 2. Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit a) Keine Erfassung der bloßen Nachfragetätigkeit Merke: Nach Auffassung des EuGH fällt unter den Unternehmensbegriff jede selbstständige Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten Fall 5 (EuGH, FENIN gegen Kommission, Rs. C-205/03 P, ECLI:EU:C:2006:453): Ein spanischer Verband von Unternehmen, die medizinisches Material herstellen, beschwert sich bei der Kommission über den spanischen Sozialversicherungsträger, dem in Spanien die öffentlichen Krankenhäuser gehören. Dieser habe regelmäßig Rechnungen zu spät beglichen und damit seine marktbeherrschende Stellung als Nachfrager i.s. von Art. 102 AEUV missbraucht. Geht man davon aus, dass der Sozialversicherungsträger im Hinblick auf Krankenhausleistungen an Patienten kein Unternehmen ist, genügt dann die bloße Nachfragetätigkeit, um die Unternehmenseigenschaft zu begründen?

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (3) 2. Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit a) Keine Erfassung der bloßen Nachfragetätigkeit EuGH (FENIN gegen Kommission, Rs. C-205/03 P, ECLI:EU:C:2006:453): 25 Das Gericht [Erster Instanz] hat ( ) zu Recht daran erinnert, dass der Begriff des Unternehmens im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung umfasst [Urteile in Höfner AOK-Bundesverband]. Außerdem hat es im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes in Randnummer 36 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass es das Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt ist, was den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit kennzeichnet. 26 Das Gericht hat daraus in Randnummer 36 des angefochtenen Urteils zutreffend abgeleitet, dass bei der Beurteilung des Wesens der Einkaufstätigkeit der Kauf eines Erzeugnisses nicht von dessen späterer Verwendung zu trennen ist und dass der wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung des erworbenen Erzeugnisses zwangsläufig den Charakter der Einkaufstätigkeit bestimmt.

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (4) 2. Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit a) Keine Erfassung der bloßen Nachfragetätigkeit EuGH (FENIN gegen Kommission, Rs. C-205/03 P, ECLI:EU:C:2006:453): 27 Folglich ist der erste Teil des einzigen von der FENIN geltend gemachten Rechtsmittelgrundes, dass die Einkaufstätigkeit der das SNS verwaltenden Einrichtungen als solche eine von späteren Dienstleistungen trennbare wirtschaftliche Tätigkeit sei, unbegründet. Merke: Aus der bloßen Nachfragetätigkeit kann im europäischen Recht nicht auf die Unternehmenstätigkeit geschlossen werden. Bietet jedoch der Nachfrager auf den nachgelagerten Märkten Waren und Dienstleistungen an, handelt der Nachfrager auch in Bezug auf die Einkauftstätigkeit unternehmerisch. In diesem Fall können die Regeln des europäischen Kartellrechts zum Schutze des Wettbewerbs auf dem Einkaufsmarkt angewendet werden

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (5) 2. Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit a) Keine Erfassung der bloßen Nachfragetätigkeit Problem: Kann die alte Rechtsprechung des BGH beibehalten werden? Fall 6 (BGHZ 152, 347 (2002) Ausrüstungsgegenstände für Feuerlöschzüge): Ein Tochterunternehmen des Niedersächsischen Gemeinde- und Städtebundes nimmt eine zentrale Ausschreibung für Ausrüstungsgegenstände zur Feuerbekämpfung für niedersächsische Kommunen vor. Hierin sieht das Handelsunternehmen U, das sich an der Ausschreibung beteiligt, ein nach 1 GWB unzulässiges Nachfragekartell. Findet das GWB überhaupt Anwendung? 16 Die Gemeinden stehen als Nachfrager untereinander im Wettbewerb. Als Träger hoheitlicher Gewalt unterfallen sie nach dem funktionellen Unternehmensbegriff dann dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, wenn sie sich wirtschaftlich betätigen ( 130 Abs. 1 GWB). Die wirtschaftliche Betätigung liegt hier in der Nachfrage der Gemeinden, die sich auf dem Markt mit Ausrüstungsgegenständen für Feuerlöschzüge eindecken. Dabei spielt es weder eine Rolle, ob sich die Nachfrage auf Gegenstände richtet, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der hoheitlichen Tätigkeit stehen, noch ob die Gemeinde im Hinblick auf den nachgefragten Gegenstand Endverbraucher ist.

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (6) 2. Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit a) Keine Erfassung der bloßen Nachfragetätigkeit Problem: Der BGH sah dies jedenfalls nach alter Rechtslage unter Geltung des GWB (vor 2005) anders Fall 7 (BGH v. 19.06.2007, Az. KVR 23/98 Tariftreueerklärung III): Das Land Berlin schreibt Straßenbauarbeiten aus und fordert die Bieter auf, eine Tariftreueerklärung abzugeben, worin sie sich verpflichten, ihre Beschäftigten nicht unterhalb des Niveaus der Berliner Tarifverträge zu bezahlen. Das BKartA sieht hierin einen einseitigen Kartellrechtsverstoß i.s. des heutigen 20 Abs. 1 GWB sowie einen Verstoß gegen das Verbot der vertikalen Preisbindung gemäß 1 GWB. Dagegen wendet das Land Berlin ein, das GWB sei schon gar nicht anwendbar, da es bei der Ausschreibung nicht unternehmerisch handle. BGH: Der BGH nimmt die FENIN-Rechtsprechung des EuGH zur Kenntnis, lässt aber die Frage, ob eine Unternehmenseigenschaft vorliegt ausdrücklich offen. Diese Frage hatte sich nur im Rahmen der summarischen Prüfung des Falles ergeben, nachdem die Parteien den Streit für erledigt erklärt hatten und nur noch über die Kosten zu entscheiden war. Die Kosten wurden anteilig geteilt. Damit steht fest, dass der BGH jedenfalls die Frage, ob er durch die FENIN-Entscheidung gehindert sei, in einem späteren Fall prüfen wird.

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (7) 2. Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit b) Keine Erfassung hoheitlichen Handelns Merke: Grundsätzlich liegt immer ein Unternehmen vor, wenn der Staat eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Nicht erforderlich ist, dass eine Gewinnerzielungsabsicht und eine privatrechtliche Rechtsform vorliegen. Dagegen fehlt es i.d.r. an der Unternehmenseigenschaft in den Fällen hoheitlichen Handelns Beispiele: o Staat ist Unternehmen als: öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Postdienste, Arbeitsvermittlung (s.o. Höfner), Hafenbetriebsgesellschaften, Energieversorger. o Staat ist kein Unternehmen als: Luftüberwachung (EuGH, SAT Fluggesellschaft/Eurocontrol, C-364/92, ECLI:EU:C:1994:7). Merke: Das die vom Staat erbrachte Dienstleistung im öffentlichen Interesse liegt, spricht nicht gegen die Unternehmenseigenschaft. Nach Art. 106 Abs. 2 AEUV sind solche Unternehmen jedoch privilegiert

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (8) 2. Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit c) Keine Erfassung sozialer Sicherungssysteme Fall 8 (EuGH, AOK Bundesverband, C-241/01 u.a., ECLI:EU:C:2004:150): Nach deutschem Sozialrecht können die Verbände der gesetzlichen Krankenversicherer Festbeträge für die Beteiligung der Krankenkassen an den Kosten für Arzneimittel und Pflegematerial festsetzen. Der Pharmahersteller P ist der Auffassung, dass diese Festsetzung als horizontale Preisabsprache zwischen den Versicherern gegen das Kartellrecht verstoße. Dagegen wenden die Krankenkassen ein, dass Kartellrecht sei auf sie schon gar nicht anwendbar. Wie ist die Rechtslage? 47 Im Bereich der sozialen Sicherheit hat der Gerichtshof entschieden, dass bestimmte Einrichtungen, die mit der Verwaltung gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherungssysteme betraut sind, einen rein sozialen Zweck verfolgen und keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Dies ist der Fall bei Krankenkassen, die nur die Gesetze anwenden und keine Möglichkeit haben, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel und die Bestimmung des Leistungsumfangs Einfluss zu nehmen. Denn ihre auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität beruhende Tätigkeit wird ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt, und die Leistungen werden von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht (Urteil in den Rechtssachen C-159/91 und C- 160/91, Poucet und Pistre, Rn. 15 und 18).

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (9) 2. Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit b) Keine Erfassung sozialer Sicherungssysteme EuGH (AOK Bundesverband, C-241/01 u.a., ECLI:EU:C:2004:150): 50 [Demgegenüber] hat der Gerichtshof in Randnummer 17 des Urteils Federation française des sociétés d'assurance u. a. festgestellt, dass die fragliche Einrichtung, die ein System der Zusatzrentenversicherung verwaltete, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Wettbewerb mit den Lebensversicherungsunternehmen ausübte und dass die Betroffenen die für sie günstigste Finanzanlage wählen konnten. In den Randnummern 81 und 84 des Urteils Albany, das einen Zusatzrentenfonds betrifft, der auf einem Pflichtmitgliedschaftssystem beruhte und für die Festlegung der Beitragshöhe und des Leistungsumfangs einen Solidaritätsmechanismus anwendete, hat der Gerichtshof indessen hervorgehoben, dass der Fonds die Höhe der Beiträge und der Leistungen selbst bestimmte und nach dem Kapitalisierungsprinzip arbeitete. Der Gerichtshof ist daher zu dem Schluss gelangt, dass ein solcher Fonds eine wirtschaftliche Tätigkeit im Wettbewerb mit den Versicherungsunternehmen ausübt. Merke: Einrichtungen der Sozialversicherung, deren Leistungen auf dem Grundsatz der Solidarität beruhen, sind keine Unternehmen im Sinne des Kartellrechts. Anders liegt es, soweit einzelne Leistungen dem Grundsatz der Kapitalisierung folgen und die Versicherungsträger auch bei der Bestimmung der Beiträge im Wettbewerb mit privaten Unternehmen stehen. Die Sozialversicherer sind dann insoweit Unternehmen im Sinne des Kartellrechts

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (10) 2. Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit c) Gewinnerziehungsabsicht? Merke: Unternehmerisches Handeln setzt keine Gewinnerzielungsabsicht voraus. Auch gemeinnützige Organisationen sind als Unternehmen anzusehen, soweit sie sich als Wirtschaftsteilnehmer am Markt beteiligen (Bsp.: Sportvereine) d) Dauerhaftigkeit? Merke: Dauerhaftigkeit ist nicht erforderlich. Das einmalige unternehmerische Handeln reicht (z.b.: einmalige Unternehmensveräußerung)

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (11) 3. Begriff der selbständigen Tätigkeit a) Kartellrecht im Konzern Fall 9 (EuGH, Viho gegen Kommission, C-73/95 P, ECLI:EU:C:1996:405): Das britische Unternehmen Parker stellt Schreibgeräte her, die sie über in anderen Mitgliedstaaten vertreibt. Das niederländische Unternehmen Viho, dem Parker die Belieferung verweigert hatte, erhebt Beschwerde bei der Kommission. Die Weigerung, Viho zu denselben Bedingungen wie die eigenen Tochterunternehmen zu beliefern, verstoße gegen europäisches Kartellrecht. Die Kommission weist die Beschwerde zurück. Parker und die Tochterunternehmen bildeten eine wirtschaftliche Einheit, so dass Art. 101 AEUV auf die Regelung innerhalb des Konzerns nicht anwendbar sei. Hiergegen richtet sich die Klage von Viho. Wie ist die Rechtslage? 15 Es steht fest, daß die Firma Parker 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaften in Deutschland, Belgien, Spanien, Frankreich und den Niederlanden hält und daß die Verkaufs- und Marketingaktivitäten der Tochtergesellschaften von einer von der Muttergesellschaft bestimmten Gebietsleitung gesteuert werden, die u. a. die Verkaufsziele, die Bruttomargen, die Verkaufskosten, den cash flow" und die Lagerbestände überwacht. Diese Gebietsleitung schreibt auch die zu verkaufende Produktpalette vor, kontrolliert Werbeaktionen und erteilt Richtlinien für die Preise und Preisnachlässe.

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (12) 3. Begriff der selbständigen Tätigkeit a) Kartellrecht im Konzern EuGH (Viho gegen Kommission, C-73/95 P, ECLI:EU:C:1996:405): 16 Die Firma Parker und ihre Tochtergesellschaften bilden somit eine wirtschaftliche Einheit, in deren Rahmen die Tochtergesellschaften ihr Vorgehen auf dem Markt nicht wirklich autonom bestimmen können, sondern die Anweisungen der sie kontrollierenden Muttergesellschaft befolgen (Urteile in den Rechtssachen ICI/Kommission,, Rn. 133 und 134; ). 17 Deshalb führt der Umstand, daß die Verweisungspolitik der Firma Parker, die hauptsächlich in einer Aufteilung verschiedener nationaler Märkte auf ihre Tochtergesellschaften besteht, Auswirkungen außerhalb des Bereichs des Parker-Konzerns haben kann, die die Wettbewerbsposition Dritter zu beeinträchtigen geeignet sind, nicht zur Anwendbarkeit des Artikels [Art. 101 Abs. 1 AEUV] ( ). Ein solches einseitiges Verhalten könnte jedoch unter Artikel [Art. 102 AEUV] fallen, wenn dessen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind.

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (13) 3. Begriff der selbständigen Tätigkeit a) Kartellrecht im Konzern Merke: Bei Konzernunternehmen hängt die Frage, ob denen einzelnen rechtlich selbständigen Unternehmen eigene Unternehmensqualität i.s. des Kartellrechts zukommt, davon ab, ob den Konzernunternehmen wirtschaftliche Autonomie zuerkannt wird. Wird die Unternehmenspolitik zentral vom Mutterunternehmen gesteuert, liegt eine wirtschaftliche Einheit des Konzern vor. In diesem Falle ist der Konzern als solcher als Unternehmen anzusehen. Ein Kartellrechtsverstoß kann sich dann nicht aus einer internen Regelung zwischen den Konzernunternehmen nach Art. 101 AEUV ergeben, sondern nur aus Art. 102 AEUV. Dies setzt insbesondere voraus, dass der Konzern als wirtschaftliche Einheit marktbeherrschend ist.

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (14) 3. Begriff der selbständigen Tätigkeit b) Abgrenzung bei Handelsvertretern Fall 10 (EuGH, CEEES, C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784): Vor dem spanischen Tribunal Supremo streiten sich der spanische Verband der Tankstellenbetreiber CEEES mit dem spanischen Mineralölkonzern CESPA darüber, ob die Alleinbezugsvereinbarungen, die CESPA mit den Tankstellenbetreibern geschlossen hat, mit dem spanischen Kartellrecht vereinbar ist. Das spanische Kartellrecht entspricht den Vorschriften des Art. 101 AEUV und wird von der spanischen Rechtsprechung entsprechend den europäischen Grundsätzen ausgelegt. Entsprechend legt das spanische Gericht dem EuGH die Frage vor, die Alleinvertriebsvereinbarungen nach zu beurteilen sind. Dabei stellt sich auch die Frage, ob die Tankstellenbetreiber als wirtschaftlich und nicht nur rechtlich selbständige Unternehmen angesehen werden können. 42 Unter bestimmten Umständen können die Beziehungen zwischen einem Geschäftsherrn und seinem Absatzmittler durch eine solche wirtschaftliche Einheit gekennzeichnet sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./ Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnr. 480).

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (15) 3. Begriff der selbständigen Tätigkeit b) Abgrenzung bei Handelsvertretern EuGH (CEEES, C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784): 42 Insoweit ergibt sich jedoch aus der Rechtsprechung, dass Absatzmittler ihre Eigenschaft als selbständige Wirtschaftsteilnehmer nur verlieren können, wenn sie keines der Risiken aus den für den Geschäftsherrn vermittelten Geschäften tragen und als Hilfsorgan in sein Unternehmen eingegliedert sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Volkswagen und VAG Leasing, Randnr. 19). Merke: Der Vertrag zwischen dem Lieferanten und dem Absatzmittler (Handelsvertreter) unterliegt im Hinblick auf den Absatz der Waren und Dienstleistungen des Geschäftsherrn nur dann der Kontrolle des Art. 101 AEUV, wenn Letzterer wirtschaftlich selbständig handelt ( unechter Handelsvertreter ). Hieran fehlt es, wenn der Absatzmittler keines der Risiken aus dem vermittelten Geschäft (Absatzrisiko) zu tragen hat und als bloßes Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert ist ( echter Handelsvertreter ).

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (16) 3. Begriff der selbständigen Tätigkeit b) Abgrenzung bei Handelsvertretern Merke: Zu berücksichtigen ist, dass Handelsvertreter auf zwei unterschiedlichen Märkten tätig sind: (1.) Soweit sie einem Geschäftsherrn auf einen Markt für Dienstleistungen der Absatzvermittlung anbieten, sind auch die Handelsvertreter immer Unternehmer. Sprechen die Geschäftsherrn die Provisionen an Handelsvertreter untereinander ab, ist dies ein verbotenes Preiskartell der Nachfrager auf dem Markt für Absatzvermittlung. (2.) Anders liegt es auf dem Markt der abzusetzenden Produkte. Nur auf diesen bezieht sich die Abgrenzung des EuGH.

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (17) 3. Begriff der selbständigen Tätigkeit c) Freie Berufe Merke: Auch Vertreter der freien Berufe (Ärzte, Anwälte, etc.) sind Unternehmen. Ein Unternehmen i.s. des Kartellrechts kann auch eine einzelne natürliche Person sein Folge: Die Regelungen der Berufsverbände der freien Berufe unterliegen dem Art. 101 AEUV/ 1 GWB. Beachte: Auch selbständige Urheber (freie Journalisten, Schriftsteller, Übersetzer) sind grundsätzlich Unternehmen. Daher stellt sich die Frage, ob die gemeinsamen Vergütungsregeln nach 36 UrhG mit dem Kartellrecht vereinbar sind

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (18) 4. Private Haushalte (Verbraucher) a) Privater Verbrauch Merke: Das Handeln, das allein dem privaten Verbrauch dient, begründet kein unternehmerisches Handeln Grund: Verbraucher können den Wettbewerb nicht beeinflussen; das Wettbewerbsrecht soll sie schützen Aber: Von Privaten gegründete Einkaufsgenossenschaften sind Unternehmen b) Private Vermögensverwaltung z.b.: Merke: Vermieter einer Wohnung Im Grundsatz begründen Geschäfte der privaten Vermögensverwaltung keine Unternehmenseigenschaft, es sei denn diese Tätigkeit erfolgt gewerbsmäßig

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (19) 5. Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Arbeitgeber a) Arbeitnehmer Merke: Einzelne Arbeitnehmer sind mangels Selbständigkeit keine Unternehmen (h.m., problematisch) b) Gewerkschaften Merke: Da die Arbeitnehmer keine Unternehmen sind, sind die Gewerkschaften auch keine Unternehmensvereinigungen, soweit es um die Regelung der Arbeitsverhältnisse geht EuGH (Albany, C-67/96, ECLI:EU:C:1999:430): Tarifvertragliche Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen sind der Anwendung des Kartellrechts entzogen c) Arbeitgeberverbände Merke: Arbeitgeberverbände sind Unternehmensverbände. Aber Tarifverträge begründen keine verbotene Vereinbarungen nach Art. 101 AEUV/ 1 GWB, da sie nur Mindestarbeitsbedingungen festlegen

I. Persönlicher Anwendungsbereich: Unternehmen (20) 6. Unternehmensvereinigungen 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV: Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen. Beispiele: Merke: Beachte: Sportverbände (etwa bei der Vermarktung von Senderechten; Dopingregeln); Berufsverbände, Industrie- und Handelskammern, Kammern der freien Berufe, Arbeitgeberverbände Das Kartellrecht unterwirft Beschlüsse von Unternehmens-vereinigungen denselben Regeln wie Vereinbarungen von Unternehmen, weil es keinen Unterschied machen kann, in welcher Form Unternehmen kooperieren Unternehmensvereinigungen können ihrerseits Unternehmen sein; Art. 101 und 102 AEUV können dann parallel Anwendung finden (Bsp.: Dopingregeln des IOC)

II. Sachlicher Anwendungsbereich: Ausnahmebereiche (1) 1. Grundsätzliche Geltung für alle Wirtschaftsbereiche Merke: Das GWB und das Europäisches Kartellrecht gelten im Grundsatz für alle Wirtschaftsbereiche (Universalitätsprinzip). Sonderregeln Ausnahmebereiche Sektorales Kartellrecht Merke: Die Sonderregeln des deutschen und europäischen Kartellrechts sind nicht deckungsgleich

II. Sachlicher Anwendungsbereich: Ausnahmebereiche (2) 2. Sonderregeln des Europäischen Rechts Merke: Das Unionsrecht kennt nur einen Ausnahmebereich (Kriegswaffen Art. 346 Abs. 1 b) AEUV). Ansonsten besten für einzelne Sektoren Sonderregeln Landwirtschaft Verkehr Versicherungen Art. 42 AEUV: Abhängigkeit der Anwendung des Kartellrechts von der Entscheidung von Parlament und Rat VO Nr. 1308/2013 über die gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse: Grundsätzliche Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln mit Ausnahmen Verordnungen über die Anwendung der Wettbewerbsregeln für verschiedene Verkehrsträger (insbes. zu Luft und zu Wasser) VO 267/2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV im Versicherungssektor

II. Sachlicher Anwendungsbereich: Ausnahmebereiche (3) 3. Sonderregeln des deutschen Rechts Merke: Im Gegensatz zum Europäischen Recht kannte das deutsche Recht zahlreiche Ausnahmebereiche, die jedoch im Laufe der Zeit weitgehend abgebaut wurden 28 GWB: Freistellung von Vereinbarungen landwirtschaftlicher Erzeugerbetriebe von 1 GWB 29 GWB: Energiewirtschaft: Früher Freistellungstatbestand; heute sogar verschärfte Anwendung 30 GWB: Zulässigkeit der vertikalen Preisbindung bei Presseerzeugnissen 30 ff. GWB: Freistellung von 1 GWB für Verträge von Unternehmen der öffentlichen Wasserversorgung 130 Abs. 1 Satz 2 GWB: Freistellung von öffentl.-rechtlichen Gebühren/Abgaben von 19, 20 GWB 130 Abs. 1 Satz 3 GWB: Freistellung der Deutschen Bundesbank und der Bank für Wiederaufbau Abschaffung durch 7. GWB-Novelle 2005 (Argument: Angleichung an das europäische Recht): 29 GWB a.f.: Bestimmte Verträge und Empfehlungen von Kreditinstituten 30 GWB a.f.: Freistellung der Verträge von Verwertungsgesellschaften von 1 GWB 31 GWB a.f.: Zentrale Vermarktung von Übertragungsrechten durch Sportverbände

II. Sachlicher Anwendungsbereich: Ausnahmebereiche (4) 4. Geltung für öffentliche und privilegierte Unternehmen Europäisches Recht Art. 106 Abs. 2 AEUV: Eingeschränkte Geltung der Wettbewerbsvorschriften bei Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem öffentlichen Interesse erbringen Deutsches Recht 130 Abs. 1 S. 1 GWB: Grundsätzliche Geltung für wirtschaftliches Handeln des Staates

II. Sachlicher Anwendungsbereich: Ausnahmebereiche (5) 5. Sektorales Kartellrecht Merke: Für einzelne Wirtschaftssektoren schafft der Gesetzgeber zunehmend spezielles (sektorales) Kartellrecht. Dies geschieht vor allem in Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, die früher durch den Staat und dessen Untereinheiten erbracht und jetzt in Wettbewerbsmärkte überführt werden sollen. Das Europäische Recht fördert diese Entwicklung durch eine aktive Liberalisierungspolitik auf der Grundlage von Art. 106 Abs. 3 AEUV Betroffene Bereiche: Telekommunikation (TKG); Energie (EnWG); Post; Verkehr Merke: Die Regulierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, etwa auf der Grundlage des Telekommunikationsgesetzes (TKG) erfolgt in Deutschland durch eine eigene Behörde, die Bundesnetzagentur (BNetzA) mit Sitz in Bonn. Diese besonderen Regulierungsgesetze schaffen jedoch keinen kartellrechtlichen Ausnahmetatbestand. Vielmehr ist das Kartellrecht parallel anwendbar mit einer parallelen Zuständigkeit der Europäischen Kommission und des BKartA Sonderfall: Verwertungsgesellschaften (RL über kollektive Rechtewahrnehmung, VGG, Aufsicht durch das DPMA)

III. Räumlicher Anwendungsbereich (1) 1. Territorialitätsgrundsatz und Auswirkungsprinzip a) Territorialitätsgrundsatz (Völkerrecht) Merke: Soweit es um die Vornahme von Hoheitsakten geht, gilt der Territorialitätsgrundsatz. Danach kann aus völkerrechtlicher Sicht nur wettbewerbswidriges Verhalten von Unternehmen im jeweiligen nationalen Territorium oder im Gebiet der EU Gegenstand solcher Maßnahmen sein

III. Räumlicher Anwendungsbereich (2) 1. Territorialitätsgrundsatz und Auswirkungsprinzip b) Auswirkungsprinzip (Kollisionsrecht) Fall 11: Die beiden Schweizer Vitaminproduzenten A und B vereinbaren weltweit einheitliche Preise. Können neben dem Schweizer Kartellamt auch andere Kartellämter Maßnahmen ergreifen? Merke: Bei grenzüberschreitenden Wettbewerbsverstößen ist es völkerrechtlich anerkannt, dass die einzelne nationalen Rechtsordnungen ihr Kartellrecht zur Anwendung bringen dürfen, wenn sich die jeweilige Beschränkung auf den nationalen Markt auswirkt (Auswirkungsprinzip, effects doctrine). In diesen Fällen besteht ein ausreichender Inlandsbezug

III. Räumlicher Anwendungsbereich (3) 1. Territorialitätsgrundsatz und Auswirkungsprinzip b) Auswirkungsprinzip (Kollisionsrecht) Fall 12 (U.S. Supreme Court, Hoffmann-La Roche v. Empagran, 542 U.S. 155 (2004)): Das weltweite Vitaminkartell wird in verschiedenen Staaten auf die unterschiedlichste Art verfolgt. Unter anderem klagen in den USA Opfer des Kartells auf dreifachen Schadensersatz gegen die nur ausländischen Kartellmitglieder. Nachdem die US-amerikanischen Kläger sich mit den Beklagten verglichen haben, hat das amerikanische Gericht nur noch über die Klage ausländische Opfer zu entscheiden. Das Court of Appeals gibt der Klage statt und entscheidet nach U.S. Recht. Der U.S. Supreme Court weist die Klage ab. Was spricht für die eine und die andere Lösung? Literatur: Körber, Die Empagran-Entscheidung des U.S. Supreme Court, ZWeR 2004, 591; Baudenbacher/Behn, Back to Betsy : Die Empagran-Entscheidung des U.S. Supreme Court, ZWeR 2004, 604.

III. Räumlicher Anwendungsbereich (4) 2. Europäisches Kartellrecht Art. 101 Abs. 1/102 AEUV: Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten ( Zwischenstaatlichkeitsklausel ) Abgrenzung vom nationalen Recht Abgrenzung vom ausländischen Recht (Kollisionsrecht) Kommission: Explizite Anerkennung des Auswirkungsprinzips. EuGH: Formales Festhalten am Territorialitätsprinzip = Entscheidend ist aber nicht der Ort der Absprache, sondern der Ort der Ausführung. Deshalb ist es in Bezug auf den EuGH angemessener von einer Durchführungstheorie (implementation theory) zu sprechen Grundlegend: EuGH, Ahlström u.a. gegen Kommission ( Zellstoff ), C-89/85 u.a., ECLI:EU:C:1988:447 Frage: Weicht die Auffassung des EuGH vom Auswirkungsprinzip ab?

III. Räumlicher Anwendungsbereich (5) 3. Deutsches Kartellrecht 130 Abs. 2 GWB: Ausdrückliche Anerkennung des Auswirkungsprinzips. Merke: Es genügt eine spürbare und unmittelbare Beeinträchtigung des Marktes in Deutschland (BGH)

III. Räumlicher Anwendungsbereich (6) 4. Zusammenschlusskontrolle im Besonderen Problem: Fusionierende Unternehmen sind oft in unterschiedlichen Staaten niedergelassen und zunehmend weltweit tätig. Können auch Zusammenschlüsse von Unternehmen außerhalb der EU und Deutschlands der Kontrolle unterworfen werden? a) Orientierung an Umsatzschwellen Art. 1 Abs. 2 FKVO: Gemeinschaftsweite Bedeutung bestimmt nach Umsatzschwellen ( 250 Mio. intern; 5 Mrd. global) 35 Abs. 1 GWB: 25 Mio. innerdeutsch; 500 Mio. global Merke: Im europäischen und deutschen Zusammenschlussrecht wird das Auswirkungsprinzip durch die Anwendung des Umsatzschwellenmodells konkretisiert b) Problem widersprüchlicher Entscheidungen Kommission v. 3.7.2001, COMP/M.2220 General Electric/Honeywell: Verbot eines Zusammenschlusses, der in den USA erlaubt wurde

III. Räumlicher Anwendungsbereich (7) 5. Exportkartelle Fall 13: Unternehmen in den USA und Europa, die Handel mit tropischen Früchten treiben, vereinbaren, dass die Bezugsmärkte Mittelamerikas nach Ländern aufgeteilt werden sollen. Kann die Europäische Kommission oder das deutsche Kartellamt einschreiten? Art. 101, 102 AEUV: Wettbewerbsbeschränkungen, die in der EU veranlasst werden, sich aber nur im Ausland auswirken, sind nicht erfasst Deutsches Recht vor 1999: 98 Abs. 2 GWB a.f.: Verbot auch der Exportkartelle 6 GWB a.f.:ausdrückliche Freistellung von Exportkartellen, soweit sie dem Kartellamt angezeigt werden. 130 Abs. 2 GWB n.f.: Aus dem Auswirkungsprinzip ergibt sich Freistellung für Exportkartelle

III. Räumlicher Anwendungsbereich (8) 6. Anwendbares Recht bei privater Rechtsdurchsetzung Art. 6 Abs. 3 Rom II VO über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht a) Auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus einem den Wettbewerb einschränkenden Verhalten ist das Recht des Staates anzuwenden, dessen Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird. b) Wird der Markt in mehr als einem Staat beeinträchtigt oder wahrscheinlich beeinträchtigt, so kann ein Geschädigter, der von einem Gericht im Mitgliedstaat des Wohnsitzes des Beklagten klagt, seinen Anspruch auf das Recht des Mitgliedstaates des angerufenen Gerichts stützen, sofern der Markt in diesem Mitgliedstaat zu den Märkten gehört, die unmittelbar oder wesentlich durch das den Wettbewerb einschränkende Verhalten beeinträchtigt sind, das das außervertragliche Schuldverhältnis begründet, auf welches sich der Anspruch stützt; klagt der Kläger gemäß den geltenden Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit vor diesem Gericht gegen mehr als einen Beklagten, so kann er seinen Anspruch nur dann auf das Recht dieses Gerichts stützen, wenn das den Wettbewerb einschränkende Verhalten, auf das sich der Anspruch gegen jeden dieser Beklagten stützt, auch den Markt im Mitgliedstaat dieses Gerichts unmittelbar und wesentlich beeinträchtigt.

III. Räumlicher Anwendungsbereich (9) 6. Anwendbares Recht bei privater Rechtsdurchsetzung Fall 14: Das deutsche Unternehmen D hält ein Chemie-Patent u.a. in der Schweiz. D erteilt dem schweizerischen Unternehmen C eine Lizenz für die Produktion der Chemikalie in der Schweiz. Nach einer Gerichtsstandsklausel im Lizenzvertrag soll bei Streitigkeiten zwischen den Parteien ausschließlich das LG Düsseldorf zuständig sein. C stellt eines Tages die Zahlung der Lizenzgebühren ein. D klagt gegen C vor dem LG Düsseldorf. C beruft sich auf die Unwirksamkeit des Lizenzvertrages nach schweizerischem Kartellrecht und erhebt Widerklage auf Schadensersatz. Wendet das deutsche Gericht schweizerisches Recht im Hinblick auf die Nichtigkeit des Vertrages und den Schadensersatzanspruch an? Merke: (1.) Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO kommt zur Anwendung, wenn eine Partei gegen eine andere auf Schadensersatz wegen Verletzung des Kartellrechts klagt (2.) Art. 6 Abs. 3 a) Rom II-VO bildet im Gegensatz zu Art. 130 Abs. 2 GWB eine allseitige Kollisionsnorm. Das heißt, die Vorschrift kann auch zur Anwendung des Kartellrechts eines Staates führen, der nicht Mitgliedstaat der EU ist.

III. Räumlicher Anwendungsbereich (10) 6. Anwendbares Recht bei privater Rechtsdurchsetzung Merke: (3.) Art. 6 Abs. 3 a) Rom II-VO gilt auch für die kollisionsrechtliche Anwendung des GWB. Für private Schadensersatzklagen wird 130 Abs. 2 GWB aufgrund der unmittelbaren Wirkung der Verordnung verdrängt. 130 Abs. 2 GWB behält seine Bedeutung für die Anwendung des GWB durch die Behörden (4.) Art. 6 Abs. 3 a) Rom II-VO orientiert sich auch für Privatklagen am Auswirkungsprinzip (5.) Art. 6 Abs. 3 b) Rom II-VO regelt die Frage nach dem anwendbaren Deliktsrecht bei der Verletzung von europäischem Kartellrecht. Da das europäische Recht im Grundsatz keine eigenen Bestimmungen insbesondere für die Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs enthält, ist auf das Recht der Mitgliedstaaten zurückzugreifen. Die Vorschrift erlaubt im Wege einer Unteranknüpfung die alternative Anknüpfung an das Recht des Gerichtsortes (lex fori). Ansonsten wäre im Wege einer Mosaikbetrachtung alle Rechtsordnungen jener Mitgliedstaaten parallel anzuwenden, auf die sich die Wettbewerbsbeschränkung auswirkt Zur internationalen Zuständigkeit bei Kartellschadensersatzklagen nach den Regeln der Brüssel Ia-VO (EuGVVO) siehe: EuGH, Cartel Damage Claims (CDC), C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335

IV. Verhältnis von deutschem und europäischem Recht (1) 1. Existenz nationalen Wettbewerbsrecht Merke: Das europäische Primärrecht (AEUV) enthält weder ein Gebot noch ein Verbot für die Mitgliedstaaten, ein nationales Wettbewerbsrecht einzuführen Jüngere Mitgliedstaaten wurden aber aufgrund der Assoziierungsabkommen ( Europa-Abkommen ) verpflichtet, nationales Wettbewerbsrecht nach dem Muster des EU-Rechts einzuführen Alle Mitgliedstaaten haben heute ein nationales Kartellrecht

IV. Verhältnis von deutschem und europäischem Recht (2) 2. Zwischenstaatlichkeitsklausel Art. 101 Abs. 1, 102 AEUV: Anwendbarkeit des EU-Rechts bei Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten Merke: Folge: Das primäre EU-Recht bestimmt lediglich den Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts. Dagegen enthält es keine Aussage darüber, ob das europäische Kartellrecht das nationale verdrängt Entscheidend für die Anwendbarkeit des europäischen Rechts ist, ob die Maßnahme eine spürbare Veränderung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten zumindest mittelbar zur Folge haben kann Weiter Anwendungsbereichs des Europäischen Wettbewerbsrechts bei möglicherweise gleichzeitiger Anwendung des nationalen Rechts

IV. Verhältnis von deutschem und europäischem Recht (3) 3. Zweischrankentheorie (nicht mehr vertreten) Koch, BB 1959, 241; Doherty, E.C.L.R. 1994, 315. Merke: Nach der Zweischrankentheorie sind das europäische und das nationale Wettbewerbsrecht jeweils selbstständig nebeneinander anwendbar. Ist nur nach einer Wettbewerbsordnung das Verhalten verboten, setzt sich dieses strengere Recht durch Kritik: Die einheitliche Anwendung des Europäischen Kartellrechts wird in Frage gestellt

IV. Verhältnis von deutschem und europäischem Recht (4) 4. Theorie vom Vorrang des EU-Rechts nach der Neuregelung durch Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 a) Rechtslage vor Inkrafttreten der VO 1/2003 Merke: Vor Inkrafttreten der VO 1/2003 war das Verhältnis von europäischem und nationalem Kartellrecht nicht ausdrücklich geregelt Nach der h.m. vom Vorrang des Europäischen Rechts konnte zwar nationales Kartellrecht neben dem europäischen zur Anwendung gebracht werden. Ein nationales Verbot war aber jedenfalls ausgeschlossen, soweit auf europäischer Ebene eine positive Entscheidung über die Zulässigkeit etwa in Form einer Freistellung vorlag

IV. Verhältnis von deutschem und europäischem Recht (5) 4. Theorie vom Vorrang des EU-Rechts nach der Neuregelung durch Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 b) Absoluter Vorrang des EU-Rechts im Bereich von Art. 101 AEUV nach VO 1/2003 Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003: Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO 1/2003: Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003: Verpflichtung der nationalen Behörden und Gerichte zur Anwendung von Art. 101 und 102 AEUV Nationales Recht darf nicht verbieten, was nach Art. 101 AEUV erlaubt ist Mitgliedstaaten dürfen strengeres nationales Recht zur Unterbindung einseitiger Verhaltensweisen anwenden

IV. Verhältnis von deutschem und europäischem Recht (6) 4. Theorie vom Vorrang des EU-Rechts nach der Neuregelung durch Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 Verhältnis des europäischen zum nationalen Kartellrecht nach VO 1/2003 Vereinbarungen Einseitige Maßnahmen Zusammenschlüsse (Art. 101 AEUV) (Art. 102 AEUV) (FKVO) Europäisches Recht gilt in Europäisches Recht gilt in Keine Änderung seinem Anwendungsbereich; seinem Anwendungsbereich; nationales Recht darf nicht nationales Recht darf daneben strenger sein gelten, auch soweit es strenger ist Merke: Die VO 1/2003 schafft für den zentralen Bereich der Vereinbarungen einen absoluten Geltungsvorrang des EU-Rechts. Dies ist die notwendige Konsequenz aus der Verpflichtung nationaler Instanzen zur Anwendung des Unionsrechts

IV. Verhältnis von deutschem und europäischem Recht (7) 4. Theorie vom Vorrang des EU-Rechts nach der Neuregelung durch Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 b) Deutsches Recht nach der 7. GWB Novelle (2005) 22 Abs. 1 GWB: Grundsatz der parallelen Anwendung von europäischem und deutschem Recht im Bereich von Art. 101 AEUV 22 Abs. 2 GWB: Übernahme von Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO 1/2003 Sicherstellung des absoluten Vorrangs von Art. 101 AEUV gegenüber dem GWB 22 Abs. 3 GWB: Übernahme von Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003 zu einseitigen Wettbewerbsbeschränkungen

IV. Verhältnis von deutschem und europäischem Recht (8) 4. Theorie vom Vorrang des EU-Rechts nach der Neuregelung durch Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 b) Deutsches Recht nach der 7. GWB Novelle (2005) Merke: Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO/ 22 Abs. 2 Satz 1 GWB gilt lediglich ein Anwendungsvorrang im Ergebnis. Dies bedeutet, dass deutsches Recht lediglich im Ergebnis nicht verbieten darf, was europäisches Recht erlaubt Die abweichende Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen ist daher im Prinzip nicht ausgeschlossen. Allerdings hat der Gesetzgeber der 7. GWB-Novelle 1, 2 GWB vollständig an das europäische Recht angeglichen. Deshalb ist in der historischen Auslegung davon auszugehen, dass der Gesetzgeber grundsätzlich eine Auslegung im Einklang mit dem europäischen Recht wollte. Eine abweichende Bestimmung findet sich allein in 3 GWB zu den Mittelstandskartellen Frage: Was ergibt sich aus der Regelung des Verhältnisses von EU-Recht und nationalem Recht für die Frage, ob die deutsche Praxis auch der engeren Auslegung des Unternehmensbegriffs nach der FENIN-Entscheidung des EuGH folgen sollte?

IV. Verhältnis von deutschem und europäischem Recht (9) 4. Theorie vom Vorrang des EU-Rechts nach der Neuregelung durch Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 c) Geltungsvorrang bei gleichzeitiger Anwendung von Art. 101 und 102 AEUV Fall 15: Das Pharmaunternehmen U stellt ein Medikament X her, für das es auf dem Markt zur Bekämpfung von Magengeschwüren marktbeherrschend ist. Außerdem stellt es eine Reihe von Medikamenten her, für die U einem intensiven Wettbewerb ausgesetzt ist. In seinen Verträgen über die Lieferung von X an Krankenhäuser wird bestimmt, dass letztere verpflichtet sind, auch die andereren von U hergestellten Medikamente in Bezug auf ihren gesamten Bedarf zu beziehen. Bei Verstößen sei U berechtigt, die Lieferung von X einzustellen. Kann das BKartA den Fall nach 19 Abs. 1 und 2 Nr. 1 GWB verbieten, ohne dass auf das europäische Kartellrecht Rücksicht genommen werden muss? Problem: 22 Abs. 2 Satz 2 GWB findet sich nicht in Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003. Ist die deutsche Regelung mit der VO 1/2003 vereinbar?

IV. Verhältnis von deutschem und europäischem Recht (10) 4. Theorie vom Vorrang des EU-Rechts nach der Neuregelung durch Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 c) Geltungsvorrang bei gleichzeitiger Anwendung von Art. 101 und 102 AEUV Drei mögliche Auslegungen von Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003: (1.) Ist eine Vereinbarung i.s. von Art. 101 AEUV nach dieser Vorschrift zulässig, dürfen auch die 19 ff. GWB nicht zu einem Verbot führen. 22 Abs. 2 Satz 2 GWB wäre europarechtswidrig (2.) Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003 erlaubt grundsätzlich die unbeschränkte Anwendung von Vorschriften, die zur Kontrolle einseitiger Verhaltensweisen erlassen wurden. 22 Abs. 2 Satz 2 GWB wäre europarechtskonform (3.) Vermittelnde Ansicht: Entscheidend sind die Wertung des Art. 101 AEUV. Danach ließen sich die 19 ff. GWB weiter anwenden, sofern sich das angegriffene Verhalten im Unrecht nicht aus der Vereinbarung, sondern in einem einseitigen Missbrauch materialisiert (z.b.: Anwendung von 20 Abs. 2 und 4 GWB, die abhängige Unternehmen gerade gegen Behinderungen schützen wollen) Folge: Ob 22 Abs. 2 Satz 2 GWB die VO 1/2003 richtig interpretiert, wird der EuGH zu entscheiden haben

IV. Verhältnis von deutschem und europäischem Recht (11) 5. Zusammenschlusskontrolle c) Geltungsvorrang bei gleichzeitiger Anwendung von Art. 101 und 102 AEUV Art. 21 Abs. 2 FKVO: Art. 21 Abs. 3 FKVO: Art. 21 Abs. 4 FKVO: Merke: Ausschließliche Zuständigkeit der Kommission für die europäische Zusammenschlusskontrolle. Ausschluss der parallelen Anwendung der nationalen Zusammenschlusskontrolle Maßnahmen der Mitgliedstaaten zum Schutze anderer berechtigter Interessen zulässig (z.b.: Schutz der Meinungsvielfalt durch Medienkonzentrationsrecht) Im Gegensatz zu Art. 101 und 102 AEUV gilt im Bereich der Zusammenschlusskontrolle der Grundsatz der exklusiven Anwendbarkeit des EU-Rechts in seinem Anwendungsbereich