Arbeitsgemeinschaft (AG) BGB Allgemeiner Teil AG BGB-AT IV Daniela Pfau Wissenschaftliche Mitarbeiterin Raum: 2013 Daniela.Pfau@jura.uni-augsburg.de 1
Wiederholung 1. Bestandteile der WE a) Objektiver Tatbestand Kundgabe objektiver Rechtsbindungswille Auslegung nach objektivem Empfängerhorizont, 133, 157 BGB b) Subjektiver Tatbestand Handlungswille (konstitutiver Bestandteil) Erklärungsbewusstsein (beachte Verantwortlichkeits-/ Vertrauensprinzip) Geschäftswille (nicht konstitutiver Bestandteil) 2
Wiederholung 2. Wirksamwerden der WE a) Abgabe Erkennbare willentliche Entäußerung Willentliche Entäußerung in den Rechtsverkehr, so dass die WE den Machtbereich des Erklärenden willentlich verlässt und in Richtung auf den Empfänger in Bewegung gesetzt wird. b) Zugang empfangsbedürftiger WE Willentliche Übergabe WE so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass unter normalen Umständen mit einer Kenntnisnahme gerechnet werden kann, 130 I 1 BGB. c) Wirksamkeit (rechtshindernd) Widerruf, 130 I 2 BGB Nichtigkeit (Geschäftsunfähigkeit, 105 BGB; Mangel der Ernstlichkeit 118 BGB; Vorbehalt 116 S.2 BGB; Scheingeschäft 117 I BGB) 3
Wiederholung 3. Inhalt der WE a) natürliche Auslegung, wenn beide das gleiche verstanden haben. Falsa demonstratio non nocet b) Objektiver Empfängerhorizont, 133, 157 BGB, wenn beide etwas unterschiedliches verstanden haben. 4
Arbeitsgemeinschaft (AG) BGB Allgemeiner Teil AG 4 Fälle: Das nicht bestellte Buch / Die Jugendstiluhr
Schweigen als Willenserklärung Grundsatz: Schweigen ist rechtlich unbedeutend hat keinen Erklärungswert keine Willenserklärung Ausnahmen: aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls kann das Schweigen einen Erklärungswert erhalten. Vereinbartes Schweigen als WE; Parteivereinbarung; sog. beredetes Schweigen Normiertes Schweigen begründet eine widerlegbare Vermutung - Zustimmung: Kauf auf Probe, 455 S.2 BGB Schenkweise Zuwendung, 516 II 2 BGB Fortsetzung des Gebrauchs nach Ablauf der Mietzeit, 545 BGB Geschäftsbesorgung durch einen Kaufmann, 362 I HGB Erbschaftsannahme, vgl. 1954ff. BGB - Ablehnung: Aufforderung des gesetzlichen Vertreters zur Genehmigung, 108 II 2 BGB Aufforderung des Vertretenen zur Genehmigung, 177 II 2 BGB 6
Zugangsverzicht Grundsatz: Annahme ist empfangsbedürftige WE, 130 I BGB Ausnahme: Zugangsverzicht, 151 BGB Vertragsannahme wird zu nichtempfangsbedürftiger WE Annahmewille muss erkennbar sein Annahme muss nicht zugehen Tatbestandsvoraussetzungen: Annahmeerklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten (1. Alt.) z.b. Rechtsgeschäfte, die für Erklärungsempfänger lediglich vorteilhaft sind Bestellungen nach Katalogen und Preisverzeichnissen Verzicht durch Erklärenden (2. Alt.) z.b. ausdrücklich durch Erklärung Stillschweigend - Kaufgegenstand mit Angebotsofferte verschickt - Verschicken des Kaufgegenstandes ist Angebotsofferte 7
invitatio ad offerendum Rechtliche Konsequenzen: Angebot hat keine Bindungswirkung, 145 BGB Annahme wäre sonst theoretisch durch jedermann möglich Wirksame Verträge werden (noch) nicht geschlossen Ein invitatio ad offerendum ist nicht vom Willen der Anbieter umfasst, folglich kein Rechtsbindungswille Praktische Konsequenzen, wenn eine Bindung bejaht werden würde: man wäre Zahlungsunfähigen Vertragspartnern ausgeliefert man wäre an falsch ausgezeichnete Preise gebunden keine Möglichkeit weitere Bedingungen für den Kauf aufzunehmen evtl. Schadensersatzansprüche der Vertragspartner Es würde kaum mehr etwas zum Kauf bereit gestellt. Bespiele: Versandhauskataloge, Prospekte, Zeitungsinserat, Preisliste Werbung im Radio, Fernsehen, Internet Schaufenster 8
Annahmefrist Antrag gegenüber Anwesenden/mittels Fernsprecher, 147 I BGB Sofortige Annahme Antrag gegenüber Abwesenden, 147 II BGB Bis zu dem Zeitpunkt, in welchem der Antworteingang unter regelmäßigen Umständen erwartet werden darf. Fristbestimmung durch Antragenden, 148 BGB Annahme bis zum Fristablauf Annahme verspätet zugegangen, 149 BGB Annahme hätte bei regelmäßiger Beförderung noch rechtzeitig zugehen müssen, Antragende kann irreguläre Verzögerung erkennen, Verspätung der Annahme nicht unverzüglich angezeigt. Zugangsverzicht der Annahmeerklärung, 151 S.2 BGB Fristbestimmung durch Antragenden Aus den Umständen zu entnehmender Wille des Antragenden (idr kurzfristige Bindung, da mit Ungewissheit verbunden). 9
Fall 1: Das nicht bestellte Buch Lehrer L erhält von dem ihm fremden Verlag V ein Buch; im beigefügten Schreiben heißt es: Sollten Sie das Buch nicht innerhalb von zwei Wochen zurückschicken, so gehen wir davon aus, dass Sie es zum Einführungspreis von 45,- kaufen. L will das Buch nicht. Da er aber das Rückporto nicht zahlen will, verschließt er das Buch in seinem Schreibtisch. Als er nach vier Wochen eine Rechnung erhält, teilt L dem Verlag mit, dass er nicht zahlen werde. 1. Muss L zahlen? 10
Das nicht bestellte Buch Anspruch des V gegen L auf Zahlung der 45 gem. 433 II BGB Anspruch entstanden Wirksamer Kaufvertrag gem. 433 BGB durch zwei übereinstimmende WE Angebot, 145 BGB Annahme, 147 BGB 1. Angebot des V Schreiben enthält essentialia negotii Kaufgegenstand durch zugesandtes Buch bestimmt Abgabe und Zugang bei L, 130 I 1 BGB 11
Das nicht bestellte Buch 2. Annahme durch L Keine explizite Annahme durch L, aber a) Konkludente Erklärung durch Verschließen des Buchs im Schreibtisch? bloßes Behalten kein objektiver, auf das Angebot des V gerichteter Erklärungsinhalt objektiver TB (-) b) Konkludente Erklärung durch Schweigen und unterlassener Rücksendung? Grundsatz: Schweigen hat keinen Erklärungswert Rechtsfolge des Schweigens im Gesetz an zahlreichen Stellen geregelt Umkehrschluss: außerhalb der Tatbestände soll Schweigen keine Wirkung haben. 12
Das nicht bestellte Buch Ausnahme? (1) Beredetes Schweigen Hier keine entsprechende Vereinbarung zwischen L und V V kann nicht einseitig bestimmen, dass bloßes Nichtstun als WE gelten soll (Privatautonomie). (2) Normiertes Schweigen Hier kein ausdrücklich geregelter Fall Fiktion einer WE gem. 242 BGB? Hier keine entsprechende geschäftliche Übung zwischen L und V i.s.e. sich wiederholenden Geschäftsbeziehung kein Vertrauenstatbestand durch Unterlassen geschaffen Angebotenes Geschäft für Unterlassenden lediglich rechtlich vorteilhaft? Durch einen Kaufvertrag würde L rechtlich verpflichtet. 13
Das nicht bestellte Buch c) Verzicht auf Zugang, 151 S.1 BGB? Nur Verzicht auf Zugang, d.h. Empfangsbedürftigkeit wird beseitigt Kein Verzicht auf die WE an sich d) Ausdrückliche Ablehnung des Angebots mit Erhalt der Rechnung Wirksames Angebot des V Keine Annahme durch L Kein wirksamer Kaufvertrag zwischen V und L Ergebnis Kein Anspruch des V auf Kaufpreiszahlung 14
2. Wie wäre der Fall zu entscheiden, wenn L das Buch liest und mit Anmerkungen versieht? 15
Das nicht bestellte Buch Anspruch des V gegen L auf Zahlung der 45 gem. 433 II BGB Anspruch entstanden Wirksamer Kaufvertrag gem. 433 BGB durch zwei übereinstimmende WE Angebot, 145 BGB Annahme, 147 BGB 1. Angebot des V (s.o.) 16
Das nicht bestellte Buch 2. Annahme durch L Keine explizite Annahme durch L, aber Konkludente Erklärung durch Lesen und Versehen mit Anmerkungen? aa) Aneignungs- und Gebrauchshandlung (1) Objektiver Tatbestand Kundgabe des Annahmewillens nach außen. Hier tritt Annahmewille objektiv durch Anmerkungen hervor. (2) Subjektiver Tatbestand (+) (3) Abgabe und Zugang Ausdrücklicher Verzicht auf den Zugang im Schreiben des V, 151 S.1 Alt.1 BGB. L hat objektiven Annahmewillen gezeigt (s.o.). WE des L auch ohne Zugang wirksam 17
Das nicht bestellte Buch bb) Verbraucherschutz - 241a BGB Ziel: Schutz des Verbrauchers vor anstößigen und belästigenden Vertriebsformen bei gleichzeitiger Sanktionierung des Verkäufers. Dem Verbraucher soll ermöglicht werden, unbestellt zugesandte Ware wie geschenkte Sache zu benutzen. Bei der Auslegung von WE zu berücksichtigen: Aneignungshandlungen können nicht als Annahme eines Angebots auf Abschluss eines KV gesehen werden. kein objektiver Annahmewille 18
Das nicht bestellte Buch Tatbestandsvoraussetzungen: (1) unbestellte Sache Zusendung ohne den tatsächlichen Willen des L. (2) V Unternehmer i.s.d. 14 I BGB V Verlag tritt im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit auf. (3) L Verbraucher i.s.d. 13 BGB Ziel des getätigten Rechtsgeschäfts Hier noch nicht abgeschlossen Auslegung des 13 i.v.m. 241a I BGB: fiktives Geschäft relevant L handelt ausschließlich zu privaten Zwecken. Wirksames Angebot des V Keine wirksame Annahme durch L Kein wirksamer Kaufvertrag zwischen V und L Ergebnis Kein Anspruch des V auf Kaufpreiszahlung 19
Fall 2: Die Jugendstiluhr K sieht im Schaufenster des Antiquitätenhändlers A eine Jugendstiluhr zum Preis von 75,-. Wegen des günstigen Preises betritt er den Laden und sagt, er wolle die Uhr für 75,- kaufen. A erklärt, es handele sich um einen Schreibfehler. Die Uhr koste in Wirklichkeit 750,-. K bietet daraufhin 75,-. A will jedoch nur für 600,- verkaufen, was K ausdrücklich zurückweist. Am nächsten Tag ruft K bei A an und erklärt, er sei mit 600,- einverstanden. A aber erwidert, er werde die Uhr nunmehr seiner Freundin schenken. Kann K die Uhr verlangen? 20
Die Jugendstiluhr Anspruch K gegen A auf Übereignung und Übergabe gem. 433 I 1 BGB Anspruch entstanden Wirksamer Kaufvertrag gem. 433 BGB durch zwei übereinstimmende WE Angebot, 145 BGB Annahme, 147 BGB 1. Angebot des A Aufstellung und Preisauszeichnung im Schaufenster Kein objektiv erkennbarer Rechtsbindungswille kein Angebot bloße invitatio ad offerendum 21
Die Jugendstiluhr 2. Angebot des K Absichtserklärung des K im Antiquitätenladen Objektiver Tatbestand (+) Subjektiver Tatbestand (+) Inhalt: 75 Aber von A abgelehnt Zwischenergebnis: Kein wirksamer Kaufvertrag über 75 3. Neues Angebot des A Ablehnung des A als neues Angebot, 150 II BGB Inhalt: 750 Aber von K abgelehnt Zwischenergebnis: Kein wirksamer Kaufvertrag über 750 22
Die Jugendstiluhr 4. Neues Angebot des K Ablehnung des K als neues Angebot, 150 II BGB Inhalt: 75 Aber von A abgelehnt Zwischenergebnis: Kein wirksamer Kaufvertrag über 75 5. Neues Angebot des A Ablehnung des A als neues Angebot, 150 II BGB Inhalt: 600 6. Annahme durch K Einverständniserklärung am nächsten Tag? Nur, wenn das Angebot noch nicht erloschen ist, 146 BGB Ablehnung (Alt.1) nicht rechtzeitige Annahme (Alt.2) Hier: Durch sofortige Ablehnung am Vortag erloschen, 146 Alt.1 BGB. Durch verspätete Annahme erloschen, 146 Alt.2, 147 I 1 BGB. Zwischenergebnis: Das Angebot des A über 600 war bereits erloschen und konnte durch die Einverständniserklärung des K nicht mehr angenommen werden. 23
Die Jugendstiluhr 7. Neues Angebot des K Einverständniserklärung als neues Angebot des K auszulegen, 150 I BGB analog. Inhalt: 600 8. Annahme durch A Ausdrückliche und endgültige Ablehnung durch A Kein wirksamer Kaufvertrag zwischen K und A Ergebnis Kein Anspruch des K auf Übergabe und Übereignung 24