7 Gültigkeit und logische Form von Argumenten Zwischenresümee 1. Logik ist ein grundlegender Teil der Lehre vom richtigen Argumentieren. 2. Speziell geht es der Logik um einen spezifischen Aspekt der Güte von Argumenten: ihre Gültigkeit. 3. Bei der Logik im engeren Sinne geht es sogar nur um eine der beiden Arten von Gültigkeit nämlich um die deduktive Gültigkeit. Gültigkeit und logische Form 1 Der Gegenstand der Logik ist die deduktive Gültigkeit von Argumenten bzw. die logische Folgerungsbeziehung, die zwischen den Prämissen und der Konklusion eines Arguments bestehen muss, wenn dieses Argument deduktiv gültig sein soll. Gültigkeit und logische Form 2
Bisher hatten wir gesagt Ein Argument ist genau dann (deduktiv) gültig, wenn in ihm die Konklusion logisch aus den Prämissen folgt, d.h. wenn die Konklusion wahr sein muss, falls alle Prämissen wahr sind. Frage Was ist hier mit dem Ausdruck muss gemeint? Gültigkeit und logische Form 3 Zwei Beispielargumente (1) Arminia Bielefeld spielt in der zweiten oder in der ersten Bundesliga. Arminia Bielefeld spielt nicht in der ersten Bundesliga. Also: Arminia Bielefeld spielt in der zweiten Bundesliga. (2) Flöten sind keine Blechblasinstrumente. Klaviere sind keine Blechblasinstrumente. Also: Klaviere sind keine Flöten. Gültigkeit und logische Form 4
Zwei weitere Beispielargumente (3) Dieter Timmermann ist Rektor der Universität Bielefeld oder Prorektor für den Bereich Lehre. Dieter Timmermann ist nicht Prorektor für den Bereich Lehre. Also: Dieter Timmermann ist Rektor der Universität Bielefeld. (4) Flöten sind keine Blechblasinstrumente. Piccoloflöten sind keine Blechblasinstrumente. Also: Piccoloflöten sind keine Flöten. Gültigkeit und logische Form 5 Diagnose Die Argumente (1) und (3) und die Argumente (2) und (4) haben jeweils dieselbe logische Form. Die logische Form von (1) und (3) kann man durch folgende Argumentform beschreiben: (1 ) p oder q nicht q Also: p Gültigkeit und logische Form 6
Und die logische Form von (2) und (4) kann man durch folgende Argumentform beschreiben: (2 ) Fs sind keine Gs Hs sind keine Gs Also: Hs sind keine Fs Gültigkeit und logische Form 7 Beobachtung Auf der einen Seite gilt: Alle Argumente der Form (1 ) mit wahren Prämissen haben auch eine wahre Konklusion. Und auf der anderen Seite gilt: Es gibt Argumente der Form (2 ) mit wahren Prämissen und falscher Konklusion. [(4) ist so ein Argument.] Gültigkeit und logische Form 8
Fazit Die Argumente (1) und (3) sind deshalb gültig, weil alle Argumente der gleichen logischen Form (alle strukturgleichen Argumente) mit wahren Prämissen auch eine wahre Konklusion haben. Und Das Argument (2) ist deshalb nicht gültig, weil es ein Argument der gleichen logischen Form (ein strukturgleiches Argument) mit wahren Prämissen und falscher Konklusion gibt. Gültigkeit und logische Form 9 Generell Ein Argument ist genau dann gültig, wenn es kein strukturgleiches Argument mit wahren Prämissen und falscher Konklusion gibt. Und umgekehrt: Ein Argument ist genau dann nicht gültig, wenn es mindestens ein strukturgleiches Argument mit wahren Prämissen und falscher Konklusion gibt. Gültigkeit und logische Form 10
Definition 7.1 In einem Argument folgt die Konklusion genau dann logisch aus den Prämissen, wenn alle strukturgleichen Argumente mit wahren Prämissen auch wahre Konklusionen haben. Gültigkeit und logische Form 11 Bemerkung Die Tatsache, dass es bei der Gültigkeit eines Arguments nur auf dessen logische Form ankommt, ist der Grund dafür, dass die deduktive Logik häufig auch als formale Logik bezeichnet wird. Hinter diesem Ausdruck verbirgt sich also gar nichts Geheimnisvolles, und er bedeutet auch nicht, dass man in der Logik oder besser: mit Hilfe der Logik niemals zu inhaltlichen Aussagen kommen kann. In dieser Ausdrucksweise wird vielmehr nur deutlich, dass die Gültigkeit von Argumenten (also das, worum es der Logik geht) allein von ihrer logischen Form abhängt. Gültigkeit und logische Form 12
8 Logische Form und die Bedeutung der in einem Argument enthaltenen logischen Ausdrücke Frage Wenn A eine Argumentform ist, für die gilt: Alle Einsetzungsinstanzen von A mit wahren Prämissen haben auch eine wahre Konklusion, ist das reiner Zufall? Oder gibt es dafür einen systematischen Grund? Logische Form und logische Ausdrücke 1 Vergleichen wir die folgenden Sätze (1) Gerhard Schröder ist Bundeskanzler. (2) Färsen sind Kühe. (3) 3 ist durch 2 teilbar oder 3 ist nicht durch 2 teilbar. Logische Form und logische Ausdrücke 2
Die Wahrheit des Satzes (1) hängt unter anderem davon ab, wie die Realität beschaffen ist. Um festzustellen, ob dieser Satz wahr ist, müssen wir nicht nur wissen, was die Ausdrücke Gerhard Schröder und Bundeskanzler bedeuten, sondern auch, ob es wirklich so ist, wie der Satz besagt, d.h. ob die durch den Ausdruck Gerhard Schröder bezeichnete Person tatsächlich die durch den Ausdruck Bundeskanzler bezeichnete Eigenschaft hat. Sätze dieser Art werden traditionell synthetische Aussagesätze genannt. Logische Form und logische Ausdrücke 3 Um festzustellen, dass der Satz (2) wahr ist, müssen wir dagegen nicht wissen, wie die Realität beschaffen ist. Die Wahrheit dieses Satzes ergibt sich allein schon aus der Bedeutung der Ausdrücke Färse und Kuh. (Denn im Lexikon steht: Färse Kuh, die noch nicht gekalbt hat.) Sätze wie (2) werden daher zur Abgrenzung gegen Sätze wie (1) analytische Aussagesätze genannt. Logische Form und logische Ausdrücke 4
Die Wahrheit des Satzes (3) hängt nicht einmal mehr von der Bedeutung der Ausdrücke 3 und durch 2 teilbar ab. Für die Wahrheit dieses Satzes kommt es nur auf die Bedeutung der Ausdrücke oder und nicht an. Diese nennt man in Abgrenzung zu den deskriptiven Ausdrücken 3 und durch 2 teilbar logische Ausdrücke. Sätze wie (3) nennt man daher logisch determinierte Aussagesätze. Logische Form und logische Ausdrücke 5 Beobachtung Aus der Tatsache, dass der Satz (3) allein aufgrund der Bedeutung der in ihm vorkommenden logischen Ausdrücke wahr ist, folgt, dass alle Sätze wahr sind, die dieselbe logische Form wie dieser Satz haben, d.h. alle Sätze der Form (3 ) p oder nicht p. Logische Form und logische Ausdrücke 6
Analog gilt für Argumente Wenn sich allein aus der Bedeutung der in einem Argument vorkommenden logischen Zeichen ergibt, dass die Konklusion wahr ist, wenn alle Prämissen wahr sind, dann haben alle strukturgleichen Argumenten mit wahren Prämissen ebenfalls eine wahre Konklusion. Und umgekehrt Wenn alle Argumente derselben logischen Form mit wahren Prämissen auch eine wahre Konklusion haben, dann kann das nur daran liegen, dass sich allein aus der Bedeutung der in diesen Argumenten vorkommenden logischen Zeichen ergibt, dass ihre Konklusion wahr ist, wenn ihre Prämissen wahr sind. Logische Form und logische Ausdrücke 7 Definition 8.1 In einem Argument folgt die Konklusion genau dann logisch aus den Prämissen, wenn sich allein aus der Bedeutung der in den Prämissen und der Konklusion vorkommenden logischen Ausdrücke ergibt, dass alle strukturgleichen Argumente mit wahren Prämissen auch eine wahre Konklusion haben. Definition 8.2 Ein Argument ist genau dann (deduktiv) gültig, wenn sich allein aus der Bedeutung der in den Prämissen und der Konklusion vorkommenden logischen Ausdrücke ergibt, dass alle strukturgleichen Argumente mit wahren Prämissen auch eine wahre Konklusion haben. Logische Form und logische Ausdrücke 8
9 Die Problematik der logischen Form natürlichsprachlicher Aussagesätze Beispiel (1) Alle Tiere sind Lebewesen. Snoopy ist ein Tier. Also: Snoopy ist ein Lebewesen. Wenn wir feststellen wollen ob dieses Argument gültig ist, müssen wir dreierlei tun: Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 1 1. Wir müssen die logische Form des Arguments klären, d.h. feststellen, welche logischen Ausdrücke in ihm vorkommen und auf welche Weise diese Ausdrücke mit den vorkommenden deskriptiven Ausdrücken verbunden sind. 2. Wir müssen klären, welche Bedeutung die vorkommenden logischen Ausdrücke haben. 3. Wir müssen klären, ob sich aus der Bedeutung dieser Ausdrücke ergibt, dass alle strukturgleichen Argumente mit wahren Prämissen auch eine wahre Konklusion haben. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 2
Dies ist es bei umgangssprachlich formulierten Argumenten aber oftmals nicht möglich, und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen: 1. Es ist im allgemeinen schwierig und manchmal sogar unmöglich, die logische Form umgangssprachlich formulierter Argumente eindeutig zu bestimmen. 2. Die logischen Ausdrücke in der Umgangssprache sind oft mehrdeutig; auf jeden Fall ist ihre Bedeutung im allgemeinen nur schwer bestimmbar. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 3 Erstes Beispiel Betrachten wir die folgenden beiden Sätze: (2) Paul ist sportlich und musikalisch. und (3) Paul ist sportlich und Paul ist musikalisch. Prima facie haben die beiden Sätze (2) und (3) offenbar verschiedene logische Formen (2 ) a ist F und G und (3 ) a ist F und a ist G. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 4
Es wird jedoch oft die Auffassung vertreten, dass die Sätzen (2) und (3) dieselbe logische Form haben. Wie lässt sich diese Auffassung begründen? Wenn man vergleicht, wann die Sätze (2) und (3) wahr sind, dann wird schnell klar, dass sie dieselben Wahrheitsbedingungen besitzen: Beide Sätze sind genau dann wahr, wenn es wahr ist, dass Paul sportlich ist und dass Paul musikalisch ist. Also scheint es plausibel anzunehmen, dass beide Sätze dieselbe logische Form haben und zwar die Form (3 ) a ist F und a ist G. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 5 Allerdings Wenn es nur auf die Identität der Wahrheitsbedingungen ankäme, müssten auch die beiden Sätze (3) Paul ist sportlich und Paul ist musikalisch und (4) Es ist nicht der Fall, dass Paul nicht sportlich ist oder dass Paul nicht musikalisch ist dieselbe logische Form haben. Denn auch diese Sätze haben dieselben Wahrheitsbedingungen. Bei diesen Sätzen gibt es jedoch nach übereinstimmender Meinung aller Logiker keinen Zweifel daran, dass ihre logische Form verschieden ist. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 6
Eine Alternative Eine andere Methode, die häufig angewendet wird, um zu entscheiden, ob zwei Sätze A und B dieselbe logische Form haben, besteht darin, zu prüfen, ob aus ihnen dieselben Konklusionen folgen. Probleme 1. Diese Methode führt zu denselben Ergebnissen wie die Methode, bei der geprüft wird, ob A und B dieselben Wahrheitsbedingungen haben. Und 2. Wir benötigen Auskünfte über die logische Form von Sätzen ja gerade deshalb, weil wir wissen wollen, welche anderen Sätze aus ihnen folgen. Wir können also nicht voraussetzen, dass uns das schon bekannt ist. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 7 Zweites Beispiel Betrachten wir die folgenden beiden Sätze (5) Anja und Petra sind Studentinnen und (6) Klaus und Tanja sind ein Paar. Auch diese Sätze scheinen dieselbe logische Form zu haben. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 8
Aber Aus dem Satz (5) kann man auf den Satz (7) Anja ist eine Studentin schließen. Auf der anderen Seite ist der entsprechende Schluss von (6) auf den Satz (8) Klaus ist ein Paar aber nicht möglich. Denn dieser letzte Satz ist nicht nur falsch, er ist sogar unsinnig. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 9 Wenn wir noch einmal genauer hinschauen, dann wird deutlich, dass die Sätze (5) und (6) trotz ihrer grammatisch gleichen Struktur strukturell verschiedene Wahrheitsbedingungen haben. Der Satz (5) ist genau dann wahr, wenn Anja und Petra beide eine bestimmte Eigenschaft haben nämlich die Eigenschaft, eine Studentin zu sein. Der Satz (6) dagegen ist genau dann wahr, wenn zwischen Klaus und Tanja eine bestimmte Beziehung besteht nämlich die Beziehung, ein Paar zu sein. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 10
Der Satz (5) ähnelt also mehr den Sätzen Hans und Paul sind sportlich und Hans und Paul sind musikalisch. Der Satz (6) dagegen mehr den Sätzen Fritz und Inge sind verwandt oder Fritz und Inge sind Geschäftspartner. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 11 In den beiden Sätzen (5) und (6) kommt nicht derselbe logische Ausdruck und vor, sondern zwei verschiedene Arten des und sozusagen ein und 1 und ein und 2. Wenn das so ist, dann ist aber auch die logische Form der beiden Sätze verschieden. Denn dann hat der Satz (5) die Form (5 ) a und 1 b sind F Und der Satz (6) die Form (6 ) a und 2 b sind G. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 12
Drittes Beispiel (11) Fritz und Inge sind verliebt. Problem In diesem Satz kann das und sowohl im Sinne von und 1 als auch im Sinne von und 2 gemeint sein. Der Satz kann bedeuten, dass Fritz und Inge beide verliebt sind aber nicht unbedingt ineinander. Er kann aber auch bedeuten, dass Fritz und Inge ineinander verliebt sind. Es ist also nicht klar, welche logische Form dieser Satz hat. Und das ist so, weil nicht klar ist, was das in ihm enthaltene und bedeuten soll. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 13 Es gibt viele Fälle, in denen es schwierig, vielleicht sogar unmöglich ist, die logische Form umgangssprachlicher Sätze bzw. die Bedeutung der in diesen Sätzen vorkommenden logischen Ausdrücke genau zu bestimmen. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 14
Dafür gibt es zwei Hauptgründe Erster Grund Es gibt Sätze, die auf den ersten Blick trotz unterschiedlicher grammatischer Form dieselbe logische Form zu haben scheinen. Z.B.: (2) Paul ist sportlich und musikalisch. (3) Paul ist sportlich und Paul ist musikalisch. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 15 In diesem Fall stellen sich folgende Fragen: 1. Ist es überhaupt möglich, dass es Sätze gibt, die trotz verschiedener grammatischer Form die gleiche logische Form haben? 2. Falls es möglich ist, wie kann man dann die logische Form dieser Sätze bestimmen? Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 16
Zweiter Grund Es gibt Sätze, die zwar die gleiche grammatische, aber nicht die gleiche logische Form haben. Z.B.: (5) Anja und Petra sind Studentinnen. (6) Klaus und Tanja sind ein Paar. In diesem Fall stellt sich die Frage: Wie kann man feststellen, ob ein in einem Aussagesatz vorkommender logischer Ausdruck dieselbe oder eine andere Bedeutung hat als derselbe Ausdruck in einem anderen Aussagesatz? Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 17 Da sich diese Fragen für die deutsche Umgangssprache nur mit den größten Schwierigkeiten (wenn überhaupt) beantworten lassen, sind wir gezwungen, folgenden Ausweg zu wählen. Wir werden an dieser Stelle die deutsche Umgangssprache verlassen und unsere Zuflucht bei zwei künstlichen Sprachen den Sprachen AL und PL suchen, die so konstruiert sind, dass Probleme der zuvor geschilderten Art gar nicht erst auftreten können. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 18
D.h., diese Sprachen erfüllen die folgenden beiden Bedingungen: 1. In allen Sätzen der Sprachen AL und PL entspricht die logische Form genau der grammatischen Form. 2. Die in diesen Sprachen vorkommenden logischen Ausdrücke haben jeweils nur eine klar definierte Bedeutung. Die Problematik natürlich-sprachlicher Aussagesätze 19