Familiäre Pflege: Welche Bedeutung haben Ressourcen für pflegende Angehörige? Assessment zur Erfassung Ressourcen pflegender Angehöriger (RPA)

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Transkript:

Familiäre Pflege: Welche Bedeutung haben Ressourcen für pflegende Angehörige? Assessment zur Erfassung Ressourcen pflegender Angehöriger (RPA) Prof. Dr. rer. medic. Claudia Mischke, MPH Swiss Congress for Health Professions, Winterthur, 01.06.2012 Inhalte - Hintergrund und Relevanz - Zielsetzung - Methodisches Vorgehen - Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse - Implikationen für die Praxis 1

Relevanz von pflegenden Angehörigen - Annahme: 119.000 Pflegebedürftige in der Schweiz (= 1.6% der Bevölkerung) (Höpflinger et al. 2011, S. 9) Vergleich Deutschland : ca. 1,6 Mill. Pflegebedürftige im häuslichen Umfeld (= 1,8 % der Bevölkerung) (Statistisches Bundesamt, 2009) - Anzahl pflegender Angehöriger??? Schätzung: 220-250.000 - Vorhersagen: Vergleich Jahr 2000 und 2050 (Deutschland): - Verdopplung der auf Unterstützung angewiesenen Menschen (Schweiz: es wird von 2010 bis 2030 mit einer Verdopplung gerechnet) - Reduzierung potentieller informell Pflegender um 40% (Blinkert, 2007) Familiäre Pflege = erwartbarer Regelfall im eigenen Lebenslauf (Höpflinger, 2005) Ausgangslage - Seit den 1970er Jahren: - vermehrt Studien zur Situation pflegender Angehöriger und den Begleiterscheinungen häuslicher Pflege - Fokussierung vor allem auf - Belastungen und Überforderungssymptome durch Pflegeübernahme (insbesondere pflegende Angehörige von Demenzkranken) - Negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der pflegenden Angehörigen - Vereinzelt Studien zu positiven Auswirkungen auf das Erleben der häuslichen Pflege und die Gesundheit von pflegenden Angehörigen 2

Einschätzung der Belastung pflegender Angehöriger durch die Spitex-Mitarbeiterinnen Pflegende Angehörige ist belastet, wütend, deprimiert Pflegende Angehörige hat Auszeit nötig Partner Partnerinnen Söhne Töchter 28% 34% 20% 24% 52% 63% 29% 39% Quelle: Perrig-Chiello, Höpflinger & Schnegg (2010) SwissAgeCare-2010 - Forschungsprojekt im Auftrag von Spitex-Schweiz: Pflegende Angehörige von älteren Menschen in der Schweiz. Schlussbericht. p. 34 Stress/Belastung? Stress/Belastungsempfinden, wenn ein Verlust von Ressourcen droht, ein tatsächlicher Verlust von Ressourcen eintritt oder ein Mangel von Ressourcengewinn insbesondere nach Ressourcen-Fehlinvestitionen vorherrscht (Hobfoll, 1989, 1998). Stress/Belastung Ressourcen 3

Welche spezifischen Ressourcen haben für Pflegende Angehörige im Verlauf ihrer Pflegendenkarriere eine Bedeutung? Ziel - Entwicklung eines Assessmentinstruments, mit dem die Ressourcen pflegender Angehöriger erfasst werden können. Vorgehen Phase I Entwicklung des Instruments Phase II Testung des Instruments 4

1. Phase: Entwicklung des Assessmentinstruments Welche spezifischen Ressourcen sind für pflegende Angehörige im Verlauf ihrer Pflegendenkarriere bedeutsam? Datenquelle: 30 Interviews mit pflegenden Angehörigen Phase I Salutogenese (Antonovsky 1979) Theorie der Ressourcenerhaltung (Hobfoll 1989) RPA (= Assessmentinstrument zur Erfassung der Ressourcen Pflegender Angehöriger) Assessmentinstrument zur Erfassung der Ressourcen von Pflegenden Angehörigen (RPA) - Ausschnitt Antwortmöglichkeiten: 1 = überhaupt nicht 2 = in geringerem Maße 3 = in mittlerem Maße 4 = in beachtlichem 5 = in sehr großem Maße Maße in letzter Zeit = in den letzten 3-4 Wochen... ist (sind) für mich wichtig... habe ich in letzter Zeit dazu gewonnen... habe ich in letzter Zeit verloren... hier wünsche ich mir Unterstützung / Beratung zur Stärkung der Ressource 1 2 7 10 Eine pflegegerechte Wohnsituation Die Möglichkeit von Distanz/Abstand zum Pflegebedürftigen Das Gefühl, dass die eigene finanzielle Zukunft abgesichert/sicher ist Die Familienstabilität/ das Gefühl oder Erleben eines familiären Zusammenhalts 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 5

Phase II Stichprobe (N = 52) Frauen Männer pflegende Angehörige 44 8 Alter minderjährige Kinder im Haushalt 24 87 Jahre M = 57,1, SD = 13,4 26 87 Jahre M = 64,6, SD = 18,7 9 1 berufstätig 12 2 Beziehung zur/zum Pflegebedürftigen Partnerin (14) Tochter (20) Schwiegertochter (4) Enkelin (3) Sonstige (3) Partner (5) Sohn (3) Analysen zur möglichen Reduktion - Itemanalyse und Auswertung der Interviewtagebücher - 4 Items werden eliminiert - 2 Items sind nur für einen Teil der Stichprobe relevant Phase II (N = 52) - explorative Faktorenanalyse (Basis Skala Bedarf ; 37 Items) - 4 Faktoren - erklärte Varianz: 51% - KMO-Wert:,612; - Signifikanz nach Barlett:,000 6

Analysen zur Überprüfung der Güte Phase II - Interne Konsistenz (Cronbachs Alpha) t 0 (N = 52) Skalen Bedeutsamkeit.68 Gewinne.92 Verluste.87 Bedarf.93 Faktoren Faktoren auf der Skala Bedarf.75 -.93 Analysen zur Überprüfung der Güte Phase II Retest-Reliabilität (Produkt-Moment-Korrelation) Skala N = 48 N = 22 Bedeutsamkeit.76.74 Gewinne.77.75 Verluste.57.86 Bedarf.75.79 Faktor N = 48 N = 22 Faktoren Skala Bedarf.62 -.83.62 -.96 7

Zusammenfassung & Diskussion - RPA - Skalen - Interne Konsistenz: gut bis sehr gut (α =.68 bis.93) - Retest-Reliabilität: mittelmäßig bis sehr gut - Inhaltliche Kongruenz: Hypothesen werden bestätigt - Konstruktvalidität: kann für die Skalen Verluste und Bedarf sowie in Teilen für Skala Bedeutsamkeit als gegeben betrachtet werden, aber nicht für die Skala Gewinne - Faktoren - Interne Konsistenz: gut bis sehr gut (α =.75 bis.93) - Retest-Reliabilität: mittelmäßig bis hoch - Ergebnisse zur Überprüfung der Validität bedürfen weiterer Untersuchungen Relevanz / Implikationen - Mikroebene - Strukturierte Erfassung individueller Ressourcen pflegender Angehöriger - Pflegende Angehörige: Bewusstwerden über die eigenen Potentiale, Stärken und Bedarfe - Pflegeberaterinnen: Sensibilisierung für einen ressourcenorientierten und ressourcenstärkenden Ansatz - Mesoebene - Erweiterung des Pflege- und Beratungsverständnisses - Frühwarnsystem - Makroebene - Stabilisierung der Ressource pflegende Angehörige - Schaffung einer empirischen Datengrundlage 8

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Claudia Mischke, MPH Berner Fachhochschule Fachbereich Gesundheit E-mail: claudia.mischke@bfh.ch Tel. 031-8484566 9