Grundlagen der Industrie- und Organisationssoziologie 3. Arbeitsvermögen und Kontrolle Prof. Dr. Birgit Blättel-Mink e-mail: b.blaettel-mink@soz.uni-frankfurt.de
Arbeitsvermögen und Kontrolle Lektüre Edwards, Richard (1981): Drei Geschichten aus der verborgenen Stätte der Produktion. In: ders., Herrschaft im modernen Produktionsprozeß. Frankfurt/M.: Campus, S. 12-32. Taylor, Frederick Winslow (1917, zuerst 1903): Grundsätze einer wissenschaftlichen Betriebsführung. In: ders., Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. München/Berlin: Oldenbourg, S. 31-63.
Arbeitsvermögen und Kontrolle Inhalt 1. Begriffsarbeit Das Problem der Transformation von Arbeitsvermögen in tatsächlich erbrachte Arbeit 2. Die drei Kontrollformen nach Richard Edwards und zwei weitere Kontrollform 3. Scientific Management nach Frederick W. Taylor 4. Organisationssoziologische Bezüge
Das Transformationsproblem der Arbeit Erwerbsarbeit findet immer in Organisationen statt, die aufgrund ihrer Strukturen und kulturellen Facetten mehr oder weniger gut Kontrolle über das Arbeitsvermögen der Mitglieder ermöglichen. Soziale Kontrolle, oder: Woher wissen wir was zu tun ist? Soziale Kontrolle setzt bereits früh im Prozess der Sozialisation ein, wenn soziale Normen übernommen und verinnerlicht werden und dabei auch der individuelle Umgang mit diesen sozialen Verhaltenserwartungen aufgebaut wird (zum Beispiel: "Darf ein richtiger Junge nun weinen oder nicht?"). Gleichzeitig baut die Gesellschaft Instanzen zur sozialen Kontrolle auf. Dies sind Einrichtungen wie zum Beispiel Polizei und Justiz, Verwaltungen, Schulen, Verbände, Familien, Religionsgemeinschaften, die einzelne Menschen oder Gruppen mittel- oder unmittelbar, umfassend oder begrenzt, kurz- oder langfristig, vorbeugend oder nachträglich, gesetzlich verfügt oder im eigenen Auftrag beeinflussen.
Das Transformationsproblem der Arbeit Arbeitsvermögen Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert. (Karl Marx, Das Kapital Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1) vgl. auch Weibliches Arbeitsvermögen nach Ilona Ostner Geduld, Fingerfertigkeit, Empathie Carearbeit, aber auch: Vereinbarkeit Familie und Erwerbsarbeit
Das Transformationsproblem der Arbeit Der Arbeitsvertrag Gewerbeordung von 1869 sieht die Möglichkeit der freien Vereinbarung der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Der Arbeitgeber kauft ein Verfügungsrecht über das Arbeitsvermögen, also die Fähigkeit und Bereitschaft der Beschäftigten, zu arbeiten. Arbeitspflicht von Seiten des Arbeitnehmers Pflicht zur Lohnzahlung durch den Arbeitgeber Problem dabei: die sog. Unbestimmtheitslücke des Arbeitsvertrages. Der Arbeitgeber kauft keine klar definierte Leistung ein, sondern nur die Ware Arbeitskraft (Bereitschaft und Fähigkeit, zu arbeiten).
Das Transformationsproblem der Arbeit Warum geht ein Arbeitnehmer überhaupt einen Arbeitsvertrag ein? Warum wird er Mitglied einer Organisation? Chester Barnard und später James G. March und Herbert A. Simon arbeiten hier mit der Anreiz-Beitrags-Theorie: Der Anreiz ist das Gehalt und der Beitrag ist die Leistung, die der Vertragsnehmer, der Beschäftigte erbringen muss. Damit fallen Teilnahmemotivation, bedingt durch den Anreiz und Leistungsmotivation, bedingt durch den Beitrag auseinander. Der Arbeitgeber muss dann sicherstellen, dass die Beschäftigten in ausreichendem Maße zum Unternehmensgeschehen oder Unternehmensziel beitragen.
Das Transformationsproblem der Arbeit Transformationsproblem Wie kann also der Arbeitgeber sicherstellen, dass der Arbeitnehmer möglichst viel seines Arbeitsvermögens in den Dienst des Arbeitgebers stellt? Wie gelingt es dem Kapital, das eingekaufte Arbeitsvermögen in konkrete Arbeitsleistung zu transformieren? Zunächst erhält der Arbeitgeber ein Dispositions- bzw. Direktionsrecht, d.h. eine Mitverfügung über die Person des Arbeitnehmers. Zudem besitzt der Arbeitgeber vielfältige Kontrollmöglichkeiten, um die Differenz zwischen dem Leistungsvermögen des Arbeitnehmers und der tatsächlichen Leistung gering zu halten.
Das Transformationsproblem der Arbeit Um die Differenz zwischen dem vorhandenen Arbeitsvermögen eines Beschäftigten und der tatsächlich verausgabten Leistung gering zu halten, ist die Kontrolle der betrieblichen Abläufe wichtig Kontrolle ist hier als die Fähigkeit der Kapitalisten und /oder Manager definiert, von den Arbeitern das gewünschte Arbeitsverhalten zu erzwingen. (Richard Edwards 1981, S. 27) Die Macht des Beschäftigten im Betrieb spielt für das Ausmaß der Kontrolle eine nicht unbedeutende Rolle - Handlungs- und Erfahrungsmacht. Austauschbarkeit, exklusives Wissen. Zwei Fragen stellen sich hier: In welchem Ausmaß und in welcher Form wird die Kontrolle aufrechterhalten? Inwieweit fördert oder behindert das Ausmaß und die Form der Kontrolle einen möglichen Widerstand auf Seiten der Arbeiter, oder abhängig Beschäftigten ganz allgemein?
Kontrollformen nach Richard Edwards und eine weitere Elemente der Kontrolle des Arbeitsvermögens Anweisung Beitrag des Arbeiters! Mechanismus bzw. Methode, durch die der Arbeitgeber (Manager wird selbst kontrolliert) die Arbeitsaufgaben leitet, indem er definiert, was, in welcher Reihenfolge, mit welcher Präzision und in welcher Zeit getan werden muss. Scientific Management, Fließband-REFA Bewertung Ein Verfahren, mit dessen Hilfe der Arbeitgeber kontrolliert und beobachtet, um Fehler oder andere Mängel in der Produktion zu korrigieren, um die Leistungen seiner Beschäftigten abzuschätzen und um die Arbeiter bzw. Arbeitsgruppen herauszufinden, die keine angemessenen Leistungen erbringen Disziplinierung Eine Einrichtung, mit deren Hilfe der Arbeitgeber die Arbeiter disziplinieren und belohnen kann, um Kooperation zu erzielen und um die Arbeiter zu zwingen, sich der Leitung des Arbeitsprozesses durch den Kapitalisten zu unterwerfen
Kontrollformen nach Richard Edwards und zwei weitere Einfache bzw. persönliche Kontrolle (vgl. Manufakturwesen nach Karl Marx) findet sich in den frühen kapitalistischen Betriebseinheiten der Manufaktur; kein Kontrollsystem, sondern Unmittelbarkeit, Willkür, geringe Macht des Arbeiters / der Arbeiterin Aktuell: Die Spulenwicklerin Kontrolle durch den Meister Technische Kontrolle (vgl. scientific management nach Frederick W. Taylor und das Fliessband nach Henry Ford) Wissenschaftliche Zergliederung der Produktionsprozesses, Zeit- und Bewegungsstudien; one-bestway für jeden Produktionsschritt und für den Arbeitnehmer. Aktuell: Prüfer in der Qualitätskontrolle eines Automobilkonzerns Bürokratische Kontrolle (vgl. das bürokratische Organisationsmodell nach Max Weber) Aktuell: Forschungslaborant, F&E-Abteilung Systemische Kontrolle (Kontrolle durch Computerisierung; vgl. Martin Baethge) z.b. Tätigkeit als Bankangestellter Selbstkontrolle (Kontrolle durch Subjektivierung)
Arbeitsvermögen und Kontrolle Frederick Winsley Taylor * 20. März 1856 in Germantown, Pennsylvania, USA 21. März 1915 in Philadelphia US-amerikanischer Ingenieur und Arbeitswissenschaftler Hauptwerk: The Principles of Scientific Management, 1911 by Frederick W. Taylor (Auszüge finden sich in: http://www.eldritchpress.org/fwt/taylor.html)
Frederick Winsley Taylor: Scientific Management Grundsätze Taylors 1. Loslösung des Arbeitsprozesses von den Fertigkeiten der Arbeiter: Den Betriebsleitern fällt die Aufgabe... zu, all die überlieferten Kenntnisse zusammenzutragen, die früher im Besitz der einzelnen Arbeiter waren, sie zu klassifizieren und in Tabellen zu bringen und diese Kenntnisse zu Regeln, Gesetzen und Formeln zu reduzieren. 2. Trennung von Planung und Ausführung: Die Werkstatt soll von jeder denkbaren geistigen Arbeit befreit werden. Jegliche solche Arbeit soll in einem Planungs- und Arbeitsbüro vereinigt werden. 3. Systematisierung des Wissens, um jeden Schritt des Arbeitsprozesses und seine Ausführungsweise zu kontrollieren: Die zu leistende Arbeit eines jeden Arbeiters ist von der Leitung wenigstens einen Tag vorher aufs genaueste ausgedacht und festgelegt. Der Arbeiter erhält gewöhnlich eine ausführliche schriftliche Anleitung, die ihm bis ins Detail seine Aufgabe, seine Werkzeuge und ihre Handhabung erklärt.... Dieses Pensum bestimmt nicht nur, was, sondern auch, wie es getan werden soll, und setzt genau die Zeit fest, die zur Vollbringung der Arbeit gestattet ist. (1917: 41)
Frederick Winsley Taylor: Scientific Management Zentrale Elemente der tayloristischen Arbeitsorganisation Systematische Vorausplanung der Arbeit Trennung von Hand- und Kopfarbeit (Planungs- und Arbeitsbüro) Formalisierung von Anweisungs- und Kontrollstrukturen (Akkordlohnsysteme) Auswahl der geeigneten Arbeiter
Frederick Winsley Taylor: Scientific Management Kontrolle gegen Widerstand? Oder: Win-Win-Situation?
Organisationssoziologische Bezüge Organisationsverständnis von Max Weber und Frederick W. Talyor Max Weber: Bürokratische Organisation Ziel: Durchführung und Erhaltung von legaler Herrschaft Struktur: klare Positionen, Über- und Unterordnung, Kompetenzen, Aufstiegsregeln, Rechte und Pflichten gelten auch für den Vorgesetzten, Berufsbeamtentum, Betriebsmittel entpersonalisiert Mitgliedschaftsregeln: Voraussetzung für Beamtenstatus Frederick W. Taylor: Wirtschaftliche Organisation Ziel: Effizienz, Gewinnmaximierung Struktur: Systematik, Trennung von Kopf und Handarbeit, Formalisierung Mitgliedschaftsregeln: geeignete Mitarbeiter
Organisationssoziologische Bezüge Organisationsverständnis von Max Weber und Frederick W. Talyor Gemeinsamkeiten: Best Practice Rationalität Geschlossenheit Strukturkonvergenz