Dr. Christian Stock Institut für Medizinische Biometrie und Informatik (IMBI) Universitätsklinikum Heidelberg

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Transkript:

Was wäre wenn in allen Krankenhäusern die gleichen Behandlungsentscheidungen getroffen würden wie in spezialisierten Zentren? Eine Untersuchung zum Potential der Thrombolysetherapie bei Hirninfarkt Dr. Christian Stock Institut für Medizinische Biometrie und Informatik (IMBI) Universitätsklinikum Heidelberg 15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung Berlin, 7. Oktober 2016

Kooperationsprojekt Dr. Christoph Gumbinger und Prof. Dr. Peter Ringleb Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Heidelberg Dr. Björn Reuter Klinik für Neurologie und Neurophysiologie, Universitätsklinikum Freiburg Geschäftsstelle Qualitätssicherung im Krankenhaus (GeQiK) bei der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft 2

Publikation Gumbinger C, Reuter B, Hacke W, Sauer T, Bruder I, Diehm C, Wiethölter H, Schoser K, Daffertshofer M, Neumaier S, Drewitz E, Rode S, Kern R, Hennerici MG, Stock C*, Ringleb P*. Restriction of therapy mainly explains lower thrombolysis rates in reduced stroke service levels. Neurology 2016; 86(21): 1975-83. * equal contributions 3

Thrombolysetherapie bei Hirninfarkt Die systemische Thrombolysetherapie ist wirksam in der Behandlung des akuten Hirninfarkts. Odds ratio for favourable outcome (score 0-1 on mrs) with time to treatment with rtpa after onset of stroke and comparisons with pooled analysis of RCTs. Gumbinger et al., BMJ, 2014 Sie wird jedoch in unterschiedlichem Maße in der klinischen Routine angewendet. 4

Thrombolyseraten nach Versorgungsstufe Unterschiedliche Patientenkollektive?? 5

Leitlinie Der Vorteil der rtpa-therapie ist zeitabhängig. Die intravenöse Behandlung mit rtpa [ ] wird innerhalb eines 4,5-Stunden- Fensters ohne obere Altersgrenze zur Behandlung ischämischer Hirninfarkte empfohlen. Die Behandlung mit rtpa kann bei Patienten mit geringem Schlaganfallschweregrad, rückläufigen Symptomen, Diabetes mit Schlaganfall in der Anamnese [ ] erwogen werden. Behinderung (mrs) nicht erwähnt. 6

Fragestellung: Was wäre wenn? Wie würden sich Thrombolyseraten und -zahlen in der akutstationären Schlaganfallversorgung ändern, wenn in allen Krankenhäusern die gleichen Behandlungsentscheidungen (Thrombolyse vs. keine Thrombolyse) getroffen würden wie in spezialisierten Zentren? 7

Einleitung Materialien und Methoden Ergebnisse Diskussion Referenzen Patientenkollektiv Schlaganfallregister: Baden-Württembergische Geschäftsstelle Qualitätssicherung im Krankenhaus (GeQiK) Erfassung: ca. 98% aller akuten, stationär behandelten Schlaganfälle in Baden-Württemberg 36.901 Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall, ICD-10: I63 und I67.0 Zeitraum: 2008 bis 2012 Stationäre Aufnahme <4.5h nach Symptombeginn 8

Einleitung Materialien und Methoden Ergebnisse Diskussion Referenzen Design und Analyse Registerbasierte retrospektive Beobachtungsstudie Robuste Poisson-Modelle Outcome: Thrombolyserate Prädiktoren: Patientenvariablen und Versorgungsstufe Bivariate Interaktionseffekte: Versorgungsstufe Altersgruppe Versorgungsstufe prämorbider mrs Versorgungsstufe NIHSS Versorgungsstufe Clustervariable: Krankenhaus Stepwise Variablenselektion 9

Einleitung Materialien und Methoden Ergebnisse Diskussion Referenzen Design und Analyse Modellanpassung GL(M)M/ GEE Variablenselektion Interaktionen Rekodierung der Versorgungsart Versorgungsstufe Zentrum POTENTIAL IST Modellbasierte Prädiktion Gesamtheit Verschiedene Kovariablenkonstellationen (Subgruppen) 10

Finales Modell Bivariate Interaktionseffekte: Versorgungsstufe Altersgruppe Versorgungsstufe prämorbider mrs Versorgungsstufe NIHSS alle p<0.0001 Kovariablen: Versorgungsstufe Geschlecht Diabetes Z.n. Schlaganfall Altersgruppe prämorbider mrs NIHSS alle p<0.001 11

Potentielle Thrombolyserate 12

Potentielle Thrombolyserate Die errechnete potentielle Anzahl Patienten mit Thrombolysebehandlung lag bei 16.039, d.h. um 52.8% höher als die tatsächliche Anzahl. Die geschätzten potentiellen Thrombolyseraten rangierten zwischen 41.9% (regionale Schlaganfalleinheit) und 44.6% (keine Schlaganfalleinheit). 13

Diskussion Methodisch: Ansatz berücksichtigt die Charakteristika der unterschiedlichen Patientenkollektive Erlaubt Abschätzung der maximalen Anwendung einer Therapie, die an einem Benchmark orientiert ist. Inhaltlich: Differenzen zwischen verschiedenen Versorgungsstufen zum Großteil durch unterschiedliche Behandlungsentscheidungen abhängig vom Patientenalter und von vorbestehenden Behinderungen erklärt. 14

Schlussfolgerung Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Thrombolyserate in der Schlaganfallbehandlung bei konsequenterer Anwendung deutlich erhöht werden könnte. Sie unterstützen auch Leitlinien-Empfehlungen, Patienten mit akutem Schlaganfall in Schlaganfalleinheiten zu versorgen, die die Chance einer Thrombolysebehandlung dort größer ist. 15

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: Dr. Christian Stock Institut für Medizinische Biometrie und Informatik (IMBI) Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 130.3, 69120 Heidelberg Tel +49 (0)6221 56-53 46 Fax +49 (0)6221 56-41 95 stock@imbi.uni-heidelberg.de www.biometrie.uni-heidelberg.de 16

Referenzen Gumbinger C, Reuter B, Stock C, Sauer T, Wiethölter H, Bruder I, Rode S, Kern R, Ringleb P, Hennerici MG, Hacke W; AG Schlaganfall. Time to treatment with recombinant tissue plasminogen activator and outcome of stroke in clinical practice: retrospective analysis of hospital quality assurance data with comparison with results from randomised clinical trials. BMJ 2014; 348:g3429. Gumbinger C, Reuter B, Hacke W, Sauer T, Bruder I, Diehm C, Wiethölter H, Schoser K, Daffertshofer M, Neumaier S, Drewitz E, Rode S, Kern R, Hennerici MG, Stock C*, Ringleb P*. Restriction of therapy mainly explains lower thrombolysis rates in reduced stroke service levels. Neurology 2016; 86(21):1975-83. * equal contributions 17