Arbeitsgemeinschaft zum Staatsorganisationsrecht. Wintersemester 2008/2009. Übungsfall 11 - Lösung Bündniseinsätze

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Transkript:

sophie.oldenburg@rewi.hu-berlin.de http://schlink.rewi.hu-berlin.de/staff/so Sophie Oldenburg Raum PAL 117 Arbeitsgemeinschaft zum Staatsorganisationsrecht Wintersemester 2008/2009 Nach BVerfG 07.05.2008-2 BvE 1/03 Übungsfall 11 - Lösung Bündniseinsätze Das Bundesverfassungsgericht wird dem Antrag stattgeben, wenn er zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit Der Antrag ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sind. I. Zuständigkeit Die F-Fraktion des Deutschen Bundestages und die Bundesregierung streiten sich über die Beteiligung des Bundestages bei einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte außerhalb des Bundesgebietes. Dies betrifft die Frage nach den Kompetenzen der einzelnen Organe. Zur Klärung dieser Frage ist das Bundesverfassungsgericht im Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1, 13 Nr. 5, 63 ff. BverfGG zuständig. Hiernach entscheidet es über die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter. II. Beteiligte 1. Antragsgegner Die Bundesregierung ist als oberstes Bundesorgan gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1, 13 Nr. 5 unzweifelhaft tauglicher Antragsgegner. 2. Antragsteller Fraglich ist, ob die F-Fraktion tauglicher Antragsteller ist. Beteiligte an einem Organstreitverfahren können gemäß 63 BVerfGG auch Teile der dort genannten obersten Bundesorgane sein, soweit sie im GG selbst oder in den Geschäftsordnungen mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Die F-Fraktion ist Teil des Bundestages und mit eigenen Rechten ( 76 GOBT) ausgestattet und damit ebenfalls beteiligtenfähig. III. Antragsgegenstand Zulässiger Antragsgegenstand kann gemäß 64 BVerfGG jede rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung sein. Der F-Fraktion geht es um die Unterlassung der Bundesregierung, die Zustimmung des Bundestages zu dem Einsatz der Streitkräfte herbeizuführen. IV. Antragsbefugnis Die Antragstellerin müsste antragsbefugt sein. D.h. sie muss geltend machen, dass sie oder das Organ, dem sie angehört, durch die Unterlassung der Antragsgegnerin in ihren verfassungsrechtlichen Rechten verletzt, 64 BVerfGG. Eine mögliche eigene Rechtsverletzung der Fraktion durch die Unterlassung ist nicht erkennbar. Allerdings reicht es für die Antragsbefugnis aus, wenn die Antragstellerin prozessstandschaftlich die Rechte des Organs des Bundestages geltend macht. Problematisch ist indes, ob dies auch gegen den Willen des Bundestages möglich ist, der den Entschließungsantrag der Fraktion

mehrheitlich abgelehnt hat. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts liegen Sinn und Zweck der in 64 BVerfGG vorgesehenen Prozessstandschaft gerade darin, der Parlamentsminderheit die Befugnis zur Geltendmachung der Rechte des Deutschen Bundestages auch dann zu erhalten, wenn dieser seine Rechte, insbesondere im Verhältnis zu der von ihm getragenen Bundesregierung nicht wahrnehmen will. Die Zuerkennung der Befugnis zur Prozessstandschaft ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch Instrument des Minderheitenschutzes. Damit kann die F-Fraktion die Rechte des Bundestages geltend machen. Eine solche Verletzung ist auch nicht ausgeschlossen, denn nach der Konzeption des Grundgesetzes bedürfen bewaffnete Einsätze der Streitkräfte grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages sog. wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt. Dies wird insbesondere aus den Gesamtzusammenhang der wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften des GG (Art. 80a, 115a GG) und aus der Verfassungstradition hergeleitet, wonach die Streitkräfte als Parlamentsheer ausgestattet sind. V. Form und Frist Bedenken an der Einhaltung von Formanforderungen des 23 Abs. 1BVerfGG bestehen nicht. Der Antrag muss innerhalb von 6 Monaten nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antraggegners dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt sein, 64 Abs. 3 BVerfGG. Die F- Fraktion hat am 8. August den Antrag gestellt. Die Unterlassung der Erwirkung der Zustimmung zum Einsatz der Aufklärungsflugzeuge musste vor Einsatzbeginn und nach dem Natobeschluss am 19. Februar gelegen haben. Die Antragsfrist von 6 Monaten was somit frühestens am 19. August abgelaufen. Der Antrag war fristgerecht gestellt. VI. Rechtsschutzbedürfnis Darüber hinaus müsste für die Antragstellerin ein Rechtschutzbedürfnis bestehen. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Fraktion ein schnellerer, einfacherer und effektiverer Weg zur Verfügung steht. Indem die F-Fraktion einen Entschließungsantrag in den Bundestag eingebracht hat, hat sie das ihr Mögliche unternommen, den Bundestag zur Geltendmachung seiner Rechte zu veranlassen. Möglicherweise fehlt das Rechtschutzbedürfnis, weil der Einsatz zum Zeitpunkt der Antragstellung schon abgeschlossen war. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass auch Rechtsverletzungen aus der Vergangenheit im Organstreitverfahren angegriffen werden können. Hier liegt zudem eine Wiederholungsgefahr vor. Es besteht hier ein objektives Interesse an der Klärung der Reichweite des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts schon im Hinblick auf die Gefahr, dass dem Deutschen Bundestag in vergleichbarer Situation auch in Zukunft ein Auslandseinsatz nicht zur Zustimmung unterbreitet wird. VII.Zwischenergebnis Das Organstreitverfahren ist zulässig. B. Begründetheit Das Organstreitverfahren ist begründet, wenn die Unterlassung der Bundesregierung den Bundestag in seinen verfassungsrechtlichen Rechten verletzt. Dies ist der Fall, wenn der AWACS-Einsatz einer Zustimmung des Bundestages bedurfte. Dazu müssten Einsätze der Bundeswehr im Rahmen des Natobündnisses generell der Zustimmung bedürfen und der konkrete Einsatz der Bundeswehr müsste der Zustimmungsbedürftigkeit unterfallen.

I. Zustimmungsbedürftigkeit/ wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt Fraglich ist, ob die Bundesregierung den Einsatz der AWACS-Flugzeuge in der Türkei nur mit Zustimmung des Bundestages anordnen durfte. 1. Art. 24 Abs. 2 GG Nach Art. 24 Abs. 2 GG ist der Bund ermächtigt, sich zur Wahrung des Friedens in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen. Die NATO stellt als Verteidigungsbündnis ein solches System gegenseitiger kollektiver Sicherheit dar. Daneben stellt Art. 24 Abs. 2 GG die rechtliche Grundlage für die Beteiligung deutscher Streitkräfte an Einsätzen außerhalb der Bundesrepublik dar, soweit diese nach den Regeln und innerhalb des Rahmens des Systems der gegenseitigen kollektiven Sicherheit erfolgt. Allerdings enthält Art. 24 Abs. 2 GG keine Regelung der Organkompetenz, also der Frage, welches Organ innerhalb der Bundesrepublik Deutschland für die Entscheidung über einen konkreten Einsatz zuständig ist. 2. Art. 59 Abs. S. 1 GG Eine Regelung zur Organkompetenz findet sich jedoch in Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG. Danach bedürfen völkerrechtliche Verträge wie der NATO-Vertrag der Zustimmung des Bundestages. Diese Zustimmung ist jedoch bei Schließung des Vertrages erfolgt. Hier geht es nicht um die Zustimmung zum Vertrag selbst, sondern zu Einsätzen die sich aus den vertraglichen Verpflichtungen ergeben. Die in dem Zustimmungsakt zum NATO-Vertrag liegende rechtliche und politische Verantwortung des Parlamentes erschöpft sich gerade nicht in einem einmaligen Zustimmungsakt, sondern erstreckt sich auch auf den weiteren Vertragsvollzug. Aus Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG ergibt sich jedoch, dass nicht jeder weitere Vertragsvollzug erneut einer Zustimmung des Parlamentes bedarf. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung auch ermächtigt ist, den Vertrag in den Formen des Völkerrechts fortzuentwickeln. Daraus folgt, dass die Anpassung des Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit an sich wandelnde weltpolitische Rahmenbedingungen und damit einhergehende Gefährdungslagen innerstaatlich zuerst der Bundesregierung obliegt. Allerdings ist in dieser bündnispolitische Gestaltungsfreiheit der Bundesregierung nicht die Entscheidung darüber eingeschlossen, wer innerstaatlich darüber zu befinden hat, ob sich Soldaten der Bundeswehr an einem konkreten Einsatz beteiligen, der im Bündnis beschlossen wurde. Aufgrund der politischen Dynamik ist es umso bedeutsamer, dass die größer gewordene Verantwortung für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte in der Hand des Parlamentes liegt. Gerade der Einsatz bewaffneter Streitkräfte birgt nicht nur erhebliche Risiken für deutsche Soldaten, sondern auch ein erhebliches politisches Eskalationspotenzial. Die politische Verantwortung für diese Fragen steht grundsätzlich in der Kompetenzverantwortung des demokratisch direkt legitimierten Parlaments. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat diese Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung Auswirkungen auf die Frage, wie Grenzfälle eines möglichen Einsatzes bewaffneter Streitkräfte zu beurteilen sind. Sie kann nicht im Lichte exekutiver Gestaltungsfreiräume oder nach der Räson einer Bündnismechanik wie etwa der von der Antragsgegnerin angeführten Bündnisroutine beantwortet werden. Angesichts der Funktion und Bedeutung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts darf seine Reichweite nicht restriktiv bestimmt werden. Hieraus folgt, dass ein Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte grundsätzlich der konstitutiven Zustimmung des Deutschten Bundestages bedarf.

II. konkreter AWACS-Einsatz in der Türkei Zu untersuchen ist nun, ob der konkrete AWCS-Einsatz in der Türkei auch unter den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt fällt, d.h. ob er als Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu qualifizieren ist. Um die Frage zu beantworten, was ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist, könnte man zunächst auf 2 ParlBG (Parlamentsbeteiligungsgesetz) zurückgreifen, welches 2005 zur Regelung der näheren Einzelheiten der parlamentarischen Mitwirkung an Einsätzen bewaffneter Streitkräfte verabschiedet wurde. Nach dieser Norm liegt ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte vor, wenn Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine solche zu erwarten ist. Jedoch ist der Begriff Einsatz bewaffneter Streitkräfte ein verfassungsrechtlicher Begriff, der nicht von einem unter der Verfassung stehenden Gesetz verbindlich konkretisiert werden kann. Nach dem Bundesverfassungsgericht kommt es entscheidend darauf an, ob nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen der Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist und deutsche Soldaten deshalb bereits in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es auch tatsächlich zu Kampfhandlungen kommen muss. 1. hinreichend greifbare Anhaltspunkte Erforderlich ist daher zunächst, dass hinreichend greifbare Anhaltspunkte für die Anwendung von Gewalt gegeben sind. Hierfür müsste eine konkrete militärische Gefahrenlage bestehen, die sich aus der Lage des Falles und den politischen Gesamtumständen ergibt. Operationsziele und die Reichweite der militärischen Befugnisse stellen dabei Indikatoren für die Gefahrenlage dar. Ob tatsächlich hinreichend greifbare Anhaltspunkte bestehen ist nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gerichtlich voll überprüfbar. Die AWACS- Aufklärungsflugzeuge waren Bestandteil eines Systems konkreter militärischer Schutzmaßnahmen gegen einen befürchteten Angriff auf das Bündnisgebiet der NATO. Zum ersten Mal in der Geschichte des Bündnisses hatte die Türkei Konsultationen nach Art. 4 des NATO-Vertrages beantragt, da Hussein Saddam Hussein damit gedroht hatte, alle Bündnispartner der USA in der Umgebung des Iraks anzugreifen. Aus diesem Grund wurden neben den AWACS-Flugzeugen auch Abwehrraketen vom Typ PATRIOT in der Türkei stationiert, um insbesondere Angriffen mit biologischen und chemischen Waffen zu begegnen. Für die drohende Anwendung von Gewalt spricht zudem der Umstand, dass die AWACS-Flugzeuge im Falle eines bewaffneten Angriffs die Aufklärungsdaten an die PATRIOT-Stellungen weiterleiten. Damit übernimmt die AWACS-Besatzung einer Feuerleitführung und spielt so eine wesentliche Rolle bei einer militärischen Abwehrreaktion. Damit wäre bei einem Angriff des Irak auf die Türkei auch die BRD in der Bündnisautomatik unmittelbar kämpfende Partei geworden. Dies sind keine Maßnahmen, die als alltäglich in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu sehen sind und sind damit keine Bündnisroutine. Sie weisen vielmehr einen konkreten Bezug zu einer bewaffneten Auseinandersetzung auf. Die verfassungsrechtlich entscheidende Schwelle zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte wurde überschritten. Es waren somit hinreichend greifbare Anhaltspunkte für die Anwendung von Gewalt gegeben. 2. besondere Nähe? Des Weiteren müsste die Einbeziehung deutscher Soldaten auch unmittelbar zu erwarten gewesen sein, also eine besondere Nähe zur Anwendung der Waffengewalt bestanden haben. Hierzu führt das BVerfG aus:

Spätestens mit den aufgrund der Lageverschlechterung erweiterten Einsatzregeln hing die Einbeziehung der deutschen Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen nur noch davon ab, ob und wann der Irak einen Angriff auf die Türkei unternehmen würde. Denn in diesem Fall dessen Wahrscheinlichkeit sich ab dem 20.03.2003 mit Beginn der kriegerischen Handlungen im Irak noch einmal erhöht hatte, wären die Handlungen deutscher Soldaten ohne jede zeitliche Verzögerung wesentlicher Teil einer sofortigen militärischen Abwehrreaktion geworden, weil die AWACS-Flugzeuge jederzeit mit ihrer Feuerleitfunktion zur Verfügung standen. Nach alledem war eine Einbeziehung deutscher Streitkräfte in bewaffnete Auseinandersetzungen auch unmittelbar zu erwarten. III. Zwischenergebnis Die Beteiligung deutscher Soldaten an den AWACS-Aufklärungsflügen stellte eine dem Parlamentsvorbehalt unterfallenden Einsatz bewaffneter Streitkräfte dar. Er bedurfte daher der Zustimmung des Bundestages. Die Weigerung der Antragsgegnerin, diese Zustimmung einzuholen, verletzt den Bundestag in seine verfassungsrechtlichen Rechten. Das Organstreitverfahren ist somit begründet. C. Ergebnis Das Organstreitverfahren ist zulässig und begründet und hat damit Aussicht auf Erfolg.