Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
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- Annegret Becke
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1 Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Institut für Öffentliches Wirtschaftsrecht Lehrstuhl für Öffentliches Recht Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, LL.M. Wer spinnt? - Lösungsskizze 1 Das Bundesverfassungsgericht trifft die begehrte Entscheidung, wenn der Antrag zulässig und soweit er begründet ist. A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit (+), das Bundesverfassungsgericht ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG für das Organstreitverfahren zuständig. II. Beteiligtenfähigkeit 1. N-Partei (Antragsteller) Parteien werden in den Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, 63 BVerfGG nicht ausdrücklich erwähnt. Allerdings handelt es sich bei ihnen um andere Beteiligte i.s.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, 13 Nr. 5 BVerfGG, da sie durch das Grundgesetz (Art. 21 GG) mit eigenen Rechten ausgestattet sind und im vorliegenden Fall um dieses Recht streiten. 2. Bundespräsident (Antragsgegner) (+), der Bundespräsident G ist ein oberstes Bundesorgan i.s.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und ausdrücklich in 63 BVerfGG genannt. III. Antragsgegenstand Als Antragsgegenstand kommen jede rechtserhebliche Maßnahme und jedes rechtserhebliche Unterlassen des Antragsgegners in Betracht, 64 Abs. 1 BVerfGG. 1 Sachverhalt und Lösungsskizze sind angelehnt an die Entscheidung des BVerfG vom BvE 4/13 und die darauf beruhende Aufarbeitung in JuS 2014, 956 ff.
2 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 2 Dagegen könnte sprechen, dass es sich bei der Äußerung des G nur um informelles Staatshandeln handelt. Staatliches Informationshandeln kann unabhängig von seiner Rechtsförmigkeit gleichwohl in die Rechte der Betroffenen eingreifen und ist daher als rechtserheblich zu qualifizieren. IV. Antragsbefugnis (+), es ist nicht ausgeschlossen, dass die N-Partei durch die Äußerungen des G in ihrem Recht auf freie Betätigung und Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG verletzt wird. V. Form und Frist Der Antrag ist schriftlich ( 23 Abs. 1 BVerfGG) und begründet ( 64 Abs. 2 BVerfGG) beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, was auch geschehen ist. Nach 64 Abs. 3 BVerfGG ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten zu stellen. VI. Zwischenergebnis Der Antrag der N-Partei ist zulässig. B. Begründetheit Der Antrag ist begründet, soweit die gerügte Äußerung verfassungswidrig ist und die N-Partei dadurch in ihren verfassungsrechtlich geschützten Rechten verletzt wurde. I. Äußerungsbefugnis des Bundespräsidenten Die Befugnisse des Bundespräsidenten sind weder in einer Generalklausel wie Art. 65 Satz 2 GG noch in einem Zuständigkeitskatalog aufgeführt, sondern finden sich an unterschiedlichen Stellen des Grundgesetzes (z.b. Art. 59, 60, 63, 64 GG). Kraft seines Amtes kommt ihm die Aufgabe zu, im Sinne der Integration des Gemeinwesens zu wirken. Er repräsentiert Staat und Volk nach innen und außen und nimmt an der staatlichen Willensbildung teil. Dieser Aufgabe kann er nur gerecht werden, wenn er sich in diesem Zusammenhang öffentlich äußern darf.
3 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 3 (P) Gesetzesvorbehalt o Die Wesentlichkeitstheorie besagt, dass alle wesentlichen Fragen durch den Gesetzgeber zu regeln sind. Dies gilt insbesondere für die Fälle staatlichen Handelns, die zu (Grund-) Rechtseingriffen führen. o Gleichwohl wird die Befugnis zu staatlicher Öffentlichkeitsarbeit auf die Aufgabenzuweisungsnormen der Hoheitsträger gestützt. o Für den Bundespräsidenten existiert allerdings nicht einmal eine entsprechende Aufgabenzuweisungsnorm, sodass negative Äußerungen mangels Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig sein könnten. o Gleichwohl muss es für den Bundespräsidenten möglich sein, sich zu gesellschaftlichen Entwicklungen zu äußern. Der Bundespräsident bedarf daher über die seinem Amt immanente Befugnis zu öffentlicher Äußerung hinaus keiner gesetzlichen Ermächtigung. Dies gilt insbesondere auch, soweit er auf Fehlentwicklungen hinweist oder vor Gefahren warnt und dabei die von ihm als Verursacher ausgemachten Kreise oder Personen benennt. G war daher grundsätzlich dazu befugt, sich über die N-Partei zu äußern. Einer Ermächtigungsgrundlage bedurfte es dafür nicht. II. Grenzen der Äußerungsbefugnis Der Bundespräsident übt Staatsgewalt i.s.v. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG aus und ist damit nach Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden. Aus dieser Rechtsbindung ergeben sich auch für ihn als Staatsoberhaupt Grenzen bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben. Er steht keinesfalls über dem Gesetz. 1. Formelle Grenzen Es bestehen keine Zweifel an der Zuständigkeit des Bundespräsidenten für eine derartige Äußerung bzw. Warnung. Ihm muss es bereits kraft seines Amtes möglich sein, zu überregionalen politischen und gesellschaftlichen Themen Stellung zu beziehen.
4 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 4 2. Materielle Grenzen a) Chancengleichheit der Parteien, Art. 21 Abs. 1 GG Art. 21 Abs. 1 GG (teilweise i.v.m. Art. 3 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 1 GG) sichert das Recht auf Chancengleichheit der Parteien. In dieses Recht wird eingegriffen, wenn Hoheitsträger zugunsten oder zulasten einer Partei handeln. Die Willensbildung findet vielmehr vom Volk zu den Staatsorganen statt und nicht etwa umgekehrt, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG. Aus diesem Recht folgt daher die Pflicht zu parteipolitischer Neutralität für Hoheitsträger. Der Ruf und die Wettbewerbschancen einer Partei dürfen daher nicht willkürlich, d.h. ohne sachlichen Grund, beeinträchtigt werden. (P) Lassen sich diese Grenzen auf den Bundespräsidenten übertragen? o Er steht mit den politischen Parteien nicht in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses. o Ihm stehen keine Mittel zur Verfügung, die es ihm wie etwa der Bundesregierung ermöglichen, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken. o In Erfüllung seiner repräsentations- und Integrationsaufgabe obliegt es ihm, zur Wahrung und Förderung des Gemeinwesens die Öffentlichkeit auf die von ihm festgestellten Missstände, die das friedliche Zusammenleben der Bürger bedrohen, hinzuweisen. Dieser Aufgabe kann der Bundespräsident nur gerecht werden, wenn er weitestgehend frei über den Inhalt und die Form seiner Kommunikation entscheidet. o Aus der besonderen Stellung des Bundespräsidenten als Staatsoberhaupt ergibt sich daher, dass sich die allgemeinen Grenzen nicht einfach auf ihn übertragen lassen. Er ist daher auch nicht gehindert, sein Anliegen durch eine zugespitzte Wortwahl vorzubringen. Von seiner Äußerungsbefugnis nicht mehr erfasst sind Ausführungen, die in evidenter Weise keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung liefern, sondern ohne Kontextbezug und sachlichen Grund dazu dienen, diffamierend und ausgrenzend zu wirken. Die konkreten Äußerungen traf G im Rahmen einer politischen Gesprächsrunde. Sein Ziel war es dabei nicht allein, die N-Partei zu beleidigen und so ihre Chancen im politischen Wett-
5 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 5 bewerb zu schmälern. Vielmehr ging es ihm vor allem darum, vor den Gefahren extremer Bestrebungen in diesem Kontext zu warnen und für eine wehrhafte Demokratie zu werben. Darin ist keine evidente Vernachlässigung seiner Integrationsaufgabe durch die Diskreditierung der N-Partei zu sehen. b) Sachlichkeitsgebot, Art. 20 Abs. 3 GG Hinweis: Bei dem Sachlichkeitsgebot handelt es sich nicht um eine parteispezifische Grenze aus Art. 21 Abs. 1 GG. Vielmehr ist jeder Hoheitsträger aus rechtsstaatlichen Gründen dazu verpflichtet, seine Äußerungen nicht auf sachfremde Erwägungen zu stützen und den sachlich gebotenen Rahmen nicht zu verlassen. Durch die Bezeichnung Spinner könnte G den sachlich gebotenen Rahmen seiner Äußerungsbefugnis überschritten haben. Bei der isolierten Betrachtung ist der Begriff Spinner als abwertend und diffamierend zu bewerten. Eine derartige Betrachtung scheidet allerdings aus. Vielmehr ist bei staatlichen Äußerungen ein konkreter Kontextbezug herzustellen. o Im Zusammenhang mit dem Appell an eine wehrhafte Demokratie ist der Begriff Spinner vielmehr als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und trotz der verheerenden Folgen des Nationalsozialismus nationalistische, antidemokratische Ansichten vertreten, zu verstehen. o Indem G, anknüpfend an die aus der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus zu ziehenden Lehren, zu Engagement gegenüber extremistischen Ansichten, von denen seiner Auffassung nach Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen, aufgerufen hat, hat er für die dem Grundgesetz entsprechende Form der Auseinandersetzung mit solchen Ansichten geworben. G hat die rechtsstaatlichen Grenzen des Sachlichkeitsgebots nicht überschritten.
6 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 6 Hinweis: Das BVerwG hat in seiner Entscheidung zur Äußerungsbefugnis eines Oberbürgermeisters (BVerwGE 159, 327) entschieden, dass der Aufruf an die Einwohner, die Außenbeleuchtung ihrer Häuser als Zeichen des Protests abzuschalten, die Ebene des rationalen und sachlichen Diskurses verlasse und nicht mehr vom Sachlichkeitsgebot gedeckt sei. Anders als die Vorinstanz kam das BVerwG auch zu dem Ergebnis, dass die Aufforderung des Oberbürgermeisters zur Teilnahme an einer Gegendemonstration das Sachlichkeitsgebot verletze. c) Zwischenergebnis Die konkrete Äußerung des G ist daher mit den materiellen Grenzen seines Äußerungsrechts vereinbar. III. Ergebnis Die Äußerung des G ist nicht verfassungswidrig. Auf eine etwaige Rechtsverletzung der N- Partei kommt es daher nicht an. C. Gesamtergebnis Der Antrag der N-Partei ist zulässig aber unbegründet.
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