STAATSRECHT III TEIL 2: VÖLKERRECHT UND AUßENVERFASSUNGSRECHT
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1 Prof. Dr. Alexander Proelß WS 2013/2014 STAATSRECHT III TEIL 2: VÖLKERRECHT UND AUßENVERFASSUNGSRECHT VII. Auslandseinsätze der Bundeswehr 1. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Auslandseinsätzen Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG: Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Verteidigung Kompetenzen der Exekutive im Verteidigungsfall: o Art. 115a GG: Antrag auf Feststellung des Verteidigungsfalls (aber: Verteidigungsfalls kann nicht ausschließlich von der Bundesregierung festgestellt werden) o Art. 115b GG: Bundeskanzler hat Befehls- und Kommandogewalt Organkompetenz geht vollständig auf die Exekutive über; Bündelung der Entscheidungskompetenzen in einer Hand, um effektiv entscheiden zu können Verfassungsrechtliche Schranken von Bundeswehreinsätzen o Art 87a Abs. 2 GG: außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich erlaubt Begriff der Verteidigung umfasst die Abwehr eines Angriffs auf das deutsche Staatsgebiet Einsätze im Bündnisfall o in Art. 5 NATO-Vertrag verpflichten sich die Mitglieder, einen Angriff gegen einen NATO-Staat als Angriff gegen alle anzusehen: Die Parteien vereinbaren, dass ein be- 1
2 waffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen [...] der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. [...] Begriff des Einsatzes: Verfolgung militärischer Zwecke, aber auch die Leistung humanitärer Hilfe, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt werden; Abschätzung des Risikos in jedem Einzelfall! o Auslandseinsätze: sofern es sich nicht um einen Einsatz im Bündnisfall auf dem Gebiet eines Bündnispartners handelt, muss sich ein Einsatz gemäß Art. 87a Abs. 2 GG auf eine ausdrückliche Grundlage im GG stützen können Bsp. für ausdrückliche Grundlagen: Art. 35 Abs. 2 und 3 GG; Art. 87a Abs. 3 und 4 GG (Einsätze im Inneren) (P): keine explizite Nennung von Auslandseinsätzen im GG teilweise wird vertreten, Art. 87a Abs. 2 GG beziehe sich nur auf den Einsatz der Bundeswehr im Inneren dann wäre für Auslandseinsätze keine gesonderte Grundlage notwendig, alle Auslandseinsätze wären bis zur materiellen Grenze des Art. 26 GG (Verbot eines Angriffskrieges) ohne weiteres verfassungsrechtlich zulässig aber: mögen sich Art. 87a Abs. 3 und 4 GG auch auf den Bundeswehreinsatz im Inneren beziehen, lässt sich daraus noch nicht schließen, dass dies auch für Abs. 2 gelten soll; der Wortlaut sieht diese Einschränkung nicht vor dass gerade eine so wichtige Frage wie der Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Ausland ohne grundgesetzliche Ermächtigung stets zulässig sein soll, widerspricht der Systematik des Grundgesetzes 2
3 als Grundlage für Auslandseinsätze wird daher Art. 24 Abs. 2 GG herangezogen (P): Art. 24 Abs. 2 GG betrifft die Beteiligung an Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit, erwähnt den Einsatz von Streitkräften im Ausland aber nicht ausdrücklich trotzdem soll Art. 24 Abs. 2 GG dem Erfordernis des Art. 87a Abs. 2 GG genügen Argument: verpflichtet man sich in einem System kollektiver Sicherheit zur Gegenseitigkeit, kann man sich nicht auf den Schutz der Gemeinschaft verlassen, ohne selbst zu entsprechender Hilfeleistung bereit zu sein; der Einsatz von Soldaten im Rahmen des Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit muss also grundsätzlich möglich sein die Vereinten Nationen sind als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit i.s.v. Art. 24 Abs. 2 GG anerkannt BVerfG hat im Urteil zum Vertrag von Lissabon verneint, dass die EU ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit sei (BVerfGE 123, 267, 361); das ist problematisch für die Beteiligung deutscher Soldaten an der Mission Atalanta zur Pirateriebekämpfung vor der Küste von Somalia inhaltliche Grenze des Art. 24 Abs. 2 GG: Einsatz muss völkerrechtmäßig sein 2. Völkerrechtliche Zulässigkeit militärischer Gewaltanwendung (Überblick) vgl. Art. 2 Nr. 4 UN-Charta: grundsätzlich gilt ein Gewaltverbot vgl. Art. 51 UN Charta: eine Ausnahme zum Gewaltverbot besteht in Gestalt des Selbstverteidigungsrechts, das individuell, aber auch kollektiv wahrgenommen werden darf o Bsp. für die Ausübung eines Selbstverteidigungsrechts: militärische Reaktion einer Staatenkoalition auf den irakischen Einmarsch in Kuwait 1990; Einsatz militärischer Gewalt der USA und seiner Verbündeten gegen Afghanistan nach dem 11. September 2001 (str.) 3
4 Ermächtigung durch den Sicherheitsrat, wenn nach Art. 39 UN Charta ein Bruch des Friedens festgestellt worden ist keine eigenen Kampftruppen der UN; Staaten beteiligen sich freiwillig an VN-mandatierten Einsätzen Humanitäre Intervention als Rechtfertigungsgrund? o NATO-Staaten wendeten im Kosovo 1999 ohne UN Ermächtigung militärische Gewalt an, um die massive Verletzung von Menschenrechten zu beenden; ob dies unter Bezugnahme auf einen Rechtfertigungsgrund der humanitären Intervention legitimiert werden kann, ist bis heute umstritten weitere UN-Einsatzfelder unterhalb der Ermächtigung von Staaten zur militärischen Lösung einer friedensbedrohenden Situation: o Friedenstruppen (peace-keeping): so genannte Blauhelme o Staat, auf dessen Gebiet die Blauhelme stationiert werden, muss zustimmen o Tätigkeitsfelder: Überwachung von Waffenstillständen, Einrichtung von Pufferzonen/Schutzzonen zwischen verfeindeten Lagern, Entmilitarisierung o Einsatz von Waffengewalt zumeist nur zur Selbstverteidigung der Soldaten zulässig (abhängig von Reichweite des UN-Mandats) (P): Manche Einsätze lassen sich weder klar dem peace-keeping noch dem peace-enforcement zuordnen. Zunehmend wird daher gefordert, Blauhelme in bestimmten Regionen mit einem robusten Mandat auszustatten; dadurch soll verhindert werden, dass Blauhelme, wenn die Situation eskaliert, bei massiven Menschenrechtsverletzungen tatenlos zusehen müssen, weil sie nicht zum Einsatz von Waffengewalt über die bloße Selbstverteidigung hinaus ermächtigt sind. Vgl. die Hintergründe zur Rolle der niederländischen Blauhelmsoldaten im Bosnienkrieg (Massaker von Srebrenica) 3. Zur Verteilung der Organkompetenzen bei Auslandseinsätzen a) Parlamentsbeteiligung Bundeswehr wird als Parlamentsheer bezeichnet 4
5 BVerfG: Entscheidung über Krieg und Frieden ist so wesentlich, dass der Bundestag entscheiden muss (konstitutiver Parlamentsvorbehalt); fehlt die Zustimmung, ist der Einsatz verfassungswidrig (obwohl das Grundgesetz dies ausdrücklich so nicht sagt) o dazu BVerfGE 121, 135, 153: Das Grundgesetz hat die Entscheidung über Krieg und Frieden dem Deutschen Bundestag als Repräsentationsorgan des Volkes anvertraut. Das ist für die Feststellung des Verteidigungsfalls und des Spannungsfalls ausdrücklich festgelegt (Art. 115a Abs. 1, Art. 80a Abs. 1 GG) und gilt darüber hinaus allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte, auch in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG. o BVerfGE 90, 286, 383: Für den militärischen Einsatz von Streitkräften ist dem Grundgesetz das Prinzip des konstitutiven Parlamentsvorbehalts zu entnehmen. [...](S. 387) Bei Einsätzen bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Resolutionen des Sicherheitsrates ist die vorherige Zustimmung des Bundestages unabhängig davon erforderlich, ob den Streitkräften Zwangsbefugnisse nach Kapitel VII SVN eingeräumt sind und wie die Kommandostrukturen ausgestaltet sind. Eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Einsatzformen von Friedenstruppen verbietet sich, weil die Grenzen zwischen den traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden sind. Auch wird der Begriff der Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt ist, bereits in einem aktiven Sinne dahin definiert, dass sie auch den Widerstand gegen gewaltsame Versuchte einschließt, die Truppen an der Ausführung ihres Auftrags zu hindern [...]. auf die Qualifikation des Einsatzes, z.b. als Blauhelmeinsatz, kommt es nicht an, sondern nur darauf, ob die konkrete Gefahr der bewaffneten Auseinandersetzung besteht o BVerfGE 121, 135, 164: Für den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt kommt es nicht darauf an, ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich schon im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklicht haben, sondern darauf, ob nach dem jeweiligen Einsatzzusammen hang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist und deutsche Soldaten deshalb in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind [...]. Bundesregierung entscheidet aber über die tatsächliche Beteiligung und alle Details einer Beteiligung; d.h. die Bundesregierung kann einerseits nicht allein entscheiden, der Bundestag andererseits nicht gegen den Willen der Bundesregierung positiv über einen Einsatz bestimmen erfolgte Zustimmung des Bundestags kann nach dem Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Soldaten im Ausland (sog. Parlamentsbeteiligungsgesetz) widerrufen werden (sog. Rückholrecht ), z.b. bei politischer Neubewertung eines Einsatzes oder bei faktischen Änderungen 5
6 nachträgliche Billigung möglich, wenn wegen Gefahr in Verzug nicht vorher die Zustimmung eingeholt werden konnte (Operation Libelle, Operation Pegasus in Libyen) b) Einsatzmaßstäbe das GG sagt nichts darüber aus, was die Bundeswehr im Einsatz konkret darf Grenzen ergeben sich aus dem Völkerrecht: Bindung an die Regeln des humanitären Völkerrechts; aber auch Bindung an die sogenannten Rules of Engagement, die für die Soldaten, die an einem konkreten Einsatz teilnehmen, gelten (P): für den Einzelnen kann erhebliche Unsicherheit bestehen, welches Verhalten erlaubt ist und welches möglicherweise die strafrechtliche Verantwortlichkeit nach sich zieht c) Kontrolle durch das BVerfG regelmäßig durch Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG), wenn der Bundestag (zumeist in Gestalt einer [Oppositions-]Fraktion, die in Prozessstandschaft für den gesamten Bundestag vorgeht) die Verletzung seiner Entscheidungsbefugnisse rügt (P): Wenn die Beteiligung erfolgt und dem Einsatz seitens des Bundestags zugestimmt wurde, erfolgt keine Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit im Organstreitverfahren; das BVerfG kann im Organstreit nur formal prüfen, ob eine Zustimmung erfolgen musste; dass die Zustimmung beim Kosovo-Einsatz möglicherweise verfassungswidrig war, weil der Einsatz völkerrechtswidrig gewesen sein könnte und deshalb mit Art. 24 Abs. 2 GG nicht in Einklang stand, ist nicht Gegenstand des Verfahrens o BVerfGE 100, 266, 268f: Das Organstreitverfahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht [...]. a) Das Grundgesetz ermächtigt den Bund, Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen und sich Systemen kollektiver Selbstverteidigung und gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen. Darin ist auch die Befugnis eingeschlossen, sich mit eigenen Streitkräften an Einsätzen zu beteiligen, die im Rahmen solcher Systeme vorgesehen sind und nach ihren Regeln stattfinden. Allerdings bedarf der Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages (BVerfGE 90, 286 (381ff.)). Diese Zustimmung hat der Bundestag erteilt. 6
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